RE:Charakene 1
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Gebiet d. Euphrat- u. Tigrisdeltas | |||
Band III,2 (1899) S. 2116–2119 | |||
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Charakene. 1) Ἡ Χαρακηνή ist nach Ptol. VI 3, 3 dasjenige Gebiet Susianas, welches oberhalb von Pasinu Charax liegt. Plinius n. h. VI 136 nennt es den unwegsamsten Teil von Elymais. Ausser der Hauptstadt Χάραξ werden noch Forat und Dumathia (Plin. a. a. O. 145f.) als dem König der Charakener unterworfen bezeichnet. Wahrscheinlich gehörten auch Teredon und Ἀπολόγου ἐμπόριον [2117] (s. d.) dazu. Ch. umfasste das Gebiet des Euphrat- und Tigrisdeltas, zwischen dem Punkte der Vereinigung beider Ströme und dem Meere. Die östlichen und die westlichen Grenzen lassen sich nicht genau bestimmen.
Nicht genügend klar ist das Verhältnis Ch.s zu Mesene, welches eigentlich das nördlich angrenzende Land ist. Während Plinius (a. a. O. 129ff.) beide deutlich unterscheidet, nennt Strabon ersteres gar nicht, sondern nur Mesene (II 84) und mesenische Araber (XVII 739). Ptol. V 18, 1 und VI 7, 19 dagegen überliefert Mesene nur in der Verbindung Μαισανίτης κόλπος, d. i. ,der innerste Winkel des persischen Meerbusens‘. Joseph. ant. Iud. I 145 spricht von Spasinu Charax als im Gebiete der Mesanaier gelegen. Cass. Dio LXVIII 28 führt einen König der ,Tigrisinsel Mesene‘ an, unter dessen Botmässigkeit die Bewohner von Spasinu Charax standen. Ps.-Lukian (macrob. 16) nennt einige Könige von ,Spasinu Charax und den am Roten Meer gelegenen Orten‘, vermeidet also beide Ausdrücke. Im Talmud kommt allerdings ein Ortsname Ḳorḥīnā (קָרְהִינָא Tr. Sabb. 152 a) und zweimal (Tr. Ber. 33 a. Sanh. 92 a) das Nomen gentile davon vor. Aber die Schreibung mit ק und ח (man würde כרכינא erwarten, vgl. den palmyrenischen Namen von Charax Pasinu und arabisch Karḫ-Maisān) macht es sehr zweifelhaft, ob hier wirklich von Ch. die Rede ist. Thatsächlich heisst das Land sonst im Talmud stets Ṃaišān, so auch bei den syrischen Schriftstellern, und bei den Arabern Maisān. Näheres s. u. Mesene. Hier sei nur noch einer Vermutung Ausdruck gegeben, wie die Vermischung der beiden Namen und Begriffe zu stande gekommen sein könnte. Zur Zeit der Seleukiden bildeten Mesene und das spätere Ch. ein Ganzes unter ersterem Namen. Ch. wurde mit dem Aufbau von Charax davon abgetrennt. Im Laufe der Zeit ist möglicherweise der nördliche Teil hinzuerobert und so das alte Mesene wiederhergestellt worden. Später mag diese Eroberung wieder verloren gegangen sein, aber der Name Mesene blieb nunmehr an dem alten Ch. haften.
Die Quellen der Geschichte Ch.s sind sehr dürftig; sie bestehen in einigen kurzen Notizen bei Plinius, Josephus, Ps.-Lukian und Dio Cassius. Eine erwünschte Ergänzung bilden eine Anzahl Münzen charakenischer Könige, die deshalb besonders wertvoll sind, weil sie die authentischen Schreibungen der Namen und Jahreszahlen (nach seleukidischer Aera) bieten. So ist es denn gelungen, eine Reihe von Königen mit ziemlicher Gewissheit aufzustellen. Die Geschichte von Ch. beginnt mit der Gründung von Charax, oder richtiger mit dem Wiederaufbau des alten Alexandreia-Antiocheia durch Hyspaosines (s. d.), Sohn des Sagdodonacus. Er befestigte diese Stadt wohl und machte sich zum unabhängigen Herrscher über das umliegende Gebiet. Diese Ereignisse fallen wahrscheinlich in die Zeit kurz nach dem Tode des Antiochos VII. Sidetes (im J. 129). Die damals über das Seleukidenreich hereingebrochenen Wirren wurden auch von anderen Statthaltern dazu benutzt, sich selbständig zu machen. Dass er zwei Jahre später König war, bezeugt eine Keilschrifttafel (veröffentlicht von Pinches Babylonian and Oriental Record IV 131ff., vgl. auch [2118] Terrieu de Lacouperie daselbst S. 136ff., 1890) mit dem Datum 185 seleukidischer Aera (= 127 v. Chr.). Der Name des Königs ist hier geschrieben: As-pa-si-ni-e. Ausserdem besitzen wir eine Münze, die seinen genauen Namen und das Datum 188 der seleukidischen Aera (124 v. Chr.) bietet.
Der Kürze halber sei hier gleich die Liste der Könige von Ch. angefügt, wie sie zuletzt Drouin (Muséon IX 148f. 1890) nach Waddingtons Vorarbeiten (Rev. num. nouv. sér. XI 1866, 303–333) aufgestellt hat. Einige Abweichungen von Drouin sind unten näher begründet. Die eingeklammerten Zahlen der seleukidischen Aera sind den Angaben der genannten Keilschrifttafel und der Münzen entnommen. Solche Namen, die nur auf Münzen bezeugt sind, stehen in der daselbst angewendeten Form.
1) Ὑσπαοσίνης (185–188 S. = 127–124 v. Chr.).
2) ΑΠΟΔΑΚΟΥ (203 S. = 109 v. Chr.).
3) ΑΡΤΑΠΑ[ΝΟΥ]? (250 S. = 62 v. Chr.).
4) Τίραιος (252–261 oder 264 S. = 60–51 oder 48 v. Ch.).
5) Ἀττάμβηλος I. (283–317 S. = 29 v. Chr. – 5 n. Chr.).
6) Ἀβίνηργλος (321 S. = 9 n. Chr.).
7) ΑΔΙΝΝΡΓΛΟ[Υ] (333 S. = 21 n. Chr.).
Lücke.
8) Ἀττάμβηλος II. (363–372 S. = 51–60 n. Chr.).
Lücke.
9) Ἀρτάβαζος
10) Ἀττάμβηλος III. (412–415 S. = 100–103 n. Chr.).
11) ΘΕΟΝΝΗΣΟ[Υ] I. (421–423 S. = 109–111 n. Chr.).
12) Ἀττάμβηλος IV. 116 n. Chr.
13) ΘΕΟΝΝΗΣΟ[Υ] II. (431 oder 434 S. = 119 oder 122 n. Chr.).
14) Ἀττάμβηλος V. (443? S. = 131? n. Chr.).
15) ΟΒΑΔΑΠΡΑΤΑΦΕΡΝ[ΟΥ], ΟΒΑΔΙΑ oder ΟΡΑΒΖ[ΟΥ]? (458–478 S.? = 146–166 n. Chr.?).
Wegen der Einzelheiten vergleiche man die Artikel unter Nr. 1. 2. 4. 6 und 7. Hier nur noch einige Anmerkungen.
Der Name Nr. 3 ist sehr zweifelhaft, da die betreffende Münze verschollen ist. Dass Tiraios der dritte König nach Hyspaosines war, bezeugt Ps.-Lukian (macrob. 16); daselbst nennt er auch den sonst unbekannten Artabazos als siebenten König nach Tiraios, so dass die Annahme der beiden Lücken genügend gerechtfertigt ist. Attambelos IV. unterwarf sich dem Kaiser Traian bei Gelegenheit von dessen Zug gegen die Parther (im J. 116), Cass. Dio LXVIII 28, wo aber der Name Ἀθάμβιλος und Σάμβηλος geschrieben ist. 11 und 13 halten Waddington und Drouin für identisch, indem sie glauben, dass er durch eine Revolution vertrieben und dann wieder eingesetzt worden sei. Diese Annahme ist ebenso möglich, als die, dass es zwei Herrscher gleichen Namens gewesen seien. Nr. 15 ist äusserst zweifelhaft. Die erste Form des Namens, sowie die Daten gab A. de Longpérier (Rev. num. nouv. sér. XV 136ff. Paris 1874–77), die anderen beiden Namensformen A. v. Sallet (Ztschr. f. Num. VIII 1881, 215f.).
Über das Ende des Königreiches Maisān berichtet der arabische Historiker Ṭabarī (ed. Lugd. [2119] Sect. I S. 818 Z. 13ff.), dass Ardašīr Pābagān nach der Eroberung des Königreiches Ahvāz sich gegen Maisān selbst gewendet, seinen König getötet und die Stadt Karḫ Maisān gegründet habe. Der Name des Königs ist leider sehr schlecht überliefert; Zotenberg (Traduction II 92) liest Bêvdâ (?), Nöldeke (Übersetzung S. 13) Bandu (?), die übrigen Varianten s. in der Ausgabe. Das Ende des Reiches Mesene fällt in die Zeit zwischen 224 und 227. Da nun das letzte Datum der Münzen (s. o.) auf das J. 166 hinweist, so sind wir über die letzten 60 Jahre vor dem Untergange vollständig im Dunkeln. Man hat indes versucht, auch in diese Periode etwas Licht zu bringen, und zwar in folgender Weise.
Soweit von den oben genannten Königen Münzen erhalten sind, haben sie alle einerlei Charakter. Das Avers zeigt den Kopf des Königs, das Revers das Bild des Herakles auf einem Felsen sitzend, die Keule auf das Knie gestützt (Nachahmung gleichzeitiger seleukidischer Tetradrachmen), da neben Namen und Titel (βασιλεύς, seit Tiraios zuweilen auch σωτήρ und σωτὴρ καὶ εὐεργέτης) und das Datum. Einige kleine Kupfermünzen des Tiraios und des Attambelos I. zeigen eine Nike mit Palmenzweig und Kranz. Dagegen findet sich der charakenische Herakles wieder auf vier Münzen eines Königs, deren Legenden eine altaramaeische Schrift aufweisen. Weitere Münzen mit Zeichen derselben Schrift enthalten zwei Bilder von Männern: Avers die Büste eines Königs mit Tiara, Revers den Kopf eines Mannes, meist ganz unbedeckt, nur zuweilen mit einem schlecht angedeuteten Kranze versehen. Man hat nun diese Münzen den späteren Königen von Ch. zugeschrieben und mehrfach unternommen, ihre Legenden zu entziffern. Der letzte und umfassendste Versuch, von Drouin (Rev. num. III sér. VII 1889, 211–254. 361–384), hat indessen auch nur wenig Sicheres ergeben. Er stellt folgende Liste auf: Binega (von ihm die Münzen mit dem Herakles); Anonym; Artabaza I. und II.; Maan-Artabaza I.–IV.; Dalizar-Artabaza. Für wirklich entziffert halte ich nur den Königstitel malkā, den Namen Artabaza und von Binega den ersten und den letzten Buchstaben. Alles Übrige scheint mir zweifelhaft, so namentlich auch die Zugehörigkeit der Münzen zu Ch., wenigstens derjenigen ohne den Herakles. Wenn es sich aber bestätigen sollte, dass die vier Münzen mit dem Herakles einem König von Ch. zuzuschreiben seien, dann wäre die Möglichkeit nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, dass der Name des letzten Königs von Maisān, den Ṭabarī in verstümmelter Form giebt, auf diesen Münzen enthalten sei. Der Name Binega oder Binᶜa wäre bei Ṭabarī durch eine ziemlich leichte Änderung herzustellen. Die übrigen aramaeischen Münzen könnten dann allerdings schwerlich charakenisch sein, obwohl die Schrift die gleiche ist.
Litteratur: J. Saint-Martin Recherches sur l’hist. et la géogr. de la Mésène et de la Characène, Paris 1838. Reinaud Mémoires de l’Institut impérial de France. Acad. des inscr. et belles-lettres XXIV 2 (1864) p. 155–224. W. H. Waddington a. a. O. = Mélanges de numism. II. sér. (1867) 77–107. E. Drouin aa. OO.