Ueber das Aussterben von Menschenrassen. – Das theilweise und vollständige Aussterben vieler Rassen und Unterrassen des Menschen sind historisch bekannte Ereignisse. Humboldt sah in Südamerica einen Papagei, welcher das einzige lebende Wesen war, das die Sprache eines ausgestorbenen Stammes noch kannte. Alte Monumente und Steinwerkzeuge, welche sich in allen Theilen der Welt finden und von welchen unter den gegenwärtigen Einwohnern keine Tradition mehr erhalten ist, weisen auf reichliches Aussterben hin. Einige kleine und versprengte Stämme, Ueberbleibsel früherer Rassen, leben noch in isolirten und gewöhnlich bergigen Districten. In Europa standen die alten Rassen sämmtlich nach Schaaffhausen[1] auf der Stufenreihe „niedriger als die rohesten jetzt lebenden Wilden“; sie müssen daher in einer gewissen Ausdehnung von jeder jetzt existirenden Rasse abgewichen sein. Die von Professor Broca aus Les Eyzies beschriebenen Ueberreste weisen, obgleich sie unglücklicherweise einer einzelnen Familie angehört zu haben scheinen, auf eine Rasse hin mit einer höchst merkwürdigen Combination niederer oder affenartiger und höherer characteristischer Merkmale. Diese Rasse ist „völlig verschieden von irgend einer andern alten oder modernen Rasse, von der wir je gehört haben“.[2] Sie wich daher auch von der quaternären Rasse der belgischen Höhlen ab.
Bedingungen, welche äusserst ungünstig für sein Bestehen erscheinen, kann der Mensch lange widerstehen.[3] Der Mensch hat in den äussersten Gegenden des Nordens lange gelebt, wo er kein Holz hatte, aus dem er sich seine Boote oder andere Werkzeuge hätte machen können, und wo er nur Thran als Brennmaterial und nur geschmolzenen Schnee als Getränk hatte. An der Südspitze von America leben die Feuerländer ohne den Schutz von Kleidern oder von irgend einem Bau, welcher eine Hütte genannt zu werden verdient. In Südafrica wandern die Eingebornen über die dürrsten Ebenen, wo gefährliche Thiere in grosser Anzahl vorhanden sind. Der Mensch kann den tödtlichen Einfluss des Terai am Fusse des Himalaya und die pesthauchenden Küsten des tropischen Africa ertragen.
Das Aussterben ist hauptsächlich eine Folge der Concurrenz eines
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/252&oldid=- (Version vom 31.7.2018)