„Stille“ Teilnahme! Ich stieß einen lauten Schrei aus, nachdem ich das Blatt überflogen. Ein Gedanke, ein mit Blitzesschnelle vor meinem inneren Auge erscheinendes Bild zeigte mir den ganzen Jammer, der in dieser schlichten Traueranzeige lag… ich sah unsere beiden Kinder, Rudolf und Sylvia – nein, es war nicht auszudenken!
Die Nachrichten, die man erhält, sind spärlich; alle Postkommunikation natürlich unterbrochen; nur durch Brieftauben und Luftballons wird mit der Außenwelt verkehrt. Die Gerüchte, die allenthalben auftauchen, sind der widersprechendsten Art. Man meldet siegreiche Ausfälle, oder man verbreitet die Kunde, daß der Feind schon im Begriffe sei, Paris zu erstürmen, um es an allen Ecken anzuzünden und dem Erdboden gleich zu machen; oder man versichert, daß, ehe man einen einzigen Deutschen in die Mauern dringen ließe, die Kommandanten der Forts sich selber und ganz Paris in die Luft sprengen würden. Es wird erzählt, daß die sämtliche Bevölkerung des Landes, namentlich aus dem Süden („le midi se lève“) über die Belagerer im Rücken herfällt, um ihnen den Rückzug abzuschneiden und sie bis auf den letzten Mann zu vernichten.
Neben den falschen Nachrichten gelangen auch einige wahre – deren Richtigkeit sich später bestätigte – bis zu uns. So von einer auf der Straße von Grand Luce dicht an Le Mans ausgebrochenen Panik, wobei Greuelthaten sich zutrugen: außer Rand und Band gekommene Soldaten warfen Verwundete aus
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!. E. Pierson’s Verlag, Dresden/Leipzig 1899, Band 2, Seite 288. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bertha_von_Suttner_%E2%80%93_Die_Waffen_nieder!_(Band_2).djvu/293&oldid=- (Version vom 31.7.2018)