werden würde, auch wenn sie in einem Geschlecht allein zuerst aufträte und ausgebildet würde.
Obgleich viele ernstliche Einwürfe erhoben werden können, so scheint es doch im Ganzen wahrscheinlich, dass die meisten derjenigen Species von Lepidoptern, welche brillant gefärbt sind, ihre Farben geschlechtlicher Zuchtwahl verdanken, ausgenommen gewisse, sofort zu erwähnende Fälle, bei denen die auffallende Färbung als ein Schutzmittel durch Mimicrie erlangt worden ist. In Folge der heftigeren Begierde des Männchens, durch das ganze Thierreich hindurch, ist dasselbe allgemein bereit, jedes Weibchen anzunehmen, und es ist gewöhnlich das Weibchen, welches eine Wahl ausübt. Wenn daher bei den Lepidoptern geschlechtliche Zuchtwahl eingewirkt hat, so müsste, wenn die Geschlechter verschieden sind, das Männchen das am brillantesten gefärbte sein, und dies ist unzweifelhaft die gewöhnliche Regel. Wenn beide Geschlechter brillant gefärbt sind und einander gleichen, so scheinen die von den Männchen erlangten Charactere auf beide Geschlechter überliefert worden zu sein. Wir werden zu diesem Schlusse durch Fälle geführt, selbst innerhalb einer und derselben Gattung, wo sich zwischen einem ausserordentlichen Grade von Verschiedenheit zwischen den beiden Geschlechtern bis zu einer Identität in der Färbung Abstufungen finden.
Man kann aber fragen, ob die Verschiedenheit in der Färbung zwischen den Geschlechtern nicht durch andre Mittel ausser der geschlechtlichen Zuchtwahl erklärt werden kann. So ist es bekannt,[1] dass die Männchen und Weibchen einer und derselben Species von Schmetterlingen in mehreren Fällen verschiedene Localitäten bewohnen, dass erstere meist im Sonnenscheine sich herumtummeln, während letztere düstere Wälder aufsuchen. Es ist daher möglich, dass verschiedene Lebensbedingungen direct auf die beiden Geschlechter eingewirkt haben; doch ist dies nicht wahrscheinlich,[2] da sie im erwachsenen Zustande nur während einer sehr kurzen Zeit verschiedenen Bedingungen ausgesetzt sind und die Larven beider den nämlichen Bedingungen unterliegen. Mr. Wallace glaubt, dass die Verschiedenheit
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 419. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/433&oldid=- (Version vom 31.7.2018)