New Yorker Musik (2)
Arturo Toscanini ist nun wieder an seinem Platze in der New Yorker Philharmonie, und das alljährliche Wunder wiederholt sich, dass dieses Orchester – sicher eines der besten der Welt – plötzlich wie ausgewechselt klingt. Unnötig, über die Qualität der Aufführungen zu sprechen. Immer wieder, wenn Toscanini am Pult steht, hat man das Gefühl: so ist es und so muss es sein. Selbstverständlich ist in der allgemeinen Begeisterung ein hoher Prozentsatz snobistischer Mitläuferei. Aber wo wäre sie nicht? Schliesslich muss man zufrieden sein, wenn die Mode sich würdigen Objekten zuwendet. Die Konzerte sind natürlich stets ausverkauft. Die allgemeine Teilnahme wird diesmal gesteigert durch das trotz energischen Dementis nicht verstummende Gerücht, dass dieser Winter Toscaninis letzte Tätigkeit in New York bedeute.
Der Abstand wurde besonders fühlbar, nachdem während der vorangehenden drei Wochen Sir Thomas Beecham aus London die Leitung der Philharmonie als Gast übernommen hatte. Sir Thomas, in England als musikalischer Obergott gefeiert, ist ein wohlmeinender Dilettant, der das, was ihm an musikalischer Gestaltungsfähigkeit fehlt, durch eine oft an groteske Komik grenzende Lebhaftigkeit der Gesten ersetzt. Zudem hatte er die theoretisch zwar gute, in der praktischen Auswirkung aber verhängnisvolle Idee, ausser einigen Sinfonien von Mozart nur englische Musik zu spielen. Man sagt, dass englisches Leder die beste von allen Ledersorten sei. Von dieser besonderen Befähigung des Engländers zur Lederherstellung ist vieles in die englische Musik übergegangen, hat sich aber hier nicht als qualitätsfördernd erwiesen. Der englische Musik-Zyklus von Sir Thomas war eine harte Geduldsprobe für die Hörer und das Gegenteil einer Werbung. Man konnte nicht den Eindruck gewinnen, dass die Musikproduktion der britischen Inseln in absehbarer Zeit – in der Sprache der Gegenwart zu reden – eine Gefahr für den musikalischen Weltmarkt bedeuten wird.