RE:Iulius 54
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Agrippa (II.), M., König aus dem Hause des Herodes, Sohn von Nr. 53 | |||
Band X,1 (1918) S. 146–150 | |||
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54) M. Iulius Agrippa (II.) König aus dem Hause des Herodes, Sohn des vorigen (Marcus: Dittenberger Syll. or. 420. Münze bei Madden Coins of the Jews 146, Iulius: Dittenberger Syll. or. 421. In der Regel heißt er Ἀγρίππας allein). Agrippa wurde im J. 28 n. Chr. geboren (im J. 44 ist er 17 Jahre alt: Joseph. ant. Iud. XIX 354) und wie die meisten Prinzen dieser Dynastie in Rom erzogen. Dort weilte er auch, als sein Vater im J. 44 starb. Wegen seines zu jugendlichen Alters erhielt er jedoch die Nachfolge im Reiche nicht (ant. Iud. XIX 360ff.). Im J. 48 starb sein Oheim, König Herodes von Chalkis (s. über diesen o. Suppl. II S. 163ff.), ant. Iud. XX 104, und zwei Jahre darauf verlieh ihm Kaiser Claudius diesen kleinen Staat am Libanon (bell. Iud. II 223. Das J. 50 ergibt sich für den Regierungsantritt des Agrippa dadurch, daß nach bell. Iud. II 284 der große Judenkrieg des J. 66 im 17. Regierungsjahr des Agrippa beginnt). Gleichzeitig erhielt er die Aufsicht über den Tempel in Jerusalem und das Recht, den Hohenpriester zu ernennen (ant. Iud. XX 179. 203. 216ff.; vgl. bell. Iud. V 36). Wenn Agrippa später in Jerusalem weilte, wohnte er im Palast der Hasmonäer (ant. Iud. XX 189ff.). Gegen Ende des J. 53 mußte er Chalkis herausgeben, wo er im ganzen vier Jahre regiert hatte, erhielt aber dafür die Batanaia und Trachonitis, sowie am Libanon das Gebiet von Abila und die sog. Eparchie des Varus (Joseph. ant. Iud. XX 138; bell. Iud. II 247 dazu Schürer Gesch. d. jüd. Volkes I³ 587, 6). Er besaß jetzt das Kernland des Staates seines Vaters und zählte nunmehr zu den wichtigsten Vasallenkönigen Roms im Orient. Als das Reich im J. 54 gegen die Parther rüstete, erhielt auch er den Befehl, seine Truppen mobil zu machen (Tac. ann. XIII 7). Unter der Regierung des Nero erhielt er eine weitere Gebietsvermehrung; Josephus nennt zwei Städte in Peraea, zwei andere, darunter Tiberias, in Galilaea, sowie 14 Dörfer (ant. Iud. XX 159; bell. Iud. II 252). Dieser Vorgang gehört wohl ins [147] J. 61 (s. u.). Agrippa zählte nämlich seine Regierungsjahre nach drei verschiedenen Ausgangspunkten. Der erste ist sein Regierungsantritt in Chalkis (im J. 50), danach zählt Josephus (s. o.) und ein Teil der Münzen. Die beiden anderen Ären gibt z. B. die Inschrift Dittenberger Syll. or. 426: ἔτους λζ’ τοῦ καὶ λβ’ βασιλέως Ἀγρίππα κυρίου. Das 37. Jahr der einen ist also gleich dem 32. der anderen. Die Anfangsjahre gibt folgende Überlegung: auf der zweisprachigen Münze Madden 157 entspricht das XII. Consulat Domitians einem 26. Jahr des Agrippa. Die Münze gehört also ins J. 86, folglich begann eine Ära des Agrippa im J. 61. Sodann trägt eine andere Münze (Madden 146) die Datierung: ἔτους αι’ τοῦ καὶ ς’. Das sind wieder die beiden um fünf Jahre auseinander liegenden Ären, hier J. 11 = J. 6. Da eine von ihnen im J. 61 beginnt, gehört die Münze ins J. 66 oder 71. Nun ist jedoch das Geldstück in Kaisareia Panias geprägt, welche Stadt hier Neronias heißt. Diesen Namen hatte ihr erst Agrippa selbst zu Ehren Neros gegeben (ant. Iud. XX 211); sie legte ihn indessen nach dem Ende Neros wieder ab (vgl. Head HN² 786). Also kann jene Münze nur ins J. 66 gehören, und die beiden Ären beginnen im J. 56, bezw. 61 (s. Mommsen Wiener numismat. Ztschr. III 451ff.). Auf den meisten Münzen des Agrippa wird nur eine Ära angewandt, Mommsen glaubte (a. a. O.), daß dies stets die des J. 61 sei, aber dann ergeben sich die ärgsten Widersprüche in der Titulatur der daneben auf den Münzen genannten Kaiser. Einen plausiblen Ausweg zeigt Macdonald Catalogue of Greek Coins in the Hunterian Collection III 290f. Danach datieren die Münzen teils nach der Ära von Chalkis, also vom J. 50 an, teils nach der des J. 61 (diese Jahre ziehe ich den von Macdonald selbst genannten 48 und 60 vor). Die historische Bedeutung der beiden Ären vom J. 56 und vom J. 61 ist leider nicht ganz klar. Am nächsten liegt es, in diesen beiden Daten die Jahre der beiden großen Gebietsverleihungen zu sehen, durch die das Reich des Agrippa seine spätere Gestalt empfangen hat. Für die Verleihung Neros würde das J. 61 allenfalls passen, aber den Tausch von Chalkis gegen die Batanaia usw. setzt Josephus ausdrücklich ins J. 53, also drei Jahre vor Beginn der früheren Ära. Vielleicht hat sich Agrippa das Privilegium des Claudius von der neuen Regierung bestätigen lassen, und dann offiziell seine Jahre im Ostjordanland von dieser Bestätigung an zählen lassen (vgl. auch Schürer 588, 7).
Als im J. 66 die Unruhen in Jerusalem begannen, hielt Agrippa sich gerade in Alexandreia auf. Er eilte sofort nach Jerusalem und suchte dort die Gemüter zu beruhigen, was ihm aber nicht gelang (Joseph. bell. Iud. II 309ff.). Er verließ die Stadt, sandte jedoch eine Reiterabteilung nach Jerusalem, um der gemäßigten Partei eine Stütze zu verleihen (bell. Iud. II 421). Seine Truppen wurden aber von den Aufständischen gezwungen, die Stadt zu verlassen (bell. Iud. II 437). In dem nun beginnenden Kriege hat Agrippa die Sache Roms eifrig unterstützt (Jos. bell. Iud. II 481ff. 500ff. 520ff. 556. 632. [148] III 29. 68. 443. 456ff.; vit. 46ff. 114. 154. 180ff. Tac. hist. V 1). Bei der Belagerung von Gamala wurde er selbst verwundet (Joseph. bell. Iud. IV 14). Als die Nachricht vom Tode Neros im J.68 in Syrien eintraf, schiffte sich Agrippa zusammen mit Titus, dem Sohne des kommandierenden Legaten Vespasianus, ein, um dem neuen Kaiser Galba persönlich seine Huldigung zu überbringen. Unterwegs erfuhr man den Tod des Galba; Titus kehrte darauf zu seinem Vater zurück, Agrippa fuhr indessen weiter nach Rom. Als darauf in Syrien die Proklamation des Vespasianus vorbereitet wurde, erhielt Agrippa davon eine Mitteilung. Sofort verließ er, ohne Wissen des Kaisers Vitellius, Rom und eilte nach dem Osten, um sich dem neuen Herrn zur Verfügung zu stellen (Tac. hist. II 81). Auch seine Schwester Berenike (s. o. Bd. III S. 287) die durch ihren Liebesroman mit Titus berühmt geworden ist, agitierte eifrig für die Sache der Flavier (Tac. a. a. O.). Zur Belohnung für seine Haltung hat Agrippa vom Kaiser Vespasianus eine neue bedeutende Erweiterung seines Gebietes erhalten (Iustus von Tiberias bei Phot. bibl. 33). Die einzelnen Gegenden, um die es sich dabei handelte, sind nicht bekannt. Gelegentlich bemerkt Josephus einmal, daß Arkaia am Nordende des Libanon zum Staate des Agrippa gehöre (bell. Iud. VII 97). Mit Recht hat Schürer diese Notiz mit dem Privilegium Vespasians zusammengebracht (a. a. O. 594). Es scheint demnach, als sei der Staat des Agrippa damals nach Norden erweitert worden. Im J. 75 machte Agrippa, zusammen mit Berenike, eine neue Reise nach Rom, bei welcher Gelegenheit er die Ornamente praetoria erhielt (Cass. Dio LXVI 15).
Das Reich des Agrippa war im wesentlichen ein syrisch-arabischer Staat mit griechischer Regierung. Die Juden bildeten nur eine Minorität der Bevölkerung (Joseph. bell. Iud. III 57; vgl. auch III 37. 445. IV 2ff.). Infolgedessen war auch das Verhältnis des Agrippa zum Judentum ein ganz anderes als das seines Vaters. Zwar hat er in Rom als junger Prinz sich mehrfach der jüdischen Interessen angenommen (ant. Iud. XV 407. XX 9ff.; bell. II 245), aber als Regent war er nur hellenistischer Fürst und römischer Vasall. So konnte er auch der christlichen Bewegung, die seinen eigenen Staat kaum berührte, gleichgültig gegenüberstehen, wie aus seiner berühmten Unterredung mit Paulus zu Kaisareia hervorgeht (Apostelgesch. c. 25f.). Im Ostjordanland, wo schon sein Vater regiert hatte, betrachtete man den Agrippa als angestammten Herrscher. Während seiner langen Regierung hat er hier eifrig an der Ausbreitung der hellenischen Kultur gearbeitet. Das beste Zeugnis des Erfolges sind die verhältnismäßig zahlreichen griechischen Inschriften aus der Zeit seiner Regierung, die in jenen Gegenden gefunden worden sind (Dittenberger Syll. or. 419ff. ein weiteres Fragment bei Clermont-Ganneau Archaeological Researches in Palestine I 499). Der eine oder andere Stein könnte auch seinem gleichnamigen Vater angehören, aber da die Regierung des Sohnes unendlich länger gewesen ist, wird man diese Inschriften besser hierher stellen. Am wichtigsten sind die in Canatha gefundenen Fragmente [149] eines Edikts des Agrippa (Dittenberger Syll. or. 424). Es beginnt: [Βασιλεὺς Ἀγ]ρίππας Φιλοκαῖσαρ [καὶ Φιλορω]μαῖος λέγει. Es folgt die Erwähnung einer θηριώδους καταστάσεω[ς], und dann der Satz: οὐκ οἶδ’ ὅπως μέχρι νῦν λ[αθόντες καὶ ἐν πολλοῖς τῆς χώ]ρας μέρεσιν ἐνφωλεύσ[αντες usw. Deutlich handelt es sich da um den Kampf gegen arabische Räuberbanden, die ihre Schlupfwinkel ,nach der Art wilder Tiere‘ in den Höhlen des Haurân suchten. Der König befiehlt, sie mit aller Energie aufzuspüren (s. Dittenberger zu d. Inschrift sowie Mommsen R. G. V 475). Ein anderes Edikt des Agrippa hat Clermont-Ganneau höchst scharfsinnig aus zwei vorher nicht verstandenen Inschriftfragmenten rekonstruiert (Recueil d’archéologie orientale VII 54ff.). Leider sind die Details hier ganz unsicher. Zur Deckung des Kulturlandes war eine militärische Organisation notwendig. Agrippa bildete zu diesem Zweck ein größeres Reiterkorps, das er in der Batanaia, Auranitis und Trachonitis rekrutierte (Joseph. bell. Iud. II 421). Einem Offizier des Agrippa gilt die Inschrift Dittenberger Syll. or. 425: Ἡρώδ(ῃ) Αὔμου στρατοπεδαρχήσαντι ἱππέων Κολωνειτῶν καὶ στρατιωτῶν καὶ στρατηγήσας βασιλεῖ μεγάλῳ Ἀγρίππᾳ κυρίῳ Ἀγρίππας υἱὸς ἐποίησεν (ἔτους) κ’ (= im J. 80 oder im J. 75, nach den beiden Ären des Agrippa). Ein ἔπαρχος βασιλέως μεγάλου Ἀγρίππα (wohl der Kommandant einer Militärstation, s. Mommsen R. G. V 475) findet sich Dittenberger Syll. or. 422. Die Ergebenheit des Agrippa gegen Rom kam, wie bei seinem Vater, schon im Titel zum Ausdruck. Formell hieß er (Dittenberger Syll. or. 419): Βασιλεὺς μέγας Ἀγρίππας Φιλοκαῖσαρ Εὐσεβῆς καὶ Φιλορωμαῖος, lateinisch nach einer in Baalbek gefundenen Inschrift (CIL III 14387): [rex] magnus Ag[rip]pa Pius Philocaesar et Philoromaeus. Den Römerstädten Syriens erwies er manche Aufmerksamkeit, für Berytus bezeugt dies Josephus (ant. Iud. XX 211), daß er auch zu Heliupolis in freundschaftlichen Beziehungen stand, beweist die zitierte Ehreninschrift, auf der er patronus col(oniae) genannt wird.
Aus dem Papyrus BGU II 511 (= Mitteis-Wilcken Chrestomathie d. Papyrusk. I 2, 24ff., vgl. Wilcken Abh. Sächs. Ges. Wiss. 1909, 800ff.) geht hervor, daß Agrippa unter der Regierung des Claudius einmal in Rom von Isidoros, Gymnasiarchen von Alexandreia, vor dem Kaiser angeklagt worden ist. Der Gegenstand der Anklage ist unbekannt. Das Verfahren endete mit der Hinrichtung des Isidoros wegen grober Beschimpfung des Claudius. Der Papyrus gehört zu den sog. heidnischen Märtyrerakten und dürfte in seinem tatsächlichen Inhalt auf das amtliche Protokoll des Prozesses zurückgehen (s. Wilcken a. a. O.). Aus diesem Zeugnis ergibt sich, daß Agrippa ebenso wie sein Vater von dem Haß der alexandrinischen Antisemiten verfolgt worden ist.
Das Todesjahr des Agrippa steht nicht ganz fest. Sicher ist zunächst, daß er im J. 92 noch gelebt hat; denn die Inschrift Dittenberger Syll. or. 426 ist datiert nach seinem 37. oder 32. Jahr. Nun soll nach Photios bibl. 33 bei [150] Iustus von Tiberias gestanden haben, daß Agrippa im 3. Jahre Traians gestorben wäre, also im J. 100. Aber dies kann nicht zutreffen, weil Agrippa in der Zeit, in der die Antiquitates des Josephus erschienen - also spätestens im J. 94 - offenbar schon tot war. In ant. Iud. XVII 28 spielt Josephus anscheinend direkt auf seinen Tod an (so richtig Niese Histor. Ztschr. LXXVI 227; anders urteilt Schürer 595). Noch wichtiger ist ein anderes Moment: Josephus hatte zu Agrippa in freundschaftlichen Beziehungen gestanden; er hatte ihm ein Exemplar seines Buches über den jüdischen Krieg übersandt und mit ihm eine Reihe von Briefen über diesen Gegenstand gewechselt (2 Originalbriefe des Agrippa bei Joseph. vit. 364ff.). Aber ant. Iud. XX 145 teilt Josephus mit größter Gleichgültigkeit mit, daß Agrippa ein Liebesverhältnis mit seiner Schwester Berenike unterhalten haben soll (dasselbe Gerücht auch Iuvenal. VI 158). So kann der Historiker nicht zu Lebzeiten Agrippas geschrieben haben. Es scheint demnach, als wäre Agrippa im J. 92 oder 93 gestorben (so urteilt auch Otto in seinem Stammbaum des Hauses des Herodes, o. Suppl. II nach S. 16). Dazu stimmt es vortrefflich, daß auch in der sog. Vita des Josephus, die sich unmittelbar an die Antiquitates anschließt, Agrippa als ein Verstorbener erwähnt wird (vit. 359), und überdies reichen die Münzen des Agrippa nur bis Domitianus (s. Madden a. a. O. Macdonald a. a. O. Head 809). Photios hätte demnach den Iustus von Tiberias mißverstanden. (Das überlieferte Todesjahr zu halten sucht Schürer 88. 599.) Das Todesjahr des Agrippa, als des letzten Königs der Juden, stand auch in dem sog. Chronographen des J. 354 (Chron. min. ed. Mommsen I p. 140), aber die betreffende Stelle ist so verwirrt, daß sich daraus nichts entnehmen läßt (vgl. auch Schürer 598). Verheiratet ist Agrippa nicht gewesen; vgl. noch über ihn: Joseph. ant. Iud. XVIII 194. 214; bell. Iud. II 595. 605. IV 81. V 152; vit. 38f. 343. 355ff. 407. Schürer 585ff. Prosop. imp. Rom. II 163f.