RE:Coruncanius 3
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Ti. erster plebeischer pont. max. 254 v. Chr. | |||
Band IV,2 (1901) S. 1663–1665 | |||
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3) Ti. Coruncanius war Ti. f. Ti. n. (Fasti Cap. Acta triumph.) und gelangte zuerst von seiner Familie zu den Ehrenstellen im römischen Staate (s. o. die Angaben über seine Herkunft, dazu Vell. II 128, 1). Im J. 474 = 280 war er Consul mit P. Valerius Laevinus (Fasti Cap. Chronogr. Idat. Chron. Pasch. Cassiod.). Dieser wurde mit einem Heere gegen Pyrrhos, C. mit einem anderen nach Etrurien geschickt und von dort nach der Niederlage des Amtsgenossen bei Herakleia zum Schutze der Stadt und zur Verstärkung des Laevinus herbeigerufen (Appian. Samn. 10. 2. Zonar. VIII 4 Anf.). Die Acta triumphorum verzeichnen einen Triumph des C. [de V]ulsiniensibus et Vulcientib(us), da der Krieg gegen die Etrusker in der Hauptsache schon vorher beendigt war, hat Ihne (R. G.² I 485, 1) die Zuverlässigkeit der Angabe in Abrede gestellt, doch geht seine Kritik wohl zu weit. Um 500 = 254 wurde C. als erster Plebeier Pontifex maximus (Liv. ep. XVIII; vgl. Cic. de or. III 134; nat. deor. I 115. III 5. Vell. II 128, 1. Ateius [1664] Capito bei Gell. IV 6, 10) und im J. 508 = 246 Dictator comitiorum habendorum causa (Fasti Cap.). Wenn L. Caecilius Metellus (s. o. Bd. III S. 1204 Nr. 72), wie es den Anschein hat, sein directer Nachfolger in der Oberpriesterwürde war, so ist C. 511 = 243 gestorben. Er wird von Cicero als einer der hervorragendsten Männer seiner Zeit, als Muster eines frommen, weisen und erfahrenen Pontifex maximus öfter genannt (de domo 139; Brut. 55; de or. III 56. 134; nat. deor. I 115. III 5; Cato 15. 27. 43; Lael. 18. 39, vgl. Sen. vita beat. 21, 3; ep. 114, 13), doch merkt man den Äusserungen an, dass nur diese allgemeine Vorstellung von seiner Persönlichkeit sich erhalten hatte und keine wirkliche Kenntnis seiner Wirksamkeit. Die Angaben über seine Freundschaft mit den anderen Helden aus der Zeit des Pyrrhoskrieges, Q. Aemilius Papus, M. Curius Dentatus, L. Fabricius Luscinus, P. Decius Mus (Cic. Cato 43; Lael. 39) sind reine Combination; die Äusserung des Fabricius über die Lehre Epikurs (Plut. Pyrrh. 20) wird willkürlich von Cic. Cato 43 teilweise dem C. und dem Curius Dentatus in den Mund gelegt.
Seine juristische Bedeutung schildert Pomponius mit den Worten (Dig. I 2, 2, 35): et quidem ex omnibus qui scientiam, nancti sunt ante Ti. Coruncanium publice professum neminem traditur: ceteri autem ad hunc vel in latenti ius civile retinere cogitabant, solumque consultatoribus vacare potius quam discere volentibus se praestabant und (ebd. 38): post hos fuit Ti. Coruncanius, ut dixi, qui primus profiteri coepit. Bisher hatte eine juristische Schulung, d. h. Unterweisung in der Methode der Rechtsanwendung, nur innerhalb des Pontificalcollegiums stattgefunden. Seitdem aber die zwölf Tafeln dem Volke ein geschriebenes Recht (ius) gegeben hatten und seitdem Ap. Claudius Caecus die Formeln (actiones) veröffentlicht hatte, war der einstmals ausschliesslichen Beherrschung der Rechtsanwendung durch die Pontifices der Boden entzogen. C. that den letzten Schritt: er liess jedermann, der Neigung für den Beruf des Respondenten zeigte, bei seinen Consultationen zu und erörterte vor diesen seinen Zuhörern die ihm vorgelegten Rechtsfälle. In diesem Sinne ist das publice profiteri zu verstehen; an einen theoretischen Unterricht darf man nicht dabei denken (vgl. d. Art. Rechtsunterricht). Damit war der Bann, in dem die Pontifices die Rechtsentwicklung gehalten hatten, völlig gebrochen, und die Kunst der Rechtsanwendungen, die Tradition des Collegiums, die Kenntnis der Vorentscheidungen waren zum Gemeingut geworden. Der öffentliche Rechtsunterricht des C. bedeutet den Wendepunkt von der pontificalen zur freien Jurisprudenz.
Über die litterarische Thätigkeit des C. äussert sich Pomponius (Dig. I 2, 2, 38): cuius tamen scriptum nullum exstat, sed responsa complura et memorabilia eius fuerunt (feruntur Muretus). Erhalten sind zwei kleine Fragmente (Bremer Iurispr. antehadr. I 7f.), von denen das eine sich auf das Sacralrecht, das andere auf die sacra bei Erbschaften bezieht, also auf einem Grenzgebiete steht; irgend welche Schlüsse auf den Charakter seiner Schriften kann man aus diesen geringen Resten nicht ziehen.
[1665] Neuere Litteratur: Schrader Civ. Magazin V 187ff. Zimmern Gesch. d. R. Priv.-R. I 268. Sanio Varroniana in d. Schr. röm. Juristen 157ff. Rudorff R. R.-G. I 158. Teuffel R. Litt.-Gesch. § 89. Karlowa R. R.-G. 1475. Krüger Quell. u. Litt. d. R. R. 50f. Jörs R. R.-W. I 73ff. Sohm Inst.⁷ 87f. Voigt R. R.-G. I 35f. Landucci Stor. d. dir. R. I² 87.