Zum Inhalt springen

Neu-Schottland

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: unbekannt
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Neu-Schottland
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 26; 32, S. 306–308; 378–379
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[306]
Amerikanische Briefe.
II. Neu-Schottland.
Ankunft in Neuschottland. – Halifax. – Seine herrliche Lage. – Indianerwildniß und Vatermörder. – Ein Negerdorf. – Wett-Pflügen. – Ein Ball in Halifax und die klaren, ruhig leuchtenden Augen der Engländerinnen. – Fisch-Depôt.

Nach der Reise, die ich beschrieben, hatte ich in Halifax zunächst keinen andern Wunsch, als tüchtig und fest auf festem Boden auszuschlafen. Die spärlich erleuchteten Straßen der neuen Stadt in der neuen Welt, durch welche ich vom Schiffe nach einem Gasthofe fuhr, änderten nichts in diesem Vorsatze. Ich wollte mir nun einmal erst klare, vorurtheilsfreie Augen verschaffen. Als ich am Morgen erwachte, in der eigenthümlichen Nachwirkung der unregelmäßig wiegenden Bewegung des Schiffes auch diese Nacht noch tüchtig geschaukelt, ging ich auch nicht einmal eher an’s Fenster, als bis ich mich auf einer Karte gut umgesehen hatte, um genau zu wissen, wo ich eigentlich war: 900 geographische Meilen westlich von England, 1000 Meilen von dem Orte, wo meine Wiege stand, im Norden von Nordamerika, in Canada, auf dem südlichen Aste des Golfs von Lawrence, Neufundland gegenüber, also in Neuschottland und zwar in der Stadt Halifax. Nun glaubt’ ich mit gutem Gewissen zum Fenster hinaussehen zu können. Noch nie hatte ich so etwas Reizendes, noch nie einen solchen Zauber gesehen. Welch eine Vereinigung der reinlichsten, niedlichsten Kultur mit Natur-Erhabenheit. Alles Menschenwerk schmuck, frisch, neu, weiß, zierlich und sich ausdehnend durch eine Atmosphäre, deren spiegelblanke Klarheit mich wie der Odem einer höhern, überirdischen Welt anwehte, nachdem ich in London ganz vergessen hatte, was Luft und Himmel und Farbe waren. Halifax besteht größtentheils aus einzeln stehenden Häusern, die aber zusammen regelrechte, weite, in rechten Winkeln sich schneidende Straßen bilden. Wie erheiternd blicken sie in ihrer Weißheit aus den vielen grünen Bäumen der Straßen oder Gärten! Ihr allmäliger Verlauf nach einem großen See hinüber, aus dessen großem blauen Auge eine Menge grüner Inseln in den Himmel und den klaren Sonnenschein hinaufjubeln, dazu jenseits des See’s ein malerischer Landzug, besternt mit weißen Landhäusern, die sich nach dem Städtchen Dortmouth, welches sich jenseits im See bespiegelt, verdichten; dazwischen die lustigen weißen Schwingen von Booten und kleinen Schiffen – dies Alles zusammen, welch ein reines, reiches Kultur- und Naturbild! Halifax ist mit seinen 50,000 Einwohnern gewiß eine der am Glücklichsten gelegenen Städte der Welt und muß wegen der Vortheile, die ihm seine Lage bietet, noch eine der wichtigsten im nordamerikanischen Verkehre mit England werden, da sie an einem der großartigsten Häfen dem alten Mutterlande am Nächsten liegt und Neuschottland noch einen unerschöpflichen Reichthum von Mineralien und Früchten bieten kann. Freilich ist hier Alles von Holz, Häuser, Kirchen, Kirchthürme, Dächer, „Steinpflaster“, Säulen, Wege und Chausseen, selbst vielleicht viele Menschen, wenigstens die meisten Derer, welche in dieser Hauptstadt der Provinzialregierung so kleinlich und giftig zu politisiren scheinen, wie man es nur je auf einem „Holzwege“ verlangen kann; aber das Alles kümmert mich nicht. Sieht doch Alles rein, klar, anmuthig aus. Der Hafen läuft wohl 11/2 deutsche Meilen sehr breit unmittelbar aus dem Weltmeere herauf, verengert sich unweit der Stadt plötzlich und dehnt sich dann in einen ringsum geschützten ungeheuern Wasserspiegel von 11/3 deutsche Meilen Länge und einer halben bis zwei Drittel Breite. Dieser innere Hafen-See wird auf das Prächtigste von Höhenzügen, malerischen Klippen und grünem, oft weit überhangendem saftig grünen Baum- und Waldwerk eingerahmt. An der Halifax-Seite tritt noch ein besonderer Arm des See’s zwischen prächtigen Hügeln, Wäldern und Felsen tief in’s Land hinein und bildet so noch den geräumigsten Hafen im Hafen für den ausgedehntesten Handel, der sich bis jetzt nur deshalb noch nicht entwickeln konnte, weil es dem Lande an guten Straßen und Eisenbahnen, den Einwohnern aber an jener amerikanischen Kühnheit und frischen Spekulation fehlt, welche keine Kosten und Hindernisse scheut. Die Neuschottländer haben auf ihrer Halbinsel viel altschottische Bedächtigkeit, Kleinstädterei und Engherzigkeit behalten und in ihren abgeschlossenen [307] Verhältnissen wohl gar wuchern lassen, wie sich dies besonders auf einigen Ausflügen in’s Innere manchmal philisterhaft genug zu bewähren schien.

Zwischen den „blauen Nasen“, wie die Neuschotten von den Yankees genannt werden, und den eigentlichen Yankees macht sich auch noch ein Unterschied der mannichfaltigsten Art geltend, der auch für Deutschland sein Interesse haben wird, da er sich in dem würzigsten Humoristen, den Amerika bisher producirt hat, in „Sam Slick“ (dem Advokaten Haliburton in Neuschottland) auf eine Weise ausprägt, die durch Uebersetzungen in Deutschland schon vor Jahren olympisches Göttergelächter erregten. Wir hatten das Glück, den lustigen, modernen Weisen in seiner eigenen Behausung persönlich kennen zu lernen und werden ihm deshalb einen besondern Artikel zu seinem sprechend ähnlichen Portrait widmen.

Ich machte manche Ausflüge um Halifax herum und weiter in’s Land hinein, kann mich aber nicht auf ausführliche Schilderungen einlassen, da selbst die malerischsten und ergreifendsten Landschaftsbilder unter der feurigsten, besten Wortbeschreibung leiden würden.

Ich erwähne nur im Allgemeinen, daß der Reiz des Landschaftlichen hier größtentheils in gemischten Bildern großartiger Wald- und Felsennatur, in plötzlichen Uebergängen des Wildurwäldlichen in’s Idyllische und die Kultur, von zerlumpter Indianerwildniß zu einer reitenden Dame der feinsten Art, aus der schwarzen Negerhütte zum cultivirtesten Backenbart und Vatermörder der „Blaunase“ besteht. Hat man sich mit Lebensgefahr durch furchtbare Granitmassen und dichtverwachsene Wälder hindurchgearbeitet, klingeln und guken uns plötzlich fromme Kühe entgegen, die gemüthlich umherlungern, und drüber hinaus leuchtet das reinlichste, weiße Landhaus aus einladenden Obst- und Blumengärten heraus. Nicht selten wird man durch ein erbärmliches Wigwam (aus Stäben und darüber gebundenen Fellen bestehendes Indianerdorf) und einzelne, grell aber geistlos stierende Indianerweiber und Kinder überrascht, ein erschütternder Anblick der langsam aussterbenden rohen Menschennatur, die sich in die eindringende Kultur der anglo-sächsischen Race nicht finden kann. Man hat Vieles gethan, um diese „Micmacs“, wie diese Indianerreste hier genannt werden, zu civilisiren und zu christianisiren. Eben jetzt ist wieder eine Gesellschaft in Halifax damit beschäftigt, diesen Indianern Christenthum, moderne Kleidung und Lebensweise beizubringen, jedenfalls wieder ohne besondern Erfolg, da man immer mit christlichen Dogmen anfängt, statt sie durch äußerliche Kultur für schönere Sittlichkeits- und Religionswahrheiten (nicht Katechismus-Brocken) vorzubereiten.

Halifax.

Unweit eines armseligen Indianerdorfs stieß ich plötzlich auf eine etwas höhere Kulturstufe einer andern Menschenrace von lauter Negern. Mitten im Walde standen plötzlich einige Dutzend Holzhütten mit Thüren, Fenstern und naiven Ackergeräthen vor mir, mit denen sich kohlpechschwarze Jungen und Mädchen in den verschiedendsten Trachten zu thun machten. Das Weiße ihrer Augen wurde groß, wie ein neues preußisches Zweithalerstück, als sie mich anstarrten. Einige liefen in die Hütten und holten Mütter und Schwestern heraus. Ich aber machte nicht viel Umstände und bat, man möge mich in eine solche Hütte führen, was man denn auch mit viel Gefälligkeit that. Ich bemerkte einige Kamine und Kochapparate, viel Zerbrochnes und Zerlumptes und Betten von zerbröckeltem Laub und Gras, aber doch Menschen, die sogar zum Theil etwas Englisch sprachen und von der Kultur, die sich eine Stunde von ihnen in der feinsten, höchsten Potenz vereinigt fand, Begriffe hatten. Nur meinten sie, es koste zu viel Arbeit, sich so weit hinauf zu arbeiten. In Halifax erzählte man mir, es seien Neger, die ein englischer Admiral 1812 von einem Sklavenschiffe befreit und in Halifax abgesetzt habe. Ein Theil lebt in Halifax selbst in dienenden Verhältnissen, die in den Hütten außerhalb kosteten aber der Stadt im Winter viel Geld und Lebensmittel, da sie nicht dahin zu bringen seien, sich im Sommer gehörigen Vorrath von Kartoffeln, Getreide u. s. w. zu bauen. Ich glaube, sie bleiben deshalb so tief stehen, weil sie von den „christlichen Weißen“ in Amerika fast durchweg als eine ganz untergeordnete Sorte von Geschöpfen mit Verachtung und Demüthigung selbst von Denen behandelt werden, die für sie beten und Geld geben und im „Onkel Tom“ über sie weinen. –

Ich suche meine Erfahrungen und Beobachtungen in einzelne, abgeschlossene Bilder zusammenzudrängen. So laß ich denn hier eins von der Ackerbau-Kultur in Neuschottland folgen, wie ich sie in einem jener modernen „olympischen Spiele“, ganz ähnlich denen im alten England, so recht dicht beisammen sah. Das vom Provinzial-Gouverneur arrangirte Agricultur-Fest bestand zuerst aus einem großartigen Wett-Pflügen auf einer grasbedeckten Ebene vor der Stadt. Das Bild als Ganzes machte einen durchaus erquickenden, heiter erhebenden Eindruck. Kunstvolle, moderne Pflüge von Eisen in den verschiedendsten Gestalten, schöne, starke [308] Pferde, rothwangige Rosselenker mit sehr weißer Wäsche und städtischer Kleidung, die schönsten, vornehmsten Damen zu Pferde und die ganze Elite außerdem in glänzenden Equipagen, große Säume von Fußgängern, ringsum grüne Wälder, mürrische Felsen und weither lachende Wasserspiegel, über dem Ganzen der klarste blaue Himmel und in dem Ganzen eine gleichsam chemisch gereinigte, wie Spiegelglas durchsichtige, warme, luftige Atmosphäre. Dabei keine Spur von blitzenden Säbeln und polizeilichen Octroyirungen, kein Militärschauspiel zum Vergnügen der Großen, sondern das gebildetste Fest der Ceres für die praktischen Bedürfnisse Aller.

Noch vor zwanzig Jahren wurden Gemüse von Boston und Butter, Fleisch u. s. w. von Irland nach Neuschottland gebracht, um die damals geringere Zahl von Bewohnern zu nähren; jetzt führt man bereits Ackerprodukte in Menge aus.

Der zweite Theil dieses Ceres-Festes bestand am folgenden Tage in einer großen Thierschau, welche von großen Menschenmassen aus allen Ständen und Theilen der Halbinsel eifrig besucht und studirt ward. Beweises genug, wie man dergleichen praktische Paraden zu würdigen weiß. Das Fest schloß mit einem großen Diner und Ball, woran ich natürlich nicht Theil nehmen konnte; doch hatte ich Genuß genug, nach den Muster- und Mastochsen die schönen Damen im Ballcostüm aussteigen zu sehen. Zwar fand ich manche gewöhnliche Gesichter, aber auch eine Menge der überraschendsten Schönheiten, zarte Gestalten mit den zugleich feinsten und gesündesten Köpfen vom regelmäßigsten Bau. Das große, klare, ruhig leuchtende, unbefangene Auge der alt- und neuenglischen Schönheiten muß man sehen, um es zu glauben.

Im Allgemeinen fiel mir eine ungemeine Leichtigkeit und Frische sehr wohlthuend und im Gegensatze zu dem steifen Engländer in der Haltung und dem Benehmen der Leute auf. Ich lernte Kaufmannsdiener kennen, die sich eigene Pferde hielten und alle Tage lustige Ausflüge machten; ich hörte von prächtigen Schlitten- und Schlittschuhpartien im Winter und sah nach und von allen Seiten sorglose Gesichter und elastische Schritte auch unter den Geschäftsleuten, die in London verschlossen und vernagelt, gedrückt oder hochnäsig durch Millionen von Menschen wie durch eine Wüste eilen. Man erklärte mir diesen wesentlichen Unterschied wahrscheinlich sehr richtig: „Man weiß hier nicht viel von Steuern, und alle Bedürfnisse und Freuden des Lebens sind billig, zu denen außerdem selten Jemand spirituöse Getränke zählt. Stadt und Land ist lustig über eine Tasse Thee; Bier und gebrannte Wasser gelten für gemein und entehrend und Wein erscheint auch bei den Wohlhabendsten sehr selten auf dem Tische.“

Von Schulen und Kirchen konnte ich wenig Notiz nehmen. Erstere sind, nachdem, was ich darüber hörte, noch sehr mangelhaft und für die Zahl der Kinder unzureichend. Architektur, Kunst und Wissenschaft boten mir auch keine besondern Merkwürdigkeiten. Doch verdienen das Parlamentsgebäude und die Wohnung des Gouverneurs (in einem reizenden Garten), viele große Waarenschuppen und besonders die ungeheuern Fisch-Depôts, unmittelbar am Hafen, genauer angesehen zu werden. Ungeheuere hölzerne Häusercolosse sind vier, fünf bis sechs Stockwerke hoch, von getrockneten Fischen vollgestopft, die hier ihre Verschiffung, größtentheils nach den westindischen Inseln, erwarten. Die Meerfischerei ist bekanntlich an den kanadischen Küsten das eigentliche Gewerbe und eine so wichtige Lebensfrage, daß man früher schon einmal fürchtete, England könne um die Fische im Meere mit Amerika in Krieg verwickelt werden. Die Fischereifrage ist noch nicht ganz erledigt, doch verdanken England und Amerika dem lustigen Weisen „Sam Slick“, der in dieser Angelegenheit nach England kam, einen Besuch, der uns ein gutes Stück neuen Humors brachte („Sam Slick in England“), wenigstens so viel, daß man beiderseits glaubt, die Sache friedlich lösen zu können.

Ich werde unterbrochen – morgen mehr!

[378]

Reise nach Windsor. – Annapolis. – Rückkehr nach Halifax. – Besuch bei Sam Slick. – Dessen Persönlichkeit. – Sam Slick’s Charakteristik eines Yankee.

Um die Halbinsel im Innern näher kennen zu lernen, unternahm ich Landkutschen-, Wasser- und Fußreisen, um bis Annapolis und St. Johns vorzudringen. Ein rohes, altes Ungeheuer von Landkutsche brachte mich zunächst in das 45 englische Meilen entlegene Windsor durch rohe Natur und Felsen, weidendes Vieh, weiße Landhäuser, an Flüssen, Höhlen, wilden Weinlabyrinthen, Kürbissen und Indiokornfeldern vorbei, ohne beim Essen unterwegs jemals etwas von Bier oder gar Branntwein zu sehen. Windsor ist im Kleinen, was Halifax im Großen, doch Alles mehr eben, niedlicher, gemüthlicher, besonders durch die vielen zerstreuten Landhäuser, Bäume in den Straßen und den Fluß Avon, der hier sich mit einem andern vereinigt und bis in die Minen-Bay schiffbar wird. Als ich hier geschlafen, fragte ich das Landhaus, die eigentliche Wohnung des lustigen „Sam Slick“, aus. Doch von diesem Besuch will ich ja besonders sprechen.

In Windsor mit seiner Universität und vierzehn Studenten, Unter-Horton, Wolfville, Kentville, Cornwallis und anderen Orten, die alle denselben Charakter tragen, nur daß Alles allmälig kultivirter ringsum aussieht, will ich mich auch nicht weiter aufhalten; es verdient Cornwallis mit seiner herrlichen Ebene, die als die fruchtbarste in ganz Neuschottland gilt, ein Paar Worte. Die ganze Ebene ist dem Wasser (der Fundy-Bay) durch ungeheuere Dämme abgetrotzt worden, welche die ersten Colonisten, die Franzosen, im großartigsten Style angelegt hatten. Als die größte Merkwürdigkeit des Landes gilt der Wellington-Damm, 30 Fuß hoch und ebenso dick von Erde und Reisholz, mit glücklichem Erfolg den Angriffen des Weltmeeres als eine der praktischsten, modernen Fortifikationen entgegen gemauert. Das so geschützte „Damm-Land“ bildet hier den Maßstab für den Reichthum der Farmer. Dieser dem Meere abgewonnene Boden ist so fruchtbar, daß er seit einem Jahrhundert ohne Dünger die reichlichsten Ernten liefert. Freilich thut eine Art Erdflöhe dem Weizen viel Schaden, so daß man mit großem Nutzen angefangen hat, Kartoffeln zu bauen, die in ungeheuern Massen nach Nordamerika ausgeführt werden. Farms mit solchem Dammland werden hier mit 30 bis 50 Pfund (200 bis 400 Thaler) auf jeden Acker verkauft und sind immer leicht zu haben, da die Besitzer den Wechsel sehr lieben, so gut sie sich auch stehen.

Nur die eigentlichen Boden-Eigenthümer (die meisten andern stehen noch in feudalistischer Abhängigkeit, wie sie von den ersten Herren Canada’s, den Franzosen, eingeführt ward) lieben ihren Boden und ihre schöne gebildete Heimath in ganz fein-studirt eingerichteten Villa’s, wo Speise-, Besuch- und Studirzimmer und schöne, kleine Equipagen die Freunde und Nachbarn gar oft zu schönen, geselligen Freuden vereinigen. Sie haben über nichts zu klagen, über keine Polizei, keine Steuern, Landräthe und Soldaten; doch auch sie schimpfen auf eine Regierung, nämlich die nordamerikanische, welche allerdings den ziemlich dummen Streich gemacht [379] hat, 30 Prozent Eingangszoll auf die neuschottischen Kartoffeln zu legen. Außerdem sind Arbeiter schwer zu haben. Für 140 Thaler jährlich und noch Fleisch, Pudding und Torte täglich muß man den Pferdeknecht noch sehr warm halten, wenn er nicht aufsagen soll. Lebensmittel, Hotels und Reisen sind fabelhaft billig, zumal wenn man aus England kommt, das seiner Gasthöfe wegen weltberüchtigt ist. Für eine Nacht mit Zimmer, Thee und prächtiges Frühstück bezahlte ich drei Schillinge. Das würde in England 20 - 30 Schillinge gekostet haben.

Von der nun folgenden langen Reise nach Annapolis will ich schweigen, sie bot nichts Merkwürdiges. Nur des „Teufels Gänse-Weide“, die wir öfter passirten (große, sandige und sumpfige Ebenen, mit Gänsen reichlich bevölkert), find’ ich des Witzes wegen, den Sam Slick darüber gemacht hat, erwähnenswerth. Er sagt, diese Teufels-Gänse seien so glücklich und unverdaulich, daß kein Fuchs zu bewegen sei, sich einmal eine zu holen, er könne sie doch nicht beißen. Später sah die Gegend wieder freundlicher aus, besonders im Thale des Flusses Annapolis, den wir bei der rasch aufblühenden Stadt Bridgeton passirten, um durch lachende grüne Thäler in die Stadt Annapolis zu kommen. Diese Stadt hat den historischen Ruhm, die erste europäische Ansiedelung in Nordamerika zu sein. Franzosen waren es, die sich hier 1603 zuerst niederließen. Die Stadt wurde mehrmals erobert, niedergebrannt und neugebaut, bot mir aber nichts besonders Merkwürdiges, da das Gemisch von Französisch und Englisch, das sich hier noch bietet, eben nicht sehr angenehm erschien. Sie liegt an einer Meeresbucht und steht mit St. Johns in Dampfschiffverbindung, so daß ich dachte, dort hinunter zu dampfen und in das eigentliche Amerika einzudringen. Doch man erzählte mir, daß das Dampfschiff gerade jetzt einer gründlichen Reparatur unterworfen werde, ich aber desto besser fahre, wenn ich nur vier bis sechs Wochen warten könne. Dazu hatt’ ich keine Lust, ich fuhr also meinen Weg zurück und eilte in Halifax athemlos nach dem Hafen, wo eben das große Dampfschiff „Canada“ angekommen war, in welchem ich mich vor allen Dingen schlafen legte, um für neue Eindrücke in der neuen Welt die Folgen meiner beschwerlichen Rückreise loszuwerden. Inzwischen will ich aber meinen Besuch bei Mr. Haliburton, Sam Slick, niederschreiben, in der Hoffnung, daß er bei meinem lieben Freunde E. Keil, alte Welt, Leipzig, Königsstraße Nr. 14, wohlbehalten ankomme. Für ansprechenden Inhalt in meinen weiteren Briefen wird die ungeheuere, neue Welt, der ich nun immer näher entgegenbrause, gewiß nur zu gut sorgen, so daß ich schon fühle, wie meine Hauptarbeit darin bestehen wird, tausenderlei Dinge, die mir im Augenblicke ganz ungeheuer wichtig erscheinen, ganz zu unterdrücken, und kurz und bündig und in den Grenzen zu bleiben, von denen hier Niemand die geringste Ahnung hat. Insofern ich hoffe, daß Sie meine Briefe der Veröffentlichung werth halten, erlaube ich mir alle Leser ohne Ausnahme unbekannter, aber herzlicher Weise zu grüßen.


Als ich in meinem neuschottischen Windsor wohlfeil ausgeschlafen und gefrühstückt hatte, begab ich mich mit einem meiner englischen Reisegefährten auf den Weg, in die reichlich zwischen Wiesen und Baumgruppen zerstreuten Landhäuser, deren eins dem lustigsten und schneidendsten aller amerikanischen Humoristen, dem schon erwähnten Advokaten Haliburton, der als Sam Slick schon lange auch in Deutschland eingeführt ist, gehören sollte. Wir fragten nicht lange, da Jeder seine Wohnung zu kennen schien. Und so kamen wir nach etwa einer halben Stunde vor einen großen, reichlich mit Baum- und Blumenwerk besternten Rasenplatz, auf welchem frei und luftig eine herrliche Villa im schönsten englischen Landsitzstyle sich erhob. Hier wohnt der Weise des modernen amerikanischen Charakters. Es war noch ziemlich früh, und wir trugen Bedenken, so ohne Weiteres einzudringen; aber es war nun nicht mehr gut warten. Wir ließen uns also als ein Paar Ankömmlinge aus zwei verschiedenen Theilen der alten Welt melden, wurden in ein großes, prächtiges, ganz aristokratisch-englisch ausgeschmücktes Besuchzimmer geführt, das in seinem Teppich, seinen Stühlen und Tischen, Büchern und Gemälden wohl auch den luxuriösesten Ansprüchen wenig zu wünschen übrig ließ. Kaum hatten wir Platz genommen, meldete ein reizendes, schlankes, kastanienbraunes Mädchen (ein Neger hatte uns die Thür geöffnet), daß der Herr in einigen Minuten die Ehre haben werde. So machten wir denn bald einer epigrammatisch überraschenden Erscheinung unsere Verbeugungen. Ein vom Kopf bis zu Fuß lachender, frischer, derber, untersetzter Vierziger mit einem Kopf voll ewig junger, unsterblich lachender Heiterkeit. Die Stirn groß und weit und edel gewölbt und ohne Spur von Sorgenfalten. Die Augen unter starken, buschigen, etwas spöttisch herabgezogenen Brauen, ein Arsenal blitzender, stechender, schneidender, schießender, durchdringender Waffen des Witzes und Humors. Nase schmal und groß und in der Mitte konvex und scharf in der Linie, wie denn überhaupt im ganzen Gesicht nichts Stumpfes zu entdecken war. Mund, etwas dicht zusammengepreßt, wodurch die Winkel noch spöttischer, jovialer, schäkernder wurden.

Die ganze Persönlichkeit machte den wohlthuendsten und edelsten Eindruck. Er sprach sehr ruhig, klangvoll und gemüthlich über alle mögliche Gegenstände mit uns und bemerkte in Bezug auf mich, es thue ihm sehr Leid, daß er Deutschland niemals gesehen und nichts von der Sprache Goethe’s, Humboldt’s, Jean Paul’s und Gutenberg’s verstehe. „Aber ich kann den Deutschen nie verzeihen, daß sie das Pulver erfunden haben“, setzte er mit der trockendsten Schalkhaftigkeit hinzu. „Ich säh’ es auch lieber, wenn sich alle Menschen und Völker blos mit den Waffen schlügen, deren Meister wir die Ehre haben, persönlich vor uns zu sehen“, versetzte ich. Die Unterhaltung lief nun wieder rasch durch Alt- und Neu-England, Nord- und Südamerika, die Sklaven- und die Fischereifrage, neuschottische Eisenbahnen, Literatur u. s. w., wobei ich nur bemerkte, daß sich der Schalk nicht die geringste Mühe gab, witzig zu erscheinen, daß aber seine harmlosen Fragen und Entgegnungen fast immer unwillkürlich etwas Epigrammatisches, Scharfsinniges und ungenirt Kurzes und Bündiges annahmen. Viel Komik lag dabei in einer Art von englischem Platt, das etwa mit „Keener“, „Nee“, „Appel“, „Boom“ u. s. w. im Deutschen zu vergleichen wäre. Aehnlich läßt er bekanntlich gern „Sam Slick“ selbst und seine Neger reden. „Sam Slick“ ist das personificirte und individualisirte Urtheil der Neu-Engländer in Canada über die eigentlichen Yankees und der schlaue, spekulative, durchdringende, furcht- und schonungslose Genius Amerika’s selbst, oder wie er selbst zu Ende seiner „Weisen Sprüche und modernen Zustände“ sagt: „Na also, Mr. Slick, ich sage Ihnen, ’S sind der Mann für mein Geld. Sprechen den meesten Sinn und den meesten Unsinn in der Welt. Spielen mit de Mächens, haben de Mannsleute zum Besten, schneiden uf nach der Uhr und sind ’n gebornes Schäkerken. Dabei sind S’ der Mann, dem man den Spruch gleich an der Nase ansieht: Bange machen gilt nich! und ’ne Macht, Ihn’n ’s Maul zu stoppen, is nich.“

Nachdem wir ziemlich eine Stunde mit diesem nicht bange zu machenden und nicht zu stopfenden personificirten Yankee-Humor gesprochen hatten, verabschiedeten wir uns. Ich erwähne nur noch, daß er uns die Entstehungsart seines neuesten Buches: „Weise Sprüche und moderne Zustände“ (vielleicht besser „Beispiele“) mittheilte. Er erhielt von der Regierung den Auftrag, die Fischereifrage in Neuschottland, Neubraunschweig und auf der Prinz Eduard-Insel an Ort und Stelle selbst zu untersuchen und darüber zu berichten. Er bekam außer sechs Dollars Diäten noch täglich sechs Dollars Reisegeld und ein eigenes Dampfschiff zu seiner Verfügung. Dabei ließ sich schon lustig sehen und schreiben. Seiner Gesandtschaft nach England verdanken wir die sarkastische, witzige Schilderung altenglischer Zustände in: „Ein Attachée oder Sam Slick in England.“ Er ist der einzige Diplomat, der lustige Bücher schreibt und die Wahrheit ungenirt sehr spitz heraussagt, statt sie abzustumpfen oder gar zu verbergen. Ist er schon als „Wanduhrmacher“ (er schrieb früher viel unter diesem Namen) in Deutschland bekannt?