Euryphon aus Knidos, ein älterer Zeitgenosse des Hippokrates (Sor. vit. Hippocr. 450, 23 West.) und einer der wichtigsten Vertreter der knidischen Schule aus der Mitte des 5. Jhdts. v. Chr. Zu seiner Schule gehörten Herodikos von Knidos und wahrscheinlich auch Alkamenes aus Abdera (Anon. Lond. IV 40f. VII 41f.). Ob die Nachricht des Soran (vit. Hippocr. a. a. O.), daß er zusammen mit Hippokrates an den Hof des makedonischen Königs Perdikkas II. berufen worden sei und den König von seiner Liebeskrankheit befreit habe, den Tatsachen entspricht, muß dahin gestellt bleiben (vgl. die ähnlich lautende Geschichte von Erasistratos bezw. Kleombrotos o. S. 333f.). Er ist der älteste knidische Arzt, von dessen Krankheitstheorie wir einen, wenn auch ohne Zweifel stark gekürzten Bericht dem Londoner Anonymus (IV 31ff.) verdanken. Außerdem verdient besondere Erwähnung die wiederholte Abhängigkeit der Lehren dieses Arztes von den Dogmen des großen krotoniatischen Arztes Alkmaion (Wachtler De Alcm. Crot. 90ff. Fredrich Hippokr. Unters. 34ff.). E. führte alle Krankheiten auf Störung der Verdauung zurück; wenn die aufgenommene Nahrung vom Darm nicht verarbeitet wird, so entstehen Überschüsse (περιττώματα), welche zum Kopfe emporsteigen und Krankheit hervorrufen. Die normale Verdauung (πέψις) erkannte er daran, daß der Darm dünn und rein ist (vgl. den knidischen Verfasser von περὶ τόπων τῶν κατ' ἄνθρωπον c. 1 = VI 276 L., bei dem diese Theorie wiederkehrt). Fredrich (Hipp. Unters. 34) hat richtig erkannt, daß die Annahme des E., daß der Kopf der alleinige Sitz der Krankheit sei, deutlich den Einfluß des Alkmaion verrät. Auf Grund dieser Abhängigkeit glaube ich unter Berücksichtigung der Tatsache, daß dem E. von den Säften des Körpers die Galle bekannt war (Gal. XVII A 888), das unvollständige Exzerpt aus seiner Lehre mit Hilfe der Dogmen des Alkmaion dahin ergänzen zu dürfen, daß er als die Erzeugnisse der unverdauten Nahrung die verschiedenen Säfte (die sauren, salzigen, süßen, bitteren usw.) ansah, und daß er daneben auch dem Warmen, Kalten, Trockenen und Feuchten einen Platz in seiner Krankheitstheorie anwies. Seine Lehre wurde dann von seinen Schülern in der Weise weiter ausgebildet, daß Alkamenes die Überschüsse auch im Kopfe entstehen ließ, und daß Herodikos außerdem die Leber und Milz als Sammelpunkte der Überschüsse gelten ließ und daß er die Krankheiten vornehmlich von einer Mischung des bitteren und sauren Saftes (Galle und Schleim) herleitete. Dem Beispiele des Alkmaion folgend, hat E. sich auch
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mit anatomischen Studien beschäftigt. Galen (XV 135) erwähnt ihn in dem Katalog der berühmtesten Anatomen der Vergangenheit und rühmt (II 900) seine anatomischen Kenntnisse. Soviel sich aus der letzten Stelle ergibt, kannte er die Ovarien (ὄρχεις, δίδυμοι) und die Eileiter (σπερματικοὶ πόροι), die er irrtümlicherweise wie beim Manne an den Blasenhals gehen ließ; die Schamlippen nannte er κρημνοί (Ruf. ed. Daremberg-Ruelle 147. Poll. II 174. Erot. s. κρημνοί. Gal. XIX 114; dieselbe Bezeichnung beim knidischen Verfasser von περὶ τόπων c. 47, VI 344 L.). Ferner kannte er nach dem Vorgange des Alkmaion den Unterschied von Venen und Arterien (Cael. Aurel. m. chr. II 10, 121) und nannte vermutlich die ersteren wie der Krotoniate φλέβες αἱμόρροοι, die letzteren φλέβες. Ohne Zweifel hat er alle Adern als Leiter der Nahrung im Koyf bezw. Gehirn endigen lassen, was für Alkmaion Fredrich (Hippokr. Unters. 67) mit Recht vermutet hat. Wahrscheinlich ist die Vermutung Littrés (I 214), daß er nicht wie die koische Schule die Luft auf die Arterien beschränkte, sondern in Arterien und Venen in gleicher Weise Blut und Luft enthalten sein ließ; wenigstens lehrte er, daß Hämorrhagien auch durch Zerreißung von Arterien zu stande kämen (Cael. Aurel. m. chr. II 10, 121). Die Darmverschlingung nannte er χορδαφός, die Eingeweide χορδαί (Cael. Aurel. a. m. III 17, 144), als Sitz der Pleuritis betrachtete er die Lunge und bezeichnete als Symptome dieser Krankheit Husten, Atemnot, Schmerzen, das Unvermögen des Kranken auf der gesunden Seite zu liegen (Cael. Aurel. a. m. II 16, 96ff.; ebenso Euenor, Praxagoras und dessen Schule, ähnlich der knidische Verfasser von περὶ νούσων II 59). Was seine Therapie anlangt, so erfahren wir nur, daß er Schwindsüchtigen an der Brust von Frauen zu saugen empfahl (Gal. VIII 701. X 474. VI 775; sein Schüler Herodikos war ihm darin gefolgt), und daß er die Geschwulst der Wassersüchtigen mit gefüllten Blasen schlagen ließ (Cael. Aurel. m. chr. III 8, 139; Aet. X 29 schreibt dies Verfahren, das den Beifall des Asklepiades und der pneumatischen Ärzte Archigenes und Herodot fand, seinem Schüler Herodikos zu, vgl. Cael. Aurel. a. a. O. Cels. III 21. 108). Er war ein Freund von gewaltsamen Kuren; das κάειν καὶ τέμνειν spielt eine große Rolle in seiner Therapie (vgl. Gal. XVIII A 149. Kock CAF I 652), dem Aderlaß war er nicht abhold (Gal. XI 149), außerdem verwandte er allerlei Pflanzenmittel (Gal. XI 795), wie Salbei, Knoblauch, Diptamdosten, Seifenkraut, Raute, Koriander usw., und seine Krankensuppe war die bekannte Gerstengraupensuppe (πτισάνη). Besondere Förderung erfahren durch ihn die gynäkologischen Studien. Er muß eine Schrift γυναικεῖα verfaßt haben, auf die viele Lehren und Vorschriften der gynäkologischen Schriften unseres Hippokrateskorpus zurückgehen. Bei Vorfall der Gebärmutter ließ er die Kranke einen ganzen Tag und eine ganze Nacht hindurch mit dem Kopf nach unten an einer Leiter hängen und als Nahrung kalte Gerstengraupensuppe geben, bis sieben Tage verstrichen sind; darnach erweichende Speise in geringer Menge, endlich nach vierzehn Tagen empfahl er unter
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Einschränkung der körperlichen Bewegung und Nahrung Räucherungen der Geschlechtsteile (Sor. gyn. II 31, 85 S. 373; dieselben Vorschriften bei [Hipp.] περὶ γυν. VIII 318. 462 L.; περὶ γυν. φ. VII 318 L., durch welche die letzten Worte des Exzerptes des E. bei Soran erst verständlich werden). Zur Feststellung der Fruchtbarkeit der Frauen empfahl er Anwendung des Geburtsstuhles (δίφρος μαιωτικός) und Räucherungen der Gebärmutter mit Harz, Raute, Knoblauch und Koriander (Sor. gyn. I 9, 35 S. 200. [Hipp.] περὶ ἀφόρων III 24 K.). Zum Abtreiben der Nachgeburt verwandte er urintreibende Mittel, bluttreibende Pessarien und Erschütterungen der Wöchnerin vermittelst einer Leiter, an die er sie zu binden empfahl (Sor. gyn. I 22, 71 S. 242. [Hipp.] περὶ γυν. VII 308 L.). Er leugnete die Lebensfähigkeit des Siebenmonatskindes, erst das Achtmonatskind galt ihm für lebensfähig (Censor. de die nat. 7, 5. Aet. V 18, 7 D.; vgl. Diels Doxogr. gr. 195. 429. M. Wellmann Frg. gr. Ärzte 38). E. wird von Galen (XVII A 886) als Verfasser des wichtigsten Werkes der knidischen Schule, der Κνίδαι γνῶμαι, genannt. Bekanntlich gab es zu der Zeit, als der Verfasser von περὶ διαίτης ὀξέων schrieb (Hipp. ed. Kühlewein-Ilberg I 110) zwei Ausgaben dieser Schrift; leider wissen wir nicht, ob die Originalschrift oder die spätere Umarbeitung das Werk des E. ist. Ein Bruchstück aus diesem Werke des E. über den πελιὰς πυρετός hat gleichfalls Galen (XVII A 888) erhalten, das mit unwesentlichen Abweichungen bei dem knidischen Verfasser von περὶ νούσων II (II 284 K.) wiederkehrt. Diese Übereinstimmung berechtigt meines Erachtens zu der Annahme, Bruchstücke des Euryphontischen Werkes überall da zu erkennen, wo die knidischen Schriften περὶ νούσων I, III und περὶ τῶν ἐντὸς παθῶν mit περὶ νούσων II übereinstimmen. Nach Galen (VII 960. XVI 3) befanden sich Schriften des E. in seinem Corpus hippokratischer Schriften; wenn er aber dazu bemerkt, daß E. als Verfasser der Schrift περὶ διαίτης ὑγιεινῶν (XV 455) oder gar von περὶ διαίτης II (Gal. VI 473) gegolten, so liegt auf der Hand, daß das weiter nichts als müßige Vermutungen alexandrinischer Ärzte waren, die für uns nichts Verbindliches haben. Bekannt ist der Spruch, den Stobaios (ecl. I 8, 40 a [I 102, 14 W.]) von ihm aufbewahrt hat, daß die Zeit seine Lehrmeisterin gewesen sei. Außerdem vgl. noch Gal. XIX 721. XI 149. 795. Sprengel Gesch. d. Arzneik. I 311. Hecker Gesch. der Heilkunde I 64. 117. Diels Anon. Lond. 114.