Dieser Brief meiner Tante brachte mir erst wieder ins Gedächtnis, daß es eine „politische Lage“ gebe. Die ganze Zeit über hatte ich mich nicht um derlei gekümmert. Vor und nach meiner Krankheit hatte ich zwar, wie immer, viel gelesen: Tag- und Wochenblätter, Revüen und Bücher, aber die Leitartikel der Zeitungen waren unbeachtet geblieben; seitdem ich nicht mehr die bange Frage aufstellte: „Krieg oder nicht Krieg“, besaß der inner- und außerpolitische Klatsch kein Interesse für mich. Erst anläßlich der Nachschrift des oben angeführten Briefes fiel mir ein, das Vernachlässigte einzuholen und mich nach den gegenwärtigen Verhältnissen zu erkundigen.
„Was will denn Tante Marie mit diesem ‚bedrohlich‘ sagen, Du minder arroganter Preuße?“ frug ich meinen Mann, ihm den Brief zu lesen gebend. „Gibt es denn überhaupt jetzt eine politische Lage?“
„Die gibt es – gerade so wie irgend ein Wetter – leider immer. Und dabei ebenso veränderlich und trügerisch –“
„Nun, so erzähle mir … Spricht man etwa noch immer von den verwickelten Elbherzogtümern? Sind die nicht abgemacht?“
„Mehr als je spricht man davon. Nicht im geringsten abgemacht. Die Schleswig-Holsteiner haben jetzt große Lust, die Preußen – die ‚arroganten‘, denn das sind wir, dem neuesten Schlagwort gemäß – wieder ganz los zu werden. ‚Eher dänisch als preußisch‘, wiederholen sie eine ihnen von den Mittelstaaten gegebene Losung. Und weißt Du, wie das abgedroschene
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!. E. Pierson’s Verlag, Dresden/Leipzig 1899, Band 1, Seite 276. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bertha_von_Suttner_%E2%80%93_Die_Waffen_nieder!_(Band_1).djvu/281&oldid=- (Version vom 31.7.2018)