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Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/317

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auch im Naturzustande will ich nicht zu sagen wagen, kann das eine Geschlecht ihm eigentümliche Charactere verlieren und hierdurch dazu kommen, dass es in einem gewissen Grade dem andern Geschlechte ähnlich wird; z. B. haben die Männchen einiger Hühnerrassen ihre männlichen Schwanz- und Sichelfedern verloren. Auf der andern Seite können aber auch die Verschiedenheiten zwischen den Geschlechtern im Zustande der Domestication erhöht werden, wie es beim Merinoschafe der Fall ist, wo die Mutterschafe die Hörner verloren haben. Ferner können Charactere, welche dem einen Geschlechte eigen sind, plötzlich beim anderen erscheinen, wie es bei denjenigen Unterrassen des Huhnes der Fall ist, bei denen die Hennen, während sie noch jung sind, Sporne erhalten, oder, wie es bei gewissen Unterrassen der polnischen Hühner sich findet, bei denen, wie man wohl anzunehmen Grund hat, ursprünglich zuerst die Weibchen eine Federkrone erhielten und sie später auf die Männchen vererbten. Alle diese Fälle sind unter Annahme der Hypothese der Pangenesis verständlich; denn sie hängen davon ab, dass die Keimchen gewisser Theile des Körpers, trotzdem sie in beiden Geschlechtern vorhanden sind, doch durch den Einfluss der Domestication entweder ruhend erhalten oder zur Entwickelung gebracht werden.

Es findet sich hier noch eine schwierige Frage, welche passender auf ein späteres Capitel verschoben werden mag, nämlich ob ein ursprünglich in beiden Geschlechtern entwickelter Character durch Zuchtwahl in seiner Entwickelung auf ein Geschlecht allein beschränkt werden kann. Wenn z. B. ein Züchter beobachtete, dass einige seiner Tauben (bei welcher Species Charactere gewöhnlich in gleichem Grade auf beide Geschlechter überliefert werden) in ein blasses Blau variirten, kann er dann durch lange fortgesetzte Zuchtwahl eine Rasse erziehen, bei welcher nur die Männchen von dieser Färbung sind, während die Weibchen unverändert bleiben? Ich will hier nur bemerken, dass dies äusserst schwierig sein dürfte, wenn es auch vielleicht nicht unmöglich ist. Denn das natürliche Resultat eines Weiterzüchtens von den blassblauen Männchen würde das sein, seinen ganzen Stamm mit Einschluss beider Geschlechter in diese Färbung hinüberzuführen. Wenn indessen Abänderungen der bewussten Färbung aufträten, welche vom Anfang an in ihrer Entwickelung auf das männliche Geschlecht beschränkt wären, so würde nicht die mindeste Schwierigkeit vorliegen, eine Rasse zu bilden, welche dadurch characterisirt ist, dass beide Geschlechter eine verschiedene Färbung zeigen, wie es in der That mit einer belgischen


Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 303. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/317&oldid=- (Version vom 31.7.2018)