Zur überschläglichen Prüfung der Stabilität in Schmidts System wurde ein besonders ungünstiger Querschnitt gewählt und zwar der durch die mittleren Pfeiler der Langseiten. Diese Pfeiler haben die größte Last, nur Tonnengewölbe, und den kleinsten Querschnitt, den rechteckigen, nicht den keilförmigen der übrigen Pfeiler. Die Verstärkung durch die Vorlage blieb ebenso wie die abstützende Wirkung der Anschweifung unberücksichtigt. Nur das Gewicht der letzteren wurde eingesetzt. Im Fall eines Einsturzes würden Bruchfugen[1] auftreten im Scheitel, in der Nähe des Widerlagers und an einer besonders ungünstigen Stelle von Pfeiler und Umfassung. Die unterste Fuge wurde in der Höhe des Pfeileraufstandes auf dem Postament angenommen, die mittlere fand sich etwas oberhalb des Widerlagers, da das Gewölbe unbelastet ist. In der üblichen Weise wurde eine Stützlinie konstruiert[2], die in der Scheitel- und Widerlagsfuge die Zentralkerngrenze berührt, dann die Auflagedrücke auf Pfeiler und Umfassung in Kämpferhöhe bestimmt und von dem Horizontalschub dem Pfeiler soviel zugewiesen, daß die Resultante in der Bruchfuge durch die Zentralkerngrenze ging. War die angenommene Lage der Drucklinie richtig, so mußte diese auch in der Bruchfuge der Umfassung durch die Kerngrenze gehen. Denn eine Stützlinie muß die Bruchfugen im gleichen Verhältnis teilen. Es ergab sich jedoch für die Umfassung überhaupt kein Horizontalschub mehr, d. h. die zu konstruierende Stützlinie liegt im gegebenen Fall günstiger, näher an der Mittellinie, oder in Schmidts Querschnitt wird selbst unter den ungünstigsten Annahmen der zulässige Grenzfall der Stabilität noch nicht erreicht.
Einer genauen Berechnung des gesamten Wölbsystems stehen verschiedene Schwierigkeiten entgegen. Sie wäre erstens sehr umfangreich. Weiter sind von Schmidts Plänen nur ein Grundriß und Querschnitt und nur im Maßstab von etwa 1 : 200 erhalten. Auch ist die Theorie solch komplizierter Gewölbe und Widerlager des Hochbaues bisher wenig bearbeitet und die Berechnung eines ähnlichen Falles noch nicht veröffentlicht.
Die überschlägliche Prüfung genügt zum Nachweis, daß Schmidts Gewölbe stabil ist. Berücksichtigt man noch die günstige Wirkung der Anschweifung, die als halbes Gewölbe für ihren Gleichgewichtszustand eine Horizontalkraft braucht und hierzu einen Teil des Hauptgewölbeschubs absorbiert, so ist die Annahme berechtigt, daß sich Schmidts Gewölbesystem an allen Punkten nur wenig oder gar nicht von dem Zustand der höchsten Stabilität entfernt.
Schmidts Kreuzkirchenplan. | Druck senkrecht zur Fläche in kg. | Fläche in qm. | Mindestbeanspruchung in kg / qcm. | Nicht erreichte Höchstbeanspruchung in kg / qcm. |
Scheitelfuge des Gewölbes | 280 000 |
3 |
9,3 |
18,6
|
Widerlagsfuge | 550 000 |
6 |
9,2 |
18,4
|
Pfeilerfuge in Postamenthöhe | 974 000 |
5 |
22,3 |
44,6
|
Umfassungsfuge | 1 305 000 |
25,8 |
5,1 |
10,2
|
Pfeilergründungssohle | 1 600 000 |
38,8 |
4,1 |
–
|
Umfassungssohle | 2 116 000 |
66 |
3,2 |
–
|
Pfeilerfuge bei Holzgewölbe | 850 000 |
5 |
18,8 |
–
|
Die Beanspruchung des Materials, also die Dimensionierung bedarf noch einer Prüfung.
Zu untersuchen sind auch hier die ungünstigsten Fugen. Als zulässige Druckbeanspruchungen gelten
nach dem sächsischen Baugesetz von 1900 für Elbsandstein im allgemeinen 12 bis 25 kg / qcm, dies
entspricht einer etwa 20 fachen Sicherheit gegen Bruch. Für die Pfeiler verwandte Schmidt das beste
- ↑ Vergl. Prof. Heyn, Über die Wechselbeziehungen zwischen Gewölben und Widerlagsmauern. Civilingenieur, Band XLII, Heft 3.
- ↑ Annahmen: Sandsteinmauerwerk 2250 kg / cbm; Dachfläche einschließlich Lattung, Ziegel, Wind und Schnee 270 kg / qm (horizontal gemessen); Dachholz 270 kg / qm; Emporenlast 600 kg / qm.
Alfred Barth: Zur Baugeschichte der Dresdner Kreuzkirche. C. C. Meinhold & Söhne, Dresden 1907, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Alfred_Barth_Zur_Baugeschichte_der_Dresdner_Kreuzkirche.pdf/44&oldid=- (Version vom 12.6.2024)