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Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/225

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besitzen? Es ist möglich, dass sie zuerst bei den Weibchen sich entwickelt und dann auf die Männchen vererbt haben; aber nach dem Folgenden ist dies kaum wahrscheinlich.

Eine andere Ansicht wäre, zu vermuthen, dass lange nachdem die Urerzeuger der ganzen Säugethierclasse aufgehört hatten, Zwitter zu sein, beide Geschlechter Milch abgesondert und damit ihre Jungen ernährt hätten, und dass, was die Marsupialien betrifft, beide Geschlechter die Jungen in der marsupialen Tasche getragen hätten. Dies wird nicht ganz unwahrscheinlich erscheinen, wenn wir uns erinnern, dass die Männchen jetztlebender Nadelfische (Syngnathus) die Eier der Weibchen in ihre abdominalen Taschen aufnehmen, sie ausbrüten und, wie Manche annehmen, später die Jungen ernähren,[1] — dass ferner gewisse andere männliche Fische die Eier innerhalb ihres Mundes oder der Kiemenhöhlen ausbrüten, — dass gewisse männliche Kröten die rosenkranzförmigen Schnüre von Eiern von ihren Weibchen abnehmen und sie um ihre eigenen Schenkel herumwinden und dort behalten, bis die Kaulquappen geboren worden sind, — dass ferner gewisse männliche Vögel die Pflicht des Brütens ganz auf sich nehmen und dass männliche Tauben ebenso gut wie die weiblichen ihre Nestlinge mit einer Absonderung aus ihrem Kropfe ernähren. Die oben angegebene Vermuthung kam mir aber zuerst, als ich sah, dass die Milchdrüsen bei männlichen Säugethieren so viel vollkommener entwickelt sind als die Rudimente jener andern accessorischen Theile des Fortpflanzungssystems, welche sich in dem einen Geschlechte finden, trotzdem sie eigentlich dem andern angehören. Die Milchdrüsen und Zitzen können in der Form, wie sie bei männlichen Säugethieren existiren, in der That kaum rudimentär genannt worden, sie sind einfach nicht vollständig entwickelt und nicht functionell thätig. Sie werden unter dem Einflusse gewisser Krankheiten sympathisch mit afficirt, ganz wie dieselben Organe beim Weibchen. Bei der Geburt und zur Zeit der Pubertät sondern sie oft einige wenige Tropfen Milch ab; diese letztere


  1. Mr. Lockwood glaubt (nach dem Citat im Quart. Journ. of Science, Apr. 1868, p. 269) nach dem was er über die Entwickelung von Hippocampus beobachtet hat, dass die Wandungen der Abdominaltasche des Männchen in irgend einer Weise Nahrung darbieten. Ueber männliche Fische, welche die Eier in ihrem Munde ausbrüten, s. einen sehr interessanten Aufsatz von Prof. Wyman in: Proceed. Boston. Soc. Nat. Hist. Sept. 15. 1857, auch Prof. Turner in Journ. of Anat. and Physiol. Nov. 1. 1866, p. 78. Aehnliche Fälle hat gleicherweise Dr. Günther beschrieben.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/225&oldid=- (Version vom 31.7.2018)