Seelengemälde
Serlo war über Land gegangen und kehrte spät in der Mondscheinnacht zur Stadt zurück. Jetzt kam er zur Berghöhe, zum Fels allenthalben von dichtem Gebüsche umgeben. Die weiße Mondssichel wurde nur zuweilen vom Gewölk verschleyert, weil ein frischer Nachtwind jagte. Serlo ließ sich, von Gedanken ergriffen, im Halbdunkel auf kaltes Moos nieder und sein Blick sprach zum Himmel; „Wie lange brauchts, damit die menschliche Seele vergesse, wenn die Geliebten verbrannten, oder der Freund zum Feinde wurde, oder Schuld das Gewissen umstrickte?“ Heftig rauschte der Wind in Tannenwipfeln, aber nach ungezählten wenigen Augenblicken wars um den Wandrer wohl und hehr wie im Schooße der Gottheit. Serlo weinte eine fromme, frohe Thräne, denn er hatte nichts verloren, nichts verbrochen und in Gott wohnte sein ganzer Friede. Ohne Laut und Seufzer stand er auf und sein Auge blieb gen Himmel gerichtet, als er gieng. Da hörte er nahe eine dumpfe, ängstliche Stimme. „Wag’ es nicht! Er ist ein Geist! – Hu! Denk’ an den gestrigen Mord!“ Serlo schauerte nicht zusammen, aber in ihm frug es: „Wie lange brauchts um es zu vergessen, wenn ich ermordet werde?“ Jetzt traf ihn ein Dolchstich in den Arm! Ohne Klage, ja, seliglächelnd kehrte sich Serlo um und eine solche Ruhe weckte im Mörder ein ungeheures Entsetzen! Er entfloh’ von Angst gepeitscht; der andere Geselle des Bösen aber schrie voll Verzweiflung: „Ein Geist aus der Ewigkeit aufgestiegen, wer kann ihn tödten oder berauben?“
In einer Maynacht saßen Ida und Therwe, dies junge Ehepaar, am Sterbebette ihres Töchterchens. Es hatte sie jüngst zum ersten Male durch den Zuruf: Vater! Mutter! erfreut und – nun sollten sies verlieren?! Schmerz, Liebe, Hoffnung, Gebet, und der Arzt mit emsiger Sorgfalt aber immer mehr sinkendem Troste bildeten eine innige Gruppe am Lager der Kleinen. Heimlich nahm der Freund ietzo das Wort: „Auch im Wonnemonat fallen Blüthen ins Grab! Schaut in Euer Herz, zur Liebe, zur Ewigkeit! – Dort ists – dort – ihr findet sie wieder und nur um so herrlicher auf Edens Fluren gediehen! Die Gottheit will, sanft aber unwiderstehlich – was kann ich dagegen mit all meinem Streben! Tragt es in Demuth, wenn nun bald ein Engel unaussprechlich zärtlich seiner Pflegebefohlenen winkt!“ Ida lehnte sich voll Ergebung an die Brust ihres Lieben, als fühlte sie das Wehen des Himmlischen. Der Morgen kam. Nachtigallen und Lerchen sangen, Leben wallte zum Frieden der Gefilde, und vergoldete Wölkchen eilten der Morgensonne entgegen. Sie schwebte hervor und vor ihr neigten sich die Erden mit ehrfurchtsvollem Gruße. Es flog der erste Strahl und auf ihm der Engel zum geschlossenen Auge des Kindleins. Es blickte freundlich auf, hauchte noch einmal die Worte: Vater, Mutter! und eilte nun auf geistigen Armen getragen zur Unendlichkeit! Wohl röthete sich die gewaltige Sonne, aber die kindlichen Wangen verblichen. Jene entflammte zur Mühe des Tags, der Leichnam dagegen fieng erkaltend an sorglos zu lächeln. Da seufzten die Eltern von den schönen Zügen der Todten hingerissen. Ach, kehre wieder! Der Arzt aber blickte mit tiefempfundenen Thränen hinan zum Urquell des Lichts.