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Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen: Reuth

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Textdaten
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Autor: Otto Moser
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Titel: Reuth
Untertitel:
aus: Voigtländischer Kreis, in: Album der Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen. Band 5, Seite 5–6
Herausgeber: Gustav Adolf Poenicke
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Erscheinungsdatum: [1859]
Verlag: Expedition des Ritterschaftlichen Album-Vereins
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Commons = SLUB Dresden
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Reuth.


In einer höchst angenehmen Gegend des Voigtlandes, drei Stunden von der Stadt Plauen, liegt das Dörfchen Reuth, auf dessen südöstlicher Seite das schöne herrschaftliche Schloss mit seinen Wirthschaftsgebäuden stattlich über die freundlichen Häuser des Ortes hervorragt. Spuren eines Wallgrabens deuten an, dass auf der Stelle wo jezt das zierliche Gebäude des Rittersitzes sich erhebt, einst ein festes zu Schutz und Trutz erbautes Schloss stand, dessen Thurm und Zinnen in dem Zeitalter des Gesetzes und der Ordnung darniedersanken, um einer zeitgemässen und bequemeren Wohnung Platz zu machen. Das alte Schloss, ein Werk aus grauer Vorzeit, welches im Jahre 1800 niedergerissen wurde, war mit dem Hofe durch eine Zugbrücke verbunden, und besass zwar wenige aber ungemein grosse Zimmer und weitläufige Souterrains, auch befanden sich in ihm die Pferdeställe. In dem alten Wallgraben, einst dem Aufenthalte der Frösche und Unken, lachen jezt heitere Menschen, und wo vormals schlammiges Schilf emporwucherte, da blühen jetzt Blumen und fruchtbare Obstbäume.

Reuths Entstehung fällt in die Zeit, wo die Sorben, des Voigtlandes älteste Bewohner, von Kaiser Heinrichs I. Heerschaaren besiegt, sich unter das Joch der Deutschen beugen und den Christenglauben annehmen mussten. Damals befanden sich im Voigtlande ungeheure Waldungen, die man zum Theil nach und nach ausrodete, um Boden zum Landbau zu gewinnen. Wie Reuth erhielten auch die benachbarten Ortschaften Misslareuth, Rodau und Rodersdorf ihre Namen von den deutschen Kolonisten, welche sich hier niederliessen, und bald entstanden zum Schutze ihrer Wohnungen und ihres Eigenthums feste Häuser, die einem bewährten Kriegsmanne in Lehn gegeben wurden und in dessen Familie forterbten. Die ältesten Besitzer des Schlosses Reuth, deren Namen urkundlich auf unsere Zeiten gekommen sind, werden in einem Vertrage von 1411 genannt, wo Heinrich Reuss der Aeltere den Gebrüdern Leopold, Dietrich und Kunz von Wolfersdorf auf Reuth die Obergerichtsbarkeit über diesen Ort für 140 Gulden verkauft. Später besassen das Gut die Herren von Watzdorf, von denen Cunrad Vollrath von Watzdorf auf Reuth und Neuensalz in den Jahren 1596 und 1633, und Adolf von Watzdorf 1628 erwähnt werden. Von den Watzdorfs kam Reuth an die Familie von Schönfels, doch lässt sich nicht bestimmen, in welchem Jahre, nur soviel ist bekannt, dass am 2. Juni 1675 Margarethe von Watzdorf, Vollrath von Watzdorfs auf Reuth Fräulein Tochter in Thossfell starb und in der Kirche zu Reuth beigesetzt wurde; 1685 aber Anna Margarethe, Hans Georgs von Schönfels auf Reuth und Thossfell Gemahlin ebenfalls in der Kirche ihre Ruhestätte fand, demnach das Gut zwischen 1675 und 1685 an die Familie Schönfels gekommen sein muss. Hans Georgs von Schönfels wohlerhaltenes, jedoch im Jahre 1843 durch einen kalten Blitzstrahl schwarzgebranntes Epitaphium befindet sich noch in der Kirche zu Reuth. Er starb am 31. Juli 1695 als Churfürstlich Sächsischer wohlbestallter Kriegscommissar des Voigtländischen Kreises. Nach ihm besass Reuth Carl Friedrich von Schönfels auf Reuth und Thossfell bis 1702; Hans Carl Friedrich von Schönfels auf Reuth, Rodau, Ruppertsgrün und Beyersdorf bis 1772, darauf dessen Neffe August Heinrich von Schönfels, Churfürstl. Sächsischer Lieutenant der Cavallerie bis 1799 und alsdann Carl Heinrich August von Schönfels auf Reuth, Rodau, Ruppertsgrün und Beyersdorf, Königl. Sächs. Amtshauptmann des Voigtländischen Kreises, der Vater des jetzigen Herrn Besitzers, Friedrich Ernst von Schönfels, Rittmeisters a. D. und Präsidenten zur ersten Kammer der Sächs. Ständeversammlung, auch Kreisvorsitzendem des Voigtlandes.

Der vormals trotz der Nähe von mehreren Mittelstädten, bei den schlechten Communikationswegen ziemlich einsam gelegene Ort hat sich seit Eröffnung der sächsisch-bairischen Staatseisenbahn von Leipzig nach Hof welche hier einen, wegen der Nähe von Schleiz und des starken Holzhandels, ziemlich belebten Bahnhof hat, an welchem alle Züge anhalten, bedeutend gehoben, und ausserordentlich an Verkehr gewonnen, der sich noch ungemein steigern würde, wenn die Regierung ihren von der ganzen Gegend höchst erwünschten Plan zur Ausführung bringen sollte, durch Reuth eine Chaussee über Gefell nach Hirschberg zu bauen. Reuth bietet namentlich vorn Schlosse und einem nahegelegenen mit einer Linde bezeichneten Punkte aus, eine Fernsicht, welche sich der vom bekannten Stelzenbaume zur Seite stellen kann, und jeden Beschauer entzückt. Man hat hier den grössern Theil des Erzgebirges mit seinen malerischen Linien vor sich liegen und überblickt zugleich beinahe das ganze Voigtland mit seinen reizenden Abwechselungen von Bergen und Thälern, Wäldern, Wiesen und Fluren.

Das Dorf Reuth liegt, obschon nicht in zu rauher Gegend, doch ziemlich hoch, nämlich die Kirche 1410 Fuss über dem Elbspiegel und 1724 Fuss über der Nordsee, wie denn die Reuther Brücke den höchsten Punkt der sächsisch-bairischen Staatsbahn bildet. Aber die hohe reine Gebirgsluft macht Reuth auch zu einem sehr gesunden Aufenthaltsorte, wo bei äusserst geringer Sterblichkeit sechzig bis siebzig Jahre das Durchschnittsalter der Einwohner sind. Goldene Hochzeiten gelten hier nicht für Seltenheiten, und jetzt leben im hiesigen Kirchspiel zwei Ehepaare, von denen das eine fünfundfunfzig das andere zweiundfunzig Jahre verheirathet sind, ohne dass in dieser merkwürdigen Erscheinung Veranlassung zu besonderer Freude oder Feier gesucht würde.

Was die Schicksale Reuths anbetrifft, so wurde dasselbe, wie die [6] Mehrzahl der voigtländischen Ortschaften, im Jahre 1430 von dem furchtbaren Hussitenheere berührt, welches gleich einem vernichtenden Wetter durch Blut und Flammen sich dahinwälzte und seinen Weg durch die entsetzlichste Verheerung bezeichnete. Kaum hatten die unglücklichen Einwohner sich etwas von den Schrecken des blutigen Hussitenkrieges erholt, so wurde das Voigtland in den Jahren 1463 und 1496 von einer wüthenden Pest heimgesucht, die fast zwei Dritttheile der Bevölkerung in das Grab stürzte. Im dreissigjährigen Kriege litt Reuth nicht wenig durch die vorüberziehenden Truppen, namentlich die kaiserlichen Regimenter, welche der schreckliche Holke befehligte, wie denn der damalige Pfarrer Michaelis bei der Trauungsanzeige des Junkers Adolf von Watzdorf auf Reuth im Kirchenbuche bemerkt, dieser heilige Act sei periculosissimo belli et hostis irruentis tempore geschehen. In den Jahren 1633 und 1634 brach wiederum eine Pest aus, die eine grosse Anzahl Menschen hinraffte, und die Schweden plünderten dabei die armen Leute, dass ihnen kaum das Nothwendigste blieb. Zur Charakteristik des damaligen Geldwerthes mag hier bemerkt werden, dass ein vom Leipziger Consistorium genehmigter noch vorhandener Vergleich dem Pfarrer zu Reuth wegen der von den Schweden ihm geraubten Kühe die Wahl lässt zwischen zwanzig Thalern oder vier neumelkenden Kühen. Der siebenjährige Krieg wie der Franzosenkrieg, welcher letztere die ersten und hoffentlich wohl auch die letzten Kosaken nach Reuth brachte, gingen für den Ort ohne besondere Folgen vorüber. Eine Feuersbrunst, die im Jahre 1818 zu Reuth ausbrach, zerstörte die Wirthschaftsgebäude des Schlosses mit bedeutenden Getreidevorräthen, seitdem aber erhoben sich dieselben im neuesten Geschmack erbaut, aus der Asche, und tragen nicht wenig zur Zierde des Ortes bei.

Das Rittergut giebt, da nur funfzehn nicht eben bedeutende Bauerhöfe im Orte sind, von denen nach und nach drei zum Gute gezogen wurden, dem Orte seine Hauptnahrung, welcher sonst nur noch in der von dem weiblichen Theile der Bevölkerung stark betriebenen Nätherei einen Erwerbszweig besitzt. Die Oekonomie des Rittergutes ist jetzt verpachtet bis zum Tode der Frau Gemahlin des jetzigen Besitzers verwaltete dieser das Gut selbst, worauf er durch seine rege Betheiligung an den landständischen Angelegenheiten veranlasst wurde, seinen bleibenden Wohnsitz in Dresden zu nehmen, und Reuth nur in den Sommermonaten zu besuchen. Das neue Schloss hat dreizehn Fenster Fronte, fünf Fenster Tiefe, besteht aus einem Stockwerk mit eleganter Mansarde und zählt viele schöne Säle und Zimmer nebst vortrefflichen Kellerräumen und Böden. Vor dem Schlosse befindet sich der gegenwärtig dem Pachter überlassene Garten im alten Schlossgraben, hinter dem Schlosse aber der eigentliche Garten von ziemlichen Umfange, in welchem gutes Obst und Gemüse gewonnen werden.

Das zum Rittergute Reuth gehörige Areal beträgt gegen 300 Acker Feld und Wiesen mit guten Bodenclassen und über 300 Acker gutbestandene Waldung mit ehemals nicht unbedeutender Jagd. Der Viehstand enthält 60 Stück Rindvieh, und seit Ablösung der Hutungsgerechtigkeit – wodurch die Schäferei um das Doppelte herabgebracht worden ist – blos 200 Stück Schafe. Die Ablösung der Frohndienste und Lehnangelegenheiten ist vollendet und bereits in Kraft getreten.

Die Kirche zu Reuth, über die ebenfalls die ältesten Nachrichten fehlen, ist ein alterthümliches, lange vor der Reformation errichtetes Gebäude, welches zur Zeit des Katholicismus wahrscheinlich nur eine kleine Messkapelle war, und von der Pfarrei zu Leubnitz besorgt wurde, weshalb auch jetzt noch der Pfarrer zu Leubnitz vom Rittergute Reuth jährlich einen Scheffel Korn erhält. Filial von Reuth ist das nahegelegene Stelzen, und das Patronatsrecht über Kirche und Schule zu Reuth hat der jedesmalige Besitzer des Ritterguts Reuth. Das Dorf Reuth zählt 350 Einwohner und 57 Hausnummern, dabei zwei ganze, vier halbe und sechs Viertelhöfe; die übrigen sind Häuslerwohnungen.

Während das Schloss mit seiner Fronte das Dorf und Gut überschaut, bietet die nach Mittag gelegene Gartenseite ein durch die waldbegränzten Höhen des Erzgebirges und die Anhöhen bei Schwand und Döhles schön abgerundetes Panorama. Hinter dem Schlosse zieht sich ein Fusspfad durch ein liebliches Thal und Wäldchen auf die Strasse, welche über Thossen, Rodersdorf und Strassberg nach Plauen führt, von wo alljährlich gesellige Parthieen nach dem Stelzenbaume oder den Burgruinen bei Stein und Krebes veranstaltet werden, wobei man selten unterlässt, auch dem freundlichen Reuth und seinen einfachen biedern Bewohnern einen Besuch abzustatten. Der Stelzenbaum ist ein uralter Ahornbaum auf einem Höhenpunkte der Fluren des Dorfes Stelzen, der allenthalben in der Umgegend bekannt und besucht ist, weil man von hier eine malerische sehr weite Fernsicht in das obere sächsische Voigtland, links in das Erzgebirge und rechts in das Fichtelgebirge geniesst.

Otto Moser.