RE:Exheredatio
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Ausdrückliche Erklärung, daß jemand nicht Erbe sein soll | |||
Band VI,2 (1909) S. 1680–1683 | |||
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Exheredatio bedeutet im allgemeinen Sinne die ausdrückliche Erklärung, daß jemand nicht Erbe sein solle. Eine derartige Erklärung wurde zu keiner Zeit der römischen Rechtsentwicklung gefordert, um jemanden von der Erbschaft auszuschließen; es genügte im allgemeinen die Nichtbenennung als Erben. Erst seitdem eine Rechtspflicht für die Vornahme einer ausdrücklichen E. bestimmten Personen, d. h. den sui heredes gegenüber statuiert war, kann man von einer E. in einem besonderen Rechtssinne reden; es wird deshalb eine E. von Personen, auf die sich jene Rechtspflicht nicht bezog, der sog. extranei, als res inepta bezeichnet (Dig. XLV 1, 132). Vgl. im allgemeinen Gaius II 123ff. Inst. II 13. Dig. XXVIII 2. Cod. VI 28. Von dem älteren römischen Zivilrecht wird keinerlei dahingehende Bestimmung überliefert, daß der Testator in der Vornahme von E. irgendwie formell oder materiell gebunden gewesen sei; vielmehr standen die XII Tafeln nach der auch jetzt noch als herrschend anzusehenden Ansicht auf dem Standpunkte der absoluten Testierfreiheit gemäß dem allgemeinen Satze: uti legassit ... ita ius esto (Karlowa [1681] Röm. Rechtsgesch. II 885f. Cuq Inst. I 288). Diese latissima potestas des paterfamilias ist aber in der nachfolgenden Zeit – wie Pomponius Dig. L 16, 120 berichtet – durch die interpretatio legum und die auctoritas iura constituentium eingeschränkt worden. Als rechtschaffende Elemente in dieser Beziehung sind die damalige römische Jurisprudenz und besonders unter ihrem Einfluß die Praxis des Centumviralgerichtshofes anzusehen; das Ergebnis war die Aufstellung eines formellen Noterbrechts in dem Satze: sui heredes aut instituendi sunt aut exheredandi (Ulp. XXII 14. Inst. II 13 pr.). In materieller Beziehung blieb also die Testierfreiheit des Erblassers auch den sui gegenüber anerkannt, da die E. selbst zunächst in keiner Weise beschränkt war; in formeller Beziehung aber wurde verlangt, daß der Erblasser die sui in seinem Testament nicht mit Stillschweigen übergehe (praeterire, praeteritio, s. d.), sondern seinen Willen offen und unzweideutig durch eine ausdrückliche E. bekunde. Der Grund für diese zunächst nur formelle Beschränkung der Testierfreiheit mag in der durch den allgemeinen Sittenverfall bedingten Lockerung der römischen Familienverhältnisse in der späteren republikanischen Zeit gefunden werden, um auf diese Weise den jetzt häufiger gewordenen Präteritionen der nächsten Angehörigen entgegen zu wirken. Vgl. z. B. Cic. Phil. II 140. Es war auch praktisch wichtig, im einzelnen Falle einen Anhalt dafür zu haben, ob der Erblasser den Nichterwähnten wirklich habe ausschließen wollen, oder ob er ihn bloß vergessen, aus Irrtum unerwähnt gelassen habe. Besondere Formvorschriften für diese E. haben im älteren Recht wohl nicht bestanden; so genügte nach Iustinians Bericht Cod. VI 28, 4, 2 bei allen sui die E. inter ceteros, d. h. unter einer allgemeinen Bezeichnung ohne besondere namentliche Benennung: z. B exheredes sunto ceteri ceteraeque Gai. II 127. Paul. sent. III 4 B, 10. Allmählich jedoch wird die E. nach dem von Scaevola aufgestellten Satze exheredationes non sunt adiuvandae (Dig. XXVIII 2, 19) immer mehr beschränkt und ihre Gültigkeit an bestimmte Bedingungen geknüpft; so scheint sich zur Zeit Ciceros der Satz festgestellt zu haben, daß der filiusfamilias nominatim zu enterben sei (Cic. de or. I 57. Val. Max. VII 7, 1. Theophil. ad Inst. II 13 pr.). In der klassischen Zeit jedenfalls blieb diese Bestimmung geltendes Recht, ohne daß zu ihrer Erfüllung immer ausdrückliche Namensnennung des Exheredierten erforderlich war, es genügte die spezielle Beziehung auf eine bestimmte, näher bezeichnete Person (Gaius II 123. 127. Ulp. XXII 16). Die E. aller anderen sui oder suae konnte nach wie vor inter ceteros erfolgen (Ulp. XXII 20); nur bei den postumi dieser Art wurde noch verlangt, daß ihnen Vermächtnisse ausgesetzt wurden, ihrer also im Testament irgendwie gedacht werde, um Sicherheit darüber zu haben, daß der Testator an sie gedacht, sie also wirklich unter die ceteri mit begriffen habe (Ulp. a. a. O. 21. 22). Iustinian hat diese Unterschiede zwischen den sui ausgeglichen und in allen Fällen die E. nominatim facta gefordert (Cod. II 28, 4. Inst. II 13, 5). Im praetorischen Rechte geht eine parallelle Entwicklung [1682] vor sich. Es müssen diejenigen Personen, die ab intestato die bonorum possessio unde liberi agnoszieren können, eingesetzt oder ausdrücklich enterbt werden; die E. hat bei männlichen liberi (also auch Enkeln) nominatim zu geschehen, bei weiblichen genügt inter ceteros. Iustinian hat auch hier für alle liberi die E. nominatim verlangt. Im allgemeinen wurde der vom Testator ausdrücklich Exheredierte von einem Makel betroffen, in welchem Sinne dann von nota exheredationis gesprochen wird (vgl. z. B. Dig. XXXVII 4, 20 pr. 6, 1, 6); nicht immer war aber diese Bedeutung mit der E. verknüpft, namentlich nicht bei der e. bona mente (s. u.). Den Abschluß in der Entwicklung des Instituts bringt Iustinians Gesetzgebung in Nov. 115: das Verbot der Praeterition wird auf alle successionsberechtigten Deszendenten (sui oder nicht) und Aszendenten ausgedehnt; die E. ist nur zulässig beim Vorhandensein eines der gesetzlich festgelegten Enterbungsgründe (bei Deszendenten deren 14, bei Aszendenten 8), der auch im Testament ausdrücklich aufgeführt sein muß. Die einzelnen Gründe beruhen teils auf Verfehlungen gegen die Person des Erblassers, teils auf sonstigem unehrenhaften und unsittlichen Verhalten. Im übrigen müssen zu einer gültigen E. nach Iustinianischem Rechte folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
1. Die E. muß im Testament selbst geschehen und ist von dessen Gültigkeit abhängig; selbst in codicillis testamento confirmatis ist sie unzulässig, Gai. II 273. Über die Stelle im Testament bestimmte ein Reskript Traians, daß die E., wenn sie nominatim vorgenommen werde, auch der institutio heredis vorangehen könne, Dig. XXVIII 5, 1 pr.
2. Die Enterbung muß ausdrücklich ausgesprochen sein. Nicht gerade mit den Wortformeln des älteren Rechts (verbis civilibus) wie: exheres esto, exheredem esse iubeo (vgl. Gai. II 127. Dig. XXVIII 2, 1. 3. 17. Cic. pro Rosc. Am. 19. Quint. IX 2, 34. VII 1, 38ff.), sondern es genügt jede Erklärung, durch die unzweideutig der Wille des Erblassers ausgesprochen wird (Cod. VI 28, 3).
3. Die Zufügung einer Bedingung ist grundsätzlich unzulässig. Eine Ausnahme wurde nur für den Fall gemacht, daß eine Erbeseinsetzung unter einer Bedingung vorausgegangen und die E. auf den entgegengesetzten Fall ausgesprochen ist (Dig. XXVIII 2, 3. 1. XXXVII 4. 18. Cod. VI 25, 4).
4. Die E. mußte sich beziehen auf die ganze Erbschaft und auf alle Erbteile: a tota hereditate, ab omnibus heredibus (Dig. XXVIII 2, 19. XXXVII 4. 8. 3). Waren mehrere Grade von Erbeseinsetzungen angeordnet, so hatte die E. weiter für alle Grade derselben zu gelten, mußte also bei jeder Substitution besonders wiederholt werden.
Eine besondere Art der E. ist die sog. e. bona mente facta, von welcher mehrfach im voriustinianischen Rechte gehandelt wird, und zwar in den Digesten XXVIII 2, 18. XXXVII 4, 16. XXXVIII 2, 12, 2. XXVII 10, 16, 2 und im Cod. III 28. 25 (Reskript von Diocletian und Maximian). Dann wird gesprochen von einem exheredare non notae causa oder einer e. non notae [1683] gratia adiecta oder von einem exheredare non mala mente. Sie ist dann zulässig, wenn der Ausschluß des Noterben in wohlmeinender Absicht geschieht und in seinem oder seiner Familie Interesse liegt; z. B. wenn jemand seinen geisteskranken oder verschwenderischen Sohn enterbt und dessen Kinder zu Erben einsetzt, etwa mit der Auflage, den Enterbten zu alimentieren, unter ausdrücklicher Beifügung des Beweggrundes der Fürsorge. Diese Art der E. ist nicht – wie Francke (s. u.) 422f. mit eingehender Begründung annimmt – durch die Novellen Iustinians (Nov. 115. 117 c. 1) beseitigt worden; ihre Nichterwähnung an den angegebenen Stellen ist nur dahin zu deuten, daß dieser Enterbungsgrund in der Novellengesetzgebung nicht hat berührt werden sollen. Vgl. Mühlenbruch in Glücks Comm. XXXVII 380ff. 391ff. Schmidt (s. u.) 166ff. Kuntze Exkurse 650f.
Spezielle Literatur: Förster De B. P. liberor. praeteritor. c. t. parent. 1823. G. C. Bluntschli Erbfolge gegen den letzten Willen, Bonn 1829. W. Francke Recht der Noterben, Götting. 1831; bes. §§ 1. 2. 6. 7. 27. 31. 32. 34. A. Schmidt Form. Recht der Noterben, 1862, bes. S. 153ff. Schröder D. Noterbenrecht, Abt. I Das Recht vor der Nov. 115. 1877.