RE:Augustinus 2
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Aurelius, Bischof von Hippo Regius' Kirchenlehrer | |||
Band II,2 (1896) S. 2363–2367 | |||
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2) Aurelius Augustinus, Bischof von Hippo regius († 430). Geboren am 13. November 354 zu Tagaste in Numidien, herangewachsen unter christlichen Einflüssen, erwarb er sich in seiner Vaterstadt und in dem benachbarten Madaura eine seinem Stande – der Vater war Decurio in Tagaste – entsprechende Bildung, um sich seit 371 in Karthago speciell für den Rhetorenberuf vorzubereiten. Wie vorher Vergil, war jetzt Cicero (besonders der Hortensius!) sein Lieblingsschriftsteller; sein religiöses Wahrheitsbedürfnis glaubte er durch Anschluss an die Secte der Manichaeer – doch nur als Katechumene, auditor – zu befriedigen. Seit 375 etwa war er in Tagaste als Lehrer der Grammatik, bald darauf als Lehrer der gerichtlichen Beredsamkeit in Karthago thätig; 383 siedelte er in gleicher Eigenschaft nach Rom, 384 durch Vermittlung des Symmachus nach Mailand über. Hier zog ihn eigenes Studium und Nachdenken, sowie die Predigt und die Persönlichkeit des Ambrosius vom Manichaeismus definitiv zum katholischen Christentum herüber; er gab 386 sein Lehramt auf und liess sich Ostern 387, zusammen mit seinem 15jährigen Sohne Adeodatus, von Ambrosius taufen. Über Rom kehrte er nach Africa zurück, von 388–391 hat er dort teils in Karthago, teils in Tagaste ein der geistigen Arbeit gewidmetes Stillleben geführt; 391 wurde er, bereits hochangesehen in der Kirche seines Heimatlandes, zum Presbyter in Hippo regius geweiht. Nachdem er schon einige Zeit Mitbischof des Valerius gewesen, wurde er nach dessen Tode 396 Bischof von Hippo regius und hat dies Amt bis zu seinem Tode am 28. August [2364] 430 bekleidet. A. ist nicht blos der bedeutendste Kirchenfürst der africanischen Kirche, er ist der einflussreichste unter allen ‚Vätern‘ der alten Kirche. An Gelehrsamkeit haben ihn Viele übertroffen; seine Vertrautheit mit der griechischen Sprache war eine geringe (Spuren einer solchen z. B. epist. 197, 2 über den Unterschied zwischen καιροί und χρόνοι), die mit der griechischen Litteratur durch seinen Freund Hieronymus vermittelt; mit wohlfeilen Weisheitsbrocken aus den ihm bekannten Lateinern sich aufzuspielen, hat er verschmäht, aber er ist trotz der unbedingten Hingebung an die Kirche und ihre Lehrsätze ein selbständiger und origineller Denker, und ihre grossen Grundsätze über Gnade und Erlösung mit allen Antrieben zu weiterer Entwicklung verdankt diese Kirche ihm. Sein Charakter ist bei aller Einseitigkeit ehrfurchtgebietend, frei von Eitelkeit und Selbstsucht lebt er nur für seine Sache, immer wahrhaftig, würdig, begeistert. Harnack Dogmengeschichte III.
Über seine Schriftstellerei sind wir durch ihn selber gut unterrichtet; um 428 hat er in zwei Büchern Retractationes alle seine Veröffentlichungen – natürlich mit Ausnahme der zahllosen Briefe und Predigten, die wir von ihm besitzen – in chronologischer Reihenfolge aufgezählt und missverständliche oder incorrecte Äusserungen darin rectificiert. Von besonderer Entwicklung seiner schriftstellerischen Kunst ist wenig zu spüren, rhetorische Eleganz hat er absichtlich gemieden, aber schlicht und klar, warm und entschieden hat er immer geschrieben. Weitaus das meiste behandelt kirchliche Gegenstände, doch hat A. auch der weltlichen Wissenschaft dienen wollen; noch in Mailand plante er die sieben disciplinae in je einem Buche zu behandeln; fertig geworden ist damals nur die Grammatik; Dialektik, Rhetorik, Geometrie, Arithmetik, Philosophie sind Fragmente geblieben; die Musik hat er später in sechs Bänden quantum attinet ad eam partem, quae rythmus vocatur besprochen. Die letztgenannten Bücher sind uns erhalten, auch ein liber de grammatica, principia dialecticae und rhetorices, sowie categoriae X unter A.s Namen, doch wird deren Echtheit bezweifelt. Ebenfalls der frühesten Periode um 386 gehören an die III libri contra Academicos, eine Streitschrift gegen den Skepticismus, de beata vita liber unus, II libri de ordine, 2 Bücher soliloquia (unvollendet) und die Schrift de immortalitate animae: in allen die Interessen und Gesichtspunkte des (neuplatonischen) Philosophen noch durchaus überwiegend. Unter seinen späteren Schriften – die wir nicht sämtlich aufzählen – sind weltberühmt geworden die 13 Bücher Confessionum, um 400 verfasst, eine Geschichte seiner inneren Entwicklung bis zum Tode seiner Mutter Monica 387 mit erbaulichen Reflexionen, und die 22 Bücher de civitate Dei, eine Rechtfertigung Gottes in der Geschichte, unter dem frischen Eindruck der westgothischen Invasion begonnen, aber erst 428 vollendet. Seine exegetischen Arbeiten haben geringen wissenschaftlichen Wert, er verfolgt nicht nur die falschen Methoden der Zeit (Typik, Allegorese), sondern achtet zu wenig auf gleichmässige Erörterung aller Textstücke, überspringt vielfach dunkle und wichtige Partien, um unverhältnismässig lange [2365] bei den für seine Lieblingsgedanken ausgiebigen zu verweilen, vgl. die sehr ausführlichen enarrationes in psalmos und die annotationes in Iob, zum Neuen Testament die expositio epistolae ad Galatas und die expositio quarundam propositionum ex epistola apostoli ad Romanos. Bedeutender sind seine dogmatischen und ethischen Abhandlungen, meistens Gelegenheitsschriften, dafür am charakteristischsten de diversis quaestionibus LXXXIII, de fide et symbolo, de trinitate libri XV, de opere monachorum, de bono coniugali, de fide et operibus, de videndo Deo. Die 4 Bücher de doctrina christiana sind[WS 1] eine Art theologischer Encyclopädie, dasselbe in anderer, namentlich kürzerer Form das enchiridion ad Laurentium de fide spe et charitate; de catechizandis rudibus eine praktisch gehaltene Katechetik. Über die Hälfte der Schriften A.s sind polemischen Charakters, unmittelbarer eingreifend in den Kampf gegen Haeresie und Schisma, der A.s Lebensaufgabe gewesen ist. Mit den Arianern hat er sich auseinandergesetzt in einem Buche contra sermonem Arianorum, mit dem Priscillianismus in ad Orosium und contra mendacium, doch das sind kleine Scharmützel; drei Feinde der Kirche hat er unermüdlich immer aufs neue in Wort und Schrift bestritten 1) die Manichaeer, 2) die Donatisten, und zuletzt von 411/12 an 3) die Pelagianer. Übrigens sind von diesen polemischen Arbeiten mehrere verloren gegangen, namentlich antidonatistische Tractate, wohl weil sie für spätere Geschlechter, nachdem der Donatismus verschwunden war, wenig actuelles Interesse hatten, z. B. contra quod attulit Centurius a Donatistis liber unus (retract. II 19) und admonitio Donatistarum de Maximianistis l. I (retract. II 29); weitaus die meisten sind erhalten. Unter den antimanichaeischen ragen hervor durch Umfang und geistige Energie die 33 Bücher contra Faustum Manichaeum um 400, in denen er die Schrift eines damals sehr angesehenen Manichaeers Faustus Punkt für Punkt reproduciert und zu widerlegen weiss; aber aufgenommen hat A. den Kampf gegen diese Secte schon bald nach seiner Bekehrung: de Genesi adversus Manichaeos libri II um 390, de utilitate credendi ad Honoratum liber I um 392/3, bald darauf contra Manichaeos de duabus animabus, sonst noch von grösserem Interesse contra Adimantum Manichaei discipulum l. I 394 und contra epistolam quam vocant fundamenti l. I 397; die Auseinandersetzung mit den Donatisten hat er begonnen um 393 in dem psalmus contra partem Donati (s. u. Abecedarii), bestimmt für die imperiti atque idiotae und das humillimum vulgus, am eifrigsten sie zwischen 400 und 412 betrieben: contra epistolam Parmeniani libri III, de baptismo libri VII, contra literas Petiliani libri III und – auf die für den Donatismus so verhängnisvolle ‚Besprechung‘ zu Karthago im J. 411 bezüglich – breviculus collationis cum Donatistis libri III sowie post collationem contra Donatistas liber I. In die pelagianische Controverse tritt A. 411/2 ein mit den 3 Büchern de peccatorum meritis et remissione ac de baptismo parvulorum ad Marcellinum; demselben Marcellinus widmet er bald darauf die gedankenreiche, energisch den Paulinismus vertretende Schrift de spiritu et litera, Pelagius [2366] selber wird 412 offen bekämpft in de natura et gratia, und von da an erscheinen in rascher Folge die mit dem Streit um Gnade und Willensfreiheit zusammenhängenden Tractate 416 de gestis Pelagii liber I, 417 contra Pelagium et Coelestium de gratia Christi et de peccato originali libri II, 418 de nuptiis et concupiscentia ad Valerium comitem libri II, 418ff. contra duas epistolas Pelagianorum libri IV und, nachdem der kecke und gewandte Bischof Iulianus von Eclanum die Führerschaft unter den Pelagianern übernommen, contra Iulianum libri VI um 421. Gegen eine Überspannung seiner Praedestinationslehre durch adrumetinische Mönche schreibt er 426/7 de gratia et libero arbitrio und de correptione et gratia, gegen eine in Südgallien auftauchende Compromisstheologie de praedestinatione sanctorum und de dono perseverantiae 428/9. Mit einer Gegenschrift des Iulianus setzte er sich in der Weise der Bücher contra Faustum auseinander – (contra secundam Iuliani responsionem) opus imperfectum pflegt man das Werk zu titulieren –, als ihm die Feder entsank nach Abschluss des sechsten Buches. Zu seinen spätesten Arbeiten gehört auch ein Speculum, ein Sittenspiegel, hergestellt aus Worten der Bibel, die zu diesem Zweck ganz – nach der Reihenfolge ihrer Bücher – durchgegangen wird. Für die Italaforschung ist dies Werk von höchstem Wert, nicht minder ein unter demselben Namen gehendes, aber fälschlich dem A. zugeschriebenes, das nach ganz anderem Plan in 143 Kapiteln eine christliche Glaubens- und Sittenlehre (I de uno deo, VI de timore domini, XLI non periurandum) aus Schriftworten componiert. Natürlich sind auch viele andere Werke, meist anonyme, mit dem Namen A.s irrtümlich geschmückt worden – besonders bei den Homilien ist die Sichtung noch keineswegs vollendet –, darunter eins der interessantesten die in zwei Recensionen erhaltenen Quaestiones Veteris et Novi Testamenti, die, jedenfalls voraugustinisch, vielleich von der Hand des Ambrosiaster herrühren.
Unter den Gesamtausgaben der Werke A.s verdienen Erwähnung die Editio princeps bei Jo. Amerbach in Basel 1506 in neun Bänden, die von Des. Erasmus Basel 1528/9, 10 Voll.; die zu Antwerpen 1577 in 11 Tomi erschienene, per theologos Lovanienses castigata. Die bisher beste ist die zu Paris 1679–1700 erschienene und wiederholt nachgedruckte elfbändige Ausgabe der monachi ordinis St. Benedicti e congregatione St. Mauri (vgl. Kukula Die Maurinerausgabe des Augustinus Teil I. II 1889/90. III 1, 1893. Rottmanner Bibliographische Nachträge zu Dr. R. Kukulas Abhandlung: die M. etc. Wien 1891), der verbreitetste Abdruck J. P. Migne Patrologia lat. t. XXXII–XLVII. Im Corpus script. ecclesiast. lat. Vindob. sind bis jetzt von A. veröffentlicht nur das Speculum (beide Recensionen) Vol. XII 1887 von Fr. Weihrich und die meisten antimanichaeischen Schriften Vol. XXV 1. 2. 1891. 92 von J. Zycha, in Vol. XLIV 1895 epistulae 1–30 von Al. Goldbacher.
Die älteste Biographie A.s, fast allen Ausgaben seiner Werke vorgedruckt, rührt her von seinem Freunde Possidius, Bischof von Calama, der auch einen induculus scriptorum Augustini verfertigt [2367] hat; noch immer sehr wertvoll ist die Vita A., die die Mauriner wesentlich unterstützt durch Tillemonts Fleiss und Scharfsinn aus A.s Schriften zusammengestellt haben (tom. I = Migne t. XXXII). Aus neuerer Zeit: Bindemann Der heil. Augustinus, 3 Bde. 1844–69. Fr. und P. Böhringer Die Kirche Christi und ihre Zeugen² XI 1877. A. Dorner Augustinus. Sein theologisches System und seine religionsphilosophische Anschauung 1873. H. Reuter Augustinische Studien 1887. Weitere Litteraturangaben bei Bardenhewer Patrologie 1894, 470–479. Eine allen Anforderungen der Wissenschaft genügende Biographie des grossen Mannes fehlt noch. Vgl. den Art. Ennodius.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: sinds
- Siehe auch Augustinus 3 im Supplementband III.