Sagen aus der Provinz Sachsen VI
Wer einen Charakter hat, der kann damit alles erreichen, was er will, aber früher oder später trifft ihn dafür das Unglück, weshalb er gut thut, sich des Charakters bei zeiten zu entledigen. So diente einmal auf einem Gute in einem Dorfe bei Magdeburg ein Knecht, welcher einen Charakter hatte. Infolgedessen war kein Schloss vor ihm fest, und wenn er mitten in der Nacht den Jungen auf den Boden schickte, dass ihm derselbe Hafer für die Pferde stehlen sollte, so fand der Junge das Schloss offen, welches doch jeden Abend von dem Verwalter fest zugeschlossen war. Davon kam es denn auch, dass die Pferde des Knechtes stets die bestgenährten im ganzen Stalle waren und auch am besten zogen, so dass jeder andere Knecht auch gern einen Charakter gehabt hätte.
Eines Tages waren nun einmal die Knechte nach Holz gefahren. Der Abend war schon hereingebrochen, denn der Weg war weit, und noch waren sie eine ziemliche Strecke von ihrem Dorfe entfernt. Wie das so bei dem Holzfahren zuzugehen pflegt, so war es auch hier geschehen, die Knechte hatten sich angetrunken. Wenn man aber einen zu viel getrunken hat, dann hat man ganz andern Mut als sonst und spricht von Dingen, über welche man sonst den Mund zu halten pflegt. So ging es auch mit unserem Knechte, welcher den Charakter hatte. Ihm ging der Mund über und er wusste gar nicht genug zu erzählen, was er alles könnte. Indem er noch so redete, kam plötzlich ein heftiger Windsturm dahergebraust, obschon es sonst ganz ruhige Luft war, und fasste den Knecht so, dass er hinstürzte und gerade vor das Rad fiel. Die andern Knechte sprangen zwar gleich zu, einige hielten die Pferde an, die andern stemmten sich gegen den Wagen, so dass es ihnen auch glücklich gelang, den Knecht davor zu bewahren, dass das Rad über ihn weg ging; aber er hatte sich doch bei dem Fall schweren Schaden gethan und musste längere Zeit daran leiden.
Nun merkten die Knechte alle, dass es nicht gut sei, wenn jemand einen Charakter hätte, deshalb verlangte auch niemand mehr danach. Der Knecht, welcher so zu Schaden gekommen war, hätte sich jetzt gern des Charakters entledigt, aber wem er denselben auch anbot, es nahm ihn niemand.
Der Knecht ist denn auch später wieder verunglückt und hat dabei seinen Tod gefunden.
Auf einem kleinen Hügel in der Nähe eines Dorfes bei Magdeburg steht eine Windmühle. Dieselbe war baufällig geworden, und so liess denn der Müller einige Mühlenbauer kommen, welche den Schaden ausbessern sollten. Die Leute verstanden auch ihre Sache und so wäre alles gut gewesen, wenn während der Zeit, wo an der Mühle gearbeitet wurde, nicht bald dieses, bald jenes Stück aus derselben fortgekommen wäre. Der Müller beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen, denn er verstand das Bannen.
Eines Tages sah der Knappe in aller Frühe aus dem Mühlenfenster. Da sah er vor der Mühle einen von den Mühlenbauern stehen, still und steif, als ob er kein Glied rühren könnte. Auf der Schulter trug er eine Axt, die er sicher gestohlen hatte, denn soviel der Knappe sehen konnte, gehörte dieselbe zur Mühle. Als der Knappe noch seine Betrachtung darüber anstellte, trat der Müller zur Thür heraus und rief den Mühlenbauer an: „Da haben wir ja den Spitzbuben!“ Dann trat er an denselben heran, nahm ihm die Axt ab und gab dem Gebannten darauf ein paar furchtbare Ohrfeigen. Da war der Bann gelöst, der Mühlenbauer konnte sich wieder rühren und lief nun eilig davon. „Warte, Du Spitzbube“, rief ihm der Müller nach, „Du kommst nicht wieder auf die Mühle.“
Fortan wurde nichts mehr auf der Mühle gestohlen.
Aus einer Mühle, welche nicht weit von einem Dorfe in der Nähe von Magdeburg stand, wurde häufig etwas gestohlen, aber man konnte nicht heraus bekommen, wer der Thäter war. Nun war eines Tages ein neuer Knappe in die Mühle gekommen. Der Müller gab ihm ein neues Mehllaken und sagte ihm, er möchte doch darauf recht acht geben: es werde auf der Mühle gestohlen, besonders aber habe es der Dieb auf die neuen Mehllaken abgesehen. Die Thäter könne man nicht erwischen.
Der Knappe dachte bei sich: „Dir soll so etwas nicht vorkommen, Du willst schon aufpassen, dass Dir das Laken nicht gestohlen wird.“ Als es nun Abend wurde, legte er das Laken so hin, dass er es immer vor Augen hatte: dann machte er es sich bequem, schloss aber kein Auge, sondern wollte lieber die ganze Nacht wach bleiben, als sich das Laken stehlen lassen. Aber es kam doch anders. Als es am nächsten Morgen hell wurde, war das Laken richtig wieder fort. Ob der Knappe doch eingenickt war, oder was sonst geschehen sein mochte, das wusste der Knappe nicht, genug, auch er hatte das Laken am andern Morgen nicht mehr. Nun beschloss er aber, der Sache ein für allemal ein Ende zu machen.
Am andern Tag nahm er alle sein Geld, welches er noch hatte, und ging damit zu einem Mann in der nächsten Stadt, von dem er gehört hatte, dass er Gewalt über Diebe hätte. Diesem gab er das Geld und erzählte ihm alles.
[347] Der Mann sagte ihm nur: „Es ist schon gut, ich weiss schon alles, geh nur nach Hause, du wirst dein Laken wieder bekommen, dafür werde ich sorgen.“
Der Knappe ging nach seiner Mühle, und richtig, am andern Morgen hing das Laken auf dem Sterz.
Fortan wurde in der Mühle nichts mehr gestohlen.
In einem Dorfe bei Magdeburg lebte ein alter Schäfer. Derselbe war über Land gewesen und ging wieder dem Heimatsdorfe zu. In seiner Begleitung befand sich ein Arbeiter aus dem Dorfe, mit dem er sich unterwegs etwas erzählte. Es war Abend geworden und der klare Mond stand am Himmel. So kamen sie an einer Wiese vorbei. Auf der Wiese, unfern des Weges, sass eine Katze. Der Arbeiter wollte nach der Katze schlagen, aber der alte Schäfer sagte ihm: „Thue das nicht, sonst geht es uns schlecht, mit der Katze hat es nicht seine Richtigkeit.“ Aber der Arbeiter hörte nicht darauf und schlug mit seinem Stocke nach der Katze, indem er noch dazu sagte: „Ick will doch mal sieen, ob ick de Katte nischt duen darf.“ So gut der Arbeiter nun auch gezielt haben mochte, er traf die Katze nicht. Das kam ihm seltsam vor, aber noch seltsamer war es, dass die Katze nun den beiden folgte. Sie hatten noch einen weiten Weg vor sich und hofften, die Katze werde sich unterwegs verlieren, aber so oft sie sich umblickten, immer war ihnen die Katze auf der Ferse, ja sie folgte ihnen auch dann noch, als sie durch ein Dorf gehen mussten. Endlich kamen sie in ihrem Heimatsdorfe an. Dort mussten sie sich trennen. Der Arbeiter, welcher nach der Katze geschlagen hatte, war in Angst, dass ihm dieselbe noch etwas anhaben werde, aber das hatte der alte Schäfer nun schon gemerkt, dass ihnen die Katze nichts thun würde, deshalb sagte er zu dem Arbeiter: „Goch man ruhig nâ Huse, nu deit di de Katte nischt mehr.“ Darauf verabschiedeten sie sich von einander, die Katze aber folgte dem Arbeiter nach, welcher am Ende des Dorfes wohnte. Der alte Schäfer blieb noch ein Weilchen stehen und sah den beiden nach. Dann ging er auf sein Haus zu, welches an dem einem Ende der Kirchhofsmauer stand. Wie aber war er erstaunt, als er auf der Mauer dicht bei seinem Hause dieselbe Katze sitzen sah, von welcher er eben noch gesehen hatte, dass sie dem Arbeiter gefolgt war! Aber gethan hat auch ihm die Katze nichts.
Zu einem Dorfe bei Magdeburg gehört auch eine Wassermühle, welche etwa zehn Minuten davon entfernt liegt. Von diesem Dorfe führte früher ein Weg nach der Mühle hin, auf dessen einer Seite eine Wiese liegt, welche eine Hecke von dem Wege schied, auf der andern Seite des Weges befand sich Unland. Auf diesem Unlande haben viele Leute, wenn sie des Abends zur Mühle gingen, dicht neben dem Wege einen dreibeinigen [348] Hasen sitzen sehen. Da mit solchen Tieren kein Spassen ist, so gingen die Leute immer schweigend daran vorüber und thaten so, als ob sie den dreibeinigen Hasen nicht bemerkten. Auch die Magd eines Bauers hatte öfters des Abends den Gang nach der Mühle zu machen. Die Magd ärgerte sich nun aber über das Tier so sehr, dass sie eines Abends einen tüchtigen Knüppel mit sich nahm. Sobald sie den dreibeinigen Hasen sah, nahm sie den Knüppel und warf ihn mit aller Kraft nach dem Hasen. Im nächsten Augenblicke kam aber der Knüppel schon wieder angeflogen und die Magd erhielt einen furchtbaren Schlag in die Seite und auf den Arm. Da kehrte sie schnell um und lief weinend nach Hause.
Als sie dem Bauer, bei welchem die Magd diente, alles erzählt hatte, sagte ihr dieser: „Da siehst Du, was Du nun davon gehabt hast. Lass fortan den dreibeinigen Hasen in Ruhe und er wird Dir auch nichts thun.“ Das Mädchen merkte sich das und so ist ihr denn auch nichts mehr auf dem Gange zur Mühle geschehen.
Zwischen den Dörfern Vehlitz und Ziepel liegt unfern des Weges eine Kiesgrube. Dort war früher Unland, welches den Namen „der Totschlag“ hat. Es soll aber danach genannt sein, dass sich hier einst zwei Hirten mit ihren Hirtenstöcken erschlagen haben. Auf dieser Stelle hielt sich früher immer ein dreibeiniger Hase auf. Wenn man auf denselben zuging, so lief er nach Ziepel zu und verschwand dort. Weil er aber nur drei Beine hatte, so sprach man von ihm nur als von dem lahmen Hasen.
Anmerkungen (Wikisource)
Die Sagen sind auch als Einzeltexte verfügbar unter: