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Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution/Der Rasgrom des Gebäudes der deutschen Botschaft

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Panik Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution
von Oskar Grosberg
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Der Rasgrom des Gebäudes der deutschen Botschaft

Den ersten Anlaß zum spontanen Ausbruch des schon leise glimmenden Deutschenhasses gaben die Berichte über die Rückkehr der Kaiserin-Mutter und des Großfürsten Konstantin Konstantinowitsch aus Deutschland. Es wurde erzählt, daß man die Herrschaften nicht mit der ihnen gebührenden Rücksicht behandelt hätte: der kranke Großfürst hätte sogar eine Strecke bis Wirballen zu Fuß gehen und seinen Koffer selbst tragen müssen; er hätte sich an einem Grabenrande erholen müssen und zu allem dem wäre noch irgend ein Leutnant gegen ihn oder gegen die Großfürstin ungezogen gewesen.

Der Bericht über die Erlebnisse des großfürstlichen Paares, der augenscheinlich von den Herrschaften vor der Drucklegung geprüft und gebilligt worden war, wurde von der patriotischen Presse vom Schlage der „Nowoje Wremja“, der Herren Ssuworin und der „Birshewija Wedomosti“ des Herrn Propper benutzt, um Stimmung gegen alles, was deutsch heißt, zu machen.

Diese Blätter stießen einen Schrei der Entrüstung aus, der im Volke lebhaften Widerhall fand. Das kaisertreue Volk von Rußland fühlte sich durch die Unbequemlichkeiten, die den hohen Herrschaften in Deutschland bereitet worden waren, tief verletzt. Die kaisertreuen Herzen pochten empört und man schrie: Rache! Man posaunte, daß man die den Mitgliedern des geliebten Herrscherhauses zugefügten Kränkungen nicht ruhig hinnehmen dürfe, sondern daß man verpflichtet [18] sei, energische Repressalien gegen deutsche Frechheit zu ergreifen. Freilich wußte niemand zu sagen, welcher Art diese Repressalien sein könnten, doch mußte die Schmach gerochen werden, wenn anders man nicht an der Liebe des russischen Volkes zu seinem vergötterten Kaiserhause zweifeln wollte.

Die Polizei benutzte die Stimmung des Augenblicks und inszenierte eine grandiose patriotische Manifestation mit Absingung der Kaiserhymne, Fahnen, Kaiserbildern und Reden. Was an dem Arrangement noch fehlte, das vollendete die Redaktion eines der Ssuworinschen Blätter, wo von hohem Balkone herab einer der Mitarbeiter, oder vielleicht der smarte Boris Ssuworin in eigenster Person eine Rede an den versammelten Janhagel von Petersburg hielt und besagten Janhagel aufforderte, gegen die den hohen Angehörigen des geliebten Kaiserhauses von den frechen Deutschen angetane Unbill zu remonstrieren. Der süße Mob, der hier hochwillkommene Gelegenheit hatte, unter dem Deckmantel des Patriotismus und der Kaisertreue ungestraft zu randalieren, ließ sich das nicht zweimal sagen, sondern stimmte, entsprechend der Weihe des Augenblickes, den Hymnus „Herrgott, errette dein Volk“ an, und demolierte zunächst das an der Ecke des Newski und der Sadowaja befindliche „Café Reiter“, dessen Besitzer ein Österreicher war; später stellte es sich heraus, daß Reiter sich in Wien aufhielt und das Café von seiner Frau, einer dem russischen Adel angehörigen Dame, geleitet wurde.

Der Löwe hatte aber nun Blut geleckt und man dirigierte ihn zu neuen Taten. Bald hatte sich ein Volkshaufe von mehr als zehntausend Menschen angesammelt, der sich unter dem Gesang der besagten Hymne, sowie der Kaiserhymne den Newski hinabwälzte und nach reichsdeutschen Objekten Ausschau hielt. Der Laden von Zwerner schien zum besagten Zwecke ungemein geeignet, und schon wollte man sich an den Rasgrom machen, als irgend jemand mit donnernder Stimme [19] erklärte, daß Zwerner russischer Untertan sei und man daher sein Eigentum nicht zerstören dürfe. Wer dieser Jemand war, weiß ich nicht, vielleicht war es ein Polizist, der von Zwerner zu den Festen gute Gratifikationen erhielt; fest steht jedenfalls, daß Zwerner nicht russischer Untertan war. Immerhin ließ die Menge sich beeinflußen und zog nun weiter. An der Ecke der Konjuschennaja hatte sie bereits vergessen, daß das Eigentum russischer Untertanen tabu sein sollte, sie lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die deutschen Schilder der „Petersburger Zeitung“ und auf die Aushängekasten der Buchhandlung von Isler, die sich in einem Hause befinden.

Vor der Redaktion der „Petersburger Zeitung“ staute sich die Menge und stieß ein wütendes Geheul aus: „Herunter mit den verfluchten deutschen Schildern! Nieder mit den deutschen Hunden! Schlagt die Spione tot!“

Bald hörte man unten die Scheiben der Islerschen Aushängekasten klirren: man riß die ausgelegten Bücher heraus, Zerfetzte sie und verstreute die Fetzen über die Straße, dann schrie man nach Leitern, um die Schilder der Zeitung herabzuholen, die sich in der Höhe des dritten Stockwerks befanden. Einzelne kecke Gesellen enterten an den Dachrinnen auf und zerrten an dem mächtigen Aushängeschilde, das aber den Anstrengungen spottete, und nun machte die Menge Anstalten, in die Redaktion einzudringen. Sie donnerte an der schweren eichenen Eingangstür, und als diese nicht geöffnet wurde, da drangen einige Leute von der Hofseite ins Haus und stürmten die Treppe zur Redaktion hinauf; die Glasscheibe in der Tür zur Redaktion wurde zertrümmert, durch das Loch reckten sich einige schmutzige Fäuste, da erschien im letzten Augenblick die Polizei und verwies den Leuten in väterlich mahnendem Ton ihr Treiben.

Der ganze Auftritt hatte eine gute halbe Stunde gedauert; währenddessen war von dem zur Arbeit versammelten Häuflein der Redakteure, die sich in keineswegs beneidenswerter [20] Verfassung befanden, in das vom Tatorte etwa drei Minuten entfernte Polizeirevier wiederholt telefoniert worden, und immer wieder wurde dienstfertig und höflich mitgeteilt, daß die Hilfe schon unterwegs sei, man möge sich in keiner Weise aufregen.

Wenn der Auftritt vor der Redaktion der „Petersburger Zeitung“ schließlich nichts weiter war, als ein Skandal in grandiosem Maßstabe, so ist das gewiß nicht das Verdienst der Polizei, sondern lediglich auf eine gewisse Zurückhaltung des Pöbels zurückzuführen, der offenbar noch nicht genügend in Zug gekommen war. Gelitten hatte bei der ganzen Affäre nur der Redaktionsportier, der aus seinem üblichen sonntäglichen Dämmerzustand durch einige Faustschläge dem Zustande der reinen Vernunft näher gebracht worden war und seither nicht verfehlte, bei passenden, zumeist jedoch unpassenden Gelegenheiten darauf hinzuweisen, daß sein Zustand die Anwendung von Spirituswaschungen gebieterisch erfordere.

Nach diesem Zwischenspiel erfolgte aber die Hauptaktion, die Zerstörung des Gebäudes der deutschen Botschaft, die von dem Volke von Petersburg im Beisein einiger Feuerwehrkommandos und der hohen Autoritäten der Stadt gründlich und ungehindert vollzogen wurde.

Die Redaktionsarbeit war trotz der verständlichen Erregung der Redakteure rascher erledigt als sonst, und wir konnten gleich nach 1 Uhr nachts das Lokal verlassen. Auf der Straße lagen noch die Fetzen und Glassplitter; die patriotische Menge hatte sogar ein paar Regenrohre verbogen und einige Fliesen der Treppe verrückt. Während der Redaktionsportier mir erzählte, daß er nur der Übermacht gewichen sei, und erklärte, sein ganzer innerer Mensch befinde sich in einem beklagenswerten „Schülperzustande“, schlenkerte der Herr Polizeimeister des Bezirks vorbei; der Gewaltige warf einen flüchtigen Blick auf die angerichteten Verwüstungen, und als er erfahren hatte, daß sich hier die [21] Redaktion der „Petersburger Zeitung“ befinde, da lächelte er verständnisinnig und schritt sporenklirrend ruhig fürbaß.

Wie die Reporter uns mitgeteilt hatten, war die Menge unter dem Gesange der Hymnen vor das Gebäude der deutschen Botschaft gezogen, und sie war späteren Meldungen zufolge in dasselbe eingedrungen und hatte es zu verwüsten begonnen. Ich begab mich auf den Isaaksplatz und fand dort den Rasgrom in vollem Gange.

Im Zwielicht der nordischen Tagnacht sah man den unabsehbaren Volkshaufen, der die Morskaja und den Isaaksplatz anfüllte; in der warmen Luft hing das Geheul der Menge und der stinkende Brodem schwitzender Menschenleiber. Eine größere Abteilung Gendarmen und Kosaken überholte mich, man mußte also erwarten, daß die im Auseinandersprengen von Volksmassen überaus geübten Behüter der zarischen Herrschaft sofort in Aktion treten und den versammelten Janhagel mit Nagaikenhieben auseinandertreiben würde, — aber nichts derartiges geschah, der in gemütlichem Schritt einhertrollende Zug schwenkte um die Menge herum und verschwand in einer der dunklen, stillen Nebenstraßen.

Aus dem Brausen der Menge schoß von Zeit zu Zeit wie eine Rakete ein Freudengeheul, das sofort in der Ferne ein starkes Echo fand, wenngleich man nicht wissen konnte, worum es sich eigentlich handelte.

Ich warf nun jede noch so leise Erinnerung an Knigges nie gelesenen, aber zum Überdruß zitierten Umgang mit Menschen über Bord und arbeitete mich durch die Menge; mein geschäftiges Tun mochte vielleicht den Glauben erweckt haben, daß ich so eine Art von Oberpogromschtschik sei, denn man machte mir Platz, und bald war ich in der nächsten Nähe der Botschaft, die taghell erleuchtet war. Man sah die Silhouetten von Hunderten von Menschen, die in dem gewaltigen Gebäude hin- und hereilten. Unter Fausthieben und Hammerschlägen splitterten Fensterscheiben und Türen, [22] allerlei Mobiliar, ganze Berge von Akten, Vorhänge, Polstermöbel und Gemälde flogen in hohem Bogen aus den Fenstern und Türen; die schweren Gegenstände zerbarsten mit dumpfem Klange auf dem Pflaster, wo sie von tausenden eifrigen Händen aufgelesen, zu hohen Scheiterhaufen getürmt und in Brand gesteckt wurden. Die Flammen schlugen hoch auf, und wie es in einer zivilisierten Stadt nicht anders sein kann, war auch bald die Feuerwehr zur Stelle, doch trat sie nicht in Aktion, sondern hielt sich abseits, nachdem der Brandmeister von dem anwesenden Stadthauptmanne, General Fürst Obolenski, eine Weisung erhalten hatte.

Nicht weit von der prustenden Dampfmaschine der Feuerwehr stand inmitten einer Gruppe von Generalen und hohen Polizeibeamten der Stadthauptmann; die Herrschaften rauchten eine Papiros nach der anderen und amüsierten sich über irgend etwas ganz außerordentlich; den Vorgängen im Botschaftsgebäude schenkten die Herren, die sich offenbar lustige Anekdoten erzählten, keinerlei Beachtung. Sie benahmen sich, wie sich etwa die Teilnehmer an einem überaus gelungenen Picknick zu benehmen pflegen. Da glänzte auch das feiste, hochmütige Gesicht des Polizeimeisters von vorhin; er paffte eine dicke Papiros; er konnte in diesem Augenblicke natürlich nicht ahnen, daß er während der Revolutionstage von der Menge geknüppelt werden würde.

Währenddessen war schon der bronzene Adler von der Fahnenstange heruntergeholt worden, mit dumpfem Krach schlugen bald darauf die bronzenen Rossebändiger auf das Pflaster, die Menge schleppte sie zur Moika, wo sie feierlich versenkt wurden; aber die Rosse widerstanden allen Anstrengungen, und man mußte endlich davon abstehen, sie vom Giebel des Gebäudes zu entfernen.

Die Menge hatte mich schließlich so weit nach vorn gedrängt, daß ich die Botschaft betreten konnte; noch immer arbeiteten hunderte von Menschen, Janhagel, junge Mädchen, Gassenbuben, Studenten und auch einige Offiziere am Rasgrom. [23] Möbelbezüge wurden zerschnitten oder unflätig verunreinigt, man hing sich an die Kronleuchter und brach sie in Stücke, man riß die Wandverkleidungen ab und zerschnitt kostbare Gemälde.

Man arbeitete mit verbissener Inbrunst. Da drehten einige Bengel Türgriffe ab; ein Offizier stieß seinen Säbel immer wieder in Polstermöbel und schlitzte sie mit sadistischer Wollust auf. Eine Studentin schrammte mit ihrer Hutnadel über Gemälde. Schwere Kandelaber sausten in Spiegel und Vitrinen, große Tintenflaschen flogen an die Plafonds.

Man war eben dabei, in einem der Säle einen Scheiterhaufen anzuzünden, als es plötzlich hieß, daß die Kosaken im Anzuge seien, und nun stürzte alles in wilder Flucht zu den Ausgängen, wobei man einige Teilnehmer am Pogrom verschiedene Kleinigkeiten einstecken sah. Natürlich konnten nicht alle das Gebäude verlassen, denn viele hunderte Menschen hatten sich in den weitläufigen Räumen verteilt und sie hörten nicht den warnenden Ruf: „die Kosaken!“

Als ich wieder auf den Platz hinaustrat, nahte ein Zug Kosaken und Gendarmen im Schritt. Ein Offizier meldete sich beim Stadthauptmann, der ihm irgendeine Weisung gab; die Leute hielten noch längere Zeit auf dem Platze und schauten dem flackernden Scheiterhaufen, der allmählich niederbrannte, zu. Die Gruppe der Autoritäten unterhielt sich noch immer sehr angeregt, aber schließlich schien die Sache Exzellenz Obolenski doch langweilig zu werden, denn er winkte einen der Polizeiobersten heran, dieser ließ die Gendarmen absitzen; die bewaffnete Macht begab sich ins Gebäude; gleichzeitig forderten die Kosaken das Publikum in ungewöhnlich konzilianter Weise auf, nach Hause zu gehen, da doch „wirklich nichts zu sehen“ sei.

Endlich erschien das Gendarmenkommando, das etwa hundertfünfzig Menschen vor sich hertrieb. Die Autoritäten waren verschwunden. Die „Verhafteten“ wurden in Reihe und Glied aufgestellt, es ertönte das Kommando: „marsch“ [24] und nun setzte sich der Zug in Bewegung, die Berittenen voran, die „Verhafteten“ hinterdrein. Was Wunder, daß nach zehn Minuten die weitaus meisten von ihnen in verschiedenen Seitengassen verschwunden waren und schließlich nur noch etwa 15 oder 20 Menschen im Polizeirevier landeten.

Anfänglich hieß es, daß man eine überaus strenge Untersuchung einleiten werde, und es schien wirklich so als ob; doch einige Tage später wurde die ganze Angelegenheit niedergeschlagen, weil man den Verhafteten absolut keine Schuld nachweisen konnte. Man fand auch nicht die Schuldigen an der Ermordung des Dragomans Kadner, der in derselben Nacht im Botschaftsgebäude ermordet worden war. Das wäre allerdings schwierig gewesen, denn der bekanntgewordene ärztliche Befund gab an, daß der Dragoman schon vor mehreren Tagen getötet worden sei. An diesem famosen Befund änderte nichts eine in der „Petersburger Zeitung“ von den Freunden des Ermordeten veröffentlichte Todesanzeige, die Tag und Stunde genau angab, sowie eine Notiz, in der darauf hingewiesen wurde, daß der Dragoman um 7 Uhr abends des betreffenden Tages mit mehreren Freunden in einem bekannten Restaurant diniert hatte. Die Untersuchungsbehörde, der diese Mitteilungen keineswegs verborgen blieben, beachteten sie nicht weiter. Die Mörder waren eben unauffindbar, und die „Nowoje Wremja“ erklärte, daß der Dragoman vor der Abreise des deutschen Botschafters Grafen Pourtalès, auf das Geheiß dieses, ermordet worden sei, weil dem Manne „zu viele Geheimnisse“ bekannt gewesen seien!




Am nächsten Tage bildete das verstümmelte, rauchgeschwärzte und tintenbespritzte Gebäude der deutschen Botschaft das Ziel der Wallfahrt ganz Petersburgs. Zehntausende stauten sich im Laufe des Tages vor dem Gebäude, [25] vor dem noch die verkohlten Trümmer des verbrannten Mobiliars lagen und das mit seinen zertrümmerten Fenstern und Türen einen wüsten Eindruck machte. Nicht nur der Mann aus dem Volke gab seiner Befriedigung Ausdruck, sondern auch Beamte, Offiziere und Damen der großen Welt lachten fröhlich, als sie die greuliche Verwüstung sahen. Einzelne Kunstkritiker gaben aber ihrer Befriedigung Ausdruck, daß man dem Gebäude, das die Stadt „schände“, so gründlich mitgespielt habe. Wenige Tage später wurden die Tür- und Fensteröffnungen mit Brettern vernagelt und das Gebäude seinem Schicksale überlassen.