RE:Cassius 47
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Hemina, L. Einer der ältesten röm. Annalisten | |||
Band III,2 (1899) S. 1723–1725 | |||
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47) L. Cassius Hemina, einer der älteren römischen Annalisten, über dessen Leben und Persönlichkeit ganz und gar nichts bekannt ist. Wir wissen nur, dass er um die Mitte des 2. vorchristlichen Jhdts. gelebt hat, denn Censorinus, de die nat. XVII 11 citiert ihn bei der Erwähnung der Säcularspiele von 146 v. Chr. als Cassius Hemina, qui illo tempore vivebat. Da ihn ferner Plinius einmal (Hemina frg. 37 Peter) vetustissimus auctor und einmal (frg. 26) ex antiquissimis auctor nennt, was er bei dem in der gracchischen Zeit blühenden Piso nicht mehr thut, werden wir Hemina für älter als diesen zu halten haben und die Abfassung seines Geschichtswerkes also sicher noch vor die Publication der Annales maximi durch Scaevola (s. Bd. I S. 2251f.) ansetzen müssen. Dazu stimmt, dass das Werk anscheinend noch viel knapper gehalten war als die der übrigen Annalisten seit Piso. Es umfasste nur vier Bücher (Pisos Annalen schon sieben), von denen jedes mehrmals citiert wird. Der Titel des Werkes muss, wie die bei weitem überwiegende Mehrzahl der Anführungen beweist, annales gelautet haben. So citieren es durchweg Plinius, Gellius, Servius und Priscian; daneben wird es zwar gelegentlich auch historiae genannt (je einmal von Diomedes und Macrobius und fünfmal von Nonius), dass darin aber nichts [1724] weiter zu erblicken ist, als die bei späteren Autoren auch sonst häufige Bezeichnung annalistischer Werke als historiae, beweist eben Nonius, der an sechs anderen Stellen richtig annales des Hemina citiert.
Neben den Annalen wegen der Stelle bei Nonius p. 346 frg. 23 (Cassius Hemina, de censoribus lib. II: Et in area in Capitolio signa quae erant demoliuntur) noch ein besonderes Werk des Hemina de censoribus in mehreren Büchern anzunehmen, ist kein Grund vorhanden. Da sich nämlich der Inhalt des Fragments anscheinend auf eine von irgend welchen Censoren vorgenommene Massregel bezieht, hat Peter gewiss recht, wenn er in de censoribus Worte des Nonius erkennt und das Fragment selbst auf die Annalen des Hemina bezieht.
Grosse Schwierigkeiten bereitet die Stelle Priscian VII 347 Cassius Emina annalem suum quartum hoc titulo inscripsit ,Bellum Punicum posterior‘. Danach wäre anzunehmen, dass dieses vierte Buch nur die Geschichte des zweiten punischen Krieges umfasst hatte, aber Plinius führt n. h. XIII 84 (Hemina frg. 37) in ganz unverdächtiger Weise aus eben diesem vierten Buche noch Ereignisse aus dem J. 181 an. Peters (Hist. Rom. rel. p. CLXX) Vorschlag, dies durch Annahme einer Anzahl weiterer Bücher zu erklären, von denen nur zufällig keines citiert sei, steht das bestimmte Buchcitat des Plinius entgegen. Eine weitere Schwierigkeit liegt darin, dass nach der Bezeichnung des zweiten punischen Krieges als posterior geschlossen werden müsste, dass dieses Buch vor Ausbruch des 3. punischen Krieges abgefasst sei, Hemina aber trotzdem nach Censorinus (s. frg. 39) bestimmt noch das J. 146 erwähnt hat. Wenn sich auch der letztere Einwand durch die Annahme beseitigen liesse, dass Hemina, nachdem er die ersten Bücher schon früher veröffentlicht gehabt hatte, dann später, nach dem 3. punischen Kriege noch ein weiteres, fünftes Buch geschrieben haben kann, so bleibt doch immer noch das Bedenken bestehen, dass Ereignisse aus dem J. 181 in dem mit bellum Punicum überschriebenen vierten Buch nicht gestanden haben können.
Was die Benutzung von Heminas Werk durch die späteren Autoren anlangt, so ist der früheste, der ihn citiert, Plinius. Dieser hat die Fragmente 12. 13. 26. 37 erhalten und führt Hemina ausserdem noch im Quellenverzeichnis zu Buch XII an. Auch die sprachlichen Citate bei Nonius (frg. 9. 10. 16. 17. 21. 23. 24. 27. 28. 33–36), bei Diomedes (frg. 11) und Priscian (frg. 25. 29–32. 40) werden in letzter Linie wohl auf Plinius und zwar auf das Werk de dubio sermone zurückgehen. Vor Plinius kann den Hemina, wie Peter p. CLXXV zu begründen versucht, höchstens noch Varro gekannt haben, und diesem werden dann direct oder indirect Macrobius (frg. 14. 18. 20), Servius (frg. 3. 4. 6. 15. 22. 38), Solin (frg. 2. 7), Censorin (frg. 39), Minucius Felix (frg. 1), die Schol. Veron. (frg. 5) und wohl auch Gellius (frg. 8) ihre Heminacitate verdanken.
Es ergiebt sich hieraus die auffallende Thatsache, dass, soweit wir verfolgen können, kein einziger Historiker des ganzen Altertums die Annalen Heminas gekannt oder benützt hat (an der [1725] einzigen Stelle eines solchen, bei Appian frg. 6 p. 49 ist Κάσσιος nicht überliefert, sondern nur erst durch Conjectur hergestellt). Auch bei Dionys I 11 fehlt in der langen Aufzählung der römischen Annalisten fast als einziger Hemina. Sein Werk wird also erst von den Antiquaren der ciceronianischen Zeit, wahrscheinlich von Varro, entdeckt und ans Licht gezogen worden sein, ohne dass es aber hätte zur Geltung gelangen können. Nur Plinius, für den es sowohl sprachlich wie antiquarisch eine reiche Fundgrube sein musste, hat es dann excerpiert.
Schon hieraus geht hervor, dass Hemina für die Entwicklung der Tradition über die ältere römische Geschichte, wie sie sich in der Zeit von den Gracchen bis auf Cicero immer mehr und mehr erweitert hat, ohne jeden Einfluss geblieben sein muss.
Erhalten sind aus den Annalen des Hemina im ganzen 40 Fragmente, von denen aber nicht weniger als 20 nur kurze sprachliche Grammatikercitate sind. Über den Charakter des Werkes lässt sich deshalb nur weniges feststellen. Wir erkennen vor allem, dass Hemina die italische Urgeschichte sehr eingehend behandelt hatte. Das ganze erste Buch scheint sich ausschliesslich mit dieser beschäftigt zu haben, und zwar suchte Hemina dabei besonders die Urgeschichte Italiens mit der griechischen in Verbindung zu setzen (s. frg. 2. 3. 5. 6. 8). Berichtet wurde in diesem Buche, ähnlich wie in Catos Origines, die Gründungsgeschichte auch noch anderer italischer Städte, so die von Aricia (frg. 2) und Crustumerium (frg. 3). Sehr ausführlich war die Aeneassage behandelt, auf die sich die Fragmente 5–7 beziehen. Dabei lässt sich noch eine gewisse Vorliebe erkennen, mit zum Teil sehr gewagten Etymologien zu operieren und aus ihnen historische Schlüsse zu ziehen. Auch bot Hemina bereits für die ältesten Zeiten chronologische Ansetzungen und Gleichsetzungen, so hat er nach frg. 8 Homer und Hesiod 160 Jahre nach dem troianischen Kriege angesetzt.
Erst in Buch II war Hemina bis zur Gründung Roms gelangt (s. frg. 11). Dieses Buch umfasste dann die ganze Königszeit, ausserdem aber auch noch die gesamte ältere republicanische Geschichte. So war nach frg. 20 sicher noch das J. 389 darin behandelt, und wenn sich frg. 21 wirklich auf die Ereignisse des J. 281 bezieht (s. Peter z. d. St.), so würde das Buch sogar bis mindestens zum Pyrrhuskriege gereicht haben. Aber es bliebe dann, da mit 218 bereits Buch IV begann, für Buch III nur ein verhältnismässig sehr kurzer Zeitraum übrig, und es ist deshalb eine Verderbnis der Buchzahl bei Nonius nicht unwahrscheinlich. Das vierte Buch endlich reichte von 218 bis mindestens 181; ob die Erwähnung des J. 146 (frg. 39) noch in ihm oder in einem nicht bezeugten fünften Buche gestanden hat, lässt sich, wie bereits bemerkt, nicht entscheiden. Litteratur: Peter Hist. Rom. rel. p. CLXVIIIff. und p. 95ff.; Hist. Rom. frg. p. 68ff. Teuffel R. L. I 209ff.