jedenfalls auch aus künstlerischen Gründen, um unter den streifenartigen Brüstungen der übrigen Emporen eine reicher gegliederte Wandfläche zur Teilung der Saalarkaden zu erhalten. Vor der Renovation der Kreuzkirche im 19. Jahrhundert sprachen sich sowohl Wallot wie Lipsius für die Beibehaltung der Betstubenwände aus. Letzterer schrieb: „Der Bestand eines Zwischengeschosses... in den Hauptverhältnissen unberührt...erscheint mir für die glückliche Gesamtwirkung der Kirche als ein unentbehrlicher Faktor“ (Erläuterungsschrift vom Dezember 1891). Außerdem legte Schmidt noch im Erdgeschoß längs der Umfassungen einen Ring von Betstuben an, die auch Glasstühle genannt werden, da ihre Stirnwände das Licht für die vor ihnen liegenden Parterresitze durchzulassen hatten. Die Verbauung der als Schallfänger wirkenden tiefen Räume unter der Betstubenempore war für die Akustik der Kirche wie für die Raumwirkung günstig und gleichfalls schon an der Frauenkirche ausgeführt. Der Einbau von Betstübchen in so großer Zahl selbst bei den Kirchen der Annen- und
Waisenhausgemeinde geschah weniger, um bei der Versteigerung der Sitze einen höheren Erlös zu erhalten, denn die entsprechende Zahl Emporensitze war nicht viel billiger als die erblichen Betstuben. Den Anlaß boten die eigenartigen gesellschaftlichen Verhältnisse der sächsischen Residenz in der Zopfzeit, da die Rangordnung zur höchsten Blüte sich entwickelte und eine ungeschriebene Fortsetzung nach unten fand. Die berühmte Galanterie und Höflichkeit der Kursachsen wurde immer mehr zu einer Art eitler Eigenliebe, in der man dem andern Ehre erwies, um selbst geehrt zu werden, und zum steifen, hohlen, lächerlichen Zeremoniell. Mit der Gesundung des gesellschaftlichen Lebens verschwand auch das Motiv der Betstuben.
Über ihnen wurden in der Regel zwei Emporen angelegt, die zusammen 2/3 aller Sitze aufnahmen. Schmidt bezeichnet sie noch als „Mannssitze“. Indes die anderwärts noch heute verbreitete Sitte, nach der die Frauen nur ins Schiff gehen, mußte in Dresden aufgegeben werden.
Die Wertschätzung der Emporen hat sich inzwischen wesentlich vermindert. Schmidt bezeichnete noch die alte gotische Kirche nur als „halbe Kirche“, der wenigen Emporensitze (1/4 von der Gesamtzahl) wegen. Dagegen hat 1856 eine Synode hier in Dresden resolviert, daß Emporen „nicht sehr erwünscht“ seien. Gegenwärtig gilt als Regel, daß etwa 1/3 aller Sitze auf die Emporen zu legen ist.[1]
Die verschiedene Wertung der Emporen ist nicht etwa nur eine Geldfrage. (Die Herstellungskosten für einen Kirchensitz verringern sich mit der relativen Zunahme der Emporensitze.) Sie ist vielmehr auch abhängig von der jeweiligen Auffassung des protestantischen Gottesdienstes. Auf dem Kongreß 1894 erklärte ein hochgestellter schwäbischer Geistlicher,[2] „daß nach seiner persönlichen Erfahrung eine konzentrische Anordnung des Gestühls, bei welcher man von jedem Platze die ganze Gemeinde vor sich ausgebreitet sieht, die Andacht stört und daher dem wesentlichsten Erfordernisse einer evangelischen Kirche, die nicht bloß ein Hörsaal, sondern vor allem eine Stätte der Andacht sein soll, zuwiderläuft“.
Man wird dem entgegnen können, daß in der protestantischen Kirche die gemeinsame
Andacht das Wesentliche ist, wie das gemeinsame Gebet, der allgemeine Gesang, das gemeinsame
Alfred Barth: Zur Baugeschichte der Dresdner Kreuzkirche. C. C. Meinhold & Söhne, Dresden 1907, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Alfred_Barth_Zur_Baugeschichte_der_Dresdner_Kreuzkirche.pdf/66&oldid=- (Version vom 2.7.2024)