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RE:Deportatio in insulam

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Fortschaffung eines Verurteilten
Band V,1 (1903) S. 231233
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Deportatio in insulam (insulae d.) war die regelmässig mit Confiscation des ganzen Vermögens und Verlust der Civität verbundene Fortschaffung des Verurteilten nach einer ihm zum lebenslänglichen Aufenthalt angewiesenen Insel. Dieses Strafmittel, aus der aquae et ignis interdictio und der relegatio erwachsen, ist seit Tiberius bestimmt nachweisbar (Tac. ann. III 38. 68. IV 21. 31). Mit der aquae et ignis interdictio hatte die D. die Natur der Capitalstrafe und den Verlust der Civität gemeinsam, mit der Relegation die Bezeichnung einer bestimmten Insel als Aufenthaltsort; von beiden unterschied sich die D. durch die gewaltsame Fortschaffung, welche als deportare, amovere, avehere bezeichnet wird. Tac. ann. IV 31. Suet. Tit. 8; vgl. auch Plin. paneg. 34 congesti sunt in narigia. Anfangs bestand neben der D. die aquae et ignis interdictio fort, Tac. a. a. O. Dig. XXVIII 1, 8, 1. 2. XXXII 1, 2. Cod. Iust. V 16, 24, 2. 17, 1. Diese ging allmählich in der D. auf. Paulus bezeichnet die D. als Ersatz für die aquae et ignis interdictio und belegt sie mit dem Namen dieser alten Strafe. Dig. XLVIII 19, 2. 1. 1, 2. Andere Bezeichnungen waren: exilium Cod. Theod. VII 18; datio in insulam Pauli rec. sent. I 21, 4. 5. Dig. XLVII 12, 11; capitis poena Coll. leg. Mos. IV 10. VIII 4, 5. XII 5, 1. Begrifflich ist die D. von der relegatio zu unterscheiden nach Dig. XLVIII 22, 7, 2. 3. Ursprünglich gegen politische Verbrecher angewendet, wurde die D. mehr und mehr ein politisches Mittel zur Beseitigung von Personen, welche durch Ansehen und Reichtum verdächtig geworden waren, wobei sich das crimen maiestatis als omnium [232] accusationum complementum (Tac. ann. III 38) bewährte. Ausserdem bildeten das Anwendungsgebiet folgende Delicte: Ehebruch, vis publica, Tötung, Brandstiftung, Giftmischerei, Fälschung, repetundae, peculatus, Sacrileg, Menschenraub, Incest und Unzucht. Die christlichen Kaiser ersetzten die Strafe vielfach durch Todesstrafe; dagegen wurde die D. unter den christlichen Kaisern auf die Sectiererei, Cod. Theod. XVI 5, 52. 54, sowie auf die Übertretung administrativer Vorschriften ausgedehnt, vgl. z. B. Cod. Theod. VIII 5, 2. XIV 10, 2. Die D. war ferner zugleich Standesstrafe für honestiores, Pauli rec. sent. I 21, 5. V 19. Coll. leg. Mos. VIII 4. 5. XII 5, 1. Dig. XLVII 12, 11. Zuständig war zur Verhängung von D. der Praefectus praetorio, kraft besonderer Verleihung auch der Praefectus urbi, Dig. XLVIII 22, 6, 1. I 12, 1, 3. Der Praeses provinciae konnte D. nur beantragen, so dass der Kaiser zu entscheiden und den zukünftigen Aufenthaltsort des Verurteilten zu bestimmen hatte, Dig. XLVIII 22, 6, 1. Die localen Verschiedenheiten der Verbannungsorte (Klima, Unbewohntheit, Wassermangel, Unsicherheit durch Räuber) gaben der D. ganz verschieden fühlbaren Inhalt. Gefürchtet waren aus solchen Gründen besonders Gyarus, Sardinien, eine Oase in der libyschen Wüste (d. quasi in insulam), wegen der strengen Überwachung die der italienischen Küste zunächst liegenden Inseln; zu den milderen Verbannungsorten gehörten Kreta, Cypern, Kythera, Naxos, Rhodos, die Balearen, Tac. ann. III 38. 85. XIII 43. Cod. Theod. IX 32. Dig. XVIII 22, 7, 5. Cod. Iust. IX 47, 26. Manchmal wurden Verbannte während des Transportes oder am Verbannungsorte auf kaiserlichen Befehl durch die Wächter umgebracht, und je grösser die Nähe von Italien, desto näher stand dieses Schicksal, Tac. ann. XVI 9. Flucht wurde mit Todesstrafe geahndet, Dig. XLVIII 19, 28, 13. Die Rechtsfolgen, welche sich aus dem Verlust der Civität ergaben (capitis deminutio media), waren Beendigung der väterlichen Gewalt, des Agnations- und Cognations-, Tutel- und Patronatsverhältnisses, sowie der Fähigkeit zur Testamentserrichtung und der Fähigkeit aus Testament oder Legat zu erwerben, Inst. I 12, 1. 16, 6. 22, 4. Dig. XXVI 1, 14. XLVIII 20, 1. 7. 5. 23, 3. Cod. Iust. IX 47, 8. 49, 2. Die Confiscation des ganzen Vermögens, ursprünglich neben D. ausdrücklich ausgesprochen, trat später von Rechtswegen ein; nur die pannicularia, d. h. die Kleider, welche der Verurteilte trug, und Dinge von geringem Wert wurden ihm belassen; der Erwerb des Deportierten während der Verbannung unterlag nach dem Tode besonderer Confiscation, Dig. XLVIII 20, 6. 22, 15. Den ehelichen und Adoptivkindern überliess man einen Teil der einzuziehenden Güter gewissermassen als Abfindung für das verlorene Erbrecht; ebenso den Kindern des Patrons eines deportierten Freigelassenen, Dig. XLVIII 20, 7, 8. Die Ehe blieb, wenn auch nicht nach ius civile, bestehen, jedoch hörte die Verwaltungsbefugnis des deportierten Ehemanns auf, die dos der deportierten Frau verblieb dem Ehemann, soweit sie nicht der Confiscation unterlag, bei Scheidung fiel sie an den Vater der Frau, Dig. XXIV 1, 13, 1. XLVIII [233] 20, 4. 5, 1. Cod. Iust. V 17, 1. Die vor Verurteilung an die Ehefrau gemachte Schenkung von Todeswegen sowie besondere Schenkungen exilii causa oder in casum d. blieben gültig, Cod. Iust. V 16, 24, 2. Dig. XXIV 1, 13, 1. 1, 43. Freiheitsverlust war mit D. an sich nicht verbunden, Inst. I 22, 4; die Art des Ortes (kleine Insel bei strenger Überwachung) konnte aber thatsächlich diese Wirkung erzielen, Dig. L 13, 5, 3. Die D. wurde nicht nur auf Lebenszeit erkannt, sondern dauerte über das Grab hinaus; die Leichen Deportierter durften nur mit Erlaubnis des Kaisers vom Verbannungsort weggebracht oder überhaupt begraben werden; nicht immer wurde die Erlaubnis erteilt, Dig. XLVIII 24. Die Strafe endigte nur durch gnadenweise Restitution, in welchem Fall der Zurückkehrende kraft postliminium seine frühere civilrechtliche Stellung wiedergewann, Pauli rec. sent. IV 8, 24. Litteratur: F. v. Holtzendorff Die Deportationsstrafe im römischen Altertum 1859 (Sonderabdruck aus dess. Verf. grösserem Werk: Die Deportation als Strafmittel in alter und neuer Zeit 1859). Th. Mommsen Röm. Strafrecht, Leipzig 1899.