Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen: Niederbobritzsch
1½ Stunde südöstlich von Freyberg an der Strasse nach Dippoldiswalde zu gelegen hängt auf seinem südöstlichen Ende mit Oberbobritzsch so genau zusammen, dass beide Dörfer, in dem Bobritzsch-Thale 3 Stunden lang ausgedehnt, dem Unkundigen zusammengehörig erscheinen.
[167] Das niedere, westnördliche Ende ist von Naundorf ¼ Stunde entfernt.
Niederbobritzsch aus der alten grauen Wenden-Zeit stammend, bildet mit seinen Gehöften und Häusern eine 1½ Stunde lange Doppelreihe, durchschnitten von der auf den Reichenauer Fluren bei Frauenstein entspringenden Bobritzsch, über welche im Dorfe 8 steinerne und 3 hölzerne Brücken, nebst vielen Stegen, die Communication sichern. Das prächtige Thal der Bobritzsch ist hier nicht so beengt, wie bei Oberbobritzsch‚ aber allenthalben reizend und anziehend. Allenthalben tragen die in grosser Ordnung gehaltenen Aecker Spuren der fleissigen Hände ihrer Pflüger und froher Sinn der Bewohner, sowie der gute Zustand ihrer Gespanne und Heerden verrathen einen gewissen Wohlstand.
Die hiesige Feldwirthschaft bringt an Sommerkorn, Gerste und Hafer reichliche Ernten, die reichlichsten aber durch Flachsbau, der einem Hüfner im glücklichsten Falle jährlich bis 400 Thlr. rentirt.
Der Hauptgrund des in der ganzen Umgegend bekanntlich ausgezeichneten Flachses ist wohl der, dass man sehr vorsichtig bei der Wahl des Saamens zu Werke geht, und dem anderwärts in die Sömmerung verwiesenen Gewächs vieljährig geruhtes, mit eigensinniger Sorgfalt bearbeitetes Brachfeld, zu dessen Bedüngung man Holz- und Seifensieder-Asche 3 bis 4 Meilen weit herzuholt, einzuräumen pflegt. Zugleich jedoch gründet sich die Feinheit solchen Flachses auf Boden und Klima und dürfte ebenso zu erklären sein, wie das Erscheinen in den Waldungen des Erzgebirges, deren Fichten und Buchen weit dichtere und feinere Jahreswüchse auf dem Abschnitte zeigen, als ähnliche Hölzer in vielen andern Gegenden.
Dem nicht Feldbesitzenden wird zum Säen einiger Metzen Leines ein Stückchen Feld eingeräumt, welches der Benutzende zu bedüngen und dem Grundherrn einige Arbeitstage (gewöhnlich in der Erndte) unentgeldlich zu leisten hat.
Der hier erbaute Flachs wird fast ausschliessend gebrochen im rohen Zustande verkauft. Gesponnen wird im Ganzen sehr wenig und nur so viel, als das Haus bedarf. Blos die ärmeren Einwohner beschäftigen sich mit Spinnen und verkaufen das Garn. Leinwand wird nur wenig fabricirt und auf den Markt kommt von hier aus gar keine. Oft bezahlt mit Gespinnst die ärmere Classe den Müller, Bäcker, Krämer u. s. w. Aber mit mehr als 1000 Händen vermögen die fleissigen Spinnerinnen eine Flachserndte nicht zu verarbeiten und lassen den Fuhrleuten der Oberlausitz und Böhmens, welche sich einfinden, auch grosse Quantitäten gebrochenen Flachses zur Ladung übrig.
Auch Hafer, Butter und Leinöl, welche Artikel meist nach Dresden verführt werden, bieten dem Dorfe eine beträchtliche Einnahme.
Das jetzige Kanzlei-, Erb- und Lehngericht war früher mit allen Rechten eines Ritterguts beliehen, weshalb es in unserm Album einen Platz gefunden hat.
Die ersten bekannten Besitzer dieses Rittergutes waren die Herren von Bobritzsch, die von dem Orte den Namen entlehnten. Diese Herren von Bobritzsch waren auch Freyberger Rathsherren. Ein Stephan von Bobritzsch auf Niederbobritzsch war im Rathe zu Freyberg Senator.
Im 18. Jahrhundert besass dieses Gut der Obrist Schöpps von Löbneck, worauf es an den Stadtrath von Freyberg kam.
Die Gebäude des jetzigen Gutes zeichnen sich vortheilhaft aus und sind in vortrefflichem Zustande.
Die Fischerei in der Bobritzsch, welche vorzüglich Forellen und Aale in reichem Masse liefert, gehört zum Gute. Der ganze Gutscomplex besteht aus 8 Hufen und umfasst 5 nicht unbeträchtliche Teiche und nicht unbedeutende Holzungen.
Die Schicksale des Ortes anlangend, so machte sich hier das Kriegsjahr 1813 durch drei grosse französische Lager und durch viele Durchmärsche der Alliirten sehr fühlbar.
Mit dem Bergbaue sind in neuerer Zeit verschiedene Versuche ohne besonderen Erfolg gemacht worden. Ein in Oberbobritzsch gefasster und über Conradsdorf auf den Gegendrom einst geleiteter Kunstgraben, [168] läuft links der Bobritzsch über die Niederbobritzscher Fluren, welche überhaupt mit denen der Dörfer Colmnitz, Sohra, Oberbobritzsch, Weissenborn, Hilbersdorf und Naundorf gränzen.
Bis zum Jahre 1815 war hier ein Königl. Hegereuter stationirt. Das unter seiner Aufsicht gestandene Holz, der Tänig, ist seitdem vom Rentamte Freyberg hinweg zum Naundorfer Reviere gekommen.
Fast in der Mitte des Ortes steht die Kirche von Niederbobritzsch, über welche das Ministerium des Cultus die Collatur übt.
Im Jahre 1632 wurde sie nebst der Pfarrwohnung bei einem Einfall der Kaiserlichen ein Raub der Flammen und bei einem ähnlichen Einfall im Jahre 1639 wiederfuhr der hiesigen Schule ein gleiches Schicksal.
Jetzt besitzt der Ort zwei Schulhäuser, in welchen an 300 Kinder unterrichtet werden.
Kirche und Schule stehen jetzt unter der Inspection von Freyberg, sonst waren solche in den Freyberger Sprengel der Meissner Domprobstei einverleibt.
Oberbobritzsch hat seine besondere Kirche und gehört zu denjenigen Dörfern, welche dem Rathe zu Freyberg als Verwalter des St. Johannis-Hospitals seit dem 13. Jahrhundert zustehen, und man kann sich daher nicht erklären, wie man so oft das nahe dabeiliegende Sohra als Rittergut Sohra mit Oberbobritzsch aufgeführt findet.
Die alte Burg Sohra stand im Walde nach Pretzschendorf hin, welche erst im Hussittenkriege zu Grunde gegangen ist, also kann dieses Rittergut keine Unterthanen in Sohra gehabt haben. Höchstens können blos einzelne Grundstücke an Oberbobritzscher Einwohner von der Burg Sohra gekommen sein, wodurch eine gewisse Beziehung zu Sohra entstand. Aber deshalb bleibt die Bezeichnung des Rittergutes Sohra mit Oberbobritzsch immer falsch.
Oberbobritzsch und Niederbobritzsch gehören jetzt zum Gerichtsamte Freyberg.
Niederbobritzsch zählt 195 bewohnte Gebäude mit 1734 Einwohnern, worunter 1 Chirurg, 3 Krämer, 3 Fleischhauer, 3 Schmiede, 3 Wagner, 1 Sattler, 1 Tischler, 3 Drechsler, 1 Uhrmacher, 4 Stuhlmacher, mehrere Schneider und Schuhmacher, 1 Glaser, mehrere Korbmacher nebst vielen Maurern und Zimmerhandwerkern, sowie viele Hütten- und mehrere Bergleute sich befinden.
Uebrigens sind im Orte 60 Höfnergüter und 59 Gärtnergrundstücke, wovon zwei abgebaut nach Hilbersdorf hin liegen. Ausserdem existiren hier 7 Mahlmühlen, welche zusammen 12 Gänge enthalten, 2 Schneide- nebst 5 Oelmühlen und 2 Gasthöfe zieren das Dorf. Die Gebäude sind meistentheils schön und freundlich und einladend.
Unwillkürlich wird der aufmerksame Beschauer der hiesigen Gegend an die classische Elegie auf die Ruinen eines alten Bergschlosses von Matthison erinnert, wobei man auf den Gedanken kommt, dass es wohl das nämliche Thal sein könnte.