Wie es die Hofsitte verbietet, an einen König Fragen zu richten, so ist es auch eine Art lästerlichen Etiquettenbruchs, wenn man an einem Dogma herum forschen und prüfen will. „Nicht darüber nachdenken“ ist übrigens ein sehr leicht erfüllbares Gebot, und bei diesem Anlaß fügte ich mich bereitwillig darein; ich fing daher mit der Tante keinen Streit an, sondern klammerte mich im Gegenteil an den Trost, der in dem Hinweis auf das Beten lag. Ja – während der ganzen Abwesenheit meines Gatten wollte ich so inbrünstig um des Himmels Schutz flehn, daß dieser alle Kugeln im Fluge von Arno abwenden werde … Abwenden? – Wohin? Auf die Brust eines Andern, für den doch wahrscheinlich auch gebetet wird? … Und was war mir im physikalischen Lehrkurs demonstriert worden, von den genau zu berechnenden, unfehlbaren Wirkungen der Stoffe und ihrer Bewegung? … Wieder ein Zweifel? Fort damit.
„Ja, Tante,“ sagte ich laut, um diese in meinem Geist sich kreuzenden Widersprüche abzubrechen, „ja, wir wollen fleißig beten und Gott wird uns erhören: Arno bleibt unversehrt.“
„Siehst Du, siehst Du, Kind, wie in schweren Stunden die Seele doch zu der Religion flüchtet … Vielleicht schickt Dir der liebe Gott die Prüfung, damit Du Deine sonstige Lauheit ablegst.“
Das wollte mir wieder nicht recht einleuchten, daß die ganze, noch aus dem Krimkriege herstammende Verstimmung zwischen Österreich und Sardinien, die ganzen Verhandlungen, die Aufstellung des Ultimatums
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!. Dresden/Leipzig: E. Pierson’s Verlag, 1899, Band 1, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bertha_von_Suttner_%E2%80%93_Die_Waffen_nieder!_(Band_1).djvu/035&oldid=- (Version vom 31.7.2018)