aber der Mensch zu einer sehr entfernten Zeit existirte, als das Land an vielen Stellen in einem von dem jetzigen sehr verschiedenen Niveau erhoben war, so kann er wohl auch im Stande gewesen sein, ohne die Hülfe von Booten sich weit zu verbreiten. Sir J. Lubbock bemerkt ferner, wie unwahrscheinlich es ist, dass unsere frühesten Vorfahren hätten höher zählen können, als bis zu zehn, wenn man in Betracht zieht, dass so viele der jetzt lebenden Rassen nicht über vier hinauskommen. Nichtsdestoweniger konnten zu jener frühen Periode die intellectuellen und socialen Fähigkeiten des Menschen kaum in irgend einem extremen Grade geringer als diejenigen gewesen sein, welche die niedrigsten Wilden jetzt besitzen. Andernfalls hätte der Urmensch nicht so ausgezeichnet erfolgreich im Kampfe um’s Dasein sein können, wie sich durch seine frühe und weite Verbreitung zeigt.
Aus der fundamentalen Verschiedenheit zwischen gewissen Sprachen haben manche Philologen den Schluss gezogen, dass der Mensch, als er sich zuerst weit verbreitete, noch kein sprechendes Thier gewesen sei. Indess lässt sich vermuthen, dass Sprachen, welche bei Weitem weniger vollkommen waren als irgend jetzt gesprochene, unterstützt von Gesten, benutzt worden sein können und doch in den späteren und höher entwickelten Sprachen keine Spuren zurückgelassen haben. Es scheint zweifelhaft, ob ohne den Gebrauch irgend einer Sprache, wie unvollkommen sie auch gewesen sein mag, der Intellect des Menschen sich bis zu der Höhe hätte entwickeln können, welche durch seine schon zu einer frühen Zeit vorherrschende Stellung bedingt war.
Ob der Urmensch in der Zeit, wo er nur wenig Kunstfertigkeiten, und zwar von der rohesten Art, besass und wo auch sein Vermögen zu sprechen äusserst unvollkommen war, schon verdient haben dürfte, Mensch genannt zu werden, hängt natürlich von der Definition ab, die wir anwenden. In einer Reihe von Formen, welche unmerkbar aus einem affenähnlichen Wesen in den Menschen übergiengen, wie er jetzt existirt, würde es unmöglich sein, irgend einen solchen Punkt zu bezeichnen, wo der Ausdruck „Mensch“ angewandt werden müsste. Doch ist dies ein Gegenstand von sehr geringer Bedeutung. Ferner ist es ein fast vollständig indifferenter Gegenstand, ob die sogenannten Menschenrassen mit diesem Ausdrucke bezeichnet oder als Species oder Subspecies rangirt werden. Doch scheint der letztere Ausdruck der angemessenste zu sein. Endlich dürfen wir wohl voraussetzen, dass in der Zeit, in welcher die Grundsätze der Evolutionstheorie angenommen
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/250&oldid=- (Version vom 31.7.2018)