umschlang mein unternehmender Vetter das neben ihm sitzende Mädchen, preßte – zu unser aller Staunen – einen Kuß auf ihre Lippen und fragte dann:
„Willst Du mich in 66?“
„Ja – ich will,“ antwortete sie; „ja – ich hab’ Dich lieb, Konrad.“ Das war nun von allen Seiten ein Gläser-erklingen-lassen und umarmen und Händeschütteln, und Glück- und Segenwünschen ohne Ende:
„Das Brautpaar soll leben“ – „Konrad und Lilli – hoch!“ – „Gott segne eueren Bund, Kinder“ – „Gratuliere herzlichst, Vetter“ – „Sei glücklich, Schwester“ und so weiter und so weiter. Eine freudige und gerührte Stimmung bemächtigte sich unser aller. Vielleicht nicht bei allen ganz neidlos; denn so wie der Tod das traurigste und bedauernswerteste Ereignis abgibt, so ist die Liebe – die zum lebenschaffenden Bunde sanktionierte Liebe – das fröhlichste und beneidenswerteste. Ich konnte zwar von Neid nichts spüren, denn mir war das der neuen Braut erst verheißene Glück schon zum wirklichen und festen Besitz geworden; es beschlich mich eher ein Gefühl des Zweifels: „So ein vollkommenes Glück, wie es mir von Friedrich bereitet wird, kann wohl der armen Lilli kaum zu teil werden … Konrad ist zwar ein allerliebster Mensch, aber – es gibt nur einen Friedrich!“
Mein Vater machte dem Gratulationstumult ein Ende, indem er mit dem an seinem kleinen Finger befindlichen Siegelring an das Glas klopfte und sich zum sprechen erhob:
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!. E. Pierson’s Verlag, Dresden/Leipzig 1899, Band 1, Seite 289. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bertha_von_Suttner_%E2%80%93_Die_Waffen_nieder!_(Band_1).djvu/294&oldid=- (Version vom 31.7.2018)