Eunomia (Εὐνομία). 1) Die Gesetzmäßigkeit personifiziert (Gegensatz δυσνομία, ἀνομία und παρανομία, s. d.). ,E., die in der Ordnung des Gesetzes Prangende, veranschaulicht mit einem einzigen Wort, dessen schöne Begriffsfügung in jeder anderen Sprache unnachahmlich ist, die die ganze Natur beherrschende Gesetzmäßigkeit, welche sich aber nicht als Zwang offenbart, sondern als freie Hingebung an jene uranfänglichen Vorschriften, durch welche die Welt im Innersten zusammengehalten wird‘ (Braun Griech. Götterl. 270 § 362).
E. erscheint zusammen mit Dike (s. d.) und Eirene (s. d.) als eine der drei Horen (s. d.) und somit als Tochter der Themis von Zeus, Hesiod. theog. 901ff. Pind. Ol. XIII 6ff. (vgl. auch Ol. IX 25ff., wo zusammengenannt werden Themis und ihre Tochter E. σώτειρα μεγαλόδοξος). Lyr. frg. adesp. 140 Bergk. Orph. hymn. XLIII 1ff. und Hymnos auf Zeus, Inschr. v. Perg. nr. 324, 15 (S. 241). Apollod. I 13 W. Hyg. fab. 183 (p. 36, 10 Sch.). Diod. V 72f. Cornut. de nat. deor. 29. Dio Chrysost. or. I 74 p. 16 Dind., wo der Dreiverein Dike, E. und Eirene in unmittelbarer Nähe der Βασιλεία, des personifizierten Königtums, erscheint. Überall, außer bei Apollodor und Dion, kehrt die Hesiodische Reihenfolge der Horen wieder: E., Dike, Eirene. Eustasie steht an Stelle der Dike im Zeushymnos, Inschr. v. Perg. 324, 15; ebd. ist in dem Bruchstück nr. 94 (S. 62) nicht E., sondern am ehesten Εὖρος zu ergänzen, vgl. p. XIX. Dike, E. und Themis nennt zusammen Bakchylides c. XIV 54f. Blass; zu ἁγνᾶς Εὐνομίας vgl. Εὐνομίῃ θεᾷ ἁγνῇ Orph. hymn. LXXVI 10; ferner hat Bakchyl. c. XII 186ff. Εὐνομία τε σαόφρων κτλ., wozu v. Wilamowitz Gött. gelehrt. Anz. 1898, 133. In dem Epigramm bei Kaibel Epigr. Gr. 1110, das, etwa dem 2. Jhdt. v. Chr. angehörend, enge sich an Hesiod W. u. T. 197ff. anschließt, erscheinen Aidos und E. als Horen, der Name einer dritten ist nicht erhalten. Vgl. L. Deubner bei Roscher Myth. Lex. III 2088, 49ff. Tyrtaios hat das Gedicht, mit dem er den infolge einer Hungersnot ausgebrochenen Wirren entgegentrat, E. betitelt, frg. 1–9 Bgk., und in seinem Testament an die Athener schildert Solon der E. Wesen und wohltätig Wirken aufs nachdrücklichste, frg. 4, 33ff. Alkman feierte die Tyche (des Staates) als Schwester der E. und der Peitho und als Tochter der Prometheia, d. h. als Tochter der vorbedenkenden Überlegung und Schwester der guten Verfassung und der milden Lenkung durch Überredung, frg. 62 Bgk. (aus Plut. de fort. Rom. 4 p. 318 B). Vgl. Preller-Robert Griech. Myth. I 479. 509. Bruchmann Epith. deor. 118. Deubner a. O. 2098, 4ff. Von den sieben εἴδη θεῶν, die die Stoiker unterschieden, beziehen sich das vierte und fünfte auf πράγματα und πάθη; für die πράγματα werden Elpis, Dike und E. angeführt, [Plut.] de placitis philosoph. I 6 p. 880 C; stoisch ist auch die Gleichsetzung nicht nur von Physis, Heimarmene und Ananke, sondern auch E., Dike, Homonoia, Eirene, Aphrodite καὶ τὸ παραπλήσιον πᾶν, Philod. π. εὐσεβείας (Gomperz Herkulan. Stud. II 1) p 79, 1ff., vgl. Deubner a. O. 2090, 49ff E. hatte teil am Kulte der Horen, s. d.; Kult der Themis und der E. zu Opus (Lokris) kann aber nicht, wie Rapp
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tut bei Roscher Myth. Lex. I 2741, aus Pind. Ol. IX 25f. erschlossen werden, vgl. Gruppe Griech. Myth. 1064 A. Dagegen ist Athen eigentümlich die gemeinschaftliche Verehrung der Eukleia (s. d.) und der E.; ein Heiligtum beider Göttinnen zu Athen wird erwähnt in der großen Restaurationsurkunde von der Akropolis, Ἐφημ. ἀρχ. 1884, 170, 53. Eine Reihe von Inschriften bezeugen das Priestertum beider: der Priester war lebenslänglich im Amt, IG III 623f., 13f. (ἱερέα Εὐκλείας καὶ Εὐνομίας διὰ βίου) und hatte einen Ehrensitz im Dionysostheater, vgl. die Sesselinschrift IG III 277 (ἱερέως Εὐκλείας καὶ Εὐνομίας), ferner IG III 733. 738 (= CIG 258); unsicher ist die attische Provenienz von IG II 1598. Vgl. Milchhoefers Zusammenstellung bei E. Curtius Stadtgesch. v. Athen p. XXIXf. W. Vischer Kl. Schr. II 361. Usener Göttern. 369f. Deubner a. O. 2072f., 66ff. 2134, 43ff. Für E. als attischen Schiffsnamen vgl. IG II Ind. p. 84. Allgemein von Altären der E. wie der Dike und der Aidos spricht Demosth. XXV 35, vgl. für E. auch Demosth. XXV 11, und ein indirektes Zeugnis für den Kult der E. bietet Polyb. XVIII 54, 10. E. erscheint als Bezeichnung einer Örtlichkeit, sei es nun eines Tempels der E. oder etwa des Justizgebäudes (προπάροιθε Εὐνομίας erstellten sie der Kypris einen Tempel), in einer Inschrift aus dem ehemaligen Lato auf Kreta, vgl. Mon. ant. pubbl. per cura della R. Accad. dei Lincei VI 1896, 275. Auf dem 4. Jhdt. angehörender Silbermünze von Gela (Sizilien) findet sich die Beischrift ΕΥΝΟΜΙΑ zu einem dem der Demeter ähnlichen Frauenkopf mit σφενδόνη, vielleicht als Epitheton der Demeter, K. O. Müller Handb. d. Arch. 406, 2. Head HN 124. Orsi Röm. Mitt. XIII 1898, 306, 2. Mehrfach ist E. durch Beischrift gesichert auf rf. Vasen wiedergegeben als bekleidete Frauengestalt ohne besondere Charakteristik im Vereine mit verwandten weiblichen Personifikationen im Hofstaate der Aphrodite, so zwischen Kleopatra und Paidia zusammen mit Peitho und Eudaimonia um Aphrodite und Eros gruppiert, CIG 8361. Stackelberg Gräber d. Hell. Taf. XXIX. Müller-Wieseler Denkm. d. alt. Kunst. II 27, 296 (S. 28f.). Jahn Arch. Beitr. 214f.; Über bemalte Vasen mit Goldschmuck 4, 3. Lenormant und De Witte Elite des mon. céramogr. IV 62 (p. 190ff.); ferner E. rechtshin sitzend, Paidia, Eudaimonia, Himeros, Harmonia, Hygieia bei Aphrodite, die Pothos und Hedylogos vor einem zweirädrigen Wagen an den Zügeln hält, Catal. of vases in the Brit. Mus. III pl. 20. Roscher Myth. Lex. III 2122 Fig. 10; ferner E. zwischen Eukleia und Pannychis mit Harmonia und Klymene der Aphrodite mit Eros beigesellt, rechtshin stehend, in der rückwärts gesenkten Rechten einen Sack (? nach Minervini ,un calatisco rovesciato‘), in der vorgestreckten Linken ein Alabastron haltend, auf einer Neapler Schale CIG 8362 b. Minervini Bull. arch. nap. n. s. II 1854, 125ff. z. pl. VI. Heydemann Vasens. d. Mus. Naz. zu Neapel 708f. S. A. nr. 316 S. Reinach Rép. des vases I 477, 2; Heydemann denkt bei Harmonia, Eukleia und E. an die drei Chariten (s. o. Bd. III S. 2152, 61ff.), wozu Pannychis und Klymene als göttliche Dienerinnen der
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Aphrodite kämen; ferner E. rechtshin stehend vor einem niederen Altar und einer Säule mit Idol zwischen Thalcia und Aphrodite (?) auf einer attischen Lekythos mit Goldschmuck, Collignon Rev. arch. n. s. XXX 1875, 75f. z. pl. XX; ferner EYNOMIH zwischen Artemis und Euthymie in der Umgebung der Aphrodite mit Himeros und Eros, auf ein links vor ihr stehendes Thymiaterion zuschreitend und darauf mit der Rechten aus einer Schale in der Linken Weihrauchkörner streuend, auf der Prachtamphora mit Hochzeit des Herakles und der Hebe aus Ceglie (Apulien) zu Berlin nr. 3257 (1016), Furtwängler Beschr. II 908f. CIG 8399. Gerhard Apul. Vasenb. Taf. XV Heydemann Satyr- und Bakchennamen (5. Hall. Winckelmannsprogr. 1880) 17 (Q). Baumeister Denkm. (I) 630f. Abb. 700. Kretschmer Griech. Vaseninschr. 220; dagegen ist nicht E., sondern ΔΙΩΝΗ die richtige Ergänzung für die Beischrift der Frauengestalt neben Eirene (vgl. o. Bd. V S. 2132, 26ff.) auf dem Krater Lamberg zu Wien mit Darstellung des dionysischen Thiasos, vgl. zu Jahn Vasenb. 17, 16 CIG 8381. Lenormant bei Daremberg-Saglio Dict. I 605 Fig. 682. Milani Röm. Mitt. V 1890, 105. S. Reinach Rép. des vases II 200, s. o. Bd. V S. 880, 22ff. Vgl. Deubner a. O. 2116, 64. 2117, 32. 2119, 14ff. 2166, 13ff.