70) Cn. Calpurnius Piso. a) Name. Cn. Calpurnius Cn. f. Piso Dio index l. LV; Cn. Piso Cn. f. Münzen; Cn. Piso Fru(gi) f. Münze bei Babelon I 306 nr. 37; Cn. Calpurnius Piso CIL X 924. Dio LVII 15, 9; Cn. Piso Monum. Ancyr. 3, 28. CIL I 747. V 8112, 83. VI 7461. IX 5308. Strab. II 130. Senec. dial. III 18, 3. Plin. n. h. XI 187. Tac. ann. I 13 u. ö. Suet. Tib. 52; Calig. 2; Vitell. 2. Dio LV 8, 1. LVII 20, 2. LIX 20, 7; Calpurnius Piso Dionys. Hal. I 3, 4; sonst Piso.
b) Leben. Triumvir a(ere) a(rgento) a(uro) f(lando) f(eriundo) unter Augustus (Münzen bei Babelon I 306f. nr. 36–40) um das J. 729 = 25 v. Chr. (vgl. Tac. ann. III 16). Consul ordinarius im J. 747 = 7 v. Chr. mit Ti. Claudius Nero, dem späteren Kaiser, der damals zum zweitenmal Consul war (vgl. die oben angeführten Nachweise). Er veranstaltete damals mit dem jungen C. Caesar Spiele zu Ehren des Augustus (Dio LV 8, 3. CIL VI 385; vgl. Suppl. 30751). Statthalter von Hispania (citerior) unter Augustus, soll er die Provinz ambitiose avareque verwaltet haben (Tac. ann. III 12. 13). Proconsul von Africa vor dem J. 15 n. Chr. (Strab. II 130. Senec. dial. III 19, 3). In diesem sowie in dem folgenden Jahre (16) war er im Senate in Rom, wo er seinem Freimute öfter Ausdruck gab (Tac. ann. I 74. 79. II 35. Dio LVII 15, 9). Im J. 17 ernannte ihn Tiberius zum Statthalter Syriens, zur selben Zeit, als Germanicus mit einem ausserordentlichen, der Gewalt der kaiserlichen Legaten überlegenen Commando im Orient betraut wurde. Die Absicht des Kaisers war wahrscheinlich, der Überschreitung seiner Rechte, wie sie Germanicus liebte, durch die Entsendung eines Mannes von unabhängiger Gesinnung Schranken zu setzen. Doch beging er einen verhängnisvollen Fehler, dass er (auf Veranlassung des Senates?, vgl. Tac. ann. III 12) gerade Piso wählte, bei dem die Unbeugsamkeit
[1381] in starren Trotz und Hochmut ausartete, und der sich berufen fühlte, von Anfang an eine feindselige Stellung gegen Germanicus einzunehmen. Dazu kam noch die nicht geringere Hoffahrt seiner Gemahlin Plancina, die, vielleicht von Livia aufgestachelt, gegen Germanicus Gattin Agrippina intriguierte. Im J. 18 begab sich Piso in seine Provinz. Er erwarb sich in derselben durch Freigebigkeit und Nachsicht so sehr die Zuneigung der Soldaten, dass er Vater der Legionen genannt wurde. Germanicus Befehl, einen Teil der Legionen nach Armenien zu senden, liess Piso ausser acht. In Cyrrus traf er dann mit dem Prinzen zusammen, dessen Umgebung im Anfachen der Feindschaft nicht müssig war. Die Unterredung der beiden Männer hatte nur den Erfolg, dass sie mit offenkundigem Hasse von einander schieden. Beiderseitige Kränkungen folgten. Am schwersten musste es jedoch Germanicus empfinden, dass er nach seiner Rückkehr aus Ägypten (im J. 19) alle seine Verordnungen aufgehoben oder ins Gegenteil umgewandelt fand. Er liess Piso seine Entrüstung derart fühlen, dass dieser Syrien zu verlassen beschloss. Jedoch die Kunde von seines Feindes Erkrankung hielt ihn zurück. Germanicus war, sicherlich grundlos, überzeugt, dass ihn Piso vergiftet habe. Er kündigte diesem förmlich die Freundschaft auf und befahl ihm vielleicht auch, die Provinz zu verlassen, was Piso denn auch that. Bald darauf (10. October 19) starb Germanicus, nachdem er seine Freunde zur Rache aufgefordert hatte. Die Nachricht von seinem Tode erreichte Piso bei der Insel Kos; weder er noch Plancina legten sich den Zwang auf, ihre Freude zu verbergen. Gegen den Rat seines Sohnes Marcus beschloss Piso, in seine ihm, wie er glaubte, widerrechtlich genommene Provinz zurückzukehren, deren Verwaltung Cn. Sentius Saturninus, einer von Germanicus Legaten, übernommen hatte. Er sandte einen Brief an den Kaiser voll Anklagen gegen den Toten und setzte gleichzeitig mit einer eilig gesammelten Mannschaft, die durch Hülfstruppen der kilikischen Fürsten verstärkt wurde, aufs Festland über. An der kilikischen Küste besetzte er das Castell Celenderis, wurde jedoch von dem Heere des Sentius vor den Thoren der Festung geschlagen und zum Aufgeben des Widerstandes sowie zum definitiven Verlassen der Provinz genötigt. Durch Asia und Achaia reiste er nun (im J. 20) zu Drusus, Tiberius Sohn, der in Illyricum weilte, fand diesen jedoch sehr zurückhaltend. Er begab sich hierauf nach Rom, wo schon am Tage nach seiner Ankunft die Freunde des Germanicus zunächst vor dem Kaiser mit der Anklage gegen Piso hervortraten. Tiberius überliess jedoch die Entscheidung des Processes dem Senat. Pisos Verteidigung übernahmen M’. Aemilius Lepidus, L. Calpurnius Piso (sein Bruder) und Livineius Regulus; die Anklage wurde vertreten durch Fulcinius Trio, der Pisos Verwaltung von Spanien angriff, und durch Q. Servaeus, Q. Veranius und P. Vitellius, die ihn der Misswirtschaft im Heere, der Verfolgung von Germanicus Begleitern, der Vergiftung dieses Prinzen selbst und der Anwendung von Waffengewalt gegen den Staat beschuldigten. Den Vorwurf der Vergiftung zu widerlegen, wurde Piso nicht schwer. Aber der Kampf mit Sentius war ein Staatsverbrechen,
[1382] das ihm Tiberius nicht verzeihen konnte; der Senat war ihm unfreundlich gesinnt, das Volk verfolgte ihn mit seinem Hasse. Da gleichzeitig Plancina ihre Sache von der seinigen zu trennen begann, gab sich Piso verloren und durchschnitt sich die Kehle mit dem Schwerte. Vorher hatte er noch einen Brief an Tiberius verfasst, in welchem er seine Unschuld und Treue beteuerte und den Kaiser beschwor, in Erinnerung an seine fünfundvierzigjährige Thätigkeit in seinem und des Augustus Dienste seine unschuldigen Söhne zu beschützen. Im Senate beantragte Aurelius Cotta, Pisos Namen aus den Fasten zu tilgen, was jedoch Tiberius nicht zuliess. Trotzdem ist sein Name auf der Inschrift CIL VI 385 (vgl. Suppl. 30751) eradiert. Tac. ann. II 43. 55–58. 69–82. III 7–18 (wo die sonst unvergleichliche Darstellung an dem Widerspruche krankt, dass der Autor den Tod seines Helden Germanicus in tragische Beleuchtung rücken will und doch an die Schuld des, ihm übrigens durchaus nicht unsympathischen, Piso nicht zu glauben vermag; bei den Späteren ist natürlich die Vergiftung eine feststehende Thatsache geworden). Suet. Tib. 52; Calig. 2. 3; Vitell. 2. Dio LVII 18, 9. 10 = Zonar. XI 2. Plin. n. h. XI 187. Joseph. ant. Iud. XVIII 54. Vell. II 130, 3; vgl. Schiller Geschichte der röm. Kaiserzeit I 272ff. Ranke Weltgeschichte III 1, 65f. 2, 298f. Liebenam Jahrb. f. Philol. 1891, 865ff.
c) Familie. Piso war der Sohn des Cn. Calpurnius Piso Frugi Nr. 95 cos. 731 = 23 v. Chr. (Tac. ann. II 43), der Bruder des L. Piso augur (Nr. 74). Seine Gemahlin war Munatia Plancina (Tac. ann. II 43 und sonst), beider Söhne Cn. später L. Piso (Nr. 76) und M. Piso (Nr. 85), vgl. die Stammtafel.
d) Charakter. Piso hatte von seinem Vater den unbeugsamen Starrsinn ererbt. Gehorsam war seinem Charakter fremd. Sein und seiner Gemahlin Adel machten ihn so hochmütig, dass er nur noch dem Tiberius wich, während er dessen Söhne missachtete (Tac. ann. II 43). Eine Anekdote von seiner rücksichtslosen Härte erzählt Seneca (dial. III 18, 3–6. 19, 3) mit Bezug auf seinen Proconsulat in Africa. Doch war er auch von vielen Fehlern frei (Senec. a. a. O.), und Augustus soll ihn (nach anderen jedoch den L. Arruntius) als der Herrschaft nicht unwürdig bezeichnet haben (Tac. ann. I 13). Bezüglich der Hypothese von Michaelis, der diesen Piso für den maior iuvenum in der Ars poetica des Horaz hält, vgl. u. S. 1399.