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Seite:Zeitschrift für Sozialforschung Jahrgang 2 Heft 3.pdf/72

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Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 3

Eine erste solche Funktion besitzt die Wertmonopolisierung für die kolonisatorische Unterwerfung farbiger durch weisse Völker. Hier kann sie im Zeitalter des Imperialismus an die Stelle oder an die Seite der älteren Missions-Ideologien treten und jede Form der Ausbeutung begründen. Der Rassenunterschied der "Weissen" von den Schwarzen, Gelben und Braunen ist gegeben, und er ist leicht umzudeuten etwa in einen Unterschied von Herrenvölkern und Sklavenvölkern, jedenfalls in einen recht stabilen Wertunterschied. Schliesslich wenden die Japaner die gelernte Theorie schon ganz munter gegen die "chinesische Rasse" an. Wann gegen die Weissen?

Ist das Schema einmal gewonnen, so kann es den ursprunglich religiösen Antisemitismus in neuer und radikalerer Weise begründen, kann in Kämpfen zwischen Industrie- und Bankkapital, Stadt- und Landwirtschaft, Kleinhandel und Warenhaus, endlich im Konkurrenzkampf auf einem zu eng gewordenen Arbeitsmarkt Verwendung finden. Immer geht es urn das Recht der Zurücksetzung und Unterwerfung von Menschen durch Menschen. Daber sind Sozialismus und Rassenideologie geborene Feinde: nicht etwa weil jener den Blödsinn einer biologischen Gleichheit aller Menschen behauptete, sondern weil er gegen jede Knechtung und Ausbeutung des Menschen durch den Menschen sich wendet. So ist es ja z.B. auch selbstverständlich, dass Mann und Frau biologisch höchst verschiedcne Wesen sind, aber es ist verwerflich und abgeschmackt, daraus ein Wertmonopol des Mannes zu folgern und eine faktische Ausbeutung der Frau zu begründen. Ein Weisser ist ein Weisser und ein Chinese ein Chinese. Beiden sollte dazu geholfen werden, ihre spezifischen Anlagen und Werte in Freiheit und zum Vorteile der Gesamtmenschheit zu entfalten.

II. kennzeichnen sich die Rassenideologien durch eine Geringschätzung der endogenen Rassenwandelbarkeit vor aller empirischen Untersuchung. Es wird als Dogma gesetzt, dass Rassen, die sich nicht vermischen, sich durch Wirkung von Umweltänderungen oder biologische Mutationen nicht oder doch nicht erheblich wandeln. In Wahrheit ist es eine schwierige Forschungsfrage, was sich wandelt und was nicht. Die Invariante müsste mindestens in irgendeiner bedeutsamen Hinsicht gefunden sein. Wir werden näher sehen, dass das nicht der Fall ist, obgleich sie vielleicht noch zu finden ist. Die gesellschaftliche Funktion dieser zweiten Lehre befestigt sozusagen die der ersten: d.h. diese Lehre hat zur genau gemässen Funktion die Stabilisierung, Verewigung bestehender Machtverhältnisse. Die Gruppe, die an der Macht ist, will sich biologische Höherwertigkeit und daraus entfliessende Rechtmässigkeit für alle Zeiten zuschreiben.

Mit dieser Invarianzlehre lässt sich ferner die Bedeutung sozialer Umweltverbesserungen herabsetzen. Man kann zu Folgen von Rassenminderwertigkeit machen, was durch Massenarmut, schlechte Wohnungsverhältnisse, schlechte Hygiene und Nahrung, ungesunde Arbeitsbedingungen, Alkoholismus verschuldet wird, und vermeidet die Kritik am Wirtschaftssystem aus einer Erkenntnis seiner Folgen heraus.

III. zeigt sich uns damit als Merkmal all dieser Lehren eine Gruppe von Annahmen über Bestand und Wert von „reinen Rassen". In dem Wort "rein" liegt hier schon ein Werturteil, gemeint ist unvermischt.

Empfohlene Zitierweise:
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg 1933, Heft 3. Librairie Felix Alcan, Paris 1933, Seite 390. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_Jahrgang_2_Heft_3.pdf/72&oldid=- (Version vom 30.5.2022)