Haliartos. 1) Der Spiritus asper des Anlauts ist direkt bezeugt nur durch die ältesten Münzen (550–500) mit dem Zeichen ⊟. Der zweite Buchstabe war in der epichorischen Aussprache ein ρ. Die Münzen des 5. und 4. Jhdts. tragen die Legenden ARI, ARIARTIOϟ, API. Damit stimmen die Inschriften aus H. überein IG VII 1795. 2724 b. 2848. 4143. Endlich haben wir das Zeugnis des Lokalforschers Armenidas (FHG IV 339; s. o. Bd. II S. 1187. Radtke Herm. XXXVI 42f. ,kaum jünger als 300‘) bei Steph. = Herodian. I 222, 11 Lentz: Ἀρμενίδας δ' ἐν (?) τῷ ρ Ἀρίαρτόν φησιν. Die Form mit λ begegnet erst auf Münzen der letzten Periode (338–315) mit ΑΛΙ, auf den Inschriften IG VII 2724 (von Ptoion), 2850 (nach 168), CIG 1542, 7 = Syll.² 236 (aus Achaia). In den literarischen Texten herrscht durchaus die Form Ἁλίαρτος, gelegentlich findet
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sich Ἀλίαρτος. Das Gebiet von H., die Ἁλιαρτία (s. E. Meyer Theopomps Hellenika 96) nahm das ganze Südufer der Kopais ein und umfaßte jedenfalls die nördlichen Vorketten des Helikon; wo die Südgrenze verlief, ist unbekannt. Im Westen bildete die Grenze gegen Koroneia ein Felsrücken, der vom Westende des Leibethrion gegen die Kopais hinausläuft und mit dem steilabbrechenden Tilphusion, der heutigen Petra, dicht an den Sumpf herantrat (Paus. IX 33, 3). Im Osten reichte das Gebiet bis Onchestos (Strab. IX 412), wo ein Sattel von Schiefer und Konglomerat die Vorhöhen des Helikon mit einem isolierten Kalkberg westlich vom Phagás verbindet (Philippson Ztschr. Ges. Erdk. Berl. 1894, 17). Viele Quellen und die Bäche, die vom Gebirge kommen und freilich im Sommer alle vertrocknen, befruchten das Land, namentlich die Ebene östlich der Stadt, wo heute das Dorf (Megalo) Mulki liegt. Der zu H. gehörige Teil der Kopais war besonders wasserreich. Daher heißt H. Il. II 503 ποήείς, was Stat. Theb. VII 274f. umschreibt (vgl. zur Deutung der Stelle Helm Wochenschr. für Kl. Phil. 1908, 209) und Nonn. Dionys. XIII 71 mit ὑδρηλήν θ' Ἁ. nachbildet. Die Angabe Strabons IX 411 = Apollodor (Schwartz o. Bd. I S. 2867, 52f.) ἔκειτο δ'ἐν στενῷ χωρίῳ μεταξὺ ὑπερκειμένου ὄρους καὶ τῆς Κωπαίδος λίμνης charakterisiert die Lage der Stadt treffend. Zwischen den Dörfern Masi und Siacho erhebt sich ein spitzer Berg (vielleicht der von Plut. Lys. 29 erwähnte Alopekos), dessen steiler Fuß weit nach Nordosten vorspringt. Dicht an diesem entlang zog zu allen Zeiten die Straße, die die östliche und die westliche böotische Ebene miteinander verbindet, die Hauptverkehrsstraße Mittelgriechenlands. Nördlich der Straße springt wie ein Vorgebirge ein breiter, flacher Hügel aus dichtem gelbem Kalkstein weit in die Niederung vor. Seine Fläche steigt nach Norden hin zuerst langsam an; hier lag die Unterstadt. ,Dann erhebt sich darüber der Südrand der Akropolis von nur mäßiger Höhe. Die Akropolis hat die Gestalt eines verschobenen Vierecks mit vielfach ausgezackten und unterhöhlten Seiten‘ nach Norden, Osten und Westen, wo die Felsen 15–17 m hoch steil gegen die Ebene abbrechen. An der Südost-Ecke der Akropolis ,steht ein 9 Schritt langer und 4 Schritt breiter Turm, an den sich nordwärts ein polygonales Mauerstück anschließt. In der Nähe des Turmes liegt das besterhaltene Stück der südlichen Akropolismauer. Auf einer doppelten Reihe von horizontalen Quadern ruht ein polygonaler Überbau mit sorgfältig gearbeiteten Fugen. Etwas weiter westlich springt der Rand des Hügels etwas weiter vor; nördlich von diesem Vorsprung bemerkt man eine zweite polygonale Mauer, die wahrscheinlich als Stützmauer gedient hat. An den Vorsprung schließt sich weiter eine schlechtgefügte Mauer aus großen und kleinen Polygonen an. Andere Mauerstücke finden sich an der Nordostecke und in der Mitte der Westseite; letzteres hat eine Breite von 9'. Von der Stadtmauer sind noch weniger zusammenhängende Reste erhalten. Am Rande des Hügels, der sich von dem Turm bis zur Quelle Stemenias hinzieht, sieht man eine ziemlich bedeutende Strecke aus schönen Quadern. Im Inneren des Stadtgebiets läuft eine langgezogene Mauerlinie parallel mit dem Südrand der
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Akropolis. Ihren westlichen Endpunkt durchschneidet eine von Süden kommende zweite Mauer. Sie beginnt in der Nähe eines Hügels in der Südwest-Ecke des Stadtgebiets, auf dem die Fundamente eines viereckigen Baus liegen. An seinem Südrand und ostwärts in der Nähe der Straße liegen einzelne Quadern und Mauerstrecken‘ (nach Lolling Urbaedeker 218f.; s. darüber Bulle Orchomenos I 116, 2). Am Nordwestfuß des Burgfelsens entspringt die reiche Quelle Amoti, die Kissusa bei Plut. Lys. 28; denn die Thebaner hatten bei ihrem Angriff die Stadt zur Linken, gingen also nördlich um sie herum. In geringer Entfernung vor der Westfront der Stadt liegen mehrere Erdhügel bei einigen Quellen. An dieser Stelle hafteten vielleicht die Erzählungen von Alkmene und Rhadamanthys (s. o. Bd. I S. 1365, 51ff.). Auch das Grab des Lysander hatten die Haliartier sich angemaßt (Paus. IX 32, 5. 33, 1), während er nach Plut. Lys. 29 im phokischen Panopeus begraben war. Das Heroon des Kekrops (Paus. IX 33, 1) war vielleicht erst von den Athenern errichtet (Gurlitt Über Pausanias 225). Die beherrschende Lage an der wichtigsten Verkehrsstraße Mittelgriechenlands gab der Stadt mehr noch als die Fruchtbarkeit ihres Gebiets früh eine bedeutende Stellung. Sie hat neben Theben, Tanagra und Pharai allein unter den böotischen Städten größere Silbermünzen ältesten Stils (550–500) geprägt. Bei Delion 424 kämpften die Haliartier mit den andern Umwohnern der Kopais im Mitteltreffen (Thuc. IV 93). Im böotischen Bunde bildete H. zusammen mit Koroneia und Lebadeia einen Kreis, μέρος (Hellen. Oxyrh. bei E. Meyer Theopomps Hellen. 183). 395 fiel vor den Mauern der Stadt Lysander (Xen. hell. III 4. 17ff. Plut. Lys. 28f. Diod. XIV 81. Paus. IX 32, 5). Im dritten makedonischen Krieg brachte ihre römerfeindliche Haltung der Stadt das Verderben. Sie schloß sich an Perseus an (Polyb. XXVII 1, 8. 5, 3. Liv. XLII 44. 46), ward infolgedessen von dem Praetor C. Lucretius belagert und trotz kräftigen Widerstandes der von Koroneia aus unterstützten Bürgerschaft gestürmt. Die Bürgerschaft wurde niedergehauen, 2500 Mann, die sich auf die Burg geflüchtet hatten, ergaben sich am andern Tage und wurden in die Sklaverei verkauft. Die Stadt wurde ausgeplündert und dem Erdboden gleichgemacht (Liv. XLII 56. 63). Das Gebiet erhielten die Athener (Polyb. XXX 21, 9; Strab. IX 411), die es durch einen Epimeletes (o. Bd. VI S. 164, 16) verwalten ließen. IG VII 2850 erhält eine Ehrung für einen Epimeletes durch den Synodos der Kynegoi, deren Tamias er war. Daß das Stadtgebiet wieder besiedelt worden sei, wie Dittenberger meint, folgt daraus keineswegs (Holleaux 112, 1). Strabon sagt (IX 411) Ἁλίαρτος νῦν οὐκέτι ἐστίν, und Pausanias (IX 33, 3) weiß aus der Stadt nur einen Zug zu berichten: ἐν Ἁλιάρτῳ δέ εἰσι ναοί, καί σφισιν οὐκ ἀγάλματα ἔνεστιν, οὐκ ὄροφος ἔπεστιν· οὐ μὴν οὐδὲ οἷς τισιν ἐποιήθηααν, οὐδὲ τοῦτο ἠδυνάμην πυθέσθαι (zum Ausdruck Robert Paus. als Schriftst. 43). Die Vergleichung von IX 32, 5 und X 35, 2 ergibt, daß nach Pausanias’ Vorstellung die Stadt 480 wegen ihres Anschlusses an die hellenische Sache durch eine Abteilung des persischen Heeres zerstört und die
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Tempel infolge eines Schwurs der Hellenen nicht wieder aufgebaut worden waren. Daß die Tempelruinen, die Pausanias sah, aus dem J. 480 herrührten, erklärte Bursian für unglaubhaft. Koepp Arch. Jahrb. V 268f. verwies den Schwur der Hellenen ins Gebiet der Fabel und zweifelte die Zerstörung durch die Perser an (274 u. Anm. 22). Endlich hat Holleaux Revue de Philologie XIX 1895, 109ff. die Behauptung des Pausanias als ein grobes Mißverständnis erwiesen. Die Zerstörung von 480 erwähnt nur Paus.; Herodot, der die Gewalttaten der Perser genau aufzählt, schweigt von ihr; er nimmt von dem allgemeinen Medismos der Böotier nur Plataiai und Thespiai aus (VIII 32f. 50, 2); und bei Plataiai haben die Haliartier nicht mitgekämpft. Dagegen weiß Paus. nichts von der Zerstörung von 171. Es ist so gut wie sicher, daß Paus. durch den Ausdruck Περσικὸς πόλεμος, den z. B. Polybios gebraucht (III 3, 8. 5, 4. 32, 8 u. ö.), irregeführt wurde und den Bericht seiner Quelle über den dritten makedonischen Krieg auf den Perserkrieg übertrug. Über den Namen: O. Müller Minyer² 469 mit der älteren Literatur. Meister Bezzenb. Beitr. VI 1882, 48f.; Dialekte I 252. Kühner-Blaß I 279. Münzen: Imhoof-Blumer Numism. Ztschr. III 1871, 334ff.; Head HN² 345; Head-Svoronos Ἱστ. τ. νομ. I 433. Inschriften: IG VII 2848–2850. 2852. 2855–2857. Ἐφ. ἀρχ. 1909, 56. Geschichte und Topographie: Imhoof-Blumer 350ff. Bursian Geogr. I 232f. Vischer Erinnerungen 558ff. Frazer Paus. V 164ff. (die sonstige ältere Literatur 166). Hitzig-Blümner III 1. 491f.