zwei Hermaphroditen, gegenseitig durch die bedeutendere Schönheit angezogen, sich verbinden und Nachkommen hinterlassen könnten, welche die grössere Schönheit ihrer Eltern erben würden. Aber bei so niedrig organisirten Wesen ist dies ausserordentlich unwahrscheinlich. Es springt auch durchaus nicht sofort in die Augen, warum die Nachkommen der weniger schönen irgendwelchen Vortheil von der Art haben sollten, dass sie nun an Zahl zunähmen, wenn nicht allerdings Lebenskraft und Schönheit allgemein zusammenfielen. Wir haben hier nicht einen solchen Fall vor uns, wo die Männchen früher als die Weibchen reif werden und die schöneren Männchen dann von den lebenskräftigeren Weibchen ausgewählt werden. Allerdings wenn brillante Farben für ein hermaphroditisches Thier in Bezug auf seine allgemeinen Lebensgewohnheiten wohlthätig wären, so würden auch die lebendiger gefärbten Individuen am besten fortkommen und an Zahl zunehmen: dies wäre aber dann ein Fall von natürlicher und nicht von geschlechtlicher Zuchtwahl.
Unterreich der Würmer: Classe der Anneliden (oder Ringelwürmer). — Obgleich in dieser Classe die beiden Geschlechter, wenn sie getrennt sind, zuweilen in Merkmalen von solcher Bedeutung von einander verschieden sind, dass sie in verschiedene Gattungen oder selbst Familien gebracht worden sind, so scheinen die Verschiedenheiten doch nicht von der Art zu sein, dass man sie mit Sicherheit der geschlechtlichen Zuchtwahl zuschreiben könnte. Diese Thiere sind häufig schön gefärbt; da aber die Geschlechter in dieser Beziehung nicht von einander abweichen, berührt uns der Fall nur wenig. Selbst die Nemertinen, trotzdem sie so niedrig organisirt sind, „wetteifern in Schönheit und Verschiedenheit der Färbung mit jeder andern Gruppe der wirbellosen Thiere“; doch konnte Dr. McIntosh[1] nicht entdecken, dass diese Farben von irgend welchem Nutzen seien. Die festsitzenden Anneliden werden nach der Zeit der Reproduction trüber gefärbt, wie Quatrefages angibt;[2] ich vermuthe, dies ist dem weniger lebensvollen Zustande in dieser Zeit zuzuschreiben. Alle diese wurmartigen Thiere stehen dem Anscheine nach zu tief auf der Stufenleiter, als dass man annehmen könnte, entweder die beiden Geschlechter liessen
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 347. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/361&oldid=- (Version vom 31.7.2018)