wir allen Kredit, das Kapital fließt ab, und wir müssen dem Ausland gegenüber doch unseren Zinsverpflichtungen nachkommen.
Ich gestehe, daß ich mir über diese Frage selbst am längsten unklar war. Sie ist die schwierigste Frage, weil sie uns in Wechselbeziehung zur übrigen Welt bringt — indeß die Sache hat zwei Seiten. Einmal ist der Gedanke der Brechung der Zinsknechtschaft der Kampfruf aller schaffenden Völker gegen die internationale Zinsknechtschaft des Geldes, und zum andern ist er das Radikalmittel für unsere interne Finanzmisere. Es ist aber eigentlich kein Grund, von einem Heilmittel keinen Gebrauch zu machen, nur weil es der ebenso kranke Nachbar nicht gleichzeitig anwendet. Es wäre doch die aufgelegte Dummheit, wenn wir in Deutschland uns weiter in dem verrückten Kreise drehen, und Steuern und Zinsen zahlen, wenn wir klar erkannt haben, daß diese scherzhafte Tätigkeit nur ausschließlich zu Gunsten der Großkapitalisten ist. Also gehen wir voran mit unserem befreienden Beispiel, befreien wir uns von der Zinsknechtschaft des Geldes, und wir werden in Bälde sehen, daß die Kraft dieses sieghaften befreienden Gedankens die Völker der Welt veranlassen wird, uns zu folgen.
Ich bin sogar davon überzeugt, daß unser Anfang — wenn dieser Anfang nicht durch die deutschen Mammonisten unterdrückt wird — mit unwiderstehlicher Notwendigkeit die anderen Völker mitreißen wird.
Der Spartakist sagt: Der ganze Gedanke kommt nur auf eine Schonung des Kapitals hinaus, es bleibt dann doch wie es war, der Arme hat nichts und die Reichen bleiben.
Ja, mein Freund, es ist überhaupt sehr schwer, sich mit Dir auseinanderzusetzen, wenn Du wirklich in innerster Seele Kommunist bist, also wirklich haben willst, daß „Alles Allen gehören“ solle, wenn Du dabei sogar die wirklichen Gedanken der großen Bolschewistenführer in Rußland, besonders Lenins, kennst und für richtig hältst, also die von Lenin als die nächsten Aufgaben der Sowjetrepublik bezeichnete „allgemeine Rechnungslegung und Kontrolle der gesamten Produktion und Verteilung“ für menschenmöglich hältst. Wenn Du Dir aber darüber ganz klar bist, daß diese Aufgabe, wenn überhaupt, so doch nur im entsetzlichsten Zwangsstaat durchführbar ist, und Du bleibst dann immer noch im innersten Herzen überzeugter Kommunist oder Spartakist u. s. w., dann wollen wir nicht weiter miteinander streiten, dann verstehen wir uns eben nicht, wir reden eine fremde Sprache, und die Zukunft wird darüber entscheiden ob der Zwangsjackenstaat,
Gottfried Feder: An Alle, Alle! 1. Heft. Huber, München 1919, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:An_Alle,_Alle!_Heft_1,_1919.djvu/54&oldid=- (Version vom 29.10.2017)