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RE:Eriphyle

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Gattin des argivischen Sehers Amphiaraos
Band VI,1 (1907) S. 460463
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Eriphyle (Ἐρῖφύλη, Ἐριφύλά), Gattin des argivischen Sehers Amphiaraos, Mutter ihres eigenen Mörders, des Alkmeon. Ihr Grab (μνῆμα) beim Heiligtum des Amphiaraos in Argos erwähnt Paus. II 23, 2. Sie ist im argivisch-thebanischen Sagenkreis in beiden Eigenschaften mehrfach und verschieden dargestellt. Je zwei Versionen sind faßbar, sowohl ihres Verhältnisses zu Amphiaraos (A) als auch zu Alkmeon (B).

A. 1. Pindar Nem. IX 21ff. erzählt oder deutet vielmehr an eine allgemein bekannte Sage: Adrast, des Talaos Sohn, mit seinen Geschwistern mußte aus Argos vor Amphiaraos und schlimmem Aufruhr fliehen; aber Versöhnung wird besiegelt durch Vermählung ihrer Schwester E. mit Amphiaraos, E. der Mannesmörderin; denn Amphiaraos zog mit gegen Theben und kehrte nicht zurück. Schol. Pind. Nem. IX 35. Schol. Hom. Od. XI 326. Hyg. fab. 73 klären diese Andeutungen auf durch die Sagenform, E., als Schiedsrichterin für künftige Differenzen zwischen ihrem Gatten und ihrem Bruder Adrast anerkannt, habe, von Adrast durch ein Halsband bestochen (beliebtes Motiv; vgl. Skylla bei Aischylos Choeph. 600), gegen Amphiaraos entschieden und ihn so gezwungen mit Adrast [461] gegen Theben zu ziehen. Vgl. Apollod. Bibl. I § 103 Wg. Diod. IV 68, 4. Paus. II 18, 4. Ich habe diese sich klar abhebende und in sich geschlossene Version dem verschollenen Homerischen Epos Ἀμφιάρεω ἐξέλασις vermutungsweise zugeteilt.

2. In der mythographischen Überlieferung stellt sich E. aber auch in ganz anderen Verhältnissen dar, nicht als übergeordnete Schiedsrichterin, sondern als gemeine Verräterin ihres Gatten Amphiaraos. Nicht Tochter des Talaos, sondern des Iphis, Schol. Hom. Od. XI 326, wird sie bestochen nicht von Adrast, sondern von Polyneikes, dem Sohne des Oidipus, damit sie die Teilnahme ihres Gatten am Kriege gegen Theben erzwinge. Sie tut es, indem sie den Versteck des Amphiaraos verrät, wo er sich verborgen, um dem Unheil, das er voraussah, zu entgehen, Hyg. fab. 73. Stat. Theb. III 572. IV 187; vgl. Aischyl. Sept. 365f. Polyneikes bestach sie mit dem berühmten ὅρμος, Plat. Rpbl. VIII 590 A. Hom. Od. XV 247. XI 327. Sophocl. El. 837. Eurip. frg. 70. Es war dies ein köstliches Erbstück im Hause des Kadmos gewesen; nach Pherekydes FHG I 45 = Apollod. Bibl. III 25 Wg. hatte es Kadmos von Europa, nach andern von Hephaistos erhalten; oder Harmonia war bei ihrer Hochzeit mit Kadmos so beschenkt worden, Hellanikos FHG I 12 = Schol. Eurip. Phoeniss. 71.

Die archaische Kunst hat diese Sage in Form einer Abschiedsszene dargestellt. So am Kypseloskasten, Paus. V 17, 4, und identisch am Korinthischen Krater im Berliner Museum nr. 1655, Mon. d. Inst. X 4, 5 = Wien. Vorlegebl. 1889 X = Baumeister Denkm. 67. Vgl. Robert Bild und Lied 14. Bethe Theb. Heldenl. 127. Mehrere andere Vasenbilder sind auf dieselbe Szene bezogen worden, s. Overbeck Her. Gallerie IV 1ff., meist bedenklich. Ich habe diese Sagenform für das Homerische Epos Thebais vermutet, a. a. O. 82ff.

B. Mit dieser letzten Version des Verrates der E. steht im ursächlichen Zusammenhang die Rache, die ihr ältester Sohn Alkmeon an ihr für den Tod des Vaters Amphiaraos nahm. Die Analyse der mythographischen Überlieferung ergibt zwei Versionen, die schon in Epen ausgebildet zu sein scheinen.

1. Als die Epigonen, den Tod ihrer sieben Väter an den Thebanern zu rächen, den Krieg gegen Theben rüsten, wiederholt E. ihren Verrat. Wie damals von Polyneikes durch das Halsband der Harmonia, wird sie nun von dessen Sohn Thersandros mit dem Peplos der Harmonia (Hellanikos FHG I 12 = Schol. Eurip. Phoeniss. 71) bestochen und veranlaßt ihren Sohn Alkmeon oder auch beide Söhne, Alkmeon und Amphilochos, mit den Epigonen zu ziehen, Apollod. Bibl. III 81 Wg. Diod. IV 66. Nach dem Siege über Theben vollzieht Alkmeon an E. die Rache auf Geheiß Apollons, Apollod. Bibl. III § 86 Wg., vgl. Paus. VIII 24. Von der Erinys lange umgetrieben, findet er schließlich Ruhe auf einem vom Acheloos angeschwemmten Eilande, das, erst nach der Ermordung E.s aus dem Meer aufgetaucht, rein von ihrem Blute ist, ebd. und Thuc. II 102. Ich habe diese Form dem Homerischen Epos Epigonoi, die Söhne der sieben Helden um Theben zugeschrieben, a. a. O. 129. 135ff. [462]

2. Nach der andern Version tötet Alkmeon seine Mutter E. vor dem Epigonenzuge gegen Theben und wird auch vorher gesühnt, Schol. Hom. Od. XI 326, auf das Epos Alkmeonis von mir a. a. O. 129. 130ff. zurückgeführt.

Auf die Ermordung E.s durch Alkmeon ist ein archaisches Vasenbild gedeutet worden von G. Loeschcke Athen. Mitt. XXII 263, vgl. Arch. Ztg. XXXVIII 189, einige etruskische Aschenkisten von G. Körte Urne Etrusche II tav. 26f., bes. 27, 4.

C. An das verfluchte Halsband, mit dem E. bestochen war, hat die Sage weiter angeknüpft. Im arkadischen Psophis habe Alkmeon, vom König Phegeus vom Muttermorde gesühnt, dessen Tochter Alphesiboia (Paus.) oder Arsinoe (Apollod.), die ihm zur Ehe gegeben, jenes Halsband (und den Peplos, Apollod.) geschenkt. Von der unversöhnten Erinys weiter getrieben, habe er, von Apollon beraten, auf dem unbefleckten Neulande am Acheloos Ruhe gefunden und dort des Acheloos Tochter, Kallirrhoe, geheiratet. Als diese das Halsband verlangt, habe Alkmeon sich nach Psophis begeben, sei aber dort von den Söhnen des Phegeus, seinen Schwägern, Temenos und Axion (Paus.) oder Pronoos und Agenor (Apollod.), erschlagen worden. Diese haben dann das unheilvolle Halsband E.s dem Apollon nach Delphi geweiht, Paus. VIII 24, 8–10. Apollod. Bibl. III § 87–93 Wg., beide aus derselben mythographischen Quelle. Behandelt hatte diese Sage Euripides im Ἀλκμέων διὰ Ψωφῖδος vom J. 438, Nauck TGF2 379ff., deren Hypothesis bei Apollodor und Pausanias verarbeitet ist; vgl. Bethe Theb. Heldenl. 135ff.

Das Halsband E.s in Delphi als Schmuckstück gezeigt, habe, von phokischen Tempelschändern 346 geraubt, noch einmal seine unheimliche Macht geübt; das mit ihm beschenkte Weib brachte ihrem Gatten den Tod, so Ephoros oder sein Sohn Demophilos im 30. Buche FHG I 275 = Athen. VI 232 E ff. Diod. XVI 64. Parthen. 25.

D. Das Schattenbild der Gattenmörderin E. gehört seit Hom. Od. XI 326f. zum dauernden Bestαnde der Unterweltsbilder. So hat sie Polygnot in der Lesche zu Delphi mit dem Halsbande in der Hand gemalt, Paus. IX 29, 7. So erwähnt sie Vergil Aen. VI 445 crudelis nati monstrantem vulnera.

E. Obgleich E. in der Heldensage so lebensvoll ausgestaltet war, scheint sie die Dichter, auch die tragischen, kaum gereizt zu haben. Stesichoros muß sie in einem Chorliede wohl besonders hervorgehoben haben, da es E. betitelt wurde; doch wissen wir nur davon, daß die Niederlage der Sieben vor Theben und Amphilochos darin vorkamen, Bergk PLG III 211. E. ist der Titel einer Tragödie des Sophokles. Da nach frg. 199 N.2 E. darin ihren Sohn Alkmeon angeredet hat, so ist Welckers Vermutung (Griech. Trag. I 269ff.) nicht unwahrscheinlich, daß E. identisch war mit seinen Epigonen, in denen nach frg. 187 offenbar der E. ihre Sünden vorgehalten werden. Ihr hat frg. adesp. 2 v. Wilamowitz De tragic. graec. fragm. (Götting. 1893) 26 zugesprochen. Eine Tragödie E. hat nach Suidas auch der Tragiker Nikomachos von Alexandreia in Troas geschrieben. Unter den Tragödien des Accius erscheint ebenfalls eine E. [463]

Literatur: Welcker Epischer Cyklus II2 320ff. Immisch Klaros 137ff. Bethe Thebanische Heldenlieder 44. 52ff. 78. 99ff.

[Bethe. ]