Prinz Kaiman
Anfangs Juni hatte ich mich im Piräus auf dem griechischen Dampfer „Panhellenion“ nach Naxos eingeschifft. In Syra nahmen wir einen Passagier in Empfang, bei dessen Anblick ich unwillkürlich zusammenschrak. Er war nämlich eine genaue Copie meiner eigenen Person. Ein bleicher Mann von hochgewachsener Gestalt, trug er, wie ich, gelocktes, schwarzes Haar, dunklen Vollbart, einen schwarzen, talarähnlichen Ueberrock und einen Tuneser Fez mit langherabfließender, blauer Seidentroddel. Der Unbekannte verrieth übrigens durch sein aus einem armenischen Secretair, einem Leibhusaren in Palikarencostüm, zwei bronzefarbenen Dienern und einem allerliebsten Negerpagen bestehendes Gefolge den Mann von Stand. In der That erfuhr ich alsbald durch den Capitän, einen redseligen Syroten, daß mein Doppelgänger kein Geringerer als seine Herrlichkeit der Prinz Kaiman sei. Dieser Name frappirte mich allsogleich, und ich erinnerte mich, bei meiner Nilreise zu Assuan von einem Fabelprinzen dieses Namens gehört zu haben, von dem mir der Scheik der Katarakte als einem fremden Königssohne erzählte, der vor Kurzem auf der Insel Philä Schätze gegraben, zum Kurzweil Krokodile geschossen und – wunderlich genug – selbst ausgestopft habe. Ich glaubte damals an den [249] Krokodilenjäger, an den Prinzen jedoch nur mit einigem Widerstreben, indem es nirgends mehr als im Oriente von problematischen Proteusnaturen wimmelt, deren erstaunliche Vielgestaltigkeit nur im Lande der Sonne zur höchsten Vollentwickelung gedeiht. Vielleicht hätte sich, dachte ich damals boshaft genug, das angebliche Königskind als ein ungarischer Flüchtling mit Namen „Kalman“ entpuppt, der in der Fremde zum Prinzen avancirt war, oder wäre zu „Haiman Prinz“, einem speculativen Israeliten, zusammengeschrumpft, der für europäische Sonntagsjäger am Nil mit Krokodilenmumien Handel getrieben … Dies war ja Alles möglich, denn in Aegypten kannte ich den Prinzen Kaiman nicht persönlich und selbst jetzt, nachdem ich ihn gesehen, mit ihm gespeist und aus seinem Munde vernommen, daß er sich nach Naxos begebe, um dort seine Hochzeit mit einer schönen Naxiotin aus altvenetianischem Blute zu feiern, hatte sich meine unrespectirliche Meinung über Seine Herrlichkeit noch nicht wesentlich geändert. Es giebt gar wunderliche Käuze in der bunten Welt des Orients!
Unter den Verdeckpassagieren befand sich ein halb Dutzend griechischer Gensd’armen, welche, nach Aussage des Capitäns, der königliche Nomarch (Prafect) von Syra auf das freundliche Ansuchen des Pascha’s von Rhodus, des Statthalters des türkischen Archipels, nach den Cykladen sendete, um nach einer Falschmünzerbande zu fahnden, die, wie man vermuthete, von hier aus den Geldmarkt von Stambul mit falschen Tresorscheinen förmlich überschwemmte. Der Führer des „Panhellenion“ hoffte mit Hülfe der Panagia, d. h. der heiligen Jungfrau, und der Gensd’armen bei seiner Ruckreise die gefangenen Spitzbuben an Bord zu haben. Spitzbuben an Bord zu haben, ist in den griechischen Gewässern durchaus nicht schwierig, und wer weiß, dachte ich, ob … und Prinz Kaiman fiel mir unwillkürlich ein. Wir hatten indeß in Mykoni eine türkische Dame und ihren Diener, wie es schien, an Bord genommen. Die Dame trug den weißmusselinenen „Jaschmak“ (Kopftuch) der Frauen Stambuls und einen schwarzen Roßhaarschleier nach Cairenser Mode. Während wir gen Naxos dampften, bemerkte ich auf dem Verdeck in einem nach Art der Hühnerkäfige gefertigten vergitterten Kasten ein in Stroh eingebundenes, prächtig ausgestopftes Krokodil, welches der Negergroom des Prinzen zu hüten schien. Ich fragte den Berberjungen aus und erfuhr, daß der mächtige Saurier die Ehre habe, dem Privatmuseum des Prinzen Kaiman anzugehören. Seit meinem Gespräche mit dem Jungen schien es mir, als verfolge mich die türkische Dame mit ihren Blicken, ich trat deshalb einmal hart an sie heran und sah ihr fest durch die Maskenlückem Obwohl sie sich rasch abwandte, bemerkte ich doch in ihren glänzenden Augen einen so unheimlichen Ausdruck, daß ich von diesem Augenblicke an ein geheimes Grauen vor diesem Weibe verspürte.
Wir hatten uns indessen der Nordseite von Naxia rasch genähert. Da die Stadt keinen Hafen hat, so hatten wir auf offener Rhede Anker geworfen, als unser Schiff von einer bunten Menge im Sturm erklettert ward. Einer der Kletterer, ein schmächtiges Männlein im Galafrack mit verblaßter Goldstickerei und mächtigem Federhute, hatte mich kaum in’s Auge gefaßt, als er mich voll Entzücken in die Arme schloß. Zwei andere Herren von etwas vernachlässigter fränkischer Toilette, die nichts destoweniger in engen Beziehungen mit dem „Goldgestickten“ zu stehen schienen, ahmten dessen Beispiel trotz meiner verblüfften Miene in nicht minder stürmischer Weise nach. Von dem Bruderkusse sämmtlicher Naxioten bedroht, erinnerte ich mich in meiner Herzensangst meiner unseligen Aehnlichkeit mit dem Prinzen Kaiman und, einen Schritt zurücktretend, sprach ich auf italienisch: „Meine Herren, Sie irren sich zweifelsohne in der Person, ich habe nicht die Ehre, Seine Herrlichkeit der Prinz Kaiman zu sein.“
Die Wirkung war eine augenblickliche, radicale. Die Herren schauten sich mit so kläglichen Mienen an, als wollten sie in Thränen ausbrechen, was sie vielleicht auch gethan hätten, wäre ich nicht meinerseits in Lachen ausgebrochen. In diesem kritischen Momente erschien Seine Herrlichkeit, gefolgt von ihrem buntgeflickten Dienstpersonale. Die Umhalsungsscene wiederholte sich nun in derselben Weise, nur mit dem Unterschiede, daß der Prinz die Loyalitätsbezeigungen der zärtlichen Naxioten in der herzlichsten Weise erwiderte.
Ehe diese hochkomische Gruppe das Schiff verließ, überraschte ich zufällig zwischen der Türkin und dem Prinzen Kaiman einen Blick des Einverständnisses, der gewisse geheime Beziehungen zwischen Beiden außer allem Zweifel setzte. – Am Ufer trafen wir die halbe Stadt versammelt. Etwas abseits, streng von der großen Menge abgesondert, schienen mehrere Personen des Prinzen und seiner Freunde zu harren. Unter ihnen bemerkte ich eine schlanke junge Dame von vornehmer Haltung und schön, wie ein Dogenkind auf einem altvenetianischen Bilde. Sie trug ein dunkles Reitkleid, die goldgestickte Jacke der Levantinerinnen und einen winzigen Fez auf dem Ohre. Die reizende Amazone reichte dem Prinzen lächelnd die Hand, welche dieser begierig küßte. Kein Zweifel, es war seine Braut! Doch in welchen Beziehungen mochte der Abenteurer zur Türkin stehen?
Ich hatte für Naxos zwei Empfehlungsbriefe in der Tasche. Der eine, vom Secretär der britischen Gesandtschaft in Athen, war für einen Herrn Markopoliti, Dimarchen oder Bürgermeister der Stadt Naxia, und der andere, den mir Bicchi, der italienische Consul auf Rhodus, bei meinem letzten Besuch der Insel auf der Rückreise aus Syrien gegeben hatte, lautete auf den Marquis von Sommariva, gewesenen spanischen Consul auf Naxos.
Hier bemerke ich, daß Empfehlungsbriefe für die Cykladen eine um so unentbehrlichere Vorsichtsmaßregel sind, als man auf dem ganzen Archipel, den „englischen Hof“ in Syra ausgenommen, kein einziges Hôtel vorfindet.
Um also eine Unterkunft zu gewinnen, ließ ich mich nach dem Hause des griechischen Dimarchen führen. Ich fand einen stattlichen Inselgriechen im besten Mannesalter, dem die malerische Nationaltracht ganz vortrefflich stand. Markopoliti, wie ich später erfuhr, der Chef der vornehmsten naxiotischen Griechenfamilie, stellte mir sein Haus, wo Alles großen Wohlstand und eine musterhafte Ordnung athmete, mit seltener Gastfreundlichkeit zur Verfügung. Eine Stunde nach meiner comfortablen Installirung saß ich auf der Terrasse neben dem Hausherrn, dessen Gemahlin uns, der griechischen Sitte gemäß, eigenhändig den Kaffee mit dem obligaten Tschibuk und der Glyko- oder Confitürenschale darreichte.
Nachdem sich Frau Markopoliti voll Discretion zurückgezogen, wurde unser Gespräch vertraulicher. Ich theilte dem Dimarchen mit, daß ich noch einen Empfehlungsbrief und zwar an den Marquis Sommariva in der Tasche habe. Der Grieche lächelte geringschätzig und rief spöttisch:
„Die lächerlichsten Leute von der Welt, diese ‚Schloßbewohner‘, die da oben in den alten Spinnennestern der Citadelle hausen. Das will großthun und hat nicht einmal die Mittel ein paar Stiefeln zu bezahlen. Sie heißen Covonello, Sommariva, La Roca, Francopulo und Morosini, stammen von den Sanudo und Crispo ab und vererben seit vielen Jahren von Vater auf Sohn nichts, als ihre Schulden, Stammbäume und Wappenschilder. Rechte Hungerleider, dieser lateinische Schloßadel!“
„Aber der Marquis Sommariva …“ fiel ich dem Dimarchen in’s Wort.
„Ein Bettelmarquis,“ fuhr dieser heraus.
„Gewesener spanischer Consul,“ begann ich wieder.
„Vor der Befreiung vom Türkenjoche,“ eiferte der Grieche, „allerdings, doch das ist lange her und von der Herrlichkeit bleibt dem Alten nichts mehr, als der Rock … Zwar,“ fuhr Markopoliti nach einer Pause fort, „hat die alte Schloßspinne jetzt für die junge Marchesina eine Goldfliege gefangen, und ich denke, Seine Herrlichkeit der Prinz Kaiman wird den abgeblaßten Wappenschild der Sommariva wieder frisch vergolden.“
Die schöne Braut meines Doppelgängers war also die Tochter des Marquis von Sommariva, an den ich empfohlen war. Wenigstens keine Mesaillance für den Krokodilenprinzen!
Tags darauf machte ich mich trotz der Spöttereien meines Wirthes oder vielleicht gerade aus diesem Grunde und auch ein Bischen, um die schöne Marchesina wiederzusehen, nach dem hochgelegenen Schloßviertel auf den Weg. Hier innerhalb der früheren Ringmauern der herzoglichen Burg, von wo ehemals die Sanudos ihr Zwölfinselreich beherrschten, wohnt heute eine darbende, klägliche Bevölkerung von einem halben Tausend fränkischer Edelleute venetianischen Geblüts in einem uralten, winkelhaften, schmutzigen Häusercomplex, der kaum würdig erscheint, ein arbeitsscheues, verkommenes Proletariat zu beherbergen. Ein Proletariat haust hier in der That, aber ein adeliges, bei welchem der Müßiggang erblich [250] zu sein scheint, denn in diesen engen, dumpfigen Treppengassen regt sich nichts als der lungernde Bettel. Keine Spur hier von Lebensfähigkeit und Nützlichkeitstrieb, und während unten in der Stadt die rührigen Griechen rüstig auf der Bahn des Wohlstandes fortschreiten, brütet und schmollt hier oben ein siechendes Geschlecht auf modernden Pergamentstößen. –
Ein halbnackter Junge zeigte mir das Haus des Marquis. Das Wappen der Sommariva, der über drei Balken springende Löwe, zierte den Thorbogen.
Ich ließ den Klopfhammer niederfallen und war nicht wenig erstaunt, in dem Portier einen der Nubier des Prinzen zu erkennen. Der Leibhusar führte mich sodann in den Salon, dessen gothische Spitzbogenfenster eine prächtige Aussicht auf’s Meer gewährten. Ein Divan ringsum an den Wänden und ein reichverzweigter Stammbaum unter Glas und Rahmen waren die einzigen Möbel. Während ich den Stammbaum studirte, erschien der Hausherr. Es war dieselbe Caricatur von gestern in demselben wunderlichen Aufzuge, nur hatte die gestrige überschwengliche Freundlichkeit heute einer frostigen, steifen Gelegenheitsmiene Platz gemacht, die meine Lachmuskeln in eine gefährliche Versuchung führte. Nachdem der Marquis mich auf französisch um mein Begehren gefragt, buchstabirte ich meinen Namen und überreichte Bicchi’s Empfehlungsschreiben. Während der Inselbaron den Brief las, zog sich sein Gesicht immer mehr in die Länge; einen Moment ließ ich den Armen in der Angst, mich beherbergen zu müssen, zappeln, dann bemerkte ich lächelnd, daß ich bereits bei dem Dimarchen eine gastfreie Unterkunft gefunden habe. Urplötzlich dehnten sich jetzt die langen Falten im Antlitz Sommariva’s in die Breite, so daß ich einen Moment befürchtete, die ganze Gesichtsmaske des Alten gehe aus den Fugen. – Natürlich sprach er jetzt sein Bedauern aus, daß ich nicht zuvor seine Gastfreundschaft in Anspruch genommen habe, und lud mich zu einem Glas Zuckerwasser ein. Nach einer kurzen Visite verließ ich das Palais Sommariva, ohne die reizende Marchesina gesehen zu haben, in deren Anblick wahrscheinlich gerade Prinz Kaiman schwelgte. Wie ganz anders war’s hier, als bei Markopoliti! In der Vergleichung dieser beiden Häuser lag ein gutes Stück social-politische Geschichte der griechischen Inseln.
In dem paradiesischen Thale von Drymalia besaß der Dimarch ein Landhaus. Zwei Tage verbrachte ich in diesem Eden, nach allen Seiten hin Streifereien unternehmend, zu welchen mir mein Wirth eines seiner Maulthiere zur Verfügung stellte. Am zweiten Tage Nachmittags hatte ich mich jenseits des Zeosberges beim Aufsuchen der Grotte, wo nach der Sage die Bacchusmysterien gefeiert wurden, verirrt. Die Gegend schien durchaus unbewohnt. Ich ritt zwei Stunden in Kreuz und Quer, bis ich ein ganz mit Weinlaub überwachsenes Häuschen in einer jäh abfallenden Thalschlucht entdeckte. Dort konnte ich vielleicht einen Führer finden! Da es jedoch unmöglich war, zu Maulthier dahin zu gelangen, band ich mein Thier an einen Oelbaum und kletterte das Felsgeklüft hinab. – In der Tiefe der Schlucht dunkelte es bereits, und dem Hause näher kommend, bemerkte ich Licht darin. Schon wollte ich eintreten, als eine Stimme mir entgegenklang, die ich allsogleich als die des Prinzen Kaiman erkannte. Ich warf mich rasch zurück; aus dem Fenster brach heller Lichtschein, ich bog vorsichtig die Weinlaubgewinde zurück und erblickte bei einer Lampe in der That den Prinzen Kaiman mit der Türkin vom „Panhellenion“. Beide saßen sich gegenüber. Der Prinz hatte sein Costüm geändert, er trug jetzt eine feine Sommerkleidung im Pariser Schnitt und einen Panamahut. Die Türkin hatte den Schleier abgenommen und zeigte bleiche, regelmäßige, etwas harte Züge. Jetzt begannen sie wieder zu sprechen. Anfangs hatte ich Mühe, mich in ihrem Wortkram zurecht zu finden, bis ich erkannte, daß sie sich arabisch unterhielten. Ich horchte athemlos. Kaiman schien der Dame Vorwürfe zu machen, worauf diese in gereizten Tone antwortete:
„Ich wiederhole Dir, die Kupferplatte ist noch nicht fertig, meine Augen sind seit der verwünschten Augenentzündung, die ich mir in Cairo zugezogen, immerfort leidend. Ich konnte in der letzten Zeit nicht graviren.“
„Aber, Unglücksmensch,“ rief der Prinz ärgerlich, „ich brauche Geld, ungeheuer viel Geld, wie soll ich die Hochzeitskosten bestreiten?“ …
„Du bist noch nicht verheirathet!“ sprach die Türkin düster.
„In vierzehn Tagen ist Hochzeit,“ antwortete Kaiman bestimmt.
„Nein, sag’ ich, und nochmals nein,“ rief die Dame wild, „Du wirst nie die Tochter des Marquis von Sommariva heirathen!“
„Und warum nicht?“ fragte der Andere höhnisch.
„Weil ich es nicht zugebe.“
Der Prinz brach in ein Gelächter aus. Ich meinestheils fand den Widerstand der Dame durchaus gegründet.
Die Türkin war aufgesprungen.
„Hörst Du,“ rief sie, „ich will es nicht, eher ...“
Sie hielt inne …
„Was, eher?“ fragte der Prinz nachlässig.
„Eher verrathe ich Alles,“ lautete die bestimmte Antwort.
„Teufel, Du gehst scharf in’s Zeug, mein Junge,“ höhnte Kaiman „Du vergißt, was Du riskirst.“
„Mein Junge,“ hatte mein Doppelgänger gesagt … Täuschten mich meine Ohren nicht?
„Was ich riskire?“ wiederholte die Andere –
„Den Galgen,“ vervollständigte der Prinz, „und ich nur die Galeeren, Du siehst also, Pietro, unsere Rechnung ist ungleich.“
Die Dame hieß Pietro; war dies ein Frauenname?
„Aber ich will nicht, daß meine Schwester in Deine Hände fällt. Welches Loos für das schönste und edelste Mädchen im ganzen Archipel, die Frau eines Falschmünzers zu sein!“ ...
„Du solltest mich vielmehr fragen,“ bemerkte Kaiman mit eiskaltem Hohn, „ob ich einen Renegaten und Fälscher des großherrlichen Siegels zum Schwager haben will? Du weißt, auf dem letzteren Verbrechen steht der Tod, und die Beweise sind in meiner Hand.“ ...
„Herzloser Bösewicht,“ zähneknirschte der Spießgeselle des Prinzen, ein Messer aus der Brust reißend und einen blitzschnellen Stoß nach seinem Mitschuldigen führend. Ein kurzes Ringen fand statt, welches mit der Niederlage der verkleideten Türkin endete.
„Du bist ein fauler Zweig am edlen Stamme Sommariva,“ sprach der Sieger, das erbeutete Messer gelassen zu sich steckend. „Wärst Du mir nicht untentbehrlich, bei meinem Seelenheil, ich drehte Dir in diesem Augenblick den Hals um. Doch komme zu Dir und laß uns ruhig reden. Ich heirathe Deine Schwester, denn ich liebe sie mit der ganzen Gluth meiner Seele; wir drucken für ein paar Millionen Piaster Kaimehs (türkisches Papiergeld) und ziehen uns dann in’s Privatleben zurück. Wer kennt unsere Antecedentien? Ist’s nicht immer Zeit genug, ein ehrlicher Mann zu werden? Also frisch an’s Werk, die neue Platte muß in höchstens acht Tagen fertig sein; sieh genau zu, denn die neuen Tresorscheine vom März dieses Jahres sind bedeutend schwieriger nachzudrucken.“ –
Prinz Kaiman erhob sich; es war hohe Zeit für mich an den Rückzug zu denken. Mir sauste und brauste es im Kopfe ... welch’ schändliches Gewebe! Die Türkin war der verkleidete Bruder der jungen Marchesina, ein Renegat und Taugenichts, der zum gemeinsten Verbrecher herabgesunken war! Dieser Gedanke verursachte mir wirklichen Kummer. Ich hatte indeß mein Thier wieder erreicht und ritt auf’s Gerathewohl davon. Wenige Augenblicke darauf begegnete ich einer kleinen Maulthiercavalcade. Es waren die syrotischen Gensd’armen vom „Panhellenion“, welche die Insel durchstöberten. Einen Augenblick dachte ich daran, die beiden Fälscher den Häschern zu überliefern. Ein Wort von mir, und Prinz Kaiman war gefangen und die schöne, unschuldige Marchesina von diesem Schurken befreit! Aber – konnte ich meinen Doppelgänger, mein körperliches Ebenbild bei meiner Rückreise nach Stambul vielleicht auf dem Fischmarkt am Pranger stehen sehen, das Wort „Fälscher“ in Fracturschrift auf der Brust? Zu einer solchen Selbstverleugnung fehlte mir die Seelengröße, und ich ließ die arglosen Gensd’armen ihre Wege ziehen.
Am folgenden Tag erhielt ich eine Einladung des Marquis von Sommariva, ihn auf seinem „Pyrgos“ – so nennt der naxiotische Schloßadel seine Landhäuser – zu Sangri zu besuchen. Der Weg nach Sangri führt durch die fruchtbare Ebene Langadia, zwischen Weinbergen und Gruppen von Mastixbäumen nach einer felsigen Gegend, wo spärliche Baumwollpflanzungen liegen. Der „Pyrgos“ der Sommariva besteht aus einem alten, massiv viereckigen [251] Schloßthurm mit einer invaliden Zugbrücke, welcher als letzter Rest einer verschwundenen Ritterburg heute zur Sommerfrische dient. Das Beste am Ganzen ist ein prächtiger Orangengarten, wo ich die schönsten Cederbäume der Welt gesehen habe.
Der Empfang war diesmal verhältnißmäßig großartig. Im großen Saal gab’s gothische, wappengeschmückte Stühle in Hülle und Fülle zum Sitzen, und die nubischen Diener des Prinzen boten den Gästen, unter denen der ganze hungrige Schloßadel vertreten war, sogar Erfrischungen an. Der Ton war im Allgemeinen mehr höhnisch, als höflich, und man sah es all den Titelgruppen an der Stirn an, daß sie durch ein Wort zu viel einen Theil ihrer angestammten Würde einzubüßen fürchteten. Niemand unterfing sich, meine Aehnlichkeit mit dem Prinzen auch nur zu bemerken, in der Besorgniß, das Mißfallen des erlauchten Bräutigams zu erregen. Daß Niemandem diese Zurückhaltung erwünschter sein konnte, als mir, kann nach dem eben Erzählten keinem Zweifel unterliegen. Während der Prinz sich mit der schönen Tochter vom Hause zu schaffen machte, fragte ich den alten Sommariva, ob er keinen Sohn habe.
„Ich hatte einen Sohn,“ seufzte der Marquis, „aber seit fünfzehn Jahren ist er verschollen!“
Ich wußte genug. Sodann einen freien Augenblick des Prinzen erspähend, näherte ich mich demselben, vom Marquis begleitet, und warf ihm die Frage in’s Gesicht: „Sind Sie, bester Prinz, nicht vielleicht dem jungen Sommariva auf Ihren mannigfachen Irrfahrten begegnet?“
Kaiman bohrte mir einen tiefen Forscherblick in’s Auge und verneinte flüchtig.
Einige Zeit darauf traf ich den Abenteurer im Garten. „Prinz, Sie verdienen wirklich Strafe,“ begann ich lachend, „ist es wahr, wie mir Markopoliti erzählte, daß Sie jenseits des Zeaberges mit einer verschleierten Dame, einer Türkin, gesehen worden sind? Welch’ Verbrechen, wenn man in vierzehn Tagen das schönste Mädchen des Archipels heirathet!“
Der Prinz warf mir einen Natterblick zu und drehte mir, ohne meine indiscrete Frage einer Antwort zu würdigen, den Rücken.
Am nächsten Tage hörte ich, daß Prinz Kaiman mit seinem ganzen Gefolge in der Nacht plötzlich auf einer Brigantine, nach Samos sagten Einige, nach Nikaria Andere, abgereist sei. Für mich, der ich den Schlüssel zu dieser nächtlichen Flucht besaß, war „durchgebrannt“ der allein richtige Ausdruck. Meine Anspielungen hatten gefruchtet, und mein Zweck, die liebenswürdige Marchesina von einem Schurken zu befreien, war zunächst erreicht. Während man sich allenthalben noch in Naxia, von der Fischerstadt bis zum Schloßbezirk, über das unerwartete Verschwinden des Prinzen den Kopf zerbrach, schiffte ich mich nach siebenzehntägigem Aufenthalte wieder nach Syra ein, und zwar zufällig wieder auf dem „Panhellenion“, der eben von Santorin zurückkehrte. Der Capitän beklagte sich bitter, daß er anstatt der in Ausbesserung begriffenen „Hydra“ auch diesmal die Tour habe machen müssen.
„Aber Sie haben doch hoffentlich den Trost, die Falschmünzer an Bord zu führen?“ rief ich lachend.
Der Syrot seufzte. „Leider nicht, ich muß mich damit begnügen, die Gensd’armen zurückzuführen.“
In der That hatte ich eben erst die Blauröcke auf dem Vorderdeck bemerkt. In diesem Falle, glaube ich, hätte der Führer des „Panhellenion“ die Spitzbuben den Sicherheitsorganen vorgezogen. Dienstag Abends war ich in Syra. Von hier schrieb ich nun einen detaillirten Brief an den Marquis Sommariva und seine liebenswürdige Tochter, in welchem ich ihnen den Charakter, die sociale Stellung und das Treiben des prinzlichen Bräutigams ausführlich schilderte, wobei natürlich, aus leichtbegreiflichen Rücksichten, die Mitschuld des jungen Sommariva mit Stillschweigen übergangen wurde. Tags darauf bestieg ich den Lloyddampfer, der Mittwochs die Smyrnareise macht. Donnerstag lagen wir für ein paar Stunden vor Chio. Ich stieg aus, um, so viel als thunlich, die „Mastixinsel“ zu durchforschen. Nach einem kurzen Ausfluge zu den Felsen der „Schule Homer’s“, wohin die Chioten den Geburtsort des größten aller Rhapsoden verlegen und allwo in einigen Sculpturen der Engländer Chandler eine Cybele zwischen zwei Löwen und sein honorabler Landsmann Pococke einen Homer zwischen zwei Musen entdeckte, durchschlenderte ich die Gassen von „Miniaturgenua“, wie die Einwohner so gern ihre Stadt „Castro“ zu tituliren belieben. Im Bazar kaufte ich eine Schachtel Räucherpastillen und ein Sandelholzbüchschen mit einheimischem Harz zum Kauen, um auch ein Localproduct mitzunehmen. Der schwarze Turbanlaken und mehr noch die fabelhaften Preise verriethen in dem Verkäufer den Juden aus der alten Schule, der die Touristenprellerei als einen Artikel des mosaischen Gesetzes betrachtet.
Ich bot ein Viertel des verlangten Preises.
Der Alte rief, sich den Bart zerraufend, voll Verzweiflung: „Haiman Prinz ist ein blutarmer Mann, was soll er verlieren von seinem eigenen Geld?“
„Haiman Prinz?“ – der Name frappirte mich. Ich fragte den Alten, ob er nicht einen Sohn in Aegypten habe.
Der Jude griff sich an die Augen. „Der Gott Abrahams und Jakobs beschütze ihn,“ murmelte er. „Seit bald sechszehn Jahren hab’ ich keine Nachricht von meinem Sohn. Weiß der gnädige Herr etwas von ihm?“
Ich verneinte, denn täuschten mich meine Vermuthungen nicht, so war Haiman’s Sohn besser todt für seinen Vater.
Der Jude erzählte mir dann noch, daß sein Vater aus Ungarn in Chio eingewandert sei und hier das edle Geschlecht der Haiman Prinze als türkischer Tributzahlender fortgepflanzt habe.
Welch’ wunderbare Fügung des Zufalls! dachte ich. Nichts leichter, als den Ursprung des Prinzen Kaiman auf diese Weise zu erklären. Der Spitzbube hatte sich nur irgend einen Schutzpaß von einer europäischen Gesandtschaft zu erschleichen gehabt, „Haiman“ mit einem Federzug in „Kaiman“ zu verwandeln, den Namen „Prinz“ voranzustellen, und das Kunststück war gemacht, der Prinz Kaiman stand fix und fertig da. Uebrigens konnte der abenteuerliche Prinz ohne Weiteres ein Chiot sein, indem das Sprüchwort von diesen Insulanern sagt: „Ein braver Chiot ist so selten wie ein grünes Pferd.“
Am folgenden Tage langten wir in Smyrna an. Nach einem fünftägigen Aufenthalt bestieg ich Dienstag den Lloyddampfer nach Constantinopel. Wie groß war mein Erstaunen, im Salon erster Classe den Prinzen Kaiman wiederzufinden, den ich, trotz seines gründlich abrasirten Vollbartes und seines neuen Costüms mit Turban und Kaftan, im Augenblick wieder erkannte. Seine Herrlichkeit, von meiner Begegnung nichts weniger als erbaut, bemühte sich auf das Kläglichste, meinen Blicken aus dem Wege zu gehen. Ich dagegen redete den „Durchgebrannten“ sehr artig an, erkundigte mich auf das Respectvollste nach seiner schönen Braut und bot ihm zuletzt von meinen Pastillen mit der Bemerkung an, er kenne vielleicht ihre ausgezeichnete Qualität, indem ich sie erst vor acht Tagen bei Haiman Prinz in Chio gekauft habe. Der Prinz erbleichte leicht und holte sich mit zitternder Hand ein paar Pastillen aus der Schachtel heraus.
Soweit hätte ich gegen die Anwesenheit des verkappten Spitzbuben auf dem „Pluto“ nichts einzuwenden gehabt; als ich jedoch bei der großen Menge der Passagiere genöthigt war, mit diesem Individuum die Kajüte zu theilen, beschloß ich, die Sommernacht lieber auf dem Verdeck zuzubringen. Abends berührten wir Mytilini, während Kaiman in unserem gemeinschaftlichen Schlafcabinet den Schlaf der Gerechten schlief. Tief in der Nacht hielten wir Capo Baba. Als das Schiff um’s Cap herumbog, überwältigte mich die Müdigkeit. Ich stieg mit Widerwillen in die Kajüte hinab. Mein Reisegefährte war verschwunden. Ich revidirte allsogleich mein Handgepäck, es fehlte nichts, Prinz Kaiman hatte sich keine Zerstreuung in Bezug auf mein Eigenthum zu Schulden kommen lassen. Er war, wie mir der Capitän am Morgen sagte, in Capo Baba ausgestiegen, obwohl seine Fahrkarte bis Stambul lautete. Also zum zweiten Mal durchgegangen! Glückliche Reise!
Während ich auf dem Verdeck in der herrlichen Morgenluft schwelgte, fiel mir unter den Frachtgütern ein auf ähnliche Weise verpacktes ausgestopftes Krokodil auf, wie ich es auf dem „Panhellenion“, für das Pritvatmuseum des Prinzen Kaiman bestimmt, gesehen hatte. Die Gegenwart dieses Nilbewohners war mir, als directes Andenken an meinen saubern Doppelgänger, unbeschreiblich unangenehm.
Mittwoch Abend liefen wir in’s goldne Horn ein. Wie gebräuchlich, übergaben wir unsere Pässe einem Officier des Schiffes, der sie an das türkische Polizeibüreau in Pera abzuliefern hat, wo man sie am folgenden Tage abholen läßt. Das Ganze [252] ist nur eine Formalität. Mein Paß war – ein Detail, das ich erwähnen muß – in einem rothen Saffianetui mit der Aufschrift „Passe-port“ eingeschlossen.
Als ich am nächsten Tage nach meinem Paß schickte, gab man zur Antwort, er sei nicht zu finden. Ich verfügte mich auf’s preußische Generalconsulat – keine Spur von meinem Legitimationspapier! Es vergingen mehrere Tage. Mein großes Gepäck, das ich schon vor vier Wochen von Piräus direct nach Constantinopel geschickt hatte, mußte angekommen sein. Ich begab mich auf das Zollhaus zu Galata, wo die europäischen Frachtgüter liegen. Keine Spur von meinem Gepäck. Vielleicht ist es über Smyrna gekommen, bedeutete man mir, und liegt auf der türkischen Mauth in Stambul, wo die asiatischen Waaren deponirt werden. Ich ritt hinüber nach Stambul, wo in der That meine Effecten lagen. Ich bat den Inspector um sofortige Durchsuchung und Auslieferung. Der Functionär, der mich mit ganz besonderer Aufmerksamkeit von Kopf bis zu Fuß gemustert hatte, verlangte darauf meinen Paß. Ich erklärte, daß er mir auf der Polizei in Pera verlegt worden sei, und zeigte mehrere Empfehlungsbriefe vor, um die Identität meiner Person zu beweisen. Der Türke schnitt eine geheimnißvolle Grimasse und bat mich in’s Bureau einzutreten. Nach wenigen Augenblicken erschien er wieder von einigen Polizeisoldaten begleitet, und zu meinem nicht geringen Erstaunen mein rothes Paßetui aus der Tasche ziehend fragte er.
„Ist dies Ihr Paß?“
„Natürlich,“ antwortete ich hocherfreut.
„Peki“ (gut), sprach er gelassen, den Soldaten winkend, die, Handschellen hervorziehend, hart an mich herantraten. Einen Moment stand ich wie betäubt, dann die Häscher mit einem kräftigen Stoße zurückschleudernd, verlangte ich, auf der Stelle vor den Pascha geführt zu werden, um die offenbare Verwechslung meiner Person aufzuklären. Mein Ton imponirte den Beamten, und einige Augenblicke später stand ich vor dem Pascha, der als Generaldirector der türkischen Mauthen fungirt. Der Würdenträger, ein alter Türke von wildem, gewinnbringendem Aeußern, hörte meine Erklärung mit Aufmerksamkeit an, da ihm jedoch an einigen Stellen mein Türkisch etwas unverständlich erschien, stellte er mir seinen Dolmetsch, einen außerst sprachgewandten Armenier, zur Verfügung, dem ich die Sache italienisch auseimamdersetzte. Nach der Verdolmetschung wurde der Paß aus dem Etui gezogen, wobei sich an der Stelle des meinigen der Paß des Prinzen Kaiman vorfand. Ich stieß einen Triumphschrei aus. Alles erklärte sich, der Schurke hatte bei unserer Reise von Smyrna meinen Aufenthalt auf dem Verdeck benutzt, um aus meiner Handtasche meinen Paß herauszustehlen und durch den seinigen zu ersetzen, der ihm kaum mehr seine persönliche Sicherheit zu garantiren schien. Da der verwechselte Paß fein sauber in’s Etui gelegt worden war, konnte ich durchaus keinen Argwohn hegen. Jetzt begriff ich das plötzliche Verschwinden des schurkischen Prinzen in Capo Baba. Ich erzählte den ganzen Hergang. Der Pascha schüttelte den Kopf und ließ sich den Paß, der englisch geschrieben und von Malta datirt war, übersetzen. Er lautete für „Prince Kaiman“, geboren zu Castro auf der Insel Chio, britischer Schutzbefohlener und zum Vergnügen reisend mit Gefolge. Das Signalement war natürlich das meinige.
Der Pascha antwortete darauf, daß er meiner Erklärung nicht unbedingt Glauben schenken könne, da ich angeklagt sei, türkische Tresorscheine gefälscht und verbreitet zu haben. Dies war mir denn doch ein bischen zu stark. Außer mir vor Wuth und nur auf meine eigene Sicherheit bedacht, berichtete ich Alles, was ich von Naxos aus über den vermeintlichen Prinzen Kaiman wußte. Darauf zeigte ich mehrere Empfehlungsbriefe für hochgestellte Personen in Stambul, darunter einen an den Großvezier Kyprisli Pascha, einen anderen für den englischen Botschafter Sir Henry Bulwer und einen dritten an den früheren englischen Marinecapitän Sir Adolphus Slade, der als Mushaver Pascha in türkischen Diensten steht. Alles dies jedoch überzeugte den Pascha noch nicht von meiner Unschuld. Mir schwindelte der Kopf! Ich bat nun, mein ganzes Gepäck vor Aller Augen zu durchsuchen, worauf sich der Pascha selbst in die Zollhalle verfügte. Ich lieferte die Kofferschlüssel aus, man öffnete, durchschnöberte und durchstöberte Alles, von den Strümpfen bis zur Theecassette, die man mit dem Dolche aufsprengte. Nirgends eine Spur von falschen Banknoten! Jetzt kam die Reihe an die Kisten, die man halb in Stücke schlug, halb erbrach. Meine Bücher, meine Manuscripte, Curiositäten, kurz Alles ward auf den Boden zerstreut, durchschnüffelt, durchsucht und mit Füßen getreten. Auch hier nichts!
Während dieser Vandalenscene bemerkte ich zufällig unter der gaffenden Menge ein Weib, das verstohlen ein Frachtgut untersuchte, welches mir sogleich bei meiner Ankunft in der Halle aufgefallen war. Es war das in Stroh verpackte Krokodil, welches mit mir die Reise von Smyrna hierher gemacht hatte. Wuchs, Bewegung und Kleidung des Weibes erinnerten mich allsogleich an die Türkin des „Panhellenion“, oder vielmehr an Sommariva, den verkleideten Spießgesellen des Prinzen Kaiman. Ein Gedanke blitzte in meinem Gehirn auf! Wenn das reisende Krokodil dort mit falschen Tresorscheinen ausgestopft wäre? Bei der unendlichen Schwierigkeit gerade zu damaliger Zeit, falsches Geld in gewöhnlichem Gepäck einzuführen, welch’ geniale Idee, auf diese Weise die Wachsamkeit der Zollbeamten zu überlisten! Wer mochte in dem Bauch eines Krokodils nach gefälschten Kaimehs wühlen?
Was zögerte ich? Mit einem Sprunge also war ich an der Seite des Weibes und riß ihr Schleier und Kopftuch herab. Ein Negerkopf kam zum Vorschein. Ein allgemeiner Schrei der Entrüstung war auf meine unerhörte That gefolgt! Oeffentlich eine Bekennerin des Propheten so frech zu beschimpfen!
„Haut ihn in Stücke, den Christenhund!“ brüllte die Menge, und die Soldaten schwangen ihre Kandschare. Ich aber, einen Revolver aus der Brusttasche ziehend, stand kalt und ruhig da.
„Wer einen Schritt macht, den schieße ich nieder!“ rief ich mit vibrirender Stimme. „Dies Weib ist ein Mann, ich kenne ihn, er ist der Mitschuldige des Prinzen Kaiman, durchsucht ihn, er ist kein Neger, sondern ein Franke aus Naxos und heißt Pietro Sommariva.“
Kaum hatte ich diese Worte ausgesprochen, als das vermeintliche Negerweib, sich vor dem Pascha niederwerfend, dessen Kniee unter Thränen umklammerte und um Gnade wimmerte. Der Pascha jedoch, ihn mit dem Fuße von sich stoßend, winkte den Polizeisoldaten, die den entlarvtem Verbrecher in’s Zollhaus schleppten, dort entkleideten und wuschen, um ihn zuletzt im Hemd und vollkommen weißgewaschen, von Gesicht wenigstens, wenn auch nicht von Schuld, der aufgebrachten Menge zu zeigen.
Als man sodann auf meinen Rath das Krokodil untersuchte, fand sich in der That, daß der mächtige Saurier zweifelsohne an einer Indigestion von Kaimehs gestorben war, denn sein ganzer Bauch war damit angefüllt und obendrein hatte das gefräßige Thier noch die Kupferplatte verschluckt, nach welcher die Tresorscheine gedruckt worden waren. Die allgemeine Wuth über diese freche Gaunerei zu beschreiben, will ich meiner Feder nicht zumuthen.
Ich war frei, bezahlte meinen Dolmetsch, empfing die Entschuldigungen der Zollbeamten mit dem Glückwunsch des Paschas, raffte so gut als möglich mein verwüstetes Gepäck zusammen und ritt, von der neugierigen Menge begleitet, der Schiffbrücke zu. Der Proceß des jungen Sommariva wurde gleich durch den Großrichter von Rumelien, vor welche alle Criminalfälle der Rajahs gehören, instruirt, indem der Naxiot als Renegat dem türkischen Gesetze unterlag. Die Untersuchung stellte heraus, daß Sommariva sogleich nach seinem Uebertritt zum Islam bei einem der ersten Graveure Stambuls als Arbeiter in Dienste getreten war, wo er bald alle Welt durch seine unglaubliche Geschicklichkeit im Graviren in Erstaunen versetzt hatte. Angeklagt, das große Staatssiegel des Sultans nachgemacht zu haben, entfloh der Fälscher, da er durch dies Verbrechen sein Leben verwirkt hatte. Lange irrte er umher, bis er mit dem Prinzen Kaiman zusammentraf, der, überrascht von dem Graveurtalente des Renegaten, auf die Idee kam, mit ihm eine Geheimfirma zur Fabrikation falscher Kaimehs zu gründen.
Das Urtheil des Großrichters lautete auf „Todesstrafe“. Obgleich sowohl der oberste Rath in zweiter, als der Mufti in letzter Instanz den Urtheilsspruch aufrecht erhielten, so verwandelte doch der Sultan im Gnadenwege dasselbe in lebenslängliches Bagno. –
Als ich am Tage der Urtheilsverkündigung über den Fischmarkt in Stambul ritt, wo die verurtheilten Rajahs vor Antritt der Strafe ausgestellt zu werden pflegen, sah ich inmitten einer dichtgedrängten Menge eine Art Tribüne, wo an einem Pfahl ein bleicher Delinquent angekettet stand. Auf seiner Brust hing eine große Tafel, auf welcher zu lesen war:
[254] „Pietro Sommariva aus Naxos, ein Tributpflichtiger.“
Und mit weithin sichtbarer Fracturschrift stand darunter geschrieben: „Galbazan“ d. h. Fälscher. Ich schauderte bei dem Gedanken, daß eines Tages auch mein Ebenbild in der Person des Haiman Prinz aus Chio da oben am Pranger stehen könnte. –
Abenteuerlich wie die Geschichte vielleicht erscheinen mag, ist sie doch buchstäblich erlebt; ich habe sie erzählt ohne jedwede Zuthat erfindender Phantasie und stehe in jedem einzelnen Punkte für die Wahrheit des Mitgeteilten ein.