mein Mitgefühl ihm ausgedrückt! Ich ließ meinen Blick hartnäckig auf ihn geheftet, hoffend, daß dies durch eine magnetische Gewalt ihn zwingen würde, auch zu mir aufzuschauen – aber vergebens.
„Sie kommen sie kommen!“ rief Rosa, mich anstoßend. „So sieh doch hin. … Wie schön! Wie ein Gemälde!“
Es waren die Greise und Greisinnen, angethan in altdeutsche Tracht, welche jetzt hereingeleitet wurden. Die jüngste von den Frauen – so hatten die Zeitungen berichtet – war achtundachtzig, der jüngste von den Männern fünfundachtzig Jahre alt. Runzlig, zahnlos, gebückt; – ich konnte Rosas „Ach wie schön“ wahrlich nicht bestätigt finden. Was ihr gefiel war jedenfalls die Verkleidung. Diese stimmte eigentlich auch vortrefflich zu der ganzen, von mittelalterlichem Geist durchwehten Ceremonie. Die Anachronismen hier waren wir, in unseren modernen Kleidern und mit unseren modernen Begriffen – wir paßten nicht in dies Gemälde.
Nachdem die vierundzwanzig Alten ihre Sitze an der Tafel eingenommen hatten, trat eine Anzahl goldgestickter und ordengeschmückter, zumeist ältlicher Herren in den Saal: – die Geheimen Räte und Kammerherren; viele bekannte Gesichter – auch Minister „Allerdings“ befand sich darunter. Zuletzt folgten die Geistlichen, welche bei der feierlichen Handlung fungieren sollten. Jetzt also war der Einmarsch der Statisten vorüber und die Erwartung des Publikums auf das höchste gespannt.
Meine Augen waren jedoch nicht so starr, wie
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!. Dresden/Leipzig: E. Pierson’s Verlag, 1899, Band 1, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bertha_von_Suttner_%E2%80%93_Die_Waffen_nieder!_(Band_1).djvu/135&oldid=- (Version vom 31.7.2018)