Schläfen- und Hinterhauptlappens. Es liegen indessen keine deutlichen Beweise vor, dass eine von diesen constant vor den andern erscheint; und es ist merkwürdig, dass an dem aus dieser Periode von Ecker beschriebenen und abgebildeten Gehirn (a. a. O., S. 212—13, Taf. II, Fig. 1,2,3,4) die Anterotemporalfurche (scissure parallèle), welche für das Affengehirn so characteristisch ist, ebenso gut wenn nicht noch besser entwickelt ist, als die Rolando'sche Spalte, auch viel mehr markirt ist, als die eigentlichen frontalen Furchen.
Nimmt man alle Thatsachen wie sie jetzt stehen zusammen, so geht daraus hervor, dass die Reihenfolge des Auftretens der Furchen und Windungen im fötalen menschlichen Gehirn in vollkommener Harmonie mit der allgemeinen Entwickelungslehre und mit der Ansicht steht, dass sich der Mensch aus irgend einer affenähnlichen Form entwickelt hat, obschon darüber kein Zweifel sein kann, dass diese Form in vielen Beziehungen von allen Gliedern der jetzt lebenden Ordnung der Primaten verschieden war.
C. E. von Baer hat uns vor einem halben Jahrhundert gelehrt, dass verwandte Thiere im Verlaufe ihrer Entwickelung zuerst die Merkmale der grösseren Gruppen, zu denen sie gehören, annehmen und stufenweise diejenigen erhalten, welche sie innerhalb der Grenzen ihrer Familie, Gattung und Art einschliessen; er hat gleichzeitig bewiesen, dass kein Entwickelungszustand eines höheren Thieres dem erwachsenen Zustand irgend eines niederen Thieres genau ähnlich ist. Es ist völlig correct zu sagen, dass ein Frosch den Zustand eines Fisches durchläuft, insofern auf einer Periode seines Lebens die Kaulquappe alle Charactere eines Fisches hat und, wenn sie sich nicht weiter entwickelte, unter die Fische einzuordnen wäre. Es ist aber gleichermaassen wahr, dass eine Kaulquappe sehr verschieden von allen bekannten Fischen ist.
In gleicher Weise kann man ganz richtig sagen, dass das Gehirn eines menschlichen Fötus vom fünften Monat, nicht bloss das Gehirn eines Affen, sondern das eines Arctopithecus- oder Marmoset-ähnlichen Affen sei; denn seine Hemisphären mit ihren grossen hintern Lappen und mit keinen andern Furchen als der Sylvischen und der Hippocampus-Furche, bieten characteristische Merkmale dar, welche nur in der Gruppe der Arctopithecusartigen Primaten gefunden werden. Es ist aber gleichermaassen richtig, wie Gratiolet bemerkt, dass es mit seiner weit offnen Sylvischen Spalte vom Gehirn aller lebenden Marmosets abweicht. Ohne Zweifel würde es dem Gehirn eines ältern Fötus eines Marmosets viel ähnlicher sein. Wir wissen aber durchaus nichts von der Entwickelung des Gehirns bei den Marmosets. In Bezug auf die eigentlichen Platyrhinen verdanken wir die einzige Beobachtung, die mir bekannt ist, Pausch, welcher an dem Gehirn eines fötalen Cebus Apella ausser der Sylvischen Spalte und der tiefen Hippocampus-Furche nur eine sehr seichte anterotemporale Furche (scissure parallèle Gratiolet's) fand.
Diese Thatsache nun, zusammengenommen mit dem Umstande, dass die anterotemporale Furche bei solchen Platyrhinen wie der Saimiri vorhanden ist, welcher nur Spuren von Furchen auf der vordern Hälfte der Außenseite der Grosshirn-Hemisphären oder gar keine zeigt, bietet unzweifelhaft, so weit sie eben geht, einen gültigen Beleg zu Gunsten der Hypothese Gratiolet's dar, dass die hintern Furchen in den Gehirnen der
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/281&oldid=- (Version vom 31.7.2018)