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Seite:Band II - Der Osten (Holl) 253.png

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Himmel eingeht oder nicht. Alle die großen Taten, die Antonius während seines Lebens vollbringt, würden in den Augen des Erzählers nichts sein, wenn er dieses Letzte und Höchste nicht erreichte. Die endgültige Entscheidung darüber fällt aber erst beim Tod. ᾿Εν οἷς ἃν εὕρω ὑμᾶς, ἐπὶ τούτοις καὶ κρινῶ. Solange der Mensch auf Erden lebt, ist die Möglichkeit des Sturzes und die Möglichkeit der Täuschung immer noch da. Die griechische Legende weiß warnende Beispiele zu berichten, wie einer, der bei Lebzeiten als großer Heiliger galt, in der Sterbestunde oder nach seinem Tod als Heuchler entlarvt wurde[1]. Darum muß der Verfasser eines Heiligenlebens seine Schilderung durch den Nachweis krönen, daß der von ihm Gefeierte tatsächlich von Gott anerkannt worden ist. Und zwar muß dieser Nachweis durch unzweideutige, objektive Tatsachen geführt werden[2]. Bloßes Bezeugen des persönlichen Glaubens würde zu nichts taugen. Es ist eines der schlimmsten Mißverständnisse bei Mertel, wenn er die gehäuften Wundererzählungen am Schluß der Legenden als Anhängsel betrachtet, die mit dem Plan des Ganzen in keiner inneren Beziehung stünden. Sie sind vielmehr schlechthin unentbehrlich. Durch sie stellt der Erzähler fest, daß der Betreffende ein echter Heiliger gewesen ist; ein Heiliger, den man mit gutem Gewissen anrufen kann. Denn der Legendenschreiber will durch sein Werk nicht müßige Stunden des Lesers ausfüllen, sondern ihn dazu ermuntern, den betreffenden Heiligen als Fürsprecher anzugehen. Aber wie darf der Gläubige das wagen, wenn er nicht vorher Gewähr dafür erhalten hat, daß der ihm Empfohlene tatsächlich bei Gott ist und den „freien Zugang zu Gott“[3] besitzt? – Athanasius ist nun nicht in der Lage gewesen, von Wundern zu berichten, die der Leichnam des Antonius noch gewirkt hätte. Denn der Heilige hatte, wie Athanasius selbst erzählt, dafür gesorgt, daß er in der Stille bestattet wurde und sein Grab unbekannt blieb. Aber er kann dasjenige Merkmal geltend machen, das in der griechischen Kirche immer als das beweiskräftigste, alle andern ersetzende geachtet wurde[4]. Gott hat dem Antonius sein nahes Ende vorher angekündigt. Daraus geht für jeden griechischen Leser sicher hervor, daß er auch in den Himmel aufgenommen wurde. Wen Gott selbst auf den Tod vorbereitet, der steht gewiß bei ihm in Gnaden. Als unterstützender Beweis ist die Ausführung in c. 93 gemeint. Die dort hervorgehobene Tatsache, Antonius sei bei seinem Tod auch am Körper „in allem unversehrt“ gewesen, entspricht den sonst sich findenden Erzählungen von der Unverweslichkeit des Leichnams großer Heiliger, einem Kennzeichen, das an Bedeutung in der allgemeinen Schätzung unmittelbar hinter jenem ersten folgte[5].


  1. [vita Eutymii (Analecta graeca 1687 I p. 48).]
  2. Vgl. Enthusiasmus und Bußgewalt S. 188 f.
  3. παρρησία lautet der mönchische, aus 1. Joh. 3, 21; 5, 14 entnommene Kunstausdruck. – Auch eine Geschichte des christlichen Gebets müßte so angelegt werden, daß dieser Gesichtspunkt: die Erwerbung, die Feststellung, die Verstärkung der παρρησία bei Gott in die Mitte gerückt würde. Nur bei dieser Betrachtungsweise tritt das Verhältnis des christlichen zum heidnischen Gebet nach Aehnlichkeit und Unterschied scharf heraus.
  4. Vgl. außer den Belegen, die ich Enthusiasmus und Bußgewalt S. 188 gegeben habe, schon Mart. Polyc. 5, 2; 12, 3 (dem Polykarp wird sogar die Todesart vorausverkündet) und die Gesichte in den Akten der Perpetua und Felicitas c. 4. 8. 11.
  5. Welche Rolle dieser Punkt heute noch in Rußland spielt, mag man aus Dostojewskijs Roman „Die Brüder Karamasow“ lernen.
Empfohlene Zitierweise:
Karl Holl: Die schriftstellerische Form des griechischen Heiligenlebens. J. C. B. Mohr, Tübingen 1928, Seite 253. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Band_II_-_Der_Osten_(Holl)_253.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)