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RE:Europe 1

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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in der Mythologie Tochter des Okeanos und der Tethys
Band VI,1 (1907) S. 12871298
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1) Mythologisch. E. gilt als Tochter des Okeanos und der Tethys (Hesiod. theog. 357. Eustath u. Schol. zu Dion. Perieg. 270); nach anderer Version sind Okeanos und Parthenope die Eltern. Thrake ist die Schwester, Asia und Libye sind Halbschwestern. Andron frg. 1 (= Tzetz. Lyk. 894. 1283. Schol. Aisch. Pers. 185. Eudokia p. 439. Apostol. XVI 19), vgl. Eurip. Rhes. 29. Lyk. 1398. Apion und Aristokles in Schol. Eur. Rhes. 29. E. wird an diesen Stellen als Eponyme Mittelgriechenlands genannt. Daß nicht das Festland überhaupt gemeint ist, zeigt einerseits Hom. h. Ap. Pyth. 71ff. 111ff, wo das Land Europa der Peloponnes und den Inseln gegenübergestellt ist, andererseits die Tatsache, daß Thrakien für sich allein ebenfalls E. hieß (s. u.). Die Ausdehnung des Namens E. auf das ganze Festland mag eine Nachwirkung der Perserkriege sein, vgl. Theokr. Syrinx 16. Mosch. id. II. Jahn Bilderchroniken VI M. Das Ursprüngliche ist aber die Bezeichnung des Landes Europa als ,Land des Odysseus‘ (Etym. Gud. 220, 49. Zonar. Hesych., wo Ὀδυσσέως einzusetzen ist), und damit kann nur Epeiros gemeint sein. Epeiros dürfte damit als Stammland der E. gelten. Der Sohn des Zeus und der Okeanostochter E. ist Dodon, der Eponyme von Dodona, Akestodoros bei Steph. [1288] Byz. s. Δωδώνη. Schol. Il. XVI 233. Gruppe a. O. 352. Den Zeus von Dodona kennen wir, es ist der Zeus-Euryopa der Ilias. Somit ergibt sich für Dodona ein Götterpaar Euryopa-E.; E. ist das weibliche Gegenstück zu Euryopa und hat somit keine Eigenschaften oder Funktionen, die von denen des Gatten grundsätzlich verschieden wären. Das Verhältnis ist also ganz dasselbe wie zwischen Zeus und Dione-Dia. Ob und inwiefern E. und Dione identisch oder von einander verschieden sind, muß dahingestellt bleiben; beachtenswert ist immerhin, daß nach Ansicht des Strabon (VII 329) der Kult der Dione erst in nachhomerischer Zeit nach Dodona gelangt sein soll. Hellotis-Hellotia, der Beinamen der E. in Korinth und Kreta, dürfte nicht zu trennen sein von dem Namen der Selloi oder Helloi, den Dienern des Zeus-Euryopa in Dodona, der seinerseits den Beinamen Hellotos o. ä. geführt haben mag (Hellotios, Personenname in Korinth, Rh. Mus. 1857, 329). Andererseits gehen aber auch die Namen der Hellenes und Hellopes auf dasselbe Etymon zurück (v. Wilamowitz Eur. Herakles I 258); Hellopia hieß die Gegend um Dodona. Euryopa-E. dürfen somit als die obersten Götter der Hellenes gelten; aus diesem Grund führt Zeus den Beinamen Hellenios (speziell als Ahnherr der Aiakiden, Pind. Nem. V 10), und ist vielleicht auch seine Gattin Hellenia genannt worden (s. u.). Auf dem gleichen Wege, wie der Name des kleinen Bergstammes der Hellenen zum Gesamtnamen für die Griechen geworden ist, hat auch die Göttin E. ihren Namen ganz Griechenland und weiterhin dem ganzen Erdteil mitgeteilt.

Zeus-Euryopa wird ganz besonders angerufen von dem zu Epeiros in engster Beziehung stehenden Odysseus und seinem Sohn Telemachos (Il. IX 686; Od. II 146. III 288. XI 436. XIV 235. XVII 322. XXIV 544). Die chaonischen und molottischen Hunde galten als Abkömmlinge des der E. geschenkten Hundes, Nik. frg. 97 = Poll. V 39. Mit Aitolien ist E. durch die Genealogie verbunden; der Aitoler Diomedes spricht von Zeus-Euryopa, Il. V 265. Sohn des Zeus und der E. ist Aiakos, der Ahnherr des berühmten Geschlechts, dessen Heimat nach einleuchtender Vermutung die Gegend von Dodona ist (Plato Gorg. 523 E. Serv. Aen. VI 566; oben Bd. I S. 923, 13); der Aiakide Achilleus endlich und seine Mutter Thetis wenden sich an Zeus-Euryopa (Il. I 498. IX 419. XVI 233ff.). Von den bezeichneten Gegenden aus läßt sich die Verbreitung des E.-Kultes nach drei Richtungen verfolgen: 1) nach Thessalien und über Thrakien bis zur Propontis und dem nördlichen Teil Kleinasiens; 2) über Lokris und Phokis nach Boiotien (ausschl. Theben) und von da übers Meer nach dem südlichen Teil Kleinasiens; 3) endlich nach Theben, Korinth und der Argolis. Die erste und dritte Richtung gehören zusammen und bezeichnen im allgemeinen das Geltungsgebiet des Agenor und Kadmos; die zweite ist charakterisiert durch E. als Tochter des Phoinix. Auf Kreta mögen verschiedenartige, vom Festland versprengte Volkstrümmer mit ursprünglich gesonderter Tradition zu einem neuen Ganzen sich verbunden und so ein Wiederaufleben des uralten E.-Kultes herbeigeführt haben.

In Thessalien bestand vielleicht eine Sage von [1289] einem Bade der E. im Anauros am Pelion, Mosch. id. I 31. Müller Orchomenos 107. Asterios, der kretische Gatte der E., ist in Thessalien mehrfach bezeugt und möglicherweise schon hier mit dem E.-Gatten Zeus in Konkurrenz getreten. Wir finden ihn als Eponymen von Asterion, das entweder mit Arne-Kierion identifiziert wird, oder mit Peiresion (Peiros, Sohn des Phoinix und Bruder der E., Schol. Eur. Phoen. 5); ferner in Pellene und Pelinnaion (o. Bd. II S. 1784ff.), und wieder am Nordende des boibeischen Sees (Gruppe a. O. 109). Der Name der Stadt Gyrton erinnert an Gortys, die Hauptstätte des E.-Kultes auf Kreta, wobei vielleicht auch für Gortys in Arkadien und die gleichnamige Stadt Makedoniens an E. gedacht werden darf. Vom Olymp floß der Bach Europos; in Makedonien gab es eine Stadt dieses Namens (Strab. VII 329. Steph. Byz. s. v.). Thrake galt als Schwester der E. (s. o.), das Land hieß aber auch selbst Europia, weil E., sei es selbst dessen Herrscherin war (Hegesipp. frg. 6 = Schol. Eur. Rhes. 29), oder die Tochter des Landeskönigs Agenor (Etym. Gud. 221, 8). Phineus ist ihr Bruder (Schol. Eur. Phoen. 217), der Bosporos hat von der Fahrt des Zeus mit E. den Namen (Schol. Lucan. V 436), in Kyzikos wurde eine sonst nicht näher bekannte Göttin Hellenia verehrt (CIG 3670), die wir vermutungsweise für E. in Anspruch nehmen. Nicht minder zeigen sich Spuren der E. auf Thasos: der Eponyme der Insel ist Bruder der E. (Eur. Phrix. frg. 816. Schol. Eur. Phoen. 217), ihre Mutter Telephe oder Telephassa stirbt auf Thasos (Steph. Byz. s. Θάσος, vgl. Apollod. III 3); die Phoinikier, die E. suchen, besiedeln die Insel (Eustath. Dion. Per. 517). Auf Tenedos gab es einen Ort Asterion (o. Bd. II S. 1784, andere Beziehungen bei A. Fick a. O. 64. 120). Daß der Name E. in Phrygien bekannt war, beweist eine rf. Midasdarstellung, wo ihn eine Dienerin des Königs trägt (Arch. Jahrb. II 112. Athen. Mitt. XXII 397ff.). Und endlich mag noch angemerkt werden, daß außer den oben genannten griechischen Heroen es nur noch Gestalten der troischen Sage sind, Hektor, Hekabe, Polydamas, die den Zeus-Euryopa anrufen, und daß für diese auch schon Herkunft aus Thessalien vermutet worden ist.

Auf den Ausgangspunkt der E.-Sage, Epeiros, weist uns wieder die Genealogie. E. und Astypalaia sind die Töchter des Phoinix und der Perimede. So berichtete der Samier Asios (frg. 7 = Paus. VII 4, 1) und Antimachos im 1. Buch der Thebais (Steph. Byz. s. Τευμησσός), ähnlich wohl auch Bakchylides und Hellanikos (Schol. Il. XII 292. II 494. XIV 321). Perimede gehört als Tochter des Oineus nach Aitolien; Phoinix erscheint als Teilnehmer an der kalydonischen Jagd und ist König der Doloper in der Gegend des Pindos. Vermutlich ist er auch der Eponyme der chaonischen Stadt Phoinike (Strab. VII 324), und in letzter Linie wird sich der Name vielleicht als Epitheton des dodonaeischen Zeus erweisen, wie Dryops (Sohn der Dia) und Dolops (vgl. Zeus ἀγκυλομήτης). Dieselbe Genealogie – nur die Mutter wechselt – findet sich aber auch in Boiotien und an der karischen Küste. Phoinix ist im boiotischen Eleon lokalisiert, bei Tanagra gab es eine Quelle Phoinike, ein Φοινίκιον ὄρος [1290] bei Onchestos, die Stadt Medeon führte den Beinamen Phoinikis. Toepffer Att. Geneal. 294. Gruppe a. O. 60. Statt der Perimede erscheint als Mutter Kassiepeia (Hesiod. frg. 52 K. aus Schol. Il. XII 292, ergänzt aus Schol. Il. XIV 321. Eustath. Il. 989, 35ff.), die als Tochter der Thronie (Hesiod. frg. 43 K.), der Eponymen von Thronion, nach Phokis gehört, andererseits aber aufs engste mit karischen und lykischen Mythen verbunden ist. Sie ist die Mutter des karischen Helden Atymnos, der auf Kreta als Bruder der E. erscheint, und der Karme, als deren Vater ebenfalls Phoinix genannt wird, Gruppe a. O. 185. Karien selbst hieß Phoinike (Bakchylides und Korinna bei Athen. IV 174 F. Dümmler Rh. Mus. XLII 1887, 139), wobei unentschieden ist, ob der vorauszusetzende Eponyme Phoinix einheimisch karisch ist oder erst mit der Sage von E. dorthin wanderte. Eine karische Stadt hieß Europos (Etym. M. 397, 42). E. ist die Mutter des lykischen Heroen Sarpedon, und es scheint die Sage bestanden zu haben, daß sie selbst mit ihrem Sohn dorthin gelangte. In des Aischylos Κᾶρες ἢ Ε. war erzählt, wie sie den toten Sohn empfing. Herodot. IV 45. 173, vgl. Eur. Rhes. 29. Lyk. 1284. Robert Bild und Lied 115ff. Die Karien vorgelagerte Insel Astypalaia ist durch alte Genealogie zu E. in Beziehung gesetzt, beachtenswert ist auch der dortige Kult des Achilleus. Auf Delos und in Milet finden wir Asterios lokalisiert, nach Kos weist die Genealogie Europos Sohn des Merops (var. Himeros, Tzetz. Lyk. 1283. 894). Ebendaher stammt ein Onyxkameo mit E.-Darstellung, der zusammen mit archaischer Topfware gefunden wurde (Arch. Jahrb. Ι 126). Über Samos vgl. Gruppe a. O. 290. Der Eponyme von Kilikien wird als Bruder der E. erwähnt und beteiligt sich an der Aufsuchung der Schwester (Apollod. III 2. Eustath. Dion. Per. 874). Auf Kypros endlich war die Vermählung des Zeus mit E. lokalisiert (Plin. n. h. XII 11), und führte Zeus den Beinamen Εἴλητι (= Ἑλλώτιος? Hesych.).

Außer Phoinix erscheint als Vater der E. Agenor, als dessen Gattin wird genannt: Telephassa (Apollod. III 2. Mosch. id. II 40), Telephe (Steph. Byz. s. Θάσος) oder Argiope (Hyg. fab. 178). Telephe, Telephassa ist aus Thasos bekannt, ihr Name ist, wie der der Argiope, ein sprechender und ähnlichen Sinnes wie E. Argiope gehört in die Gegend des Parnass. Agenor stammt aus Aitolien, wo er mehrfach in Genealogien verflochten ist: wir finden ihn dann häufig in der Peloponnes und auch in Boiotien (Kadmos Agenorides, Agenoridai = Kadmeionen). Inwieweit die beiden Genealogien nach örtlichen Geltungsbezirken getrennt waren, ist nicht deutlich ersichtlich. Jedenfalls frühzeitig sind sie mit einander vermischt worden, in der Weise, daß Agenor zum Vater des Phoinix wurde, dieser entweder Vater der E. blieb, oder zum Bruder der E. wurde. Nach Schol. Eur. Phoen. 5. Apollod. III 2 sind Agenor und Belos Söhne des Poseidon und der Libye, von Agenor und der Neilostochter Argiope stammen Kadmos, Kilix, Phoinix, von letzterem und der Tochter der Epimedusa, Telephe, neben E. Peiros und Astypale; vgl. Eur. in Schol. Eur. Rhes. 29. In dieser Genealogie weisen Libye, [1291] Peiros, Belos, vielleicht auch Epimedusa, auf argivischen Einfluß. Im Schol. Eur. Phoen. 217 sind Kinder des Agenor: Kadmos, Thasos, Kepheus, Kilix, Phoinix, E., Phineus. Bei Joh. Antioch. frg. 15 werden als Kinder des Agenor und der Tyro Kadmos, Phoinix, Syros, Kilix, E. genannt. Tyro weist sonst nach Thessalien, im Zusammenhang unserer E.-Genealogie ist sie aber als Eponyme der phoinikischen Stadt Tyros gefaßt; vgl. Eustath. Dion. Per. 911. E. Gattin des Agenor und Mutter des Kadmos, Schol. Stat. Theb. II 289.

Als Eponymos des Landes Phoinikien wird schon ursprünglich ein Phoinix gefaßt worden sein, der dann mit dem griechischen Heros identifiziert wurde. So verlegte sich auch das Lokal der E.-Sage nach Phoinikien, und zwar, wie wir annehmen müssen, in die alte Hauptstadt Sidon. Hellanik. und Apollod. in Schol. Il. II 494. Mosch. a. a. O. Dikt. I 2. Agenor als Vater oder Großvater der E. kann erst später mit dem phoinikischen Lokale verbunden und scheint dann in Tyros lokalisiert worden zu sein, Herodot. I 2. Apollod. III 2. Arrian. frg. 63. Tyro, Mutter der E. (s. o.). Die spätere Überlieferung freilich läßt bald den Phoinix in Tyros wohnen, bald den Agenor in Sidon, und nennt die E. fast auf derselben Zeile Tyrierin und Sidonierin; vgl. bes. Ovid. fast. V 605. 610. 617; met. II 640. 845. Außer Tyros und Sidon wird als Heimat der E. auch Sarepta genannt, Lyk. Al. 1300. Sen. Herc. Oet. 553 spricht von der Assyria puella. Kaisermünzen aus Tyros und Sidon (Head-Svoronos Ἱστορία τῶν νομισμάτων II 395. 399) mit dem Bilde der Blumen pflückenden E. und der E. auf dem Stiere beweisen, daß der Mythos in späterer Zeit als phoinikische Lokalsage behandelt wurde. Zum gleichen Schluß führt der Bericht des Lukian (de dea Syr. 4), wonach laut Aussage der Priester der Astartetempel in Sidon zu Ehren der E. errichtet worden war, als diese, von Zeus geraubt, verschwunden (ἀφανής) blieb. Gruppe (a. O. 251ff.) findet in der ältesten sidonischen Tempellegende, wie er sie sich vermutungsweise wiederherstellt, eine überraschende Ähnlichkeit mit dem E.-Mythos, wie er in der ältesten Zeit in Kreta erzählt worden sei. Die beiden Göttinnen Astarte und E. hätten somit schon in früher Zeit ausgeglichen oder identifiziert werden können, und es würde diese Sachlage auch die Annahme gestatten, daß E. überhaupt ein nach dem Westen verpflanzter Ableger der phoinikischen Astarte sei. Einen Beweis dafür gibt es nicht, und die ganze Kombination erscheint wenig wahrscheinlich. Die durch die Münzen belegte phoinikische E.-Sage ist verhältnismäßig jungen Datums; E. selbst hat keinen Platz in den wirklich einheimischen phoinikischen Mythen.

Die Sage von dem Raub und der Aufsuchung der E. führt uns wieder nach Boiotien zurück. Als Zeus, berichten Hesiod (frg. 52 K.) und Bakchylides (Schol. Il. XII 292), des Phoinix Tochter E. erblickte, wie sie mit ihren Gespielinnen Blumen pflückte, entbrannte er in Liebe. Sich nähernd, verwandelte er sich in einen Stier, dessen Atem von Krokos (oder Rosen) duftete, und täuschte so die E. Er trug sie nach Kreta hinüber und verband sich mit ihr. Dann vermählte er sie dem Kreterkönig Asterios, und sie gebar drei Söhne, [1292] Minos, Sarpedon und Rhadamanthys. Dies die Sage, wie sie mit geringen Varianten immer und immer wieder erzählt und noch häufiger als bekannt vorausgesetzt und angedeutet wird. Aber nicht nur in Kreta erzählte man von dem Beilager der E. Am boiotischen Teumessos (Τευμησσὸς λεχεποιής Hom. h. Ap. Pyth. 46) zeigte man die Höhle, die Zeus geschaffen haben sollte, damit des Phoinix Tochter dort verborgen sei, niemandem kund, weder Göttern noch Menschen, als nur Zeus allein. Antimachos bei Steph. Byz. s. Τευμησσός. Paus. IX 19, 1. E. Gattin des Βοιωτὸς Ζεύς Philostr. epist. 47 p. 248 Kayser. Vermutlich schon zu diesem Lokal gehört die Nachricht, daß Zeus der E. einen Wächter setzte: den Hund, der dann an Minos und von diesem an Prokris gekommen sein sollte, und als Gestirn an den Himmel versetzt wurde. Ps.-Eratosth. cat. 33 (Maass Comm. Arat. rel. 251). Hyg. astr. II 21. 35. Nach Nikandros frg. 97 bei Poll. V 89 war der Hund von Hephaistos aus Erz von Demonesos geschaffen, beseelt und dem Zeus als Geschenk übergeben worden. Ebenso alt scheint die Vorstellung von dem Drachen als Wächter der E., Eratosth. a. O. Gruppe a. O. 407ff. Speziell auf Kreta übernimmt dieses Amt der eherne Riese Talos, Schol. und Eustath. zu Od. XX 302, vgl. Ζεὺς Ταλλοῖς. Es ist anzunehmen, daß die ursprüngliche Sage eine Begründung des Verbergens der E. und ihrer Bewachung gab, was aber erzählt war, wissen wir nicht. Möglicherweise kommt das Verhältnis zu Kadmos in Betracht. Als E. verschwunden war, heißt es dann weiter, schickte der Vater Agenor (so Herodot. IV 147. Apollod. III 3. Arg. Eur. Phoen.; Phoinix: Hellanik. frg. 8) seine Söhne, oder Kadmos allein, die Schwester zu suchen. Die Fahrt geht bis nach Thrakien, andererseits soll auch Thera bei dieser Gelegenheit von Kadmos besiedelt worden sein (Herodot. a. O.). Des vergeblichen Suchens müde, wendet sich Kadmos nach Delphi und erhält vom Orakel den Spruch, in dessen Verfolg er Theben gründet. Diese Gründung steht im direkten Anschluß und ist die direkte Folge der Irrfahrt nach E., hat nur für Theben Bedeutung und ist alte einheimische Sage. Es muß angenommen werden, daß auch der Raub der E. in irgend welcher Form hier lokalisiert war, und daß Kadmos als nächster von diesem Raub betroffen war. Wenn wir nun bedenken, daß Kadmos als ursprünglicher Hauptgott von Theben zu gelten hat, daß er die Harmonia raubte, wie Zeus die E., daß Harmonia eine der Demeter ähnliche Naturgottheit war und E. gerade mit Demeter in Boiotien ausgeglichen erscheint, so ist die Hypothese erwägenswert (Gruppe a. O. H. D. Müller Myth. der griech. Stämme II 317ff.), daß E. ursprünglich Gattin des Kadmos war. E. schenkt dem Kadmos Geschmeide (Pherekyd. frg. 45 = Apollod. III 25); Kadmos ist Sohn des Agenor und der E. (s. o.) und steht zu dem Epeiros benachbarten Illyrien in Beziehung. Für die zeitliche Folge der einzelnen Sagenmomente scheint nicht unwichtig, daß auf Kreta von Kadmos und seinem besonderen Verhältnis zu E. nie die Rede ist.

In Lebadeia (über ähnliche Ortsnamen, die auch in den Geltungsbereich der E.-Sage gehören, s. Fick a. O. 20) führte Demeter den Beinamen [1293] E. Sie wurde zusammen mit ihrem Gatten Zeus verehrt und hieß Amme (= Mutter) des Trophonios, Paus. IX 39, 4–5. Es liegt auf der Hand, daß dieses Verhältnis das Produkt einer Ausgleichung der aus dem Nordwesten stammenden E. an die lebadeische Zeusgattin Demeter ist. Die chthonische Beziehung der E. ist nicht ursprünglich; möglich aber, daß der lebadeische Schlund von einem alten Dichter ,europisch‘ genannt war, so daß für die Späteren die Beziehung auf E. gegeben schien. Studniczka (Kyrene 146) vermutet, daß auch Kore (= Kyrene?) als Tochter des Zeus und der Demeter-E. gegolten habe. Mit Demeter erscheint öfters Poseidon gepaart, und es ist nicht undenkbar, daß auf eine Ausgleichung der zwei Götterpaare Zeus-E. und Poseidon-Demeter die Sage zurückgeht, wonach die Tityostochter E. von Poseidon Mutter des Euphemos wird. Pind. Pyth. IV 45ff. Apoll. Rhod. I 179ff. m. Schol. Hyg. fab. 14. 157. Schol. Plat. Tim. 24 E. Max. de ausp. 411ff. Jedenfalls gehört die Sage in dieselbe Gegend, aus der uns Demeter-E. bezeugt ist, denn Tityos stammt aus Panopeus, seine Gattin Elara wird anderwärts Tochter des Minyas oder Orchomenos genannt. Eigene Bedeutung hat die Tityostochter E. nicht, sie ist lediglich die Mutter ihres Sohnes und durch diesen in die lakonische, vermutlich auch in die theraeische Lokalsage eingedrungen. Die Sage von E. als Mutter des Minyers Euphemos ist vielleicht der letzte Ausklang einer andern, die den Landeskönig und Eponymen Minyas selbst als Sohn der E. kannte. Schon längst ist ausgesprochen (Kuhn Beitr. z. vergl. Sprachforsch. I 369. H. D. Müller a. O. II 344), daß Minos ursprünglich mit dem boiotischen Minyas identisch sein dürfte, und der Wahrscheinlichkeit aus sprachlichen Indizien gesellt sich diejenige nach sachlichen Momenten. Es ist einleuchtend, daß in Boiotien, wo die Phoinixtochter ihr Beilager mit Zeus gehalten, auch ein berühmter Sproß dieser Verbindung genannt worden sein muß. Aber auch die Figur des Rhadamanthys weist nach Boiotien zurück, denn die Sage berichtet, daß er vor seinem Bruder Minos aus Kreta fliehend nach Boiotien gekommen sei und sich dort mit Alkmene vermählt habe (Hom. Od. VII 323, vgl. Strab. IX 423). Minos und Rhadamanthys werden von Plat. a. a. O. Söhne der Asia (= Asopia?) genannt. Sarpedon, der mit Minos und Rhadamanthys den ständigen Dreiverein der E.-Söhne bildet (Hesiod. frg. 52 K. und Bakchylides in Schol. Il. XII 292. V 631. Apollod. III 3. Diod. IV 60, 2–3. V 78, 1. 84, 1. Hyg. fab. 155. 178. Schol. Stat. Theb. IV 530. VII 187), ist einerseits in Thrakien, andererseits in Lykien und Karien heimisch. Daß sich gerade dieser Dreiverein, mit Ausschluß des scheinbar näher als Sarpedon stehenden Aiakos, bildete, ist wohl aus kretischen Verhältnissen zu erklären. Auf uralte Beziehungen Boiotiens zu Epeiros weist hin Kretschmer Einleitung 279ff.

Die Spuren der E. in Attika weisen weniger auf Beziehungen zu Boiotien als auf solche zu der Landschaft jenseits des Saronischen Golfes hin. Vor allem scheint die Göttin Athena selbst in irgend welchem besondern Verhältnis zu E. zu stehen. Sie ist die Tochter des in Attika [1294] verehrten Zeus Hellenios (Herodot. IX 7), heißt selbst Hellenia (Eur. Hipp. 1121. Aristot. mirab. ausc. 108), hat in Marathon als Hellotis einen Kult (Pindar in Etym. M. 332. Schol. Pind. Ol. XIII 56), ihr Epitheton γλαυκῶπις steht dem Begriff von E. nahe, das Beiwort Phoinike erinnert an Phoinix. Eine Athenerin E. erscheint im kretischen Tribute (Serv. Aen. VI 21), ein Gigant Europeus auf einer sf. attischen Vase (Ἐφημ. ἀρχ. 1886 Taf. 7. Mayer Gig. u. Tit. 185), vielleicht ist auch der Ortsname Oropos identisch mit Europos (Gruppe a. O. 44. 210). Aigeus als Vorfahre des Europas, Telchin, der Vater des Argivers Europs und quasi Verwandte der Athena Telchinia, lassen weitere Beziehungen vermuten. Aiakos, der Heros des nahen Salamis und der Insel Aigina, ist Ahnherr attischer Adelsfamilien.

Megara kann in diesem Zusammenhang genannt werden als Mutterstadt des sizilischen Selinus, der Stätte der ältesten E.-Darstellung. In Korinth und der Argolis häufen sich die Sparen der E.-Sage, die aber unabhängig von der boiotischen erscheint. In Korinth dichtete Eumelos den Sang von E., das Epos Europia, aus dem wir eine thrakische Episode, eine Erwähnung von Delphi und einen Hinweis auf die Amphionsage kennen; von Korinth scheint auch der erste Anstoß zur bildlichen Darstellung der E.-Sage ausgegangen zu sein. Hier mag, wie in der Tochterstadt Syrakus (Münzen, Inschrift), Zeus Hellanios verehrt worden sein; hier (und in Sikyon?) wurde der Athena Hellotis das Fest der Hellotia gefeiert, bei welchem die mit einem zwanzig Ellen messenden Myrtenkranz bekränzten Gebeine der E. (Hellotis) umhergetragen wurden (Athen. XIV 678 B. Etym. M. 332). Die Namen der Schwestern der korinthischen Heroine Hellotia, Chryse und Kotyto, weisen nach dem Norden des Aegaeschen Meeres, wo auch E. heimisch war. Die Sikyonier stellten den Raub der E. an ihrem Schatzhause in Delphi dar (Bull. hell. XX 659 Taf. X). In ihrer Königsliste wie in derjenigen von Hermione erscheint der Name des Europs (Paus. II 5, 6. 34, 4). E. selbst ist in die adelige Genealogie verflochten als Gattin von fünf argivischen Heroen: des Aigyptos (Hippoetratos frg. 1 = Phlegon mirab. 59), des Atreus (Lact. Plac. Stat. Theb. IV 306), des Danaos (Apollod. II 16. FHG IV 432. Tzetz. chil. VII 381), des Pelops (Joh. Sik. ed. Stary p. 5), des Phoroneus (Schol. Eur. Or. 932). Besonders bedeutsam aber erscheint es, daß E. mit der argivischen Zeusgattin Hera, die den Beinamen Europia führte (Hesych.), ausgeglichen war, wie in Lebadeia mit Demeter. Die ,kuhäugige‘ Hera, die Geschichte von Zeus und seiner Geliebten Io in Kuhgestalt machen den Eindruck, Trümmer eines Sagenkomplexes zu sein, zu dem auch der stiergestaltige Zeus des E.-Mythos gehört. Man ist versucht, auch für E., in gewissen Gegenden und gewissen Phasen der Sage, an Kuhgestalt zu denken. In Betracht kommt bei diesen Hypothesen die Figur des kretischen und thessalischen Asterios, der auch in der Argolis eine Spur hinterlassen hat. In der Nähe des Heraions gab es einen Bach dieses Namens.

Aus der theräischen E.-Euphemossage sind in [1295] Sparta die beiden sekundären Namen Europas und Hyraios entstanden, die wieder mit dem athenischen Aigeus in Verbindung gesetzt sind (Paus. III 15, 8. Studniczka Kyrene 71); Karnos, der Sohn der E. (Praxilla frg. 7 = Paus. III 13, 5. Schol. Theokr. V 83. Hesych. Gruppe a. O. 162), ist wohl ursprünglich ein Bruder des Euphemos.

Weitaus am festesten haftet die Sage von E. an Kreta, wenn überhaupt das Land genannt ist, nach dem Zeus seinen Raub brachte, so ist es eben diese Insel. Hauptstätte des E.-Kultes ist die Stadt Gortys, ihre Münzen zeigen vom 5. Jhdt. v. Chr. bis ins 3. Jhdt. n. Chr. das Bild der E.; ebenso Münzen von Phaistos (5. Jhdt.) und Knosos (3. Jhdt.). Head-Svoronos a. O. I 582–585. 592. 605. Die Stadt hieß selbst früher Hellotis und feierte der E. Hellotis das Fest der Hellotia. Athen. XIV 678 B. Steph. Byz. s. Γόρτυν. Hesych. Etym. M. Gortys galt als Stiftung des Königs Tauros, Eustath. Dionys. Perieg. 88. In der Nähe befand sich die immergrüne heilige Platane, unter der Zeus sein Beilager mit E. gehalten haben sollte. Theophr. h. pl. I 15. Plin. n. h. XII 11. Varro r. r. I 7, 6. Man zeigte auch die Quelle, in der sich E. gebadet haben sollte und welche die Eigenschaft besaß, daß in ihrer Nähe Menschen auch bei starkem Regen unbenetzt blieben, Callim. frg. 100 F nr. 37 = Antig. 163. Auf die Vereinigung des Zeus mit E. unter oder auf (!) der heiligen Platane sind die Münzen von Gortys bezogen worden, welche eine weibliche Gestalt, der sich ein Adler oder Stier nähert, in den Zweigen eines Baumes sitzend darstellen. Svoronos (Revue belge de numism. 1894, 1ff. Taf. I) hat mit guten Gründen diese Deutung zurückgewiesen, seine eigene Erklärung der weiblichen Gestalt als Britomartis ist aber auch nicht ohne weiteres einleuchtend. Aus dem Umstand, daß der Baum der Münzen überhaupt keine Platane, sondern eine Eiche ist, und daß die mehrfach bezeugten, auf Bäumen thronenden Gottheiten (Zeus auf der Eiche, Apollon auf dem Lorbeer usw.) durchaus einer alten Kultvorstellung entsprechen, dürfte man eher wieder auf die dodonäische, in der Eiche thronende Gattin des Zeus-Euryopa schließen. Der Adler als Bote oder Repräsentant des Zeus ist bekannt, für die E.-Sage speziell allerdings nicht belegt. Als Ort des Beilagers erscheint auch auf Kreta wieder, wie in Boiotien, eine Höhle, die diktaeische Grotte. Lyk. 1300. Ovid. met. II 2. Als Hochzeitsgeschenk reicht Zeus der E. Schmuck (Pherekydes frg. 45 = Apollod. III 25), der Hera Tochter Angelos spendet ihr den der Mutter entwendeten Topf mit der Schminke, die dem Antlitz der Göttin strahlende Schönheit verliehen hatte (Schol. Theocr. II 12). Irgendwo auf Kreta hatte E. mit ihrem Bruder Atymnos zusammen einen Kult (Solin. II, 9). Eine der Schwestern der (aus Euboia?) zur Erziehung des Zeus nach Kreta gesandten Korybanten hieß E. (Schol. Bern. Verg. Georg. IV 151). In den ,Kretern‘ des Euripides war die E.- und Pasiphaesage behandelt.

Die am meisten vertretene und primäre Anschauung vom Raube ist die, daß Zeus selbst es war, der sich in den Stier verwandelte und die E. übers Meer nach Kreta trug. Insbesondere wird er als weißer Stier, dem ägyptischen Apis [1296] ähnlich, geschildert (Phrynichos frg. 15 ἀργιμήτας ταῦρος. Ach. Tat. II 15 Αἰγύπτιος βοῦς. Moschos II 85). Mit dem Betreten des Landes nimmt er wieder menschliche Gestalt an (Mosch. II 163. Luc. dial. mar. 15). Dafür, daß Zeus der E. in Stiergestalt sich genähert habe, läßt sich höchstens die wenig beweisende Stelle Clem. hom. V 13 (Ζεὺς Εὐρώπῃ διὰ ταύρου συνῆλθεν) anführen. In der Sage von Pasiphae jedoch ist, wenn auch in verblaßter Weise, die Verbindung der kuhgestaltigen Göttin mit dem stiergestaltigen Gotte enthalten. Der Name dieses Gottes wird Asterios gewesen sein – der Stier mit Stern und Strahlen auf kretischen Münzen ist das sprechende Bild – und seine Gattin die ,allleuchtende‘ Pasiphae (-Asteria). Mit diesem Götterpaar wurde das andere, Zeus-E., ausgeglichen. So erklärt sich die Stiergestalt des Zeus, erklärt sich, wie Pasiphae in Deszendenz und unrühmliche Stellung rückte, und wird der oft überlieferte und von vornherein Mythenmischung verratende Zug der Sage verständlich, daß die dem Zeus vermählte E. dem Asterios als Gattin zugewiesen wird und in der Ehe mit diesem - kinderlosen - Gemahl den Minos, Sarpedon und Rhadamanthys gebiert. Hesiod. frg. 52 K. Bakchyl. frg. 56 Bgk. Apollod. III 5. Lycophr. 1301 und Schol. Diod. IV 60, 2–3. Nonn. Dionys. I 344ff. II 693ff. XXXV 385ff. Schol. Il. XII 292 Etym. M. 588, 23; s. o. Bd. II S. 1784ff. In Kreta scheint die angedeutete Entwicklung besonders deutlich hervorzutreten, doch ist damit noch nicht gesagt, daß sie erst hier ihren Anfang genommen.

Nach einer anscheinend sekundären Version wurde E. durch einen von Zeus gesandten Stier entführt. Akusilaos FHG I 102, 20 bei Apollod. II 94. Callim. frg. 13 b mit 275. Mosch. II 120ff. Dittrich Jahrb. f. Philol. Suppl. XXIII 171. Dieser Stier soll nach Akusilaos mit dem von Herakles bezwungenen identisch sein. An eben diese Version knüpft die Sage von der Verstirnung des E.-Stieres an. Eurip. frg. 820 N.2 Ps.-Eratosth. cat. 14. Schol. Arat. 167 (Maass Comm. Arat. rel. 211). Hyg. astr. II 21. Nonn. Dionys. I 355ff. Ovid. fast. V 603ff. Die euhemeristische Deutung geht dahin, daß ein kretischer König oder Heerführer namens Tauros Tyros oder Sidon erobert und E. als Beute nach Kreta geführt habe. Herodot. I 2. Arrian. frg. 63 = Eustath. Dionys. Perieg. 270. Palaeph. 16. Tzetz. Lycophr. 1299. Joh. Antioch. frg. 15. Oder E. soll auf einem Schiffe mit dem Parasemon eines Stieres nach der Insel gekommen sein. Tzetz. a. O. Fulg. myth. I 20. Pollux I 83. Schol. Lucan. VI 400. Sil. Ital. XIV 568ff. Lact. inst. II 19.

In den bildlichen Darstellungen der E.-Sage zeigt sich vor allem die Szene E. auf dem Stier; erst spätere Monumente stellen auch die dem eigentlichen Raube unmittelbar vorangehende Situation, den Vorgang am Strande von Sidon, dar. Über die große Zahl von E.-Darstellungen haben eingehend und erschöpfend gehandelt Jahn Denkschr. d. Wiener Akad. 1870, philol.-hist. Kl. XIX 1ff. Stephani Comptes Rendus 1866, 79ff. 1870/71, 181ff. Overbeck Griech. Kunstmyth. II 1, 420ff. Weitaus das älteste Monument ist die Metope vom Tempel S in Selinus, die dem Ende des 7. oder dem Anfang des 6. Jhdts. angehört. [1297] E. wird vom Stiere über das durch zwei Delphine angedeutete Meer getragen. Das Schwimmen des Tieres kommt nicht deutlich zum Ausdruck, seine Bewegung ist eher als ein Gehen aufzufassen. Mon. ant. dei Lincei II 958ff. Taf. I. Röm. Mitt. VII 193. Ähnliches zeigt sich übrigens auch auf den zeitlich anschließenden Denkmälern. Im engen Rahmen der Metope, auch auf räumlich weniger beschränkten Bildflächen, wie z. B. Vasen, hat das ruhige Gehen des Tieres, sofern nur noch nicht die Wasserfläche selbst dargestellt ist, nichts Störendes oder besonders Auffälliges. Der Beschauer denkt an den mythischen Vorgang des Raubes und nicht an die physische Beschaffenheit des Bodens, auf dem er sich abspielt. Bei fortschreitender malerischer Behandlung der Szene, auf den Monumenten, wo Zeus die E. über das wirklich dargestellte Wasser dahinträgt, war das ruhige Stehen oder langsame Gehen des Tieres zu unwahrscheinlich und wurde durch eine rasche Bewegung ersetzt, vermöge derer der Stier entweder die Wellen kaum berührt (wie von Euphemos berichtet ward) oder mit den Hinterbeinen tief einsinkt, als ob er sich auf weichem morastigem Boden bewegte. Ein eigentliches Schwimmen, wobei der Stier bis an den Hals ins Wasser hätte tauchen müssen, ist nie dargestellt worden. An die Metope von Selinunt schließt sich diejenige vom Schatzhause der Sikyonier in Delphi, die etwa in die Mitte des 6. Jhdts. fallen wird. Homolle Bull. hell. XX 657ff. Taf. X. Wieder ist der Stier nach rechts schreitend dargestellt; E., langbekleidet, sitzt auf seinem Rücken und hält mit der einen Hand das Horn, während die andere sich auf die Kruppe des Tieres stützt. Im freien Raum über der Gruppe zeigen sich undeutliche Spuren; vielleicht war ein Vogel, eher noch ein Delphin dargestellt. Das Fassen des Hornes, der unverkennbare Ausdruck der Angst in der Haltung der E. bedeuten einen Fortschritt in der Entwicklung der Szene, die auf spätern Monumenten, besonders Vasenbildern, weiter dahin gesteigert ist, daß E., vom Rücken des Stieres herabgeglitten, sich nur noch am Horne festhält. Dieses halb Schweben halb Liegen des weiblichen Körpers neben dem gewaltigen Tiere als Hintergrund ist vom rein malerischen Gesichtspunkt aus recht wirksam, entspricht aber nicht mehr der Überlieferung und ist an und für sich unmöglich. In die Mitte des 5. Jhdts. fällt das Werk des Pythagoras von Rhegion, auf das die Tarentiner besonders stolz waren. Varro de l. l. V 31. Cic. Verr. IV 60. Tat. ad Gr. 53. Eine Nachbildung dieses Werkes vermuten Jahn (a. O. 14) und Murray (Greek sculpt. I2 248 Fig. 53) in der aus Kreta stammenden Marmorgruppe des Britischen Museums. Die sf. Vasen stellen anfangs den Stier noch stehend oder ruhig schreitend dar, so die Vasen bei Jahn Vasensamml. München 208. Helbig Führer2 1201. Furtwängler Vasensammlung Berlin 1881. 2097; Röm. Mitt. II 258. In späteren Exemplaren dieser Gattung (so Heydemann Vasensammlung Neapel RC 218) und auf den rf. Vasen ist der Stier in eiliger Bewegung. Dadurch motiviert ist nun auch die Lösung des Gewandes der E., das nur noch den Unterkörper und die Beine, wo es festgehalten wird, umschließt, über dem Kopfe dagegen sich bauscht wie ein [1298] Segel im Winde und so einen wirkungsvollen Hintergrund bildet. Oft fällt es der künstlerischen Mode gemäß auch ganz weg. Während auf den ältesten Monumenten die Nebenfiguren ganz fehlen, zeigen sich solche schon auf sf. Vasen, um dann immer häufiger zu werden. In einzelnen Fällen, so wenn Zeus als Rückdarstellung zu E. auf dem Stiere erscheint, liegt die Deutung und die Beziehung auf die Gruppe klar. In der Mehrzahl der Fälle jedoch dürfte eine Deutung (auf Agenor, Kadmos, Phoinix u. a.) kaum möglich oder überhaupt unzutreffend sein. Man wird sie grundsätzlich kaum anders auffassen können als die Eroten, Meertiere und Meerwesen aller Art, die der Szene beigefügt werden: als Staffage. Eine Weiterbildung erst solcher figurenreicher Bilder bedeuten die Darstellungen, welche eine wirkliche Szene wiedergeben, sei es E. auf dem Stier mit dem Hintergrund der erschrockenen Gespielinnen am Ufer (Mosaik aus Palestrina, Jahn a. O. Taf. II, Gemälde im Grabmal der Nasonier. Ach. Tat. I 1, vgl. Helbig Campanische Wandgemälde 122ff.), sei es die Szene, wie E. den Stier streichelt, auf blumiger Wiese, umgeben von Gespielinnen und in Gegenwart von Zeus, Aphrodite, Eros u. ä. (Helbig Führer2 1239. Heydemann a. O. 3218. Gerhard Auserl. Vasenb. II 90). Während die Mehrzahl der E.-Darstellungen dem eigentlichen Griechenland anzugehören scheint, kennzeichnen sich eine Reihe von Vasen als ionischen, kleinasiatischen Ursprungs. Dümmler Röm. Mitt. III 167. Böhme ebd. IV 214ff. Zwei Terrakotten in Dresden sind besprochen im Arch. Anz. IV 158. X 220. Mosaik aus Utina, Gauckler Mon. Piot III 1896, 190.

Der personifizierte Erdteil E. ist mehrfach dargestellt, hat aber keine typische Ausgestaltung erfahren. Wir finden ihn auf einem Bronzerelief des Britischen Museums (Arch. Ztg. 1884 Taf. II 2. Roscher Myth. Lex. III 819), wo Okeanos, umgeben von den drei Frauengestalten E., Asia und Libye erscheint. Ähnlich auf dem campanischen Wandgemälde Helbig 1113. Einen Schild mit der Schlacht von Arbela halten die inschriftlich bezeichneten zwei Frauen Asia und E. (Jahn Bilderchroniken VI M. IG XIV 1296). Als Bakchantin, mit dem Satyr Italos zusammen die Taten des Herakles betrachtend, zeigt sie das Monument IG XIV 1293.

[Escher. ]