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RE:Eos

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Morgenröte, Figur d. Sage
Band V,2 (1905) S. 26572669
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Eos, die Morgenröte, ionisch Ἠώς, aiolisch Αὔως, attisch Ἕως, vereinzelt Αως auf einer rf. Vase, Journ. of Hell. Stud. 1890 Taf. 6; Ειως auf einem rf. attischen Krater im Stile des Duris, Robert 15. Hall. Winckelmannsprogramm 1891 Taf. I. Kretschmer Griech. Vaseninschr. 136.

1. E. ist sprachlich und sachlich gleichbedeutend mit der vedischen Ushás (Kägi Der Rigveda² 73) und der römischen Aurora, doch sind die griechischen Vorstellungen nicht aus dem Indischen übemommen, sondern bei beiden Völkern haben sich die gleichartigen Gestalten selbständig entwickelt. Kretschmer Einleitg. 82f. Etym. Gud. 95, 20. 252, 54. Etym. M. 440, 39. Serv. Aen. VI 204. Leo Meyer Griech. Etym. I 334. 600.

2. Eltern der E. sind Hyperion und Theia, ihre Geschwister sind Helios und Selene. Hes. th. 371f. Apollod. I 8. Hyg. fab. praef. p. 11 Schmidt. Stat. Theb. II 140, vgl. Schol. Stat. Theb. III 35. Oder E. ist Tochter des Hyperion und der Euryphaessa, Hom. h. 31, 6. Tochter des Helios: Pind. Ol. II 58. Dionys. hymn. 2, 7. Orph. h. 8, 4. Tochter der Euphrone (Nyx): Aisch. Ag. 265, der Nyx: Quint. Smyrn. II 625. Tzetz. Hom. 285. Statt des Titanen Hyperion oder Helios (Τιτώ Beiname der E. Kall. frg. 206. Lykophr. 941. Mayer Gig. und Tit. 78ff.) wird als Vater Pallas genannt; Ovid. met. IX 421. XV 190. 700 (Pallantias, Pallantis); fast. IV 373. VI 567.

Mit Astraios zeugt E. die Winde (Argestes, Zephyros, Boreas, Notos): Hes. th. 378f. Apollod. I 9. Hyg. a. O. Schol. Stat. Theb. II 14. Serv. Aen. I 132, und die Sterne, unter denen besonders der Heosphoros hervorgehoben wird, Hes. th. 381, ferner die Dike-Iustitia, die als ,Jungfrau‘ an den Himmel versetzt ist, Arat. phaen. 98 und Schol. Hyg. astr. II 25, vgl. Erigone. Über andere Liebesverbindungen und Sprößlinge der E. s. u.

3. Verehrung der E. ist vorauszusetzen für diejenigen [2658] Gegenden, in denen ihre Mythen lokalisiert, oder in welche sie übertragen waren. Ein eigentlicher Kult der E. wird nicht erwähnt. Doch möchten vielleicht auf einen solchen in vorhistorischer Zeit die Beiworte ἐύθρονος und χρυσόθρονος schließen lassen. Reichel Vorhell. Götterkulte 53. Ein nüchternes Trankopfer (νηφάλια) wurde ihr mit Helios, Selene und andern Gottheiten in Athen dargebracht. Polemon frg. 42 = Schol. Soph. Oed. Col. 100, vgl. 477 und Schol. Vielleicht ist in diesem Zusammenhange auch eine Münze von Alexandreia mit der inschriftlich bezeichneten Ηω zu nennen. Head-Svoronos Ἱστορία τῶν νομισμάτων II 467. Ovid. met. XIII 567f. beklagt sich E., daß sie nur rarissima templa per orbem habe. Auf Mißverständnis beruht wohl die Notiz über Mysterien der E. in Argos, Eudokia de S. Cypriano II 52f., vgl. Confessio Cypriani c. 2.

Die Gestalt und der Name der E. finden sich verbunden mit folgenden Gegenden: Thessalien und Makedonien (Tithonos, Emathion), Boiotien (Orion), Attika (Kephalos, Erigone), Delos (? Orion), Rhodos (s. u. 10 r), Kos, das Land des Merops, wo die Ställe der E. sind (Eur. frg. 771), Argos (Erigone), Arkadien (Erigone, Auge, Artemis-Hemera in Lusoi), Kypros (Paphos, Sohn der E., Gruppe Griech. Myth. 336), Ägypten (Memnon. Bild der E. in Theben, Schol. Dion. Per. 509), Syrien (Tithonos und Memnon).

4. Früh morgens erhebt sich E. vom Lager von der Seite des erlauchten Tithonos, um den Unsterblichen und den Menschen das Licht zu bringen, Il. IX 1; Od. V 1. Tithonos ist der Gatte der E., sein Epitheton ἀγαυός stellt ihn in eine Reihe mit den Göttern und den glänzendsten Gestalten der Heroensage. Als Gatte der Lichtbringerin muß er selbst eine Lichtgottheit sein, und wahrscheinlich ist er urspünglich der Sonnengott selbst, worauf auch der Name zu deuten scheint (Τιθωνός = Τίταν Schol. Il. IX 1. Eustath. z. d. St. Schol. Bern. Verg. Georg. III 28. Mayer a. O.). Gegenüber dieser Bedeutung des Tithonos zeigt der Homerische Hymnos auf Aphrodite (218f.) eine ganz veränderte Auffassung. E. raubt sich den göttergleichen Tithonos, aus ilischem Geschlecht. Sie erbittet für ihn bei Zeus Unsterblichkeit, und die Bitte wird gewährt. Aber sie hat vergessen, auch um ewige Jugend zu flehen. So lange nun Tithonos jung ist, leben die beiden in eitel Freude an den Strömungen des Okeanos, an den Enden der Erde. Aber wie E. an ihrem Gatten die ersten grauen Haare entdeckt, meidet sie sein Lager. Sie speist ihn mit Ambrosia und gibt ihm schöne Kleider, bis er ganz die Beute des verhaßten Greisenalters geworden ist. Da versorgt sie ihn im Gemach und schließt die glänzenden Türen. Seine Stimme tönt noch an einem fort (ῥεῖ ἄσπετος, Erklärung unsicher), aber in den Gliedern ist keine Kraft mehr. Tithonos ist genealogisch mit dem troischen Königshause verbunden (nach Gruppe a. O. 313f. stammt er aus Milet), als Sohn des Laomedon und Bruder des Priamos, oder als Bruder des Laomedon. Die älteste Sage, vermutlich in Mittel- oder Nordgriechenland, wird erzählt haben von den Wohnungen der E. ,jenseits des Meeres‘, über dem das lichte Morgenrot erschien, vgl. Il. [2659] XXIII 227. Thrämer Pergamos 101. Als dann das Land jenseits des Meeres näher bekant wurde, da war die Troas das Morgenland, und wurde Tithonos mit dem Geschlechte der Priamiden verknüpft. So stieg er auf die Stufe der Heroen herab und räumte seinen Platz dem Helios. Und damit hatte auch die Sage von E. und Tithonos ihren Kern und eigentlichen Inhalt verloren. Wohl kannte man die strahlende Göttin, die jeden Tag in frischer Jugendschönheit am Himmel emporstieg, noch wußte man von ihrem Gatten, doch der war wesenlos, die Tätigkeit war ihm genommen, er fristete ein schattenhaftes Dasein. So drang in die alte Sage das novellistische Motiv ,von der jungen Frau und dem alten Manne‘. Die Erzählung des Homerischen Hymnos, wie und warum Tithonos zum Greise geworden, ist ein humorvolles, loses Spiel der dichterischen Phantasie.

Sobald das Morgenland in der Troas gefunden war, konnte E. nicht mehr dort wohnend gedacht werden. Die Göttin wich vor den Menschen in die unbekannte östliche Ferne zurück und leuchtete, wie vordem über das ganze Meer (Il. XXIII 227), nun über das ganze Land, Il. VIII 1. Statt des wirklichen Meeres ward der mythische Okeanos gesetzt, Il. XIX 1; Od. XXII 197. XXIII 244. 347. Hom. h. 3, 185. Eben dahin gehört die Erwähnung der Insel Aiaia, Od. XII 3, oder der Aithiopen in der Sage von Memnon, vgl. Aithiopia o. Bd. I S. 1095, das Phegiongebirge, Lykophr. 16, Kerne, Lykophr. 16 und Holzinger z. d. St. Wenn E. vom Olymp herniedersteigt (Quint. Smyrn. I 48), so ist damit wohl nicht der Berg, sondern die Wohnung der Götter gemeint.

Die Folgezeit hielt sich ausschließlich an die Version des Homerischen Hymnos und bildete sie noch weiter aus. E. raubt den Tithonos (auf ihrem Gespann, Eur. Tro. 855. Nonn. Dion. XV 278) und bringt ihn nach Aithiopien, oder an den Okeanos, Mimnermos frg. 4. Ibykos in Schol. Apoll. Rhod. III 158 (vgl. Noack Iliupersis 27f.). Apollod. III 147. Lykophr. 18. Hyg. fab. 270. Nonn. XV 278. XLVIII 666. Athen. I 6 c. XII 548 f (= Klearch. frg. 309). Schol. Hes. th. 984. Anth. Pal. V 3 (Antipatros). Ovid. met. IX 421; epist. IV 96; fast. VI 473. Prop. II 18, 7f. Hor. od. I 28, 8. II 16, 30. Sen. Ag. 823. Tithonos selbst wünscht die Unsterblichkeit, vergißt aber die ewige Jugend; Schol. Il. IX 1 und Eustath. z. St. Tithonos wird nicht geraubt, sondern kommt auf einem Kriegszuge nach Aithiopien: Diod. IV 75, 4, vgl. Heraklit. de incred. 28. Eine weitere Ausgestaltung der Sage ist die Verwandlung des Tithonos in eine Cicade, Hellanikos frg. 142 = Schol. Il. III 151. XI 1 und Eustath. z. St. Serv. Aen. VII 188; Georg. I 447. Schol. Stat. Theb. V 751, nachdem er vorher wie ein kleines Kind in Windeln hatte eingewickelt werden müssen, Tzetz. Lyk. 18. Die Cicaden singen vom Beilager der E., Ach. Tat. I 15. Bei römischen Dichtern häufig ist das Beiwort Tithonia oder Tithonis. Carter Epitheta deorum 17f. Die übrigen Epitheta bei Bruchmann.

Die bildlichen Darstellungen der Tithonossage sind selten und zum Teil unsicher. Der alte Tithonos neben der jungen E., rf. Nolaner Amphora, Journ. of Hell. Stud. XIII 1892/93, 137. Zwei [2660] etruskische Spiegel, Gerhard 290 und 232 (E., Tithonos und vielleicht Achilleus, Deecke Roschers Lex. d. Myth. I 1440). Beigeschrieben ist der Name Tithonos nicht dem Verfolgten, sondern einem Genossen auf einer rf. Vase in St. Petersburg, Stephani Katal. 1683. Ohne genügenden Grund hat man den von E. verfolgten Jüngling mit der Leier Tithonos genannt, z. B. auf den rf. Vasen Furtwängler Vasenkat. Berlin 2547. Brit. Mus. Cat. of Vas. 722. 844, oder den kahlköpfigen Mann auf den rf. Vasen, Helbig Führer² 1221. Heydemann Vasenkat. Neapel S. A. 220, oder den Mann mit Strahlenschmuck und Nimbus auf der rf. Vase, Heydemann a. O. 3256, vgl. Furtwängler Arch. Ztg. XL 1882, 350.

5. Ein Sohn von E. und Tithonos ist Emathion. Der Name weist auf Thessalien und Makedonien. Hes. th. 985. Apollod. III 147. Schol. Pind. Ol. II 148. Schol. Eur. Tro. 850. Tzetz. Lyk. 18. Mit der in Thessalien verehrten E. sind vielleicht auch die Ἀῷοι θεοί (Dioskuren ?) auf Samothrake in Verbindung zu bringen, s. Bd. I S. 2857.

6. Ein weiterer Sohn der E. ist Memnon. Aithiopis p. 33 Kinkel. Hom. Od. IV 188. XI 522. Pind. Ol. II 148. Nem. IV 90. Tithonos als Vater erscheint zuerst Hes. th. 984, dann Apollod. III 147; epit. 5, 3. Quint. Smyrn. II 115. 494. In Darstellungen der Memnonsage erscheint Tithonos ein einzigesmal, in dem nicht näher zu deutenden Bilde eines etruskischen Spiegels, Deecke Roschers Lex. d. Myth. II 2687 (Memrun). Memnon ist Bundesgenosse der Troer und Asiate, mit E. und Tithonos ist er erst nachträglich verbunden. Die Sage von Memnon hat wohl in keinem der Epen, die Posthomerika behandelten, gefehlt, der eigentliche Sang von Memnon war aber die Aithiopis; ,Memnon, der Sohn der E., kommt mit einer von Hephaistos gefertigten Panoplie (vgl. Verg. Aen. VIII 384) den Troern zu Hilfe, Thetis sagt dem Sohne das Ereignis mit Memnon voraus, und im Kampfe wird Antilochos von Memnon getötet, hierauf tötet Achilleus den Memnon. Und diesem gibt E., nachdem sie es von Zeus gefordert, Unsterblichkeit‘. Vgl. Ovid. met. XIII 587. Nach vielleicht alter Tradition (vgl. die Rebe in der Erigonesage) schickt Tithonos den Sohn nach Troia, von E. durch das Geschenk einer goldenen Rebe dazu verlockt, Serv. Aen. I 489. Oder E. hat den Sohn ausgeschickt, Apoll. Sidon. c. 2, 521. Entsprechend der Thetis weiß auch E. das Schicksal ihres Sohnes voraus, Isokr. X 52. Wahrscheinlich im Epos, wenn auch in abweichender Form, vorgebildet war die Psychostasie, die Wägung der Lebenslose des Achilleus und Memnon, in Gegenwart der beiden Mütter, direkt bezeugt für des Aischylos Psychostasie, Plut. de aud. poet. 2. Schneider Der troische Sagenkreis 141f. Robert Bild und Lied 143f. Damit hängt zusammen die Bitte der E. um das Leben ihres Sohnes, Aisch. bei Plut. a. O. Ebenfalls in der Tragoedie entführte E. den Leichnam des Memnon, Pollux IV 130, vgl. Aelian. n. an. V 1.

Die bildlichen Darstellungen der Memnonsage zeigen E.

a) anwesend beim Kampfe, und zwar entweder rein schematisch, unbewegt, oder in gleicher Geberde [2661] des Schreckens wie Thetis: Kypseloslade, Paus. V 19, 1, Amykläischer Thron, Paus. III 18, 12, melisches Tongefäß, Conze Taf. 3, chalkidische Vase in Florenz nr. 1784. Kretschmer Griech. Vaseninschr. 65, altatt. Amphora, Helbig Führer² 1195. Mus. Greg. II 28. Schneider a. O. 143f. Auf andern Vasen ist E. charakterisiert durch stärkeren Ausdruck der Angst und des Schreckens, oder dadurch, daß sie nahe an den unterliegenden Memnon herantritt: Furtwängler Vasenkat. Berlin 1842. Arch. Zeitg. 1851 Taf. 30. Brit. Mus. 810*. 836. Gerhard Antike Vasenb. III 204. 211. Aus andern Szenen übernommen ist die Beflügelung der E., wobei dann auch die Gegenfigur (doch wohl Thetis, nicht Iris) Flügel trägt. Brit. Mus. 811 = Gerhard Trinksch. und Gef. Taf. D.

b) E. anwesend bei der Psychostasie: Hermes hält die Wage, wahrscheinlich nach der Version der Aithiopis, beiderseits stehen Thetis und E.: sf. Vase aus Caere, Bull. d. Inst. 1865, 144f., rf. Vasen Overbeck H. G. 22, 9. Mon. d. Inst. VI 5 a. Millin I 19. Etruskischer Spiegel, Gerhard 235, 1. Pränestinische Cista, Mon. d. Inst. VI 56. Mayer Hermes XXVII 499f., vgl. Schneider a. O. 141f. Holland Roschers Lex. d. Myth. II 2674f. Lediglich eine Kürzung dieser Gruppe, nicht die Darstellung einer besonderen Szene, scheinen diejenigen Monumente zu bieten, wo unter Weglassung des Hermes mit der Wage die beiden Göttinnen im Gespräche mit Zeus erscheinen, offenbar um das Leben ihrer Söhne bittend. Brit. Mus. 810*. Gerhard Ant. Vasenb. 165, Etruskischer Spiegel, Gerhard 396. Helbig Führer² 1380, Gruppe des Lykios, Sohnes des Myron in Olympia, Paus. V 22, 2.

c) Auf einer Reihe von Monumenten trägt E. den Leichnam des Memnon davon, so auf dem sf. Gefäß Overbeck H. G. 22, ll. Rf. Gefäß Heydemann Griech. Vasenb. Hülfstafel I. Gerhard Etrusk. Spiegel 361. Auf andern Darstellungen scheint sie ihn niederzulegen. Furtwängler Vasenkat. Berlin 2318 (streng rf., dabei Hermes). Durisvase, Wiener Vorlegebl. Taf. 7. Froehner Choix de vases grecs Taf. 2. Ist die Entführung des Memnon durch E. der bildliche Ausdruck für die Gewährung der Unsterblichkeit, so geht diese Darstellung der Tragoedie und der Kunst schon auf die Aithiopis zurück.

d) Auf einer Reihe von sf. und rf. Gefässen ist dargestellt, wie der nackte Leichnam eines Mannes von zwei männlichen, meist bewaffneten Flügelgestalten weggetragen wird. Im einen Falle (sf. Vase bei Robert Thanatos S. 17), wo sich eine Flügelfrau über den Leichnam beugt, ist wohl E. gemeint, der die Arbeit des Tragens von ihren Söhnen, den Winden, abgenommen ist, die den Leichnam ihres Bruders zum Aisepos tragen (Quint. Smyrn. II 550f.). Ähnlich zu beurteilen ist wohl ein Karneol der Sammlung Tyskiewicz, ferner eine sf. Lekythos und eine sf. Amphora, Benndorf Griech. und siz. Vasenb. Taf. 42, 2. P. J. Meyer Annali 1883 Taf. Q. Andere gleichartige Darstellungen dagegen beziehen sich wohl eher auf die Bergung der Leiche Sarpedons durch Hypnos und Thanatos, und es dürfte unseres Erachtens der Typus von dieser Szene auf E.-Memnon übertragen worden sein, in Erweiterung des unter [2662] c erwähnten Typus. Wenig wahrscheinlich ist, daß die Szene d die Fortsetzung der ersteren sei, in dem Sinne, daß E. den Leichnam zunächst aus dem Schlachtgewühl entraffe, um ihn dann den beiden Trägern zu übergeben. Schneider a. O. 145f. Holland a. O. 2677f. Gruppe a. O. 680f., s. Art. Memnon und Sarpedon.

Die Totenklage der E. kommt erst bei späteren Dichtern vor, wahrscheinlich nach einem Vorbilde der alexandrinischen Zeit. Auch scheint der Zug der Unsterblichkeitserteilung an Memnon allmählich verblaßt zu sein. E. ergeht sich in Klagen und Weinen und weigert sich, der Welt fernerhin zu leuchten. Ovid. met. XIII 581f. Sen. Troad. 239f. Quint. Smyrn. II 549f. 610f. Tryphiod. 30f. Ihre Tränen fallen als Tau zur Erde, Ovid. met. XIII 622. Stat. silv. V 1, 34. Serv. Aen. I 489, vgl. Prop. II 18, 16. Ovid. am. III 9, 1. Als Gemälde beschreibt die Totenklage Philostr. im. I 7. Vermutungsweise wird auf diese Szene gedeutet das Bild einer sf. Amphora, Helbig Führer² 1208.

Schon Polygnot malte die Memnonsvögel (Paus. X 31, 6), und möglicherweise geht die Erzählung von den Vögeln und ihrer Erschaffung durch E. auf das Epos zurück. Erwähnt ist sie aber erst spät. Bei Quint. Smyrn. II 643f. und Serv. Aen. I 751 verwandelt E. die ihren Sohn bestattenden Aithiopen in die Vögel, während Ovid. met. XIII 604f. den Zeus die Asche des Memnon auf Bitten der E. in Vögel verwandeln läßt. Aus dieser Stelle durch Mißverständnis entstanden ist der Bericht des Lact. Plac. ad Ovid. met. XIII fab. 3 p. 873 Stav. (= Hesiod. frg. 46), wonach die Schwestern des Memnon ihre menschliche Gestalt verlieren.

7. Den Orion nahm sich E., zum Neide der Götter, bis ihn Artemis auf Ortygia mit ihren sanften Pfeilen tötete. Hom. Od. V 121f. Als Ort des Raubes wird Tanagra angegeben, als Grund der Tötung durch Artemis, daß er auf Delos der Upis Gewalt antun wollte (Euphorion frg. 109 in Schol. Od. V 121. Apollod. I 27), oder daß er die Artemis zum Diskoswurfe herausforderte, Apollod. a. O., vgl. Nonn. V 517. XI 390, und die unteritalische Vase Annali 1878 Taf. G: Apollon der Artemis den die E. verfolgenden Orion zeigend. Möglicherweise war diese Sage auch an anderen Orten, wo man von Orion wußte (Chios ?), bekannt. Die Sage von der Tötung Orions ist wohl nachträglich mit derjenigen seiner Entraffung durch E. verbunden worden. Letztere ist der mythische Ausdruck für die Naturerscheinnug, daß zur bestimmten Zeit das am frühen Morgen sichtbare Gestirn des Orion vor der Morgenröte verschwindet, vgl. die Darstellung des Eur. Ion 1146f. geschilderten Teppichs: E. die Sterne, darunter auch den Orion, scheuchend. Preller-Robert Griech. Myth. I⁴ 450. Gruppe a. O. 41f. Rohde Psyche 69. Thrämer Pergamos 102. Das Scholion und Eustath. zu Od. V 121 erwähnen im Zusammenhange mit dem Raube des Orion die Sitte, jung Verstorbene vor Sonnenaufgang zu bestatten. Deshalb habe man gesagt, sie seien von E. geraubt. Vgl. Furtwängler Arch. Ztg. XL 1882, 351.

8. Kephalos. Enge verwandt mit der Orionsage ist die Kephalossage, Kephalos ist eine andere [2663] Form des Orion, die wir hauptsächlich aus attischer Überlieferung kennen. Wenn der Kopf des Orion – daher Kephalos – in der Morgendämmerung wieder sichtbar ward, um bald mit dem aufsteigenden Morgenrot zu verschwinden, dann gedachte der Athener des schönen Kephalos, den sich E. zu ihrem Geliebten erkoren. Rapp Roschers Lex. d. Myth. II 1101. Gruppe a. O. 41f. Schon Hesiod (th. 985; Frauenkatalog Paus. I 3, 1) erwähnt der Verbindung und des aus ihr entspringenden Phaethon, den Apollod. III 181 einen Enkel von Kephalos und E. von deren syrischem Sohne Tithonos nennt. E. fährt mit den Rossen Phaethons, Verg. Aen. V 105. v. Wilamowitz Hermes XVIII 1883, 416f. Gruppe a. O. 62. 266. 382. Statt des Phaethon wird Phosphoros (Lucifer) als ihr Sohn genannt, Hyg. astr. II 42. Ovid. met. IX 295, vgl. Konon 7. Weitere Söhne von E.-Kephalos sind Heoos und Paphos, Schol. Dionys. perieg. 509. Schol. Bern. Verg. Georg. I 288. Etym. M. s. Ἀῷος, vgl. Dümmler o. Bd. I S. 2657. E. mit Adonis und der Nymphe Mean auf einem etruskischen Spiegel, Deecke a. O. Gruppe a. O. 62. 336. Die Entführung des Kephalos ist zuerst erwähnt, als allgemein bekannte Sage, bei Eur. Hipp. 454f., vgl. Xen. cyn. I 6. Apollod. I 86. 181. Ovid epist. IV 93f. XV 87. Athen. XIII 566 D. Nonn. XI 390. XXVII 3. XXXVII 77f. XLVIII 680. Hauptsächlich aber sind es Kunstwerke, die uns die Sage veranschaulichen. Sie lassen sich in zwei Hauptgruppen scheiden: E. trägt den Kephalos auf den Armen davon, E. verfolgt den Kephalos. Der erste Typus scheint von der altionischen Kunst ausgegangen zu sein, ihr und der ,etruskischen‘ Kunst gehören die älteren Exemplare an. Amykläischer Thron, Paus. III 18, 12. Tonakroterion von Caere, Furtwängler Arch. Ztg. XL 1882, 349f. Taf. 15, ebensolches aus der Nähe von Capua, Furtwängler a. O. 354f., etruskischer Bronzespiegel, nach einem griechischen Vorbilde des 6. Jhdts., Helbig Führer² 1386, etruskisches Bronzegefäß ebd. 1325, anderes Furtwängler a. O. Die Deutung dieser nichtattischen Darstellungen ist nicht von vornherein sicher. Man mag an Orion denken, allenfalls an Kleitos. Tithonos, auf den das Motiv des Raubes erst übertragen ist, kommt schwerlich in Betracht. Am meisten Anspruch hat immerhin Kephalos (Knapp Philologus LIII 1894, 554ff.), und daß seine Entführung auf zahlreichen attischen Darstellungen gemeint ist, steht außer Zweifel. Das erste sicher attische Denkmal ist ein der archaischen Kunst noch nahestehendes Tonrelief, Arch. Ztg. XXXIII Taf. 13. Es folgen zwei rf. Vasen des älteren Stils, Compte rendu 1872 Taf. IV 1. Mon. d. Inst. III 23, 1, und eine jüngere, Mon. d. Inst. X 39, 3. Umgestaltet und erweitert erscheint der Typus in der Akroteriengruppe von Delos, einer ganz ausgezeichneten Schöpfung von kühnstem Schwunge, die in den 20er Jahren des 5. Jhdts. entstanden sein wird. Furtwängler a. O. Kabbadias Γλυπτὰ τοῦ Ἐθνικοῦ Μοθσείου I nr. 130–133. Nur aus einer Stelle des Pausanias (I 3, 1) kennen wir ein ähnliches Werk von der Stoa Basileios in Athen. Bemerkenswert ist, daß die älteren Denkmäler dieser Gruppe ganz das gleiche Schema zeigen, wie diejenigen, [2664] wo E. die Leiche des Memnon trägt. Beide Typen scheinen auf die altionische Kunst zurückzugehen.

Aus technischen Rücksichten wurde die eben besprochene geschlossene Gruppe, die für die Plastik geschaffen war, von der Vasenmalerei in ihre zwei Bestandteile zerlegt. Aus dieser Umgestaltung ergab sich die Verfolgungsszene. Dem Künstler war damit die Möglichkeit geboten, in beide Figuren mehr Leben und Abwechslung zu bringen. Speziell Kephalos, der in der Szene des Raubes als nackter Knabe oder Jüngling, ohne irgend welche charakteristische Kennzeichen (einzige Ausnahme Mon. d. Inst. III 23. 1, Kephalos mit Leier) dargestellt wird, erscheint in der Verfolgungsszene meistens mit den Attributen der Jagd, bisweilen auch mit der Leier, einmal mit der Schreibtafel. Ihn je nach den Attributen verschieden zu benennen, bald Kephalos, bald Tithonos, geht nicht an. Er ist einfach der attische Ephebe, und damit Kephalos. Robert Bild und Lied 32. Eine Zusammenstellung der bis dahin bekannten Vasen, die sich heute bedeutend vermehren ließe, gibt Stephani Compte rendu 1872, 180. An der Spitze steht eine sf. ,etruskische‘ Vase unsicheren Entstehungsortes. Mem. d. Inst. II 15. Die übrigen sind attisch und rf. E. eilt dem Geliebten raschen Laufes nach, einen oder beide Arme nach ihm ausstreckend. Einmal sucht sie ihn mit einer Tänie zu schmücken, die er zurückweist, Gerhard Ant. Vasenb. 160. Oder sie faßt ihn am Arm, Furtwängler Vasenkat. Berlin 2547. Ein interessantes Stück ist der Krater des Musée Blacas (Mon. d. Inst. II 55): E. verfolgt den Kephalos über felsigen Boden, während einerseits Helios am Himmel emporsteigt, andererseits Selene verschwindet. Die Zeichen der Abwehr, die Kephalos bisweilen macht, sind wohl nicht aus der Prokrissage, sondern einfach aus der Tatsache der Verfolgung zu erklären. Die Nebenfiguren scheinen rein dekorativ zu sein. Kephalos von E. verfolgt, während Sisyphos entweicht: rf. Amphora in Madrid, Arch. Anz. VIII 1893, 7.

Auf attischem Boden ist Kephalos der Eponyme des Demos Kephale und Gatte der Prokris-Artemis. In der Sage von deren tragischem Ende tritt E. an Stelle und neben die ursprüngliche Nephele-Aura (Pherekydes, Schol. Od. XI 321). Wann dies geschah, wissen wir nicht. Der Hund, der auf einzelnen Darstellungen der Verfolgung und in der delischen Akroteriengrnppe den Kephalos begleitet, braucht nicht der Lailaps der Prokrissage zu sein, und begründet somit eine Datierung dieser Sage auf das 5. Jhdt. nicht. In dem den Tod der Prokris darstellenden rf. Vasenbilde Millingen Anc. uned. mon. I Taf. 14 liegt kein Hinweis auf E. Übrigens kommt es in dieser Version gar nicht zu einer Verbindung E.-Kephalos, E. ist lediglich der Störefried, dessen Eingreifen die Tragik der Prokrissage noch steigern soll. Die erste zusammenhängende Darstellung findet sich bei Ovid. met. VII 700f. E. erblickt den im Gebirge jagenden Kephalos, sucht seine Liebe zu gewinnen und zieht ihn mit sich fort. Doch Kephalos, im Gedanken an die junge Gattin, widersteht ihr. Da flößt ihm E. Mißtrauen gegen Prokris ein, sie wandelt seine Gestalt und gibt ihm Geschenke, damit er die Treue der Gattin [2665] erprobe. Prokris erliegt der Versuchung. Hieran reiht sich bei Ovid die Geschichte von Aura und das tragische Ende der Prokris, ohne weitere Erwähnung der E., während Hygin (fab. 189) auch die Anwesenheit der Prokris im Jagdgebiete des Kephalos mit ihrem Mißtrauen gegen E. motiviert. Bei Serv. Aen. VI 445 ruft Kephalos die E. an, wie sonst die Nephele-Aura, sie schenkt ihm den Hund Lailaps und zwei nie fehlende Speere, und veranlaßt ihn, die Treue der Gattin auf die Probe zu stellen. Der Schluß der Erzählung ist wie bei Hygin, vgl. Apollod. I 86. Anton. Lib. 41.

Eine weitere attische E.-Sage scheint in der Sage von Ikarios und Erigone verborgen zu sein.

9. Kleitos, Sohn des Mantios und Enkel des Melampus, wird wegen seiner Schönheit von E. geraubt, damit er unter den Unsterblichen wohne. Hom. Od. XV 250. Athen. XIII 566 D. Welcher Gegend diese Sage angehört, bleibt unsicher.

10. Verbindung mit andern Göttern: a) Aphrodite hat der E. Liebe zu Orion und buhlerisches Wesen gegeben, weil sie mit Ares zu buhlen gewagt hatte. Apollod. I 27. b) Artemis, Nebenbuhlerin der E.-Hemera, s. Orion, Erigone, Gruppe a. O. 643f. c) Dioskuren, als Morgen- und Abendstern gefaßt, Stat. silv. IV 6, 15. Preller-Robert Griech. Myth. I⁴ 448. E. und die Dioskuren auf einer praenestinischen Cista, Flasch Verh. d. 41. Vers. deutscher Philol. 258f. Gruppe a. O. 164, vgl. Ἀῷοι θεοί. d) Giganten. E. als Gegnerin der Giganten im Fries von Pergamon. Zeus verbietet der E., Selene und dem Helios während des Kampfes zu leuchten, Apollod. I 35. e) Helios und E. werden schon bei Homer und in der ganzen Folgezeit oft zusammen genannt, E. ist ursprünglich Gattin des Sonnengottes (s. o.). Auch die Kunst stellt sie häufig nebeneinander dar, ohne daß doch eine engere Verbindung zu erkennen ware. Helios und E. vor Poseidon, s. unter n. E. geht dem Helios voran, Mminermos frg. 11, ist seine Vorbotin, Orph. h. 78, 3, zwingt ihn zum Aufbruch, Ovid. met. IV 630. E. führt den Wagen des Helios, Heydemann Vasenkatal. Neapel 3219. Mon. d. Inst. IV 16f. Helios führt die Zügel der E., Claudian XXXVII 34, vgl. das Vasenbild Heydemann a. O. 3256, wo Heydemann den Tithonos erkennt. f) Hemera ist häufig genannt statt E., ein Name steht oft ohne Unterschied der Bedeutung für den andern. Das Appellativum ἠώς hat die gleiche Bedeutung wie das deutsche ,Morgen‘ (so schon Il. VII 6; Od. V 390. X 144. Schol. und Eustath. z. d. St.), andererseits lag es auch bei der personifizierten E., der Bringerin des Lichtes, nahe, sie zur Zeit des vollen Lichtes immer noch anwesend zu denken. Aisch. Pers. 386. Soph. Ai. 672 zuerst nennen Hemera statt der E., wo von der Zeit des Sonnenaufganges die Rede ist, geben ihr aber weiße Rosse, ein Attribut, das vom vollen Lichte des Tages abgeleitet ist. In die alten Sagen von E. dringt der Name Hemera ein mit Euripides (Tro. 849), vgl. Paus. I 3, 1. Schol. Il. III 151 u. a. Od. V 121. Schol. Pind. Ol. II 148; Nem. VI 85. Eustath. Dionys. perieg. 234. Schol. Hes. th. 984. Tzetz. Lyk. 17. Die personifizierende Naturbeschreibung nennt stets nur E., nicht Hemera, als Spenderin des Lichtes, sie läßt E. ihre Bahn bis über die Mitte des [2666] Tages, ja bis zum Abend, ausdehnen, und das ,Morgenrot‘ schließlich im Westen in den Okeanos tauchen, Theokr. XVI 5. Verg. Aen. VI 26. 535. Val. Flacc. Arg. I 283. Musaios 110. Quint. Smyrn. I 119. 826. II 593. IV 62. V 395. VII 621. Nonn. VII 4. VIII 286. 310. XIV 7. XVIII 159. XXV 367. Schol. Il. VI 155. Dahin gehören auch ihre Beziehungen zu den Hesperiden, s. u. g) Hephaistos fertigt auf Bitten der E. die Waffen für Memnon. s. o. h) Hermes hält bei Arktinos die Wage in der Psychostasie (s. o.), herbeieilend, da E. den Memnon vom Boden aufhebt, streng rf. attischer Napf in Berlin (Furtwängler 2318). Viergespann der E., von Hermes (?) geleitet, Vase des Lasimos, Overbeck H. G. Taf. 28, 1. i) Die Hesperiden erziehen den Memnon, Quint. Smyrn. II 417, vgl. Sil. Ital. XVI 136. k) E. erscheint mit den schönlockigen Horen, die sie alle noch übertrifft, Quint. Smyrn. I 50. II 595. 659. l) Iris, anwesend bei der Wegtragung der Leiche Memnons, rf. Schale, Brit. Mus. 834. Gerhard Ant. Vasenb. 221–222. m) E. die Nyx verfolgend, Tzetz. Hom. 279f., vgl. Genealogie. n) Helios und E., die ihm vertraulich die Hand auf die Schultern legt, stehen vor Poseidon. Die Szene bezieht sich wohl auf das Auftauchen der beiden Lichtgötter aus dem Meere. Etruskischer Spiegel, wahrscheinlich nach einem Original des 4. Jhdts., Helbig Führer² 1348. Mon. d. Inst. II 160. Gerhard Etr. Sp. I 76, vgl. Heydemann Vasenkat. Neapel 3256. Röm. Mitt. 1898, 98. o) E. die Selene verfolgend, Furtwängler Vasenkat. Berlin 2524, vgl. 2519. Heydemann a. O. R. C. 157. p) Thetis, Gegenfigur der E. in der Memnonsage. q) Zeus, Sage von Tithonos, Memnon, Giganten. r) Es ist wahrscheinlich, daß sich die Gestalt der E. noch da und dort unter anderem Namen verbirgt. Gruppe a. O. 266 setzt E. der Rhodos-Rhode gleich. Mit Auge verbindet sie Thrämer Pergamos 402f., vgl. Telauge, Tochter des Heosphoros, Schol. Il. XI 267. Usener Sintflutsagen 87. Wahrscheinlich gehört dahin auch Artemis-Hemera in Lusoi, o. Bd. II 1386f. Mit Athena stellt sie zusammen Max Müller Vorlesungen über die Wissensch. d. Spr. II 253f. (französische Ausgabe). Als Möglichkeit gibt Gruppe (De Cadmi fabula 23f.) zu, daß Europe, Persephone, Telephassa, Pasiphae, Medeia, Io, Phaidra, Ariadne Benennungen der E. oder der Selene sein könnten. Über Erigone, Erigeneia s. d.

12. Die homerischen Sänger in Kleinasien haben uns von diesen Sagen nur trümmerhafte Reste überliefert: bloße Erwähnung der Namen, formelhafte Wortverbindungen und Epitheta. Der Mythus von Tithonos ist in Asien zur Novelle geworden, und nur der dem Epos unbekannte Kephalos hat, als Athener, nachträglich eine gewisse Bedeutung erlangt. Wo Homer von E. spricht, hat er stets nur die Naturerscheinung im Sinne, auch wo er persönliche Epitheta braucht. Die wenigen Stellen, wo er E. persönlich faßt, d. h. wo er von ihrem Heim auf Aiaia und von ihren Rossen spricht, sind verhältnismäßig jung und verraten andere Voraussetzungen. Dabei ist jedoch zu beachten, daß sich auch außerhalb der Mythen immer wieder eine personifizierende Tendenz geltend macht, ohne daß jedoch E. hiebei eine festere Gestaltung gewonnen hatte.

[2667] 13. E. wird mit all dem Reiz und all der Pracht ausgestattet, die dem jungen Morgen, dem jungen Weibe, eigen ist. Rosig, safranfarben, golden schildern die Dichter die jugendfrische, blühende Gestalt der E. Rosig sind die Finger und die Arme (ῥοδοδάκτυλος, ῥοδόπηχυς Homer und Theokrit), rosig der Kranz im Haar und rosig die Knöchel (ῥοδοστεφής, ῥοδόσφυρος, Nonn. und Quint. Smyrn.), rosig das Gewand (ῥοδόπεπλος, Quint. Smyrn.) und die ganze Erscheinung (ῥοδοειδής Nonn., rubra, rubicunda, purpurea, s. Carter Epitheta deorum 18). Ja sogar ihr Haar wird rosig genannt (Verg. Culex 44. Anth. Lat. I 120 Riese) und überhaupt alles, was ihr gehört: der Wagen, dessen Räder, die Zügel, Verg. Aen. V 535. XII 77. Sil. Ital. I 578. Auson. append. I 42 Schenkl.

Safranfarben ist ihr Gewand (κροκόπεπλος Hom. u. a.), ihr Haar und die Räder des Wagens (Ovid. am. II 4. 43; met. III 150), das Lager des Tithonos (Verg. Georg. I 447; Aen. IV 585. IX 460. Auson. append. I 12). Crocea und lutea, Ovid. met. VII 703. XIII 579. Verg. Aen. VI 26. Sidon. Apoll. c. II 418ff.

Golden ist der Thron der E. (χρυσόθρονος Hom. u. a.), ihre Schuhe (χρυσοπέδιλλος Sappho), ihr Auge (Soph. Ant. 104), golden der Wagen und die Zügel (Eur. Tro. 856, χρυσήνιος Orph. Quint. Smyrn.).

Eine weitere Gruppe von Epitheta schildert E. als weiß leuchtend, schneeig, indem E. als Hemera gedacht ist (vgl. 10f.): λευκὸν ὄμμα (Eur. El. 102), λευκόχρους, χιονοβλέφαρος, χιονόπεζα Tzetz., Dion. Hal., Nonn.), ferner pallens, pallida, candida.

Außer den vorgenannten ist noch hervorzuheben das Epitheton ἐυπλόκαμος ,mit schönen Locken‘ (Homer), ferner die das große weitblickende Auge hervorhebenden Beiworte βοῶπις, θαλερῶπις, πολυδέρκης (Quint. Smyrn., Anth. Pal., Hesiod), das schöne und feine Gewand (ἑανηφόρος Antim.), und das sternbesäte Gewand auf den Vasenbildern. Annali 1864 tav. d’ agg. S. T. Millingen Anc. uned. mon. Taf. VI. Roscher Lex. d. Myth. I 1257. E. wird stets in vollständiger Gewandung dargestellt, die oft reich geschmückt ist. Besonders erscheint auch das Diadem und die Strahlenkrone. Furtwängler Sammlung Sabouroff Taf. 63. Gerhard Antike Vasenb. 79. 80. Stephani Nimbus und Strahlenkranz 61. Erst ganz spät erscheint vereinzelt der Oberkörper entblößt, Furtwängler Vasenkatal. Berlin 3349 (rf. Schüssel). Die Eigenschaft, die durch Diadem und Strahlenkranz angedeutet wird, findet sich auch durch die Beiworte φαεινή, φαεννά (Od. IV 188. Pind.), φαινολίς (Hom. hymn., Sappho), φωσφόρος (Eur.) ausgedrückt. In Ilias und Odyssee wird das Leuchten, mit Ausnahme der einen angeführten Stelle, nicht als Eigenschaft, sondem als Tätigkeit der E. dargestellt.

14. Nach der ältesten Vorstellung durchmißt E. ihre himmlische Bahn gehend oder schwebend. Od. XII 4. Mimnermos frg. ll. E. zu Fuß das Pferd der Selene verfolgend, rf. attische Vase Furtwängler Vasenkat. Berlin 2524. Gespann des Helios von E. geführt, Heydemann Vasenkatalog Neapel 3219 (rf.). E. schwebend den Tau ausgießend, Millingen Anc. uned. mon. Taf. 6 (= Roschers Lex. d. Myth. I 1257f.).

[2668] Daran schließt sich die Beflügelung der E. Flügel werden ihr gegeben worden sein zu der Zeit, da man wohl von den Wohnungen und Tanzplätzen (Od. XII 4), aber noch nicht von ihren Pferden sprach (Od. XXIII 245). In der Literatur wird die Beflügelung erwähnt Eur. Tro. 848 und Jo. Gaz. descr. II 285. Wahrscheinlich geht dies Motiv auf die ionische Kunst zurück (Reichel a. O. 60). Es erscheint häufig auf archaischen Denkmälern, doch ausschließlich in der Szene vom Raube des Knaben. Tonakroterion von Caere, Furtwängler Arch. Ztg. XL 1882, 349f. Taf. 15, eine Reihe von Stirnziegeln ebd. 354. Etruskischer Reliefspiegel Helbig Führer² 1386. Mon. d. Inst. III 23 c. Sehr häufig erscheint die geflügelte E. in der attischen Kunst des 5. Jhdts. Tonrelief Archaeol. Ztg. XXXIII Taf. 15, 1. Akroterion von Delos, Kabbadias Γλυπτὰ τοῦ Ἐθνικοῦ Μουσείου I 130f. Furtwängler a. O. 335f.; Vasenkat. Berlin 2318 (Memnon streng rf.). E. Selene verfolgend, ebd. 2524. E. den Wagen lenkend, 2519. Heydemann Vasenkat. Neapel R. C. 157. Vom 5. Jhdt. an kommen die geflügelte und die ungeflügelte E. neben einander vor.

Mit einem Pferde, also reitend, ist E. erwähnt vielleicht schon Aisch. und Soph. a. O., sicher Eur. Or. 1005. Lykophr. 16f. mit Schol. und Tzetz. z. d. St. Eustath. Il. 826, 25. 1376, 8; Od. 1947, 24 (Pegasos). Apul. met. III 1. VI 11. Fries von Pergamon, Vase von Altamura (Gruppe a. O. 381), Münze des Lucius Verus von Alexandreia (Head-Svoronos Ἱστορία τῶν νομισμάτων II 467: E. ein sich bäumendes Pferd am Zügel haltend, Inschrift ΗΩ).

Im Wagen fährt E. am Himmel empor, Od. XXIII 244. Aisch. Pers. 386. Soph. Ai. 673 (λευκόπωλος Ἡμέρα). Theokr. II 148. Verg. Aen. V 535. VI 26. XII 77. Nonn. XXXVII 86. Und zwar ist es entweder ein Zweigespann, Od. a. O., sf. Vase im Brit. Mus. Cat. 686*, in Berlin, Furtwängler Katal. 2012, rf. Vase in Neapel, Heydemann a. O. R. C. 157, in Berlin 3349, oder häufiger ein Viergespann, Eur. Tro. 855 (Sternenwagen), rf. Pyxis in Berlin 2519, Furtwängler Sammlg. Sabouroff Taf. 63. Helbig Führer² 1246. Heydemann a. O. 3256. 2576. Stephani Vasenkatalog St. Petersburg 426. 339. Ganz vereinzelt erscheint das Dreigespann (?), auf einem rf. Krater im Brit. Mus. (Cat. 1338). Als Namen der Pferde werden genannt Lampos und Phaethon (Od. XXIII 246), Pegasos (Lykophr. a. O.), Kaloros (rf. Stamnos, Helbig Führer² 1246), Aithon (Serv. Aen. XI 90. Claud. VIII 561). Die Rosse sind weiß, Aisch. und Soph. a. O. Theokr. XIII 11. Quint. Smyrn. I 49. Heydemann a. O. 2576 (rf.), Stephani a. O. 426 (rf.). Bull. Nap. N. S. III Taf. 3. V Taf. 10, und bisweilen geflügelt, Furtwängler a. O. 2012 (rf.). Heydemann a. O. R. C. 157 (rf.). Fiorelli Vasi Cum. VI.

15. Das Nahen der E. verkündet der ihr vorangehende Morgenstern (Heosphoros, Lucifer), Il. XXIII 226; Od. XIII 93. Ovid. epist. XVII 112; met. XI 195; fast. III 877. Stat. Theb. XII 50. Nonn. XVIII 166. XXXVII 86. Heosphoros, der E. voranschwebend als geflügelter Knabe, Heydemann a. O. 2576. Gerhard Gesamm. Abb. [2669] Taf. VII. Oder der Hahn ruft sie, Lucrez IV 710. Ovid. met. XI 592. Sie selbst ist ihrerseits die Vorbotin des Helios, Orph. h. 78, 2. Ovid. met. XV 190. Sie führt den Wagen des Helios (Heydemann a. O. 3219 = Mon. d. Inst. IV 16), oder sie ruft ihn herbei, Ovid. met. IV 630. Sie verfolgt die Sterne, die vor ihr weichen, Eur. Ion 1158. Ovid. met. IV 81. XV 665. Sen. Oct. 1f. Verg. Aen. IV 521. Die Sterne, in Gestalt von kleinen Knaben, tauchen vor ihr ins Meer, Mon. d. Inst. II 55. Heydemann a. O. R. C. 157. Sie scheucht die Nacht und den Schlaf und spaltet die Finsternis, Orph. h. 78, 4. Ovid. epist. XVII 111; met. II 144. Quint. Smyrn. II 666. VII 2. Sil. Ital. I 576. Nonn. III 18. XXII 136. XXIX 363. XLV 126. E. gießt den Tau aus, der alles erfrischt. Der älteste Beleg für diesen Zug ist das rf. Vasenbild des 5. Jhdts., Millingen Anc. uned. mon. Taf. 6 = Roscher Lex. d. Myth. I 1257, ferner Stephani a. O. 339. Spätere Dichter sprechen von ihren tauigen Haaren, Ovid. met. V 440. Sil. Ital. I 576. XV 440. Stat. Theb. II 136; silv. V 1, 34, oder von dem tauigen Wagen der E., Nonn. XXXVII 86. Der Tau sind die Tränen, die E. um den Tod des Memnon vergießt (s. d.).

Wenn E. den Tau ausgießt, lachen die Wiesen, erschließt sich die Rose. Daher ihr Beiname ἀεξίφυτος, Meleagros Anth. Pal. IX 363. Ovid. fast. III 711, es lacht die Erde und der lichte Himmel, Quint. Smyrn. VI 1f., auch die Tiere erwachen und alle Geschöpfe freuen sich, Orph. h. 78, 10f. Heydemann a. O. 2576. Die frühaufstehenden Menschen sind der E. lieb, besonders die Jäger, vgl. die Schilderung des anbrechenden Tages Eur. fr. 773 und das Bild der Vase des Lasimos: ein Jüngling, der mit erhobener Rechten auf die herannahende E. hinweist, Overbeck H. G. Taf. 28, 1. Arch. Jahrb. I 1886, 244. E. selbst ist frohen Sinnes, sie freut sich am Reigen (Od. XII 4. Nonn. XX 24), sie lächelt (Opp. cyn. I 15), sie erfreut die Menschen (Orph. Arg. 1049). Wie die Winde sich bei ihrem Erscheinen zu neuer Tätigkeit erheben (Apoll. Rhod. I 519. IV 885. Nonn. XXVII 148. Auson. app. II 3 Schenkl), so ist E. auch den Menschen die Bringerin von Arbeit und Mühe (Orph. h. 78, 6. erg. Aen. XI 183. Sil. Ital. XII 575. Stat. Theb. VI 25. Nonn. II 169. XXVII 2. XXXIV 124. XXXVI 393). E. stört aber auch die Freude der Liebenden und heißt deswegen δυσίμερος, φθονερή (Nonn.).

16. Bei späteren Dichtern wird oft die Gestalt der E. zum Vergleiche herangezogen, um die Schönheit des gefeierten Mädchens hervorzuheben, so die krokosfarbenen Haare, Ovid. am. II 4, 43, die rosigen Finger, Claud. X 270, die Augen, Nonn. XXVI 209, der Nacken, Nonn. XLII 422, das Gewand, Nonn. XLV 126, die ganze Erscheinung, Nonn. XVI 46. XXVI 293.

[Escher. ]