2) Metropolit von Nikaia. Hauptschriften über ihn: Sakkelion im ΑΘΗΝΑΙΟΝ IV (1875) 221ff. und Draeseke Byz. Ztschr. V (1896) 319ff. Anfang und Endpunkt seines Lebens lassen sich nur annäherungsweise bestimmen. Da er bereits 1083 schriftstellerisch tätig war – aus diesem Jahre stammt sein Dialog über die Bilderverehrung (Draeseke 326) –, so wird seine Geburt nicht nach 1050/55 angesetzt werden dürfen. Gestorben muß er sein um 1120, wie Draeseke 334ff. scharfsinnig dargetan hat. In seine Jugendzeit fällt die glänzende, wenn auch etwas turbulente Lehrtätigkeit des Joh. Italos, der als Nachfolger des Michael Psellos den Lehrstuhl des ὕπατος τῶν φιλοσόφων zu Byzanz inne hatte. Die Vorträge dieses Gelehrten, der stark vorwiegend Aristoteliker war, gaben den profanen Studien des jungen E. Ziel und Richtung (Draeseke 320). Der feingebildete, geistvolle E. machte Karriere. Er wurde Metropolit von Nikaia. In dieser Stellung scheint er bis an sein Lebensende verblieben zu sein. Freilich hat es einen Moment gegeben, wo das Damoklesschwert der Amtsentsetzung über seinem Haupte schwebte, als er nämlich in seiner Schrift gegen die Armenier (Draeseke 331ff.) Ansichten geäußert hatte, die mit denen der orthodoxen Kirche in Widerspruch standen. Aber wie so mancher zu Byzanz vor und nach ihm wandte auch er die drohende Gefahr von sich ab durch ein reumütiges Bekenntnis seines Fehltritts und einen unbedingten Widerruf aller seiner von der offiziellen Kirchenlehre abweichenden Aufstellungen. Der Wortlaut seines Bekenntnisses, in dem er zu seiner Entschuldigung anführt, daß die inkriminierte Schrift, bevor sie noch die letzte Durchsicht erfahren, ihm entwendet und wider seinen Willen veröffentlicht worden sei, ist uns erhalten und publiziert von Demetrakopulos in der Ἐκκλησ. βιβλιοθ. (Lpzg. 1866) S. ια’–ιε’ und ohne Kenntnis dieser Edition von Sakkelion 228ff. Die Ἐξομολόγησις ist im April des J. 1117 (1171 bei Sakkelion ist ein Druckfehler) abgefaßt. Der greise Kirchenfürst hat die öffentliche Vernichtung seiner theologischen Persönlichkeit nicht lange überlebt.
E. nimmt unter den Gelehrten der byzantinischen Renaissance einen hervorragenden Platz ein. Er war ein klarer, scharfer Kopf, ein gewandter, geschmackvoller Darsteller und ein trefflicher Kenner des klassischen Schrifttums der Hellenen. Die Kaiserin Anna Komnena – gewiß eine kompetente Beurteilerin – stellt ihm das höchst ehrenvolle Zeugnis aus (Alex. XIV 8), er sei ἀνὴρ τά τε θεῖα σοφὸς καὶ τὰ θύραθεν, αὐχῶν ἐπὶ ταῖς διαλέξεσι μᾶλλον ἢ οἱ περὶ τὴν στοὰν καὶ ἀκαδημίαν ἐνδιατρίβοντες. Auf beiden Gebieten, sowohl dem der kirchlichen als dem der profanen Wissenschaft, hat er eine rege schriftstellerische Tätigkeit entfaltet. Von seinen theologischen Werken liegt erst ein Teil im Druck vor. Eine Anzahl derselben gab heraus Demetrakopulos a. a. O. 47ff., die Revokation auch Sakkelion (s. o.). Einige noch ungedruckte Theologica zählt auf Draeseke 329. Näher auf die theologische Schriftstellerei des E. einzugehen ist hier nicht der Ort. Ein anschauliches Bild derselben [1491] hat gegeben Draeseke 323ff. Vgl. auch Hergenröther Photios, Patriarch von Constantinop. III 800ff. und Ehrhardt in Krumbachers Gesch. d. byz. Lit.² 85, 5. Als Profanschriftsteller hat sich E. einen Namen gemacht durch seine trefflichen Kommentare zu Schriften des Aristoteles. Für das spezielle Studium des großen Stagiriten war er durch seinen Lehrer Joh. Italos gewonnen worden. Er schrieb einen noch vorhandenen Kommentar zu dem 1. und 6. Buch der nikomachischen Ethik, der zum erstenmale von Aldus (Venedig 1536) gedruckt wurde. Für die Berliner Ausgabe der griechischen Kommentare zu Aristoteles wurde er bearbeitet von G. Heylbut (Bd. XX [Berlin 1892]). Beiträge über die hsl. Paradosis dieses Kommentars gaben Rose Herm. V (1871) 62ff. und Bywater ebd. 354ff. Ohne hinreichenden Grund nimmt Schleiermacher in der Vorlesung ‚Über die griech. Schol. zur nikom. Ethik‘, Berlin 1816 (= Sämtl. Werke III 2 S. 309ff.) für die Ἐξήγησις zum 1. und zum 6. Buch verschiedene Urheber an. Des weiteren verfaßte E. einen Kommentar zum 2. Buch der Ἀναλυτικὰ ὕστερα, welcher zu Venedig apud Aldum 1534 im Druck erschien. Was den Charakter der Kommentare des E. betrifft, so unterscheiden sie sich nicht unwesentlich von dem Gros der Aristotelesausleger, insofern sie nicht Ausführungen allgemeinen Inhalts bieten, sondern vielmehr Kommentare im eigentlichsten Sinne des Wortes sind, die sich mit der Erklärung einzelner Ausdrücke wie Gedanken beschäftigen. In jedem Betracht am besten gelungen erscheint die Interpretation des 6. Buches der nikomachischen Ethik.