ihrer Verbindung mit dem teutschen Reiche willen, so viel aufgeopfert haben, auch noch ihre Unabhängigkeit zu verlieren. Dieser Verlust ist sehr empfindlich für eine Republik, die sich bisher eines so hohen Wohlstandes erfreut, und bey ihrer Kleinheit und Unbedeutenheit eine so glückliche Ruhe genossen hatte.
Von hier führt der Weg durch das Remsthal nach Schwäbisch-Gmünd auch einem von den bisherigen republikanischen Gliedern der nun so drohend wankenden teutschen Konföderation. Die Stadt hat viele Denkmale ihres ehemaligen Flors. Sie ist von ansehnlichem Umfang, und enthält mehrere stattliche Privatgebäude, Kirchen und Klöster, mit denen aber die Spuren ihrer jetzigen Armuth traurig genug kontrastiren. Die Hauptnahrung ihrer Einwohner war Gold- und Silberarbeit. Der größte Theil der Stadt lebte davon. Da aber die Einfuhre dieser Artikel in die kaiserlichen Staaten gesperrt, und die Konkurrenz in Absicht der Verfertigung derselben unverhältnißmäßig vermehrt wurde: so verlor dieser Zweig der Gmünder Jndustrie beynahe seinen ganzen Werth, und viele Familien, die sonst im Ueberflusse gelebt hatten, wurden Bettler. Der Krieg machte das Verderben vollkommen. Der Verfall des hiesigen Stadtwesens ist aber von einem frühern Datum als die eben besagte Epoche. Schon vor dem Kriege drückte eine schwere Schuldenlast den Staat, und Bürger und Unterthanen zahlten sehr hohe Abgaben an die öffentliche Kassen. Das nahm alles unterdessen in einer fürchterlichen Progression zu. In dem dießjährigen Feldzuge wurde, durch die Erpressungen der Franzosen, die Noth so groß, daß sich der Rath genöthigt sah, das Heiligthum der Tempel anzutasten, Kopfsteuern zu erheben, und die Viehweiden der Gemeinden zu verkaufen. – Bey diesem traurigen Zustande des öffentlichen und privat Wohls kann eine politische Veränderung für Gemund nicht anders als erwünscht seyn. Wenigstens würde ihr Emporsteigen aus dem Abgrunde weit langsamer von statten gehen, wenn sie es blos aus eigener Kraft, und beschwert mit den Fehlern ihrer jetzigen Regierung vollbringen sollte. Wirtemberg würde an dieser Stadt, in vielen Rücksichten, einen sehr wichtigen Erwerb machen.
Armuth und Nahrungslosikeit verschlimmern den Charakter eines Volks weit mehr, als Reichthum und Ueberfluß. Diese Bemerkung sieht man hier überall bestätigt. Man findet unter den Einwohnern dieser Stadt eine Menge Tagdiebe, Betrüger und Verschwender, und ein großer Theil derselben zieht den Bettel der Arbeit vor. Man kann sich kaum auf den Straßen zeigen, ohne sogleich von einem Heere von Bettlern umgeben zu werden, und in den Gasthäusern dringen sich einem sogleich geschwätzige Krämerinnen zu, die unächte Bijouteriewaaren um theures Geld verkaufen. Der Staat konnte in seinem bisherigen, immer wachsenden Zustande von Unmacht und Mangel wenig oder nichts für die moralische Besserung seiner Bürger thun. Die vor einigen Jahren errichtete Normalschule hat mehr verheissen, als geleistet. Den Stand der religiösen Aufklärung charakterisirt eine lächerliche und zum Theile ärgerliche Passionskommödie, die jeden Charfreytag zum Nutz und Frommen der christglaubigen Seelen hier gegeben wird. Von wissenschaftlicher Kultur ist überall gar keine Rede. Nur macht in Absicht auf die letztre der Dr. Stütz eine Ausnahme, ein junger, selbstdenkender Arzt, der mit seinem Fache fortschreitet, und sich durch das von ihm entdeckte Mittel gegen den Hundskrampf eine ansehnliche Stelle unter den ausgezeichneten Aerzten Teutschlands erworben hat.
Johann Gottfried Pahl: Bemerkungen auf einer Reise an der Nordgrenze von Schwaben. Becker, Gotha 1801, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bemerkungen_auf_einer_Reise_an_der_Nordgrenze_von_Schwaben.pdf/3&oldid=- (Version vom 15.9.2022)