le Pautre im Kupferstich[1] veröffentlicht. Bei der Kreuzkirche betrug die Achsenweite der Längsarkaden 10,19 m, die Mitteltonne ließ sich nicht mehr in Kreuzgewölbe zerlegen. Die Strebebögen wurden zu der über die Seitenschiffe sich hinziehenden Anschweifung.
Von der katholischen Hofkirche „etwas für seine Intention genommen zu haben“, wies Schmidt mit Nachdruck zurück, und nicht ohne Berechtigung. Sein Querschnitt steht dem Mansartschen wesentlich näher. Beide Dresdner Meister, der Italiener und der protestantische Deutsche, haben für ihre Aufgaben von Versailles gelernt. Chiaveri übernahm die von Mansart neu gefundenen Grundgedanken für eine katholische Schloßkirche und für seine Attique. Jedoch verzichtete er gänzlich auf die äußerlich sichtbare Strebekonstruktion. Der Schub des Mittelgewölbes wirkt nur in den Knotenpunkten. Ihn haben die starken durch Gewölbe versteiften Pfeiler des Umganges aufzunehmen. Die zu einer halben Tonne ergänzte äußere Hälfte dieser Gewölbe war ursprünglich, wie die Kupferstichpublikation zeigt, auch im Äußeren stärker sichtbar gedacht, als ein der Überschneidung halber angelegter Sockel der Attique, nicht als ein statisch begründetes Bauglied. Seine Lage unter dem inneren Gewölbeansatz läßt die Sorge der Dresdner, ob die Widerlager ausreichen, verständlich erscheinen.
Schmidt macht gerade die von Chiaveri verschmähte Strebekonstruktion, die wir auch sonst bei den französischen Architekten sichtbar finden, zum Ausgangspunkt und bildet sie selbständig weiter zu einem statisch und architektonisch wirksamen neuen Bauteil, zu der Anschweifung.
Die Anschweifung ist zugleich Konstruktionsteil und Schmuckmotiv. Wir fanden sie bereits im gleichen Sinn an der Frauenkirche als „Hals“ der Kuppel verwendet. Das Abstützungssystem ist hier ein anderes. Schmidt hat also nicht etwa bloß kopiert.
Das ganze Bauproblem der Kreuzkirche verlangte zunächst Raumgestaltung aus dem
praktischen Zweck heraus, volle Anpassung an das protestantische Bauprogramm. Die Erfüllung dieser
Forderung ist noch zu besprechen. Weiter war eine technische Aufgabe zu lösen: die volle massive
Ausführung der Raumüberdeckung. Sie ist Schmidt durchaus gelungen. Und schließlich galt es, die
Innenplanung im Äußern zu bedeutsamem Ausdruck zu bringen, um so die Kreuzkirche auf die volle
Höhe monumentaler Baukunst zu führen. Die Lichtbeschaffung für den Mittelsaal, der basilikale
Querschnitt, gab hierfür die Handhabe. Die Schloßkapelle in Versailles wie die katholische Hofkirche
konnten vorbildlich sein. Nicht minder aber die älteren Frauenkirchenpläne, in denen die Fenster im
Hals und das Kuppelauge die Hauptlichtquelle fürs Innere bildeten. Bei der katholischen Hofkirche
und z. B. auch bei St. Peter in Rom hat die künstlerische Gestaltung der Massen auf die statischen
Kräfte keine Rücksicht genommen, sondern ihre Bedeutung fast absichtlich unterschätzt, ihre Wirkung in
unnötig großen Mauermassen versteckt. Geringe Kenntnis der statischen Gesetze, Unsicherheit in der
Berechnung werden daran mit schuld sein. Schmidts Kreuzkirche wie Bährs Frauenkirche, deren
Steingewand auch aus der Konstruktion heraus Formung und Eigenleben erhielten, stehen daher in
dieser Hinsicht künstlerisch höher. Sie verkörpern dasselbe Ziel, das sich die moderne Baukunst nach
der Abwirtschaftung mit dem Formalen der historischen Stile neu gesteckt hat, zu dem sie das Studium
der deutschen mittelalterlichen Kunst angeregt und die Ergebnisse der technischen Wissenschaften befähigt
haben. Für beide Bauten gilt der beachtliche Ausspruch eines gleichzeitigen englischen Reisenden
Fergusson[2],
„daß, wenn man auf diesem ganz neuen, von Bähr angegebenen Wege fortgegangen
wäre, die neuere Architektur vielleicht nach wenigen Übergangsstufen einen originellen modernen Baustil
gewonnen haben würde“. Nur dürfen wir bei Stil nicht an die übliche Bedeutung denken, nicht nur
an Schmuckformen, die in ihrer Entwicklung dem Gesetz des Wechsels, der Mode unterworfen sind,
sondern an die Lösung von Raumaufgaben. Ähnlich lautet ein Urteil Steches[3]:
„Die richtige Lösung
einer gewaltigen statischen Aufgabe zeigt sich (bei der Frauenkirche) zugleich als der richtige Weg
zur Schönheit.“
Alfred Barth: Zur Baugeschichte der Dresdner Kreuzkirche. C. C. Meinhold & Söhne, Dresden 1907, Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Alfred_Barth_Zur_Baugeschichte_der_Dresdner_Kreuzkirche.pdf/49&oldid=- (Version vom 12.6.2024)