werden, bei welcher gewisse gefärbte Auszeichnungen auf ein Geschlecht beschränkt sind, während andere Flecke beiden Geschlechtern gemeinsam sind. Eine Verschiedenheit dieser Art in der Periode der Entwickelung ist nicht so unwahrscheinlich, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Denn bei den Orthoptern, welche ihren erwachsenen Zustand nicht durch eine einzige Metamorphose, sondern durch eine Reihe aufeinanderfolgender Häutungen erreichen, gleichen die jungen Männchen einiger Species zuerst den Weibchen und erlangen ihre unterscheidenden männlichen Merkmale erst während einer späteren Häutung. Streng analoge Fälle kommen auch während der aufeinanderfolgenden Häutungen gewisser männlichen Krustenthiere vor.
Wir haben bis jetzt nur die Uebertragung von Merkmalen in Bezug auf die Periode der Entwickelung bei Species im Naturzustande betrachtet. Wir wollen uns nun zu den domesticirten Thieren wenden und zuerst Monstrositäten und Krankheiten berühren. Das Vorhandensein überzähliger Finger und das Fehlen gewisser Phalangen muss in einer frühen embryonalen Periode bestimmt werden – wenigstens ist die Neigung zu profusen Blutungen angeboren, wie es wahrscheinlich auch die Farbenblindheit ist –; doch sind diese Eigenthümlichkeiten und andere ähnliche oft in Bezug auf ihre Ueberlieferung auf ein Geschlecht beschränkt, so dass das Gesetz, dass Charactere, welche in einer frühen Periode sich entwickeln, auf beide Geschlechter vererbt zu werden neigen, hier vollständig fehlschlägt. Wie aber vorhin bemerkt wurde, scheint dieses Gesetz keine auch nur annähernd so allgemeine Gültigkeit zu haben, wie der umgekehrte Satz, dass nämlich Charactere, welche spät im Leben an einem Geschlechte erscheinen, auch nur ausschliesslich auf dieses selbe Geschlecht vererbt werden. Aus der Thatsache, dass die oben erwähnten abnormen Eigenthümlichkeiten auf ein Geschlecht beschränkt werden, und zwar lange ehe die geschlechtlichen Functionen in Thätigkeit treten, können wir schliessen, dass eine Verschiedenheit irgend welcher Art zwischen den Geschlechtern schon zu einem äusserst frühen Lebensalter bestehen muss. Was geschlechtlich beschränkte Krankheiten betrifft, so wissen wir zu wenig von der Zeit, zu welcher sie überhaupt entstehen, um irgend einen sicheren Schluss zu ziehen. Indessen scheint die Gicht unter unser Gesetz zu fallen, denn sie ist meist verursacht durch Unmässigkeit im Mannesalter und wird vom Vater auf seine Söhne in einer viel ausgesprocheneren Art als auf seine Töchter vererbt.
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 311. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/325&oldid=- (Version vom 31.7.2018)