Roman der Wirklichkeit
[216] Roman der Wirklichkeit. Nach vielen dreibändigen Romanen zu schließen, müßte eine Liebe, wo Er in Californien und Sie in Frankreich ist, ohne daß sie sich kennen oder sich nur gesehen haben, 70 Bände haben, ehe sie sich kriegen können. Und doch geht’s heutzutage sehr rasch. Die Schwester einer Dame in Montpellier heirathete vor etwa drei Jahren einen Mechaniker und wanderte mit ihm nach Californien aus, nachdem sie sich ihre schöne Schwester hatte portraitiren lassen. In Californien hing das Portrait bald über einem hübschen, häuslichen Kamine. Ein reicher Mann, der bei dem Mechaniker etwas bestellen wollte, bekam das Bild in die Augen, betrachtete es eine Zeit lang und rief dann aus: „bei Zeus, das Mädchen heirath’ ich, wenn sie in der Welt zu finden ist.“ Die Frau mußte ihm die Adresse der Schwester geben, darauf ging er eifrig davon, immer für sich wiederholend: „Bei Zeus, die heirathe ich, die heirath’ ich, unter allen Umständen heirath’ ich sie.“ Das Erste, was er that, um sich in Montpellier einzuführen, waren zwei Sendungen Geld, jedesmal 300 Thaler. Unlängst klopfte es an der Thür der schönen Schwester in Montpellier. Sie öffnete und ein derber, hübscher, bronzenfarbiger junger Herr bat um Erlaubniß, eintreten zu dürfen. Er hatte sich schon durch zwei Briefe anmelden lassen. Erröthende Verlegenheit. Eintreten. Kurze Auseinandersetzung seines Anliegens, das kein Spaß sei, da er blos deshalb vom anderen Ende der Erde gekommen sei, wo sich die Frau Schwester sehr wohl befinde. Also ja? Erst die Mutter fragen. Mutter: I nun, da und weil – obgleich, aber ihrerseits. Also richtig. Glänzende Hochzeit in Montpellier, worüber die ganze Nachbarschaft erstaunte und wovon sie Wochen lang sprach. Ende des Romans, Anfang einer glücklichen Ehe.