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- S. 2084, 23 zum Art. Anaxilaos:
5) Die Bedeutung des Mannes ist eingehend geschildert von Wellmann Abh. Akad. Berl. 1928 (vgl. ebd. 1921). Er schreibt ihm (1928, 54) drei Werke zu: Φυσικά, Βαφικά(vgl. den Art. Färbung Suppl.-Bd. III S. 461) und Παίγνια: bezeugt sind nur die letzteren durch Psellos (bei Westermann Paradoxogr. 146) und Iren. I 13 Anaxilai ludicra cum nequitia eorum qui dicuntur magi commiscens (Marcus); auch Ps.-Cypr. III 89 H. spricht von lusus Anaxilai. Was von ihm berichtet wird, kann sehr wohl in diesem Werke gestanden haben, und man könnte sich gut vorstellen, daß ein Mann, der auf den Namen eines Philosophen Anspruch machte, solche Mittelchen auch im Titel in Gegensatz zu seiner eigentlichen Beschäftigung stellte. Denn daß es sich bei dieser ganzen, durch Wellmanns ausgezeichnete Untersuchungen aufgehellten Schriftstellerei, die im allgemeinen an Bolos anknüpft, um ein Gemisch von Afterwissenschaft und Charlatanerie handelt und etwa Sext. Pyrrh. hypot. I 46, wenn er ein bei Plin. n. h. XXXII 141 aus A. berichtetes Zauberkunststück schildert, mit Recht von γόητες spricht, kann man nicht genug betonen; es handelt sich nicht um eine ‚neue Betrachtungsweise der Natur‘, nicht um eine Begründung der Folklore, auch nicht um einen Gegensatz zum Peripatos (Wellmann 1928, 9. 14. 16. 42), sondern um ein bedauerliches Herabsinken in die abergläubische Nebelsphäre einer primitiven Mentalität, wie es sich nach Zeiten einer übersteigerten [6] Kultur nur zu leicht einstellt (Studien zum Verständnis 308; Mitt. Schles. Ges. f. Volksk. XXIV 1); also liegt nicht ein Gegensatz zum Peripatos, sondern zu allem rationalen Denken überhaupt vor. Richtig ist, daß in diesen Hexenkessel auch peripatetische Ingredienzien geschüttet waren (Einfluß des Theophrast: Wellmann 1928, 61f.), und überhaupt wird man viele der von Bolos (der nicht ohne weiteres mit Ps.-Demokrit gleichgesetzt werden darf) und A. angepriesenen Mittel für recht alt halten dürfen, daher aber auch mit noch komplizierteren Abhängigkeitsverhältnissen rechnen müssen als Wellmann tut.
Daß in den Büchern des Plinius, für die er selbst A. als Quelle nennt, und vielleicht auch in anderen viel von A. steckt, der zum großen Teil Weisheit des Bolos und Ps.-Demokrit vermittelt, hat Wellmann gezeigt. Hinzugekommen ist neuerdings ein Zitat im Pap. Holm. 3, 13 Lag., wo ein Mittel zum ‚Silbermachen‘ mit den Worten eingeleitet wird εἰς δὲ Δημόκριτον Ἀ. ἀναφέρει καὶ τόδε. Wellmann (1928, 54) denkt sich als Vermittler zwischen A. und dem Papyrus den Iulius Africanus (o. Bd. X S. 116); vielleicht wird es aber nicht immer möglich sein, auf diese Rezept- und Hausmittelliteratur die Methoden der üblichen Quellenforschung anzuwenden.
Hieron. chron. berichtet zu J. 28 v. Chr.: A. Larisaeus Pythagoricus et magus ab Augusto urbe Italiaque pellitur; denselben Titel gibt er (d. h. Sueton?) dem Nigidius (s. d.). Helm Philol. Suppl. XXI 62 erinnert daran, daß nach Cass. Dio XLIX 43, 5 Agrippa im J. 33 τοὺς ἀστρολόγους τούς τε γόητας aus Rom verwies, und daß Hieron. vielleicht das Datum verschoben hat. Aus der Bezeichnung als ‚Pythagoreer‘ weitgehende Schlüsse zu ziehen, kann man nur widerraten; Sueton (?) wollte damit zunächst den Wundermann Pythagoras bezeichnen, dessen Mäntelchen die Okkultisten sich gern umhängten. Nigidius bietet die beste Parallele; auch er wollte gern als ernsthafter Nachfolger des Pythagoras erscheinen, trieb aber obskure Zauberpraktiken, die ihn mit den Behörden in Konflikt brachten. Dafür, daß auch einer späteren Zeit A. als Pythagoreer erschien, legt auch der 19. angeblich an ihn gerichtete Diogenesbrief Zeugnis ab; daraus auf ‚engere Beziehungen zwischen dem Larisäer und den Kynikern‘ (Wellmann 1928, 53) zu schließen, geht kaum an. Abzulehnen ist auch die Vorstellung von einem seit dem 3. Jhdt. v. Chr. in Alexandria blühenden und Propaganda treibenden Orden (Wellmann 1921, 16. 1928, 6; über die Essener vgl. W. Bauer Suppl.-Bd. IV S. 386); einer Dialogfiktion wie der, daß Cato d. Ä. in Tarent pythagoreische Lehren kennenlernte (Cic. Cat. mai. 39), sollte man kein Gewicht beimessen (Wellmann 1921, 34) und sie nicht zur Stütze der Ansicht verwenden, daß er Ps.-Pythagoras περὶ βοτανῶν δυνάμεως direkt oder indirekt benutzt habe; diese Art von Mitteln wandert meist durch unterirdische Kanäle, und daß Cato ähnliche Sammlungen wie die der uns erhaltenen griechischen Zauberbücher vor Augen gehabt habe, läßt sich wahrscheinlich machen (Skutsch bei Heim Jahrb. f. Philol. Suppl. XIX 565). Richtig ist, daß orientalische Superstition [7] und orientalische Schwindler und Pseudopropheten für die Verbreitung solcher Lehren wichtig wurden; man tut ihnen aber zuviel Ehre an, wenn man sie zu Vertretern eines religiös-philosophischen Ordens macht. In der Hauptsache denke ich darüber noch ebenso wie o. Bd. VIII S. 819f.
Für falsch halte ich es, die Herkunft des A. aus Thessalien für seine Hinneigung zum Aberglauben verantwortlich zu machen. Die thessalischen Hexen sind ein rein literarisches Motiv geworden, das sich aus irgendeinem alten Literaturwerk durch die Jahrhunderte schleppt. Vgl. Goebel Ethnica (Breslau 1915) 67.