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Rassenideologie und Rassenwissenschaft

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Textdaten
Autor: Paul Ludwig Landsberg
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Titel: Rassenideologie und Rassenwissenschaft
Untertitel: Zur neuesten Literatur über das Rassenproblem
aus: Zeitschrift für Sozialforschung, Jg. 2, S. 388–406
Herausgeber: Max Horkheimer
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1933
Verlag: Librairie Felix Alcan
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Erscheinungsort: Paris
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Quelle: Commons
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[388]
Rassenideologie und Rassenwissenschaft.
Zur neuesten Literatur über das Rassenproblem[1].
Von
Paul Ludwig Landsberg.

Die vielfältige Ungleichheit der Menschen, ihrer biologischen Artung nach, ist eine offenbare Tatsache, die nur ein Irrer leugnen könnte. Der Satz von der Gleichheit alles dessen, was Menschenantlitz trägt, besagt eine ethische Norm in unserem Verhalten zum Nächsten, nirgends aber eine empirische Feststellung. Es ist eine Aufgabe der Wissenschaft, den Ungleichheiten gruppierend, beschreibend und genetisch nachzugehen, und insbesondere wird zu fragen sein, was sie für die Medizin, die Pädagogik, die Soziologie bedeuten und was für Ungleichheiten zwischen den Menschen in seelischer und geistiger Beziehung sie einschliessen. Ferner wird man sich zu fragen haben, wieweit und nach welchen Gesetzen sich Eigentümlichkeiten vererben, wieweit und in welcher Art sie durch Wandel des Milieus veränderlich sind und dergleichen mehr. Das ist eine Fiille bedeutsamer Fragen, deren erfahrungsmässige Beantwortbarkeit noch keineswegs gesichert ist. Es liegen hier gewaltige Aufgaben für die Wissenschaft.

Es ist von grösster Wichtigkeit, prinzipiell zu unterscheiden: Rassenlehre als pure Ideologie und Rassenlehre als Naturwissenschaft. In welchem Sinne auch die Fragen der bürgerlichen Naturwissenschaft von einem leitenden ideologischen Motiv nicht frei sind, wird zu zeigen sein, aber auch, dass zwischen ihnen und den eigentlichen Rasseideologien ein himmelweiter Unterschied besteht.

Was den Begriff der Ideologie anlangt, so liegt es uns fern, den Ideologen etwa mit dem Betrüger gleich zu setzen. Dass eine Lehre als Ideologie zu bezeichnen ist, sagt aus, dass sie sowohl ihre Entstehung, wie ihre Evidenz für ihre Anhänger im Wesentlichen nicht einem Erfahrungsinhalt verdankt, sondern einer sozialen Funktion, einer Auswirkung in der Gesellschaft und ihren Kämpfen, welche von ihr erwartet wird. Diese Absichten und Erwartungen brauchen naturlich keineswegs bewusst zu sein. [389] Die pure Rassenideologie nimmt ihren Ursprung bekanntlich in dem Werk des Grafen Gobineau, insbesondere in dem „Essai sur l'inégalité des races humaines" 1853-55. Gobineau ist ein Feudaler, der der siegreichen bürgerlichen Welt und ihrer Egalisierungstendenz den Ständen, nicht den Klassen gegenüber grollend und resigniert zusieht. Er erkennt richtig, dass alle Menschheitsgeschichte, im grossen betrachtet, unaufhaltsam zunehmende Rassenvermischung und vielfach auch eine gewisse biologische Egalisierung bedeutet. Das ist für inn eine schicksalhafte Tendenz zum qualitativen Verfall des Menschen. Nichts bleibt übrig, als sich mit „sieben Getreuen" in den fernsten Kaukasus zurückzuziehen und von da dem Menschheitsungluek zuzusehen. Gobineau ist als franzosischer Feudaler seiner Zeit nicht ohne Konsequenz. Seine Schüler haben von ihm gerade die Irrtiimer übernommen, indem sie aus der feudalen Elegie eine bürgerliche Ideologie zu machen suchten. Unter den Epigonen Gobineaus wären etwa hervorzuheben De Lapouge, Houston Stuart Chamberlain und Woltmann, die die Lehre nach Deutschland importierten; dann in der Gegenwart Lenz und Günther, auch etwa Schemann; in Amerika Lothrop Studhard, dessen Buch über "Die Drohung des Untermenschen" in Deutschland so viel Erfolg gehabt hat. Daran schliesst sich eine ungeheure und gleichförmige populäre Propagandaliteratur an, die sich vor allem der Bekampfung des Judentums seit vielen Jahren mit allen Mitteln widmet. Ein orientierendes Standardwerk, das in reichem Masse wissenschaftliche Tatsachen in ein stark ideologisch und subjektiv gefarbtes Ganzes einarbeitet, ist die „Menschliche Erblichkeitslehre und Rassenhygiene" von Baur-Fischer-Lenz. Die Beiträge Eugen Fischers zeigen sogar einen ernsten Versuch zur Objektivitat. Immerhin gipfelt auch dies Werk in dem „wissenschaftlichen" Satze: „... dass die nordische Rasse hinsichtlich der geistigen Begabung an der Spitze der Menschheit marschiert". Wir werden sehen, wie solche Sätze gewonnen werden.

Damit begeben wir uns auf den Weg zu einer inhaltlichen Charakteristik des Gemeinsamen all solcher Lehren. Wir sehen diese Gemeinsamkeit in verschiedenen Inhalten begründet, denen jeweils eine besondere gesellschaftliche Bedeutung zukommt und die darum bei verschiedenen Vertretern verschieden stark auftreten. Die Tendenz zu all diesen Lehren mindestens ist aber immer da und schon bei Gobineau vollkommen deutlich. Die kennzeichnenden Grundinhalte der eigentlichen Rassenideologien sind:

I. die Tendenz zum Wertmonopol einer Rasse, die zwar nicht immer tatsächlich die eigene des Schriftstellers ist, aber doch stets die, mit der er sich identifiziert. Den anderen Rassen lässt man die Werte, auf die man weniger Wert legt, wie etwa Gobineau den Negern sinnliche Phantasiestarke gegenüber der europaischen Intelligenz und dem nordischen Heroismus. Was man in seiner hohen Wertigkeit nicht angreifen kann, nimmt man für sich in Anspruch. Chamberlain macht Christus zum Arier, Woltmann macht Dante und Raphael zu nordischen Menschen. Individuell mag dabei Vorliebe für den Typus, den man fiir den eigenen hält, mitspielen. Fruchtbarer, als dem nachzugehen, ist es nach der gesellschaftlichen Funktion zu fragen oder vielmehr nach den gesellschaftlichen Funktionen, die ja recht mannigfaltig sein konnen. [390] Eine erste solche Funktion besitzt die Wertmonopolisierung für die kolonisatorische Unterwerfung farbiger durch weisse Völker. Hier kann sie im Zeitalter des Imperialismus an die Stelle oder an die Seite der älteren Missions-Ideologien treten und jede Form der Ausbeutung begründen. Der Rassenunterschied der "Weissen" von den Schwarzen, Gelben und Braunen ist gegeben, und er ist leicht umzudeuten etwa in einen Unterschied von Herrenvölkern und Sklavenvölkern, jedenfalls in einen recht stabilen Wertunterschied. Schliesslich wenden die Japaner die gelernte Theorie schon ganz munter gegen die "chinesische Rasse" an. Wann gegen die Weissen?

Ist das Schema einmal gewonnen, so kann es den ursprunglich religiösen Antisemitismus in neuer und radikalerer Weise begründen, kann in Kämpfen zwischen Industrie- und Bankkapital, Stadt- und Landwirtschaft, Kleinhandel und Warenhaus, endlich im Konkurrenzkampf auf einem zu eng gewordenen Arbeitsmarkt Verwendung finden. Immer geht es urn das Recht der Zurücksetzung und Unterwerfung von Menschen durch Menschen. Daber sind Sozialismus und Rassenideologie geborene Feinde: nicht etwa weil jener den Blödsinn einer biologischen Gleichheit aller Menschen behauptete, sondern weil er gegen jede Knechtung und Ausbeutung des Menschen durch den Menschen sich wendet. So ist es ja z.B. auch selbstverständlich, dass Mann und Frau biologisch höchst verschiedcne Wesen sind, aber es ist verwerflich und abgeschmackt, daraus ein Wertmonopol des Mannes zu folgern und eine faktische Ausbeutung der Frau zu begründen. Ein Weisser ist ein Weisser und ein Chinese ein Chinese. Beiden sollte dazu geholfen werden, ihre spezifischen Anlagen und Werte in Freiheit und zum Vorteile der Gesamtmenschheit zu entfalten.

II. kennzeichnen sich die Rassenideologien durch eine Geringschätzung der endogenen Rassenwandelbarkeit vor aller empirischen Untersuchung. Es wird als Dogma gesetzt, dass Rassen, die sich nicht vermischen, sich durch Wirkung von Umweltänderungen oder biologische Mutationen nicht oder doch nicht erheblich wandeln. In Wahrheit ist es eine schwierige Forschungsfrage, was sich wandelt und was nicht. Die Invariante müsste mindestens in irgendeiner bedeutsamen Hinsicht gefunden sein. Wir werden näher sehen, dass das nicht der Fall ist, obgleich sie vielleicht noch zu finden ist. Die gesellschaftliche Funktion dieser zweiten Lehre befestigt sozusagen die der ersten: d.h. diese Lehre hat zur genau gemässen Funktion die Stabilisierung, Verewigung bestehender Machtverhältnisse. Die Gruppe, die an der Macht ist, will sich biologische Höherwertigkeit und daraus entfliessende Rechtmässigkeit für alle Zeiten zuschreiben.

Mit dieser Invarianzlehre lässt sich ferner die Bedeutung sozialer Umweltverbesserungen herabsetzen. Man kann zu Folgen von Rassenminderwertigkeit machen, was durch Massenarmut, schlechte Wohnungsverhältnisse, schlechte Hygiene und Nahrung, ungesunde Arbeitsbedingungen, Alkoholismus verschuldet wird, und vermeidet die Kritik am Wirtschaftssystem aus einer Erkenntnis seiner Folgen heraus.

III. zeigt sich uns damit als Merkmal all dieser Lehren eine Gruppe von Annahmen über Bestand und Wert von „reinen Rassen". In dem Wort "rein" liegt hier schon ein Werturteil, gemeint ist unvermischt. [391] Da liegt dann die peinliche Frage: "Unvermischt, seit wann?" gleich recht nahe. Die Menschheit ist bekanntlich uralt, mindestens 500.000 Jahre, höchstwahrscheinlich ein Vielfaches davon alt, und an ihren Beginn rühren unsere Kenntnisse wohl nirgends. Denken wir uns die Entstehung des Menschen etwa mit Klaatsch polyphyletisch und nicht monophyletisch, was keineswegs als richtig erwiesen ist, aber einige Wahrscheinlichkeitsgründe für sich hat, denken wir also an einen Beginn in einer Mehrheit von Urhorden, so sind doch jedenfalls schon vor unvordenklichen Zeiten solche Urrassen nicht mehr festzustellen. Was wir kennen, sind — zumal in historischer Zeit — immer nur höchst komplizierte Mischungen.

Sehen wir davon ab und beachten den imabweisbaren Eindruck, dass die Mischung selber immer wieder, freilich sicher nicht ohne den gewaltigen Einfluss von Umweltbedingungen und Traditionsbildungen, relativ konstante biologische Typen hervorzubringen scheint; so ist die europäische Oberschicht der Feudalzeit oder das Ghettojudentum zwar keineswegs eine reine Rasse, aber hier finden wir in gewissem Mass eine vitale Typeneinheit vor. Daher ist auch in der Anwendung auf die Feudalzeit mit ihren relativ geschlossenen Erbgruppen die Ideologie der reinen Rasse noch nicht unbedingt abwegig. Die herrschenden grossbürgerlichen Schichten der hoch- und spätkapitalistischen Epoche stellen dagegen ein unübersichtliches Gemenge auch der vitalen Typen dar. Die Umwalzung der Produktionsformen und der Gesellschaft hat es mit sich gebracht, dass das auswählende Prinzip des Aufstiegs in der Gesellschaft wesentlich die besondere Art von intellektueller Begabung, äusserer Regsamkeit und innerer Kälte ist, die den erfolgreichen Kapitalisten typisch kennzeichnet. So würde denn der bürgerlichen Oberschicht diese feudale Ideologie zu Gesichte stehen wie dem Affen die Perlenkette. Das hindert sie aber nicht, sich gelegentlich damit zu schmücken, umso weniger als diese Annahmen unerlässlich erscheineh im Gesamt der Rassenideologie, die so ungemein suggestiv und brauchbar ist.

IV. gehört in diesen Zusammenhang eine Lehre von bedeutend grösserer Tragweite. Es besteht hier nämlich die Tendenz zur Identifikation der biologischen Rasse, die man fiktiv als irgendwo wenigstens annähernd "rein" verkörpert ansetzt, mit Nationen und Völkern. Auch hier wieder setzt die Ideologie feste Dogmen an die Stelle schwieriger Überlegungen und mühsamer Untersuchungen. Dass der Begriff des Volkes als ein Kulturbegriff und der der Nation als ein Begriff staatlicher Schicksalsgemeinschaft von dem der Rasse unabhängig sind, ist für jeden Unvoreingenommenen klar. Kein bestehendes Volk und keine Nation bildet rassenmässig auch nur im entferntesten eine Einheit.

Die geistige Bequemlichkeit einfacher Dogmen kommt all den en entgegen, die überaus viel von der Wissenschaft halten, aber sich deren Wesen nicht wirklich zu eigen gemacht haben. Die wirkliche Wissenschaft ist, wie etwa die Physik heute so klar zeigt, eine differenzierte Art zu fragen, und eine dialektische Entfaltung in einem definiten Erfahrungsmaterial begründeter Hypothesen. Nie kann sie, wenn sie sich selbst versteht, etwas anderes sein wollen. Kommt zu solcher Bequemlichkeit das intuitive Gefühl hinzu, dass an der Identifizierung der Nation mit der Rasse etwas [392] daran sein müsse, da offenbar die Nation nicht aiis einem willkürlichen bewussten Entschluss ihrer Individuen hervorging, so kann dann die paradoxe Verwechslung stattfinden, die aller historischen Erkenntnis vom Werden und aller biologischen Erkenntnis von der Zusammensetzung der Nationen zuwiderläuft.

Es kommt auch hier wieder für die Durchschauung der gesellschaftlichen Funktion auf die Unterscheidung zweier beträchtlich verschiedener Nuancen an, die aus dieser Verwechslungstendenz hervorgehen. Die ältere Lehrart wird dargestellt von dem Bestreben, Völker oder Völkergruppen mit Rasseneinheiten gleichzusetzen. Dass ein Ernstmachen mit solchen Anschauungen jede faktische nationale Schicksalsgemeinschaft in eine Menge von Teilen zersplittern muss, ist klar. Am nachdrücklichsten hat K. F. Wolff gegenüber Günther auf diese Tatsachen hingewiesen. Das hindert deutsche Rassenideologen nicht, die Behauptung, semitische Herkunft schliesse echte Zugehörigkeit zur deutschen Nation aus, beweislos zu wiederholen und zur Grundlage ihrer Praxis zu machen. Die nähere Beschäftigung mit dem biologischen Aufbau der Nation hat diese Art der Identifizierung selbst für die modernen Rasseideologen theoretisch unmöglich gemacht. Sie konnten sich der Kenntnis von Resultaten namentlich Eugen Fischers nicht ganz entziehen und mussten sich entschliessen, sogar Ergebnisse von Fischer, Clauss, Kern und anderen zu popularisieren. Dieser Entschluss fiel ihnen umso leichter, da sich eine neue und weit fruchtbarere ideologische Verwendung gerade dieser Ergebnisse anbot.

Damit entsteht die zweite Abart der Identifizierung. Die Mischung innerhalb des eigenen Volkes wird nun wenigstens im naheliegendsten gesehen und anerkannt. Man wertet aber die Bestandteile des Volkes selber verschieden hoch, zunächst in biologischer Hinsicht und dann in einem auch an sich wieder falschen Biologismus gesamt- menschlich, und es entsteht die Tendenz, einen dieser Volksbestandteile in das Wertmonopol einzusetzen. An dieser Stelle steht die Funktion Günthers. „Aufnordung" wird zum vollklingenden Schlagwort. Der gesellschaftliche Sinn: ein Teil des Volkes ist biologisch berechtigt, über den andern zu herrschen. Der Unterschied von geborenen Herren und Knechten wird aus der zwischenvölkischen Ebene der Kolonialpolitik in die Ebene des sich zugleich international und innervolkisch darstellenden Gruppenkampfes verlegt. Die kaum noch verhüllte Identifikation insbesondere der sozialen Unterschicht mit einem im Volke selbst gegebenen Untermenschentum, der Herrenschicht und ihrer Parteiganger mit den edlen und heroischen Vertretern überlegener Rasse darf man ruhig Propagandisten überlassen. Die ganze Richtung hat jedenfalls ihr geistiges Leben, ihre Entstehungs- und Verbreitungskraft, von vornherein durch diese Möglichkeit. Dass der Kampf gegen das marxistisch organisierte Proletariat sich gut mit dem Rassenantisemitismus verbindet, der unter anderem eine Diffamierung eines Teiles seiner Lehrer und Führer ermöglicht, das liegt auf der Hand. Dass man im übrigen nicht die Arbeiterklasse an sich bekämpft, sondern ihren Anspruch auf kulturelle und wirtschaftliche Gleichstellung, ist bekannt. Ja, man unternimmt es, den Kampf gegen die Lebensansprüche des Arbeiters im Namen der Arbeiterschaft selber zu führen. Es gibt keine Wirklichkeit [393] die nicht eine Mehrzahl propagandistischer Deutungen zuliesse. In der nach dem treffenden Wort von Carl Schmitt "subromantischen" Selbstbespiegelung des nordischen Menschen wird das Missverhältnis solcher Ideologien zur Wirklichkeit besonders evident, und es zeigt sich, wie sehr ihre Brauchbarkeit im Dienste der Tarnung höchst realer Bestrebungen davon unabhängig ist. Es bedarf wohl kaum des Hinweises, dass nur ein ganz kleiner Teil des deutschen Volkes die Merkmale der sogenannten nordischen Rasse auch nur annähernd aufweist. In dem weitaus am meisten nordischen schwedischen Volk ergaben sich 31 % der Bevolkerung. Dabei wurden alle nicht mehr ganz klaren Typen auch noch dem grossen langschädeligen hellhäutigen blaublonden, d. h. im wesentlichen dem nordischen Typus zugerechnet. Ich überlasse es mangels Forschung dem Erfahrungsurteil des Einzelnen, ob solche Typen etwa in Rheinland, Sachsen, Berlin und Bayern mehr als 10% ausmachen. Die rassenmässige Zusammensetzung der politisch führenden Parteien dürfte von diesem Bilde nicht wesentlich abweichen.

Davon ganz abgesehen ist es offenbar unerweisbar, dass der nordischen Rasse irgendein höherer Gesamtwert zukomme als einem anderen Rassenbestandteil des deutschen Volkes. Bestenfalls haben wir hier leichtsinnig zu Theorien ausgesponnene Geschmacksurteile vor uns, ganz wie der eine blonde, der andere schwarze Frauen liebt. In der Psychologie dieses Geschmacksfaktors scheint mir übrigens einer der Gründe zu liegen, warum die Rassenlehrer so oft für einen Typus schwärmen, der ihnen selbst faktisch entgegengesetzt ist. So gehörte ja auch Rathenau weitgehend zu den Epigonen Gobineaus, von dem auch der Begriff der nordischen Herrenrasse stammt.

Kaum eines Wortes bedarf es schliesslich darüber, dass die Rassenschichtung des deutschen Volkes eine gewisse Beziehung zu seiner regionalen Struktur hat, wie ja etwa verhältnismässig die meisten nordischen Menschen sich in Norddeutschland finden, keinerlei Beziehung aber zu seiner sozialen Schichtung oder gar zu seinen politischen Spaltungen. Trotzdem ist diese Form der Rassenlehre, die innerhalb des eigenen Volkes von einer Herrenrasse redet, die eigentlich populäre und moderne, nämlich die eigentlich politische. Sie ist von vornherein auf den Gebrauch des Tageskampfs zugeschnitten.

V. ist ein Lehrmerkmal der Rassenideologie die Tendenz zur Mechanisierung des Gedankens der Züchtung und der Rassenhygiene. Auch hier wieder erweist sich, dass nicht so sehr pure Irrtümer der Menschheit gefährlich sind wie Wahrheiten, die mit Irrlehren so verbunden werden, dass sie mit ihnen zusammen den Geist und die Praxis auf falsche Wege führen. Der Gedanke der Rassenhygiene an sich ist uralt, er geht mindestens auf Plato zurück; er ist auch ein weitgehend richtiger Gedanke. Ein Aufstieg der Menschheit, im Sinne der Qualitätssteigerung des Menschen selbst, ist sicher nur denkbar, wenn schon bei der Erzeugung der neuen Generation Verantwortlichkeit waltet. Intuitiv hat wohl Nietzsche den Gedanken einer solchen Höherzüchtung am mächtigsten erfasst. Die moderne Erblichkeitsforschung seit Mendel, de Vries, Rüdin u. a. gibt ihm eine genauere Begründung. Es darf als erwiesen angesehen werden, [394] dass die Modifikation des Menschenwesens durch Erbgang und insbesondere Mischung, zunächst ja immer der beiden verschiedenen Elternindividuen, welcher Rasse sie auch immer angehören, von radikaler Bedeutung ist. Das bestätigt auch die Konstitutionsforschung der modernen Psychopathologen wie Kretschmer, Ewald, Hoffmann u. a. Gerade wer auf eine bessere Menschheitszukunft hinstrebt, darf die Bedeutung dieser Probleme nicht übersehen. Diese richtige Einsicht kann sich aber bei den Rasseideologen mit einer Reihe von Irrtumstendenzen verbinden.

Zunächst unterschätzen sie denn doch ganz erheblich die Wirkungen der Erziehung und des Milieus, namentlich der Kindheit. Auf keine Weise nämlich kann eine Menschengruppe sich biologisch verbessern, wenn Hunger und Armut, öde Arbeitslosigkeit und gedrängtes schlechtes Wohnen, Verzweiflung, Alkoholismus und Unbildung nicht entscheidend bekämpft werden. Da diese Verhältnisse von der kapitalistischen Produktionsweise nicht zu trennen sind, ist das einseitige Verweisen auf das biologische Fortpflanzungsproblem für deren Erhaltung zweifellos ideologisch nützlich.

Weiterhin neigen zahlreiche Rassehygieniker dazu, zu verkennen, dass bei Menschen der elementare Faktor einer natürlichen Zuchtwahl in möglichst günstiger Richtung in der individuellen Liebeswahl prinzipiell gelegen ist. Scheler hat gezeigt, dass der diese Liebe leitende Instinkt biologisch gesehen gerade auf die Erhöhung des Typus Mensch im Prinzip hinzielt. Die entscheidende Tat der Rassehygiene wäre darum in Wahrheit die Befreiung der Liebe von den ökonomischen Fesseln, die sie heute noch meist trägt. Es ist klar, dass hier wiederum der Gedanke der biologischen Verbesserung der Menschheit sich umfassenden Erneuerungsgedanken einordnet.

Ganz abwegig ist es, wenn die Rassenideologen die Rasseverbesserung in irgendeine Beziehung zu der Idee von der reinen Rasse bringen. Vielmehr könnte nur die Erzeugung neuer Hochtypen des Menschentumes oder richtiger die Erleichterung einer solchen Erzeugung überhaupt ein sinnvolles Ziel qualitativer Bevölkerungspolitik sein. Diese Bevölkerungspolitik würde im wesentlichen sich auf eine negativ freisetzende Rolle zu konzentrieren haben. Mischung ist, wie schon Gobineau sagt, Menschheitsschicksal. Sie so zu lenken, dass höherwertige Generationen entstehen, dazu kann die Wissenschaft keine positiven Regeln geben. Könnte sie es in tausend Jahren einmal, so müsste eine ihrer selbst bewusste Menschheit solchen Regeln, die ja nur auf Hypothesen begründet wären, die Gefolgschaft und die Aufgabe der freien Wahl des Ehegenossen versagen. In der Tat wäre es offenbar eine Roheit, mit so plumpen Begriffen in das menschliche Liebesleben eingreifen zu wollen. Reine Rassen vollends kann es nur vor hunderttausenden von Jahren gegeben haben. Wir wissen nichts von ihnen und werden kaum je etwas von ihnen wissen. Dass es Rassenmischungen gebe, die an sich schädlich wären, ist ebensowenig erwiesen. Vorausbestimmbar ist hier nichts. Das Ergebnis ist in jedem einzelnen Fall grundverschieden wie bei der Vermischung zweier annähernd, ja nie ganz gleichrassiger Individuen eben auch. Die Erfahrung zeigt, dass Rassenmischung sowohl gefährden wie ganz besondere Begabungen begünstigen kann. [395] VI. lassen sich diese Lehren unter einem philosophischen Gesichtspunkt beurteilen. Die Rassentheorie begegnet uns nämlich bei Ideologen und auch bei vielen Naturforschern so, dass sie eine philosophische Anthropologie, eine Wesensbestimmung des Menschen, enthält und eine von dieser getragene Geschithtsphilosophie. Diese weit über das Empirische hinausgehenden Überzeugungen treten dann in gelegentlichen Bemerkungen deutlich hervor, leiten aber in Wahrheit schon den ganzen Ansatz der Forschung. Bezeichnend ist hier etwa der Satz E. Fischers: "Es gibt nicht Menschen schlechthin, es gibt nur Menschen bestimmter Rassen oder Rassenmischungen. Soll dieser Satz nur sagen, dass jeder Mensch einer Rasse oder Rassenmischung angehört, so ist er tautologisch und inhaltlos, besagt nichts anderes als den Anspruch auf Vollständigkeit, den biologische Klassifizierung innerhalb der Gattung Mensch notwendigerweise erheben muss. Soll er aber besagen, und seinem Klang nach soll er dies besagen, dass in dieser Teilhabe an einer Rasse oder Rassenmischung das Wesentliche des menschlichen Individuums enthalten sei, so haben wir hier den Grundgedanken dieser Rassenlehre vor uns: Der Mensch ein Rassewesen. Zu ergänzen wäre: ein Rassewesen wie das Tier, ein Wesen, das im entscheidenden als Produkt seiner physischen Abstammung aufzufassen ist. Dass die Rassenlehre, die sich universal setzt, nichts mit "Idealismus" zu tun hat, sondern, philosophisch beurteilt, ein echtes Kind des naturalistischen Jahrhunderts ist, zeigt sich hier mit voller Evidenz. Schon Gobineau sucht ganz ähnlich wie Comte nach Naturgesetzen der gesellschaftlichen Entwicklung. Für E. Fischer ist übrigens gerade die fundamentale Zweideutigkeit seines Satzes kennzeichnend, der in der allein sinnvollen Auslegung das naturalistische Grunddogma der Rassenideologen treffend formuliert. In Wahrheit ist ja das singuläre Selbst jedes menschlichen Individuums aus dem Erbgang unableitbar und gibt dem Vererbten Richtung und Sinn in einem neuen Ganzen. Zum mindesten ist mit einer religiösen Überzeugung oder mit irgendwelcher idealistischen Position keine andere Anthropologie vereinbar als die, in welche diese Grundtatsache Ehrfurcht vor der unbekannten Tiefe jedes Individuums anerkennt.

Aus der angedeuteten Anthropologie entfliesst wie aus jeder eine Geschichtsauffassung. Als das Eigentliche menschlicher Geschichte erscheinen hier Rassenmischungen und Rassenkämpfe, Rassenaufstieg und Rassenverfall. Am Rassenverfall soll die antike Kultur untergegangen sein, Rassenmischung soll die Hochkulturen schädigen oder — dafur sprechen die Tatsachen weit eher — sie hervorgebracht haben. Alle anderen geschichtlichen Phänomene verhalten sich funktional zu dem Geschehen im biologischen Erbgang etwa wie der Überbau zum Unterbau.

Es ist kein Zufall, dass das Bild von einem realen Unterbau für alles historische Geschehen, einer "substruction", sich auch bei Gobineau findet. Das wird sofort klar, wenn man etwa Carlyles Auffassung von den grossen Männern, die die Geschichte machen, oder die Hegels, die Geschichte sei eine Selbstverwirklichung der Idee, zum Vergleich heranzieht. So sicher wir hier die beiden Grundformen idealistischer Geschichtsauffassung vor uns haben, im Sinne Diltheys die subjektiv-idealistische und die objektiv-idealistische, so sicher ist in der rassenbiologischen Geschichtsphilosophie [396] eine wiederum im Sinne Diltheys natural istische Deutungsarl am Werke- Es ist trier ein naturales und selbst eigentlich gsr nicht mehr historisches Geschehen, das von sich aus das Gesamt der Menschheitsgeschichte bestimmt.

In Wahrheit versagen sich die historischen Phänomene dieser Auflösung. Allenfalls können Bedingungen gezeigt werden, nie Ursachen. So ist z. B. die Entstehung der kapitalistischen Wirtschaftsform sicher durch die Eigenart leistungskräftiger unternehmender nordischer Rassengruppen begünstigt, vielieicht sogar ermöglicht. Dass aber diese Wirtschaftsform entstand und zu einer bestimmten Zeit entstand, ist nur in viel weiterem und namentlich auch in ökonomischem Zusammenhang verständlich zu machen. Nun gar, sagen wir, die Werke Michelangelos oder Goethes aus deren Blutsherkunft verständlich machen zu wollen, gehört zum offenbaren Unsinn. Je mehr ein Mensch sich selbst verwirklicht, desto mehr tritt in Wesen und Werk das Einzigartige und völlig Unableitbare seiner geistigen Individualität hervor. Es kann hier nicht die Diskussion der Geschichtsauffassungen zu Ende geführt oder entschieden werden, die in den Gegensätzen menschlicher Selbstauffassung und der sie entfaltenden Anthropologie letzten Endes begründet liegt. Nur das kann geschehen, dass man sich klar wird, wo eine Lehre hingehört, mit welchen andern sie sich verbindet und was ihre Konsequenzen sind. Ist es doch gerade die billige und schiefe Antithese gegen ein Zerrbild des Materialismus, mit dem die Rassenideologie einen grossen Teil ihres Erfolges bei der Jugend erzielt hat.

Schon aus dem bisher Gesagten ist zu entnehmen, dass Rasseforschung und vernunftige Überlegung die grundlegenden Fehler der Rassenideologie zu zeigen in der Lage sind. Daraus ist es wohl auch z. T. zu erklären, dass diese neuerdings, ganz im Gegensatz gegen ihre Vorgeschichte, die Tendenz zeigt, sich aller Vernunft zu entziehen und sich als "Blutsmythos" zu etablieren. Der Missbrauch des Sorelschen Mythenbegriffes kommt einem gewissen Primitivismus der Massen suggestiv entgegen. Von einer Begründung kann und soll ja hier im Reiche des Irrationalismus nicht mehr die Rede sein. Soziologisch bedeutet diese unklare Haltung Verzicht auf Wissenschaft und Vernunft. Diskutieren lässt sich mit der Willkur eines solchen Standpunktes natürlich nicht. Im übrigen entspricht der Irrationalismus der Tendenz einer Staatsmacht, auf Grund der physischen Gewalt allein zu regieren, ohne auch nur um den Schein des rationalen Rechtes sich zu kümmern. Das ist die gesellschaftliche irrationale Wirklichkeit, die dem Irrationalismus des Blutsmythos in Wahrheit zugrunde liegt. Soweit die Staatsherrschaft auf die rationale Verbrämung durch eine abstrakte Rechtsidee verzichtet, genau soweit ihre Ideologie auf die rationale Verbrämung der Wissenschaftsform. Mit den grossen Mythen der Menschheit haben die modernen Zweckmythologien nichts zu schaffen. Ihre Inhalte sind dürftig genug und restlos dem noch wissenschaftlich verkleideten Stadium der Rassenlehre entnommen. Ihre Wirkungskraft verdanken sie teils der gesellschaftlichen Situation, teils gewissen psychoanalytisch zu erforschenden Regungen des Massen-Unbewussten, denen sie Scheinbefriedigungen teils religiöser, teils weit weniger geachteter seelischer Bedürfnisse bieten. [397] Auch nur die wichtigsten Ergebnisse der wissenschaftlichen Rassenforschung darzustellen, kann diese kurze Abhandlung nicht versuchen. Sie muss sich darauf beschränken, Einiges herauszugreifen, was Beziehung zu den gesellschaftlichen Problemen und den Aufgaben der Ideologiezerstörung hat, um die Tragweite der Konfrontation von Ideologie und Wissenschaft wenigstens anzudeuten.

Das Interesse für diese Forschungen setzt in der Aufklärung des 18. Jahrhunderts ein, die ja keineswegs in konstruktiver Vernünftigkeit aufgeht, sondern in alle Richtungen tatsächlicher Erkenntnis neue Vorstösse unternimmt. Insbesondere verdanken wir auch dieser Zeit die Anfänge empirischer Ethnologie und Psychologie Aus dem neuen Interesse für die wirkliche Menschheit und ihre Mannigfaltigkeit sind die grossen Versuche einer Theorie der Rassen hervorgegangen, die namentlich Kant und Blumenbach unternommen haben. Eine neue Epoche empirischer Rassenforschung scheint mir dann 1869 mit Daltons "Hereditary genius" zu beginnen. Hier finden sich neben willkürlichen Annahmen, wie sie beim Beginn einer Forschungsrichtung nie fehlen und kaum fehlen dürfen, die ersten empirischen Beobachtungen über die Vererbbarkeit insbesondere vorzüglicher Begabungen auf den verschiedensten Gebieten. Diese grundlegende Forschungsrichtung hat dann ihre feste Methode durch die neue exakte Erblehre unseres Jahrhunderts erhalten. Die beste und neueste Darstellung der Ergebnisse der gesamten Rassenforschung aufgrund bewundernswerter Sachkenntnis und einer gleichwertigen Kraft, Probleme und Methoden kritisch zu durchdenken, gibt von Eickstadt in seinem Standardwerk "Rassenkunde und Rassengeschichte der Menschheit". Die erste und die zweite Lieferung des Werkes sind im Jahre 1933 veroffentlicht worden.

Was ist in der Wissenschaft Rasse? Sie erscheint hier als eine Unterkategorie der zoologischen Art und entspricht dem, was der Zoologe Varietät nennt. So ist z. B. Dobermann eine Hunderasse, die der Abdecker Dobermann um die Mitte des vorigen Jahrhunderts züchtete durch eine allmähliche Kreuzung von Pinscher, Schäferhund, Jagdhund und Dogge. Rasse erscheint also auch immer schon als das Produkt einer Mischung, bei der Menschenrasse ungewollter Mischung innerhalb der Art. In der biologischen Anthropologie ist Rasse, wie Weidenreich es kurz formuliert, eine "Gruppe von Menschen, die sich durch die Gemeinsamkeit erblicher Merkmale von andern Gruppen unterscheidet". Einen ähnlichen Sinn geben alle Definitionen der Rasse, die heute gemacht werden. Besonders wohlüberlegt und genau ist die Definition Eickstädts: „Eine Menschenrasse ist eine Gruppe von Individuen, die eine kennzeichnende Vereinigung von normalen und erblichen Körpermerkmalen mit beschränkter Schwankungsbreite aufweist." Die verschiedenen in dieser Definition angeführten Merkmale verdienen eine nähere Analyse. Am Anfang steht der Begriff "kennzeichnend" mit dem der "Vereinigung" zusammen. Diese Worte sind absichtlich etwas vage gewählt und deuten an, dass hier wie stets die rationale Definition die eigentliche Eihheit und den eigentlichen Sinn eines anschauungsbezogenen Begriffes nicht erschöpft. Ausserdem liegt in dieser [398] Bestimmung die Tendenz zu einer ganzheitlichen Erfassung. Die Bezeichnung "normal" wird gebraucht etwa im Gegensatz zu gewissen erblichen Merkmalen, die bei Bevölkerungen auf Grund von Epidemien entstanden sind. Entscheidend ist die Forderung der ErblichkeiL für das, was eine Rasse kennzeichnen soll. Schon Kant hatte hier entscheidend formuliert: "Nur das, was in einer Tiergattung anerbt, kann zu einem Klassenunterschiede in derselben berechtigen". Hier eröffnet sich natürlich sofort das Problem der Erbfestigkeit. Merkmale, die als Rassenmerkmale dienen sollen, müssen erbfest sein, d. h. sich forterben, falls keine Mischung erfolgt, und nach gewissen Gesetzen, deren Erkenntnis die exakte Erbforschung sich sehr langsam nähert und die natürlich keineswegs einfachhin die Gesetze Mendels sind, jeweils wiedererscheinen. Dass Eickstadt weiterhin von Körpermerkmalen redet, ist kennzeichnend fur den somatischen Ausgangspunkt der Rassenforschung, die, vor allem mit Hilfe von Messungen, zunächst einmal festen Boden unter den Füssen gewinnen musste. Demgegenüber steht die Erforschung seelischer Rassenmerkmale noch ganz in den Anfängen und hat mit bedeutenden methodischen Schwierigkeiten zu kämpfen. Es ist klar, dass gerade ihr menschlich die überwiegende Bedeutung zukommen würde. Man strebt heute mit Recht hinaus über die Aufzählung einzelner Merkmale zu der Aufdeckung innerlich zusammenhängender Merkmalgruppen. Es ist denkbar, dass man in Zukunft zu Stilprinzipien gelangen wird, die die körperliche und seelische Ganzheit des Menschen durchgreifen. Einen gewissen Ansatz in dieser Richtung geben die interessanten Werke von L. F. Clauss, wenn sie auch notwendigerweise noch keineswegs feststehende und umfassende Problemlösungen gewähren können. Wir gedenken auf diese Arbeiten und ihre verdeckten Voraussetzungen in einem besonderen Aufsatz zurückzukommen. Die Einbeziehung der Schwankungsbreite in die Definition der Rasse dürfte sich von selbst verstehen. Als besondere Dimensionen der Schwankung sind anzusehen etwa die Konstitutionstypen Kretschmers, die sich in keiner Weise mit Rassen decken; dann die Berufstypen — Eickstadt führt z. B. den Unterschied von Schneider und Schmied an —; weiterhin die Gautypen, deren Erforschung sich vor allem Hellpach gewidmet hat — der Unterschied z. B. zwischen einem Rheinlander und einem Oberbayern ist in seinem Wesen kein Rassenunterschied —; schliesslich solche Unterschiede wie Sexualtypen, in erster Linie der Geschlechtsunterschied selber; Alterstypen, etwa der Unterschied zwischen Jüngling und Greis, und letzen Endes die von der Blutsgruppenforschung aufgedeckten Typenunterschiede.

Blicken wir zurück von der Rassenforschung her auf die verschiedenen Lehren, die wir für die Rassenideologie kennzeichnend fanden, so fallen ihre Wertmonopolisierungen zunächst dahin. Keine Naturwissenschaft wertet. Geschichtswissenschaft und Philosophie, die allerdings Werte zu erkennen haben, sehen Wert und Kultur bei allen Rassen und ihrer Eigenart. Die Tuschmalerei der Chinesen muss dem Erkennenden so lieb sein wie die Musik der Deutschen und der russische Roman wie die Epen der Negerkulturen. Etwas anderes ist, was man selbst verwirklichen kann und soll. Die Achtung vor dem Fremden muss sich mit der Verwirklichung des eigenen Wesens verbinden. Jeder pflege das Eigene ununterdrückt [399] und ohne zu unterdrücken. Jeder würdige den Andern und lerne von ihm. So allein wächst die Wertfülle der Menschheit. Wertmonopole gibt es nicht. Gerade alle die haben so gedacht, denen, wie Lessing, Herder, Goethe, das deutschc Wesen seine gültigen Gestaltungen verdankt.

Zum zweiten angeführten Ideologiemerkmal ist zu sagen, dass es noch nicht gelungen ist, einen Faktor zu finden, dessen Unwandelbarkeit durch Milieuwirkung oder spontane Mutation auszuschliessen wäre, geschweige übrigens einen seelischcn Faktor. lm Schädelumfang glaubte man lange die grundlegende Invariante gefunden zu haben. Die Wertbezogenheit solcher Annahmen auf Verherrlichung und Interesse der "Langschädel" war klar. Im Flor des Schädelwahns schrieb Vacher de Lapouge "Es ist selbst für einen Gelehrten unwiderstehlich zu sehen, dass die Geschicke eines Menschen von zwei oder drei Millimetern mehr oder weniger Länge oder Breite seines Schädels abhängen."

Diese Blütentriiume sind nun längst erfroren. Rundschädelig, also minderwertig waren nach Weidenreichs wohlbelegter Aufzählung unter Anderen : Helmholtz, Bismarck, Erasmus, Kant, Schopenhauer, Leibniz usw. Natürlich waren ebensoviele bedeutende Leute langschädelig. Extrem langschädelig sind aber auch gerade die primitivsten Australneger. Für die Ausbildung der Gehirnzentren ist, anatomisch gesehen, Lang- oder Kurzschädeligkeit völlig gleichgültig. Merkwürdig sind die Feststellungen, durch die Ammon überrascht wurde, nach denen z. B. in mehr von Langschädeln bewohnten Gegenden Badens auch die jüdischen Rekruten relativ langschädelig sind. Die dadurch aufgeworfene Frage nach der erblichen Wandelbarkeit der Schädelform unter noch wenig erforschten Milieueinflüssen wird dann entscheidend aufgenommen von Boas und seiner Schule. 1910 und 1911 erscheinen in Washington seine Feststellungen über die "Change in bodily form of descendants of immigrants". Hier erweisen umfangreiche Untersuchungen an den amerikanischen Einwanderern und ihren Kindern, dass die verschiedenen lang- und kurzschädeligen Menschengruppen schon in den ersten beiden Generationen ihre Schädelmasse um ein Erhebliches in der Richtung auf einen mittleren Einheitstypus hin verändern. Für Boas selbst war dies Ergebnis seiner Massenmessungen überraschend. Es zeigt, wie sehr wir geneigt sind, die Wirkung von Milieu und Tradition auf den Menschen in der bewussten und überhaupt der individuellen Dimension zwar zu überschatzen, ebensosehr aber sie in der Erbdimension zu unterschätzen. Die Bedeutung dieser Dinge, insbesondere für die Probleme der Rassenentstehung und Rassenveränderung liegen auf der Hand. Nachdem auch andere Versuche, z. B. mit Hilfe der Kretschmerschen Konstitutionstypen, Invarianten zu finden, gescheitert sind, dürfte es jetzt allmählich allgemeine wissenschaftliche Anerkennung finden, dass man kein starres System menschlicher Rassen konstruieren, sondern nur im Sinne von Eickstadt eine Rassenkunde und vor allem Rassengeschichte der Menschheit geben kann. Auch das ist natürlich nur fragmentarisch möglich. Je mehr man mit den gewaltigen Aufgaben, die hier liegen, Ernst machen wird, desto mehr wird man dem Unfug der statischen Charakteristik gleichsam vom Mond gefallener Rassentypen ein Ende bereiten. [400] Dass die Wissenschaft selbst für die frühesten Zeiten keine unvermischten Urrassen kennt, erwähnten wir bereits. Die Frage verläuft in das grosse Dunkel der Vorgeschichte hinein. Alle geschichtlichen Nationen sind Einheiten des historischen Schicksals, zu dem zumeist Einheit von Kultur und Sprache, Recht und Tradition hinzutreten. Historische Erlebnisse jedenfalls stehen am Ursprung der Nationalideen, und diese Nationalideen selbst sind für den Umfang der Nation konstitutiv. Biologisch stellen die Nationen alle sehr komplizierte Mischgebilde, sogenannte Rassengemenge dar, Mischungen von Mischungen von Mischungen usw. Die Erforschung der biologischen Zusammensetzung des Deutschtums ist im letzten Jahrzehnt erfreulich gefördert worden. Den, wie mir scheinen will, glücklichsten Versuch einer vorläufigen Zusammenfassung dieser Forschungen stellt F. Kerns "Stammbaum und Artbild der Deutschen" von 1927 dar. Das Deutschtum hat drei grundverschiedene Bestandteile seiner durchgehenden biologischen Mischung, den nordischen, den darischen und den alpinen. Hier ist noch alles in den Anfängen, aber es ist klar, dass die Forschung sich in der Richtung auf immer weitere Differenzierung bewegt.

Bleibt die Frage, ob relative Reinrassigkeit, also eigentliche Wohlerhaltenheit eines älteren Vitaltypus, der natürlich auch schon aus Mischungen hervorging, besondere Werte verbürgt, etwa eine besondere kulturelle Produktivitat besitzt. Die Zurückführung der Hochkulturen auf eine einzige Rasse dürfte aussichtslos sein. Es hat eine chinesische Kultur gegeben, der wir z. B. Papier und Porzellan, leider auch die missbrauchtesten Erfindungen, nämlich Schiesspulver und Druckerkunst, zu verdanken haben. Buchstabenschrift und entscheidende Formen der Religion und Moral stammen von Semiten her. Die Aegypter, die Babylonier, die Inkas, die von Frobenius gewürdigten Negerkulturen — die Polyphonie der Kulturen ist unerschöpflich. Ernsthaft diskutabel ist die Frage nach einem kulturellen Leistungsprimat der "Norden" allenfalls für Europa, wenn wir von dem sehr komplexen Entstehungsproblem der indischen Kulturen absehen. Für Europa aber gerade hat die Forschung wahrscheinlich gemacht, dass von besonderen Rassenmischungen seine kulturellen Blütezeiten begünstigt waren. So hat z. B. Sommer die Auffassung Woltmanns berichtigt, nach der die italienische Renaissance eine Frucht reinen nordischen Blutes sein soll. Nicht in den nördlichen Stammsitzen, wo er relativ rein blieb, sondern da, wo er sich vermischte mit den Rassentypen der Mittelmeerländer oder in Süd-, Mittel- und Westdeutschland vor allem mit darischen und alpinen Typen, hat der nordische Mensch die Kulturblüte Europas getragen, also offenbar mit-getragen. Kulturell fruchtbar war gerade die Mischung der alteren Bevölkerung mit nordischen Stämmen in Griechenland und Italien, in Frankreich und Deutschland. Die Geschichte des Austauschs zwischen Okzident und Orient zeigt vollends, wie sehr lebendige Berührung der Rassen untereinander die Geschichte der europaischen Kultur günstig bestimmt hat. Um ein Beispiel zu nennen, erinnern wir an den Einfluss der arabischen Kultur auf die des hohen Mittelalters.

Im übrigen können wir weder Rassencharaktere noch Nationalcharaktere [401] psychologisch festlegen, da jedes historische Schicksal mit unabsehbarer Wirkkraft in sie einzugreifen vermag. Über nichts verbreitet sich das Literatentum aller Stufen von jeher lieber als über die unterscheidenden Charaktere der Völker, die man dann unmerklich mit dan Rassen begrifflich zusammenfliessen lässt. Der Deutsche, der Franzose, der Engländer, der Jude, der Russe sind dankbare Themen der höheren Journalistik. Zu ihr gesellt sich etwa Lenz als Vertreter wissenschaftlicher Rassenforschung mit wahrhaft überraschenden Einblicken in die russische Seele: "Die stark mongolisch gemischten Rassen sind stärker im Leiden und Erdulden als in der befreienden Tat." "Von Natur passiv... ziemlich sanft... bereit zu gehorchen". Kriegszeiten pflegen geradezu eine Inflation solcher interessanten Feststellungen zu bescheren, die den jeweiligen Hassuggestionen der Masse nachfolgen. Die meisten solcher Darstellungen sind, von ihrer Tendenz abgesehen, mit dem bekannten Reisebericht zu vergleichen, den der Mann gab, der in Paris von einem rothaarigen Kutscher gefahren wurde: "Die Franzosen sind rothaarig, etc.". Liegt ihnen eine breitere Erfahrung zugrunde, so kommt ihnen zweifellos ein Wert zu. Dieser Wert ist aber historisch, und ihre Wahrheit ist immer schon die der Vergangenheit, aus der keine sicheren Vorausbestimmungen zu entnehmen sind. Daher kommt es auch, dass nur der ein Volkswesen wirklich tiefgehend charakterisieren kann, der seine Traditionen, seine Geschichte, seine Sprache und Literatur von Grund auf kennt. Damit wird etwa der Abstand von Curtius und seiner einzigartigen Frankreichkenntnis bis herab zu den "glänzenden Formulierungen" Sieburgs bezeichnet. Die zukünftige Wesensentfaltung eines Volkes kann aber überhaupt keine Theorie erfassen und begrenzen; allenfalls kann der sie vorausahnen, der an ihrer aktiven Vorbereitung beteiligt ist. So sind es allein Männer wie Gorki gewesen, die den russischen Nationalcharakter ganz anders, nicht nur als das Klischee, sondern auch als die Kenntnis der Gelehrten erfasst haben. Sie gehörten ihm zu und setzten ihre schöpferische Kraft in seine Veränderung ein. Völkerzukunft ist stets Schöpfung. Im Namen etwa einer Wesensbestimmung des Deutschen oder des Franzosen einer neuen Richtung in den Weg zu treten, Iäuft meist auf den Versuch heraus, die Zukunft mit einer Vergangenheit zu schlagen. Dieser Versuch, meist auch noch mit Hilfe eines legendär verfälschten Bildes der Vergangenheit unternommen, ist bezeichnend für die Ideologie zukunftsfeindlicher, gesellschaftlich niedergehender Menschengruppen.

Die Tendenz zur Hypostasierung von Typen zeigt sich übrigens nicht allein in den Diskussionen der Rassenlehre, sondern stellt eine der grossen geistigen Gefahren unseres Zeitalters überhaupt dar. Die Besonnenheit eines Max Weber ist hier längst vergessen worden. Es muss daran erinnert werden: Typen kann der Psychologe und Soziologe mit Freiheit bilden, soviel er will, wenn er sich immer und restlos darüber klar ist, dass dem Typus keine besondere Realitat entspricht, sondern dass es sich um Hilfsmittel handelt, deren Wert einzig in ihrem Dienst zur Erfassung von Realitäten liegen kann. So kann ich sehr wohl nationale Typen und solche einer internationalen Schicht konstruieren, nie aber kann der Typus eine Norm für die Zukunft bieten: er hilft zur Erkenntnis des Seienden und damit wesentlich des Vergangenen. Schon Wahrnehmung haben wir nur von Vergangenem; [402] Erwartungen sind ja etwas anderes als Erkenntnisse. Zumeist sind Typen umso fruchtbarer gebildet, je mehr reale Bestimmungen sie zu einer begrifflichen Einheit integrieren. Z. B. ist ein Typus "der Arbeitslose" schlecht gebildet, weil die wirklichen Individuen sehr wenig oder nichts gemeinsam haben, in deren Erkenntnis das Ziel gelegen ist. Dagegen sind schon besser, in aufsteigender Linie, Typenbegriffe wie der "europäische Arbeitslose in der kapitalistischen Gesellschaft", der "deutsche Arbeitslose der Nachkriegszeit", usw. Je genauer, desto besser, ausgenommen nur, wo es für gewisse Schlüsse auf erweiterte Überblicke ankommt. In der Psychologie ist ein Typenbegriff in der Regel umso fruchtbarer, je mehr die durch ihn herausgehobenen Strukturen innerhalb der faktischen Gesamtstruktur wirklicher Menschen bedeutsam sind. Typen sind Weisen des Hinblicks, die gewisse Züge der Realitat kenntlich machen sollen. "Der Arier" ist, ausserhalb der vergleichenden Sprachwissenschaft, ein schlecht gebildeter Typenbegriff.

Wie steht es nun mit dem Zusammenhang biologischer Typenunterschiede und sozialer Schichtung? Im Anfang der Staaten besteht ein solcher Zusammenhang deutlich. Die soziologische Schule in der Staatslehre weist auf die regelmässig auftretende Erscheinung hin, dass der Staat aus der Unterwerfung einer Stammesgemeinschaft durch eine andere entsteht: "Aus verschiedenen Menschenstämmen, so sagt Gumplowicz, entsteht der Staat, und nur aus ihnen bestehet er." Meist ist es ein wanderndes kriegerisches Volk der Hirten oder Seefahrer, das ein sesshaftes Bauernvolk überwindet und über dem fleissigen Dienervolk seinen Staat aufrichtet, wie die Normannen in England oder Russland, die Mandschus in China usw. Blut und Eroberung bezeichnen die Geburt des Staates. Von einer Höherwertigkeit des nun herrschenden Volkes kann natürlich nur insofern die Rede sein, als es eben gesiegt hat, wie die Römer über die Karthager und die kulturüberlegenen Griechen, die Germanen der Völkerwanderung über die Römer, die Tartaren über die halbe Welt, die Türken über die Armenier und alle möglichen anderen Völker. Im Fortgang der Geschichte vermischen sich biologisch wie kulturell das siegreiche und das unterworfene Volk. Ist das letztere kulturstärker, so kann es sogar Kultur und Sprache der Gesamtnation seinen Stempel aufdrücken: Enkel von Langobarden, Franken, Normannen sprechen neurömischen Laut. Es setzt nun ein Vorgang ein, dessen Resultat in der materialistischen schärfer als in der übrigen Soziologie gesehen wurde. Während die Struktur des Staates erhalten bleibt, während die Organisation einer Menschengruppe zur Unterdrückung von anderen beharrt, werden im Lauf der Jahrhunderte aus Völkern Kasten und Stände, schliesslich Klassen im modernen Sinne. Der eigentlich moderne Staat besteht in Europa etwa seit 1789, und in ihm ist nun zweifellos die beherrschende Struktur eine rein ökonomische Klassenordnung ohne jedes biologische Fundament. Biologische Unterschiede der Klassen sind nunmehr durchaus als Folge, nicht als Ursache der Verschiedenheiten ihrer Klassenlage anzusehen. Da geschieht es, wie durch eine Ironie der Geschichte, dass gerade in diesem Moment eine Ideologie auftritt, die nun nicht mehr zur Wirklichkeit passt, die freilich immerhin aus dem zähen Gedächtnis der Völker einen Teil ihrer Überzeugungskraft [403] Ziehen mag. Die Maskerade des Heutigen im Gewand der Vorzeit soll seltsamerweise zu einer Rechtfertigung dienen.

Da die gewaltige Entfaltung der modernen Biologie biologische Fragen in das Zentrum auch der soziologischen Diskussion stellte und in der Philosophie seit Nietzsche Anlass gab zur Herausbildung biozentrischer Weltbilder von sehr verschiedenem Wert, deren bedeutendste das von Bergson und in einigem Niveauabstand das von Klages sind, stellte sie die Probleme der Rasse in neuer Dringlichkeit auf. Die Ergebnisse der Forschung genügen, um die Rassenideologie und ihr Epiphänomen, den Blutsmythos, zu widerlegen. Dagegen sind die Ergebnisse der Rassenforschung selber, besonders nach der psychischen Seite hin, noch recht unbefriedigend, und die anthropologischen Voraussetzungen noch wenig geklärt. Sobald die psychologische Seite in Frage kommt, tritt besonders deutlich hervor, dass natürlich auch die wissenschaftlich ernst zu nehmende Rassenforschung nicht ohne gesellschaftliche Beeinflussung ihren Weg geht.

Dies soll wenigstens ein Beispiel zeigen, das ich der amerikanischen Forschung entnehme, die durch Umfang und Gründlichkeit der Tatsachenbefragung hier an erster Stelle steht. Porteus und Babcock haben die verschiedenen Rassen, die die Insel Hawaii bevölkern, rassenpsychologisch vergleichend untersucht. Dabei war die beherrschende Fragestellung die nach einem psychologischen Faktor, den sie "social efficiency" (soziale Tauglichkeit) nennen und den Porteus bei seinen Untersuchungen an abnormen Jugendlichen erarbeitet hat, Dieser Faktor erschien zerlegbar in verschiedene Einzelfaktoren, die in der Tat miteinander in einer engen psychologischen Strukturbeziehung stehen. Es gehoren dazu: Planungsfähigkeit, die Fähigkeit, impulsive Handlungen und Reaktionen zu hemmen, Stabilität des Interesses, Fähigkeit der Selbstkontrolle, Widerstandsfähigkeit gegen Suggestion und emotionelle Erregbarkeit, Fehlen von Stimmungsschwankungen und Aggressivität. Die Zusammenstellung ist ganz gut, und jede Eigenschaft wird auch mit verschiedenem Gewicht ziemlich zutreffend gewogen. Das Ergebnis zeigt an erster Stelle die Japaner, in kleinem Abstand die Chinesen, dann in sehr weitem Abstand die Portugiesen, dann die Hawaiier, Philippinos, Portoriker. Das Zahlenverhaltnis im Tauglichkeitsindex ist 86, 83, 60, 51, 33, 33.

Es ist nun nicht eben schwer, hier das unbewusste gesellschaftliche Moment in der Interessenrichtung der Forschung wirksam zu sehen. Es überrascht nämlich nicht, wenn nachträglich festgestellt wird, dass diese Rangfolge der sozialen Tauglichkeit fast ganz zusammenfällt nicht nur mit der Leistungsfähigkeit auf der Schule, sondern namentlich mit der im Erfolg erwiesenen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Was man geprüft hatte, war eben haargenau die Eignung, dem Idealbild des homo oeconomicus modern angelsächsischer Pragung zu gleichen und in seinem Wirtschaftsystem Erfolg zu haben. "Social efficiency" ist ein sehr wandelbarer Faktor. Max Weber, Sombart und die vertiefte sozialhistorische Forschung haben die Mehrheit möglicher und wirklicher Grundformen des Wirtschaftsethos aufgezeigt. Viele Arten der Wirtschaft sind dem Kapitalismus vorangegangen. Sie alle kannten andere Gesinnungen des Wirtschaftens, und soziale Tauglichkeit war in solch anderen Gesellschaftsformen etwas wesentlich [404] Anderes. Wie banausisch wäre es weiterhin, den Wert etwa des schonheitsbegabten und musikalischen Volkes der Hawaiier an der sozialen Tauglichkeitstabelle ablesen zu wollen. Das Ideologische dieser Forschung liegt also in ihrem einseitigen Interesse fur diejenigen Seiten des Menschen, die zum Erfolg im kapitalistischen Wirtschaftssystem führen. Die subjektive Mentalitat von Porteus und Babcock verrät sich ungewollt.

Oder nehmen wir die Intelligenzprüfungen, welche die Amerikaner im Kriege an zwei Millionen Rekruten durchgeführt haben. Hier ergab sich gewaltige Überlegenheit der Angelsachsen und in zweiter Linie der Weissen überhaupt über alle Farbigen. Das Ideologische liegt hier in einer doppelten Fehlerquelle. Erstens gehört wohl der Intelligenzbegriff selbst, nach dem man prüft, wie Clauss gelegentlich hervorhebt, der weissen Rasse, dem Angelsachsentum, der kapitalistischen Welt an. Dies Resultat gleicht also etwa der Feststellung, dass von allen Menschen doch die Holländer am häufigsten und besten holländisch sprechen. Zweitens ist der soziale Faktor so gut wie gar nicht berücksichtigt. Jedermann weiss, dass das altsässige Angelsachsentum in Nordamerika sozial durchaus anders gestellt ist als die Polen, Russen und Neger. Schon aus diesem Grunde ist das Resultat unmittelbar rassentheoretisch unbrauchbar, so interessant es auch in anderer Hinsicht sein mag.

Es ist aber auch nicht schwer zu sagen, worin dennoch der Wesensunterschied zwischen solcher Forschung und der puren Rassenideologie gelegen ist. Sind hier nur die Richtungen der Fragestellungen gesellschaftlich bestimmt, so ist es etwa bei Günther oder bei Lothrop Studard das Ergebnis selber. Diese Leute haben Ergebnisse, ehe sie überhaupt Fragen haben, und sie fragen selber nie im Ernst, daher treiben sie nie eigentliche Wissenschaft. Auch die Annahme allgemeiner sozialer Gebundenheit jeder wissenschaftlichen Forschung hebt den gewaltigen und unuberbrückbaren Unterschied zwischen Ideologie in wissenschaftlicher Verbrämung und Wissenschaft nicht auf. Ganz falsch ist die Vorstellung, das Gesamt der Fragen und Ergebnisse der bürgerlichen Wissenschaftsarbeit könne eines Tages plötzlich jeden Wert verlieren. In unserem Falle ist entscheidend, dass etwa die Forschungsergebnisse von Porteus und Babcock, auch von ganz anderem Standpunkt betrachtet, interessant bleiben. Wie ich den von ihnen herausgestellten Faktor werte, überlassen diese Forscher ja mir. Ihre Methoden, und was sie eigentlich prüfen, legen sie klar genug zu Tage. Ich brauche nur ihr wirklichkeitshaltiges Ergebnis mit dem Index "Erforschung der Eignung nationaler Gruppen zum Erfolg im kapitalistischen Wirtschaftsleben einer angelsächsischen Handels- und Exportkolonie" zu versehen, und diese Ergebnisse sind auch für mich gar nicht zu verachten. Interessant bleibt z. B. die bedeutend überlegene Rationalitat der gelben Rasse gegenuber den Südeuropaern. Ist also die Wissenschaft auch nie sozial ganz ungebunden, so erlaubt sie uns doch, ihre Fragestellungen zu durchschauen und ihre Ergebnisse von den Werturteilen zu isolieren, die in diesen Fragestellungen notwendig mitenthalten sind. Psychologisch gesehen, zeigt sich hier der Gegensatz von sachgebundenem und im Sinne von Bleuler autistischem oder dereistischem Denken.

Was sich so an Einzeluntersuchungen zeigen lässt, lässt sich auch an [405] Grundproblemen erweisen. Erne Frage, die hier von ganz besonderer Bedeutung ist, ist die namentlich seit Darwin gestellte Frage nach der Vererbung des Erworbenen. In der Leugnung dieser Möglichkeit treten zwei naturwissenschaftliche Tendenzen hervor, deren eine mehr die Psychologie der Forscher, deren andere mehr die gesellschaftliche Funktion der Forschung bezeichnet.

Man kann leicht beobachten, dass einer nicht geringen Zahl von Menschen, namentlich von Medizinern ganz verschiedener politischer Richtung, heute der Gedanke der Rassenhygiene zu einer Art von Religion geworden ist, d. h. zu einer besonderen und sehr intensiven Form des allgemeinen Fortschrittsglaubens, der sich so gem für wissenschaftlich begründet halten möchte. Ist aber die Vererbbarkeit des Erworbenen wirklich abzuweisen, so folgt daraus, dass der Menschheitsfortschritt ganz allein durch Rassenhygiene geschehen kann. Der halbbewusste Wunsch, dieser Medizinergottheit völlige Alleinherrschaft zu sichern, führt dann also zu auffallend betonter Ablehnung der Möglichkeit, durch Erziehung oder Milieugestaltung eine Änderung des Erbgutes und einen Dauerfortschritt der Menschheit zu erzielen. Bei Lenz z. B. ist dies Motiv klar. Ehenso klar ist die gesellschaftliche Funktion. Sie ist gegeben durch die Entwertung der Milieuwirkung, also die Geringwertung aller sozialen Veränderungen.

Auf der andern Seite mag die Annahme der Vererbung des Erworbenen auch nicht immer frei sein von dem ausserwissenschaftlichen Wunsch, die endogene Wandelbarkeit der Rassen zu erweisen, die allerdings durch Boas und Andere auch ohne diese Annahme gesichert erscheint. Immerhin würde die Annahme einer solchen Vererblichkeit eine gewaltige Plastizität der Rassen, Unstetigkeit der vitalen Typen, einschliessen und namentlich auf die Frage der Rassenentstehung ein neues Licht werfen. Wie die Dinge heute wissenschaftlich liegen, kann man die Vererbbarkeit des Erworbenen weder schlechtweg leugnen, noch schlechtweg behaupten. Die klassische theoretische Begrundung der Leugnung durch A. Weissmanns Trennung von Soma und Germen ist insofern überholt, als zwar die Würdigung der Keimzelle als des alleinigen Erbträgers anerkannt wird, man aber immer mehr dazu kommt, auch diese Keimzelle in Verbindung mit dem Gesamtorganismus und seinen Wandlungen zu betrachten. Nichts zwingt uns ja, bei der ganzheitlichen Betrachtung der organisehen Wandlungen vor der Keimzelle haltzumachen. Dass der abgeschnittene Mäuseschwanz und die erlernte Kenntnis der chinesischen Sprache sich nicht vererben, erscheint wahrscheinlich, ob aber Modifikationen der physio-psychischen Gesamtstruktur unvererbbar sind, ist sehr die Frage. Ein Forscher und Denker von überragender Bedeutung, Bleuler, nimmt diese Vererbbarkeit an und halt mit guten Gründen Kammerers bekannte "Brunstschwielen" für echt, führt auch andere Experimente in gleicher Richtung an. Wie sehr wir theoretisch zu solcher Annahme gedrängt sind, erhellt z. B. daraus, dass in demselben Werk, in dem Lenz den Lamarckismus und mit ihm alle Annahme einer Vererbung des Erworbenen leidenschaftlich bekämpft, E. Fischer bei seiner, übrigens sehr anfechtbaren Theorie von der Entstehung des Menschen sich zwar nicht dem Wort, aber der Sache nach durchaus entgegengesetzter Vorstellungen bedient. Auslese und Mutation reichen [406] ja schon darum nicht zu, um die Entstehung von Gattungen irgendwie aufzuklären, weil die Fixierung der Mutationen zur Frage steht. Dass das Ausleseprinzip seinerseits eben nur auslesen, nicht aber hervorbringen kann, hat wohl Driesch entgültig festgestellt. Es kann nicht die Entstehung, sondern nur den Untergang von Arten verständlich machen. Darf also die Vererbung solcher Erwerbungen, die in die Gesamtstruktur des Lebewesens eingreifen und die Keimzellen mitmodifizieren, auch noch nicht als bewiesen angesehen werden, so gilt doch jedenfalls, dass irgendwelcher Evolutionismus der Arten ohne solche Annahme undurchführbar ist. Welcher Naturforscher wird aber zurück zu Linné wollen, nur um Lamarck in allem und jedem zu vermeiden! Uns scheint, in jeder konsequenten Evolutionslehre muss ein Stück Lamarckismus stecken, wie wohl auch in der Darwins, der kein Darwinist war. Auch hier geht jetzt die amerikanische Forschung neue Wege, namentlich nachdem H. G. Müller im "Amerian Naturalist" 1930 über künstliche Erzeugung von Mutationen durch Bestrahlung berichten konnte. Jeder neue Fortschritt der Erbbiologie wird auch die Rassenlehre vor neue Aufgaben stellen. Ihre Entwicklung zu einer immer grösseren Betonung des Wandelbaren gegenüber dem Wunsch statischer und wertbetonter Typencharakteristik scheint immer weniger vermeidbar zu werden. Jedenfalls sieht man hier, wie ein rein naturwissenschaftliches Grundproblem sich nie ganz ablösen lässt von gesellschaftlichen Streitfragen.


La doctrine des races comme idéologic et comme science (au sujet de la nouvelle littérature sur le problème des races).

L. démontre par une analyse approfondie de la plus importante littérature sur les questions de la race que l´idéologie moderne des races manque de solidité. Celle-ci a quitte la base d’un traitement sérieux et objectif du problème et — en dehors de quelques livres supérieurs — ne sert plus qu'à remplir certaines fonctions politiques et sociales.

Anthropology and Race Theories. (Recent Literature on the Race Problem).

In an exact analysis of the most important literature on race problems L. demonstrates the scientific untenability of modern race theories. These have completely abandoned serious and factual treatment of the race problem and simply serve to maintain certain political and social functions.


  1. Vgl. u. a. Correspondance entre Gobineau et Prokesch. 1854-1867. Paris 1933; Gobineau, Religion et philosoplie dans l'Asie centrale. Paris 1933; Eugène Pitard, Les races et l'histoire, in: L'Evolution de l'Humanité V; Hommes, races et coutumes, Paris 1931; Hans F. K. Günther, Rassenkunde des deutschen Volkes. 17. Aufl., München 1933; von Eickstadt, Rassenkunde und Rassengeschichte der Menschheit. Erscheint in Lieferungen ab 1933 (auf dieses grundlegende Werk wird nach seinem vollständigen Erscheinen zurückzukommen sein); Baur-Fischer-Lenz, Menschliche Erblichkeitslehre und Rassenhygiene. 2 Bde. 4. Aufl., Munchen 1933. — Übersicht über neuere deutsche Literatur zur Rassenfrage in: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, Nr. 198, 26. August 1933.