RE:Forfex
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Schere | |||
Band VI,2 (1909) S. 2853–2856 | |||
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Forfex, ψαλίς, die Schere. Demin. forficula Plin. n. h. XXV 58. Apul. met. III 17. Nebenform [2854] forpex (davon ital. forbici) Cato de agri cult. 10, 3. II, 5, sicher von Scheren zu verstehen, da diese, nicht aber Zangen, zum Beschneiden der Pflanzen, notwendig zur Einrichtung des Wein- und Ölgutes gehören. Suet. Aug. 75. Sidon. carm. 10, 184; epist. IV 13, 1: an beiden Stellen ist nicht forcipibus sondern forpicibus zu schreiben, wie an der ersten Stelle in allen Hss. bis auf eine, an der zweiten in einer überliefert ist; auch hier ist sicher von Scheren, nicht von Zangen die Rede. Auch in den Glossen ist forpex stets Schere, nicht Zange. Ψαλίδιον Poll. VII 95; δύο μάχαιραι Clem. Alex. Paed. III 11 p. 290. Διπλῆ μάχαιρα beruht nur auf einer schlechten Variante zu Poll. II 32, wo μιᾷ μαχαίρᾳ zu lesen. Daß dies die Schere bezeichne, sagen Poll. a. O. und X 140 und Phot. s. v. wohl nur auf Grund einer falschen Erklärung von Aristoph. Ach. 849; s. Bd. III S. 3 Art. Barbiere.
Die antike Schere hat die noch jetzt für Schafscheren übliche Form: die beiden Klingen sind durch einen elastischen gebogenen Metallstreifen verbunden, so daß sie, durch den Druck der Hand zusammengeführt, mit Nachlassen des Druckes wieder auseinander schnellten und die Scheere mit einer Hand gehandhabt werden konnte. Scheren wie die jetzt gebräuchlichen, mit sich kreuzenden und in der Mitte durch einen Stift verbundenen Armen, waren nicht üblich. Doch findet sich dieser Mechanismus an einem Instrument des Mainzer Museums (Lindenschmit Altert. uns. heidn. Vorz. III 3, 5. 7), das wohl für eine Metallschere zu halten ist – zwei kurze und breite Klingen mit langen Griffarmen nach Art einer Zange, so daß große Kraft entwickelt werden konnte – und an einer Schere des Saalburg-Museums (dort gefunden; Westd. Ztschr. VIII 1889, 262 Tf. 14, 4), mit einer konvexen und einer konkaven Schneide, wie die jetzt üblichen Klempner- und Gärtnerscheren. Ein derartiges Instrument wird zu verstehen sein unter dem ψαλίδιον, mit dem man nach Procop. bell. Goth. III 1 Münzen beschnitt.
Einen anderen Mechanismus hat man zu erkennen geglaubt an einer tanagräischen Terrakottagruppe in Berlin: ein Barbier, der einem Kunden das Haar schneidet, Blümner Arch. Zeit. 1874, 141–143 Taf. 14. Es ist klar, daß hier die beiden Klingen mit einer (der rechten) Hand direkt, nicht durch sich kreuzende Arme, einander genähert werden, während die linke Hand das abzuschneidende Haarbüschel hält. Aber oberhalb der Klingen sieht man nicht, wie man müßte, in die Bogenöffnung der sie verbindenden Feder, sondern man sieht eine geschlossene, konvexe Fläche. Man hat daher (Blümner a. O.) hier eine Schere erkennen wollen, die aus zwei Armen bestände, von denen der kürzere, nur Klinge, in der Mitte des längeren, mit einem Griff versehenen, beweglich befestigt wäre. Aber eine solche Schere, ohne Feder, würde nicht, wie es offenbar der Fall ist, mit einer Hand gehandhabt werden; sie ist auch nicht glaublich gegenüber der durch zahlreiche Funde bezeugten konstanten Form, deren Alter auch daraus hervorgeht, daß der übertragene Gebrauch von ψαλίς für einen gewölbten Raum schon bei Sophokles [2855] (bei Poll. IX 40) und Platon (leg. XII 947 D) vorkommt. Es wird also in jener Terrakotta eine ungenaue Darstellung anzunehmen sein, indem über der Flächenseite der Klingen nicht die Bogenöffnung, sondern die leichter darstellbare Rückenseite der Feder gebildet ist; über eine ähnliche Willkür in Darstellung einer Zange s. Röm. Mitt. XVI 1901, 116.
Große und kleine Scheren wurden gebraucht zu denselben Zwecken wie noch jetzt. Selbstverständlich zum Schneiden von Stoffen. Ferner zum Schneiden der Haare und des Bartes (die erwähnte Terrakotte. Ciris 213. Poll. X 140. Anth. Pal. XI 368. Sidon. carm. 15, 184; epist. IV 13, 1, s. o.); auch der Augenbrauen, Hesych. s. καλλίβαντες. Zum Scheren der Schafe: Gemme Berlin 3258 Furtwängler, ein Schaf und darüber eine Schere. Calpurn. ecl. V 74. Bei Apul. met. III 17 werden Schläuche aus Ziegenfell mit Scheren enthaart. Zum Abschneiden der Mähnen der Pferde, Verg. Catal. VIII 9. Zum Beschneiden von Pflanzen, Hierokl. bei Stob. serm. p. 415 (ψαλιστοὶ μυῤῥινῶνες). Cato de agri cult. 10, 3. 11, 5, s. o. Zum Ausschneiden der schlechten Beeren aus den Trauben, Colum. XII 44, 4. Auf einem pompeianischen Bilde, Kranzflechter darstellend (Helbig Wandgem. 800), wird der fertige Kranz mit einer Schere abgeschnitten. Das Scheren des Tuches (Luc. fug. 28) geschieht auf einem Grabrelief in Sens (Julliot Musée de Sens IX 1. Schreiber Bilderatl. LXXV 4) mit einer sehr langen Schere; eine ähnlich lange eiserne (etwa 0,90) hat das Museum in Neapel, wahrscheinlich aus Pompeii. Chirurgischer Gebrauch von F. Cels. VII 21.
Varro r. r. II 11, 10 bringt das Scheren der Schafe statt der alten Sitte der volsura in Verbindung mit der Nachricht, daß erst 300 v. Chr. Barbiere, tonsores, nach Italien gekommen seien, ist also offenbar der Meinung, daß man vor 300 auch keine F. gehabt habe. Doch hat er dies wohl willkürlich und mit Unrecht aus jener Nachricht gefolgert, die nur besagte, daß vor 300 das Haar- und Bartschneiden nicht gewerbsmäßig betrieben wurde. Die volsura der Schafe dauerte noch zur Zeit Varros (a. O.) stellenweise fort, beruhte also nicht auf Unbekanntschaft mit der Schere.
Die gefundenen F. sind meist aus Eisen, selten aus Bronze. Abbildungen: Lindenschmit Alt. uns. heidn. Vorz. III 3, 5. Bull. Nap. II 1844 Taf. I 3. 4. Grivaud de la Vincelle Arts et métiers Taf. 24, 8. 37, 5. 38, 6. Bull. hell. XV 1891, 236. Ztschr. f. Ethnol XXI 1889, 351. Montelius Italie Taf. 65, 15. 112, 12.
Häufig finden sich F. in Gräbern der nördlichen Länder aus später Kaiserzeit, teils große, wie zum Scheren der Schafe, teils kleinere, und auch ganz kleine, die wohl eigens gemacht wurden, um als Grabbeigaben zu dienen. Archaeologia XXXVI 1855, 277. Ztschr. f. Ethn. XXI 1889, 348. 350, 457. 458. XXII 1890, 354. XXV 1893, 99. Congr. d'archéol. préhist. Pesth 479.
In der Taktik ist F. (oder forceps) eine Schlachtordnung, in der das Zentrum zurücktritt, die Flügel schräg vorwärts stehen; sie kam hauptsächlich zur Anwendung, um den Angriff eines Keils (cuneus) aufzunehmen. Cato bei Fest. 344 b 12 M. Ammian. XVI 11, 3, an beiden Stellen [2856] forceps. Dagegen forfex Gell. X 9. Veget. III 17. 18. 19.