Neapel und der Vesuv
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„VEDI NAPOLI E POI MUORI!“ – „Sieh’ Neapel und stirb!“ so ruft der Lazzaroni in patriotischer Begeisterung und nennt sein Neapel ein auf die Erde gefallenes Stück vom Himmel. – Wahr ist es, kein anderer Erdstrich kann des Besitzes so vieler Vorzüge sich rühmen, als dieser. Hier ist das Jahr wirklich rund; hier tanzen die lieblichen Horen zur Melodie der Freude den ewigen Reigen. Zu allen Jahreszeiten ist die Luft balsamisch und mild und selbst die Hitze des Hochsommers wird so sehr gemildert durch die Kühlung des Meers, daß sie nur dann lästig wird, wenn der glühende Sirocco weht. Auch hat das graueste Alterthum schon der Gegend Zauber erkannt und gewürdigt. Als die Griechen, diese feinen Kenner und Empfinder des Schönen, das Land entdeckten, wurden sie so entzückt von seiner Schönheit, daß sie in Schaaren die Heimath verließen, sich neue Wohnungen zu bauen am fernen Strande und noch Jahrhunderte nachher wallete die poetische Sage von den Wundern desselben hinüber nach Altgriechenland. – Hierher versetzten seine Dichter die hesperidischen Gärten, hierher die elysäischen Gefilde, die ewig blühenden. Homer läßt seine Sirenen hier singen, an Neapolis Küste zauberte seine Circe. Selbst der ernste, forschende Aristoteles spricht von diesem herrlichen Lande wie von einer neuen Welt, von einem Eldorado.
Auf der Küste reizendstem Punkte, prachtvoll am Rande eines majestätischen Golfs gelagert, aus dem die Inseln Capri und Ischia in kühnen Umrissen auftauchen, rechts vom rauchenden Vesuv bewacht und bedroht, und links in den Arm des überragenden Posilipp geschmiegt, in Form eines doppelten, durch die Citadelle del Uovo getrennten Amphitheaters, von den hochliegenden Forts St. Elmo und Castelnuovo beherrscht, sehen wir Neapel, des Reiches Hauptstadt, nach ihrer Lage, ihrer Volksmenge und ihren Schätzen eine der herrlichsten der Welt. Ueber 350,000 Menschen tummeln sich in ihren Straßen, in welchen Tag und Nacht der rauschende Lärm einer Bevölkerung, die zum Theil wohnungslos ist, nicht schweigt. Das Meerufer und der Hafendamm, beide die beliebtesten Spaziergänge, sind zu jeder Tagzeit von Menschen belebt, die im DOLCE FAR NIENTE dahin schlendern, oder vor einer Polizinellbude, um einen Taschenspieler, oder Sänger, oder Improvisator in malerischen Gruppen versammelt sind. Die Lust am Genuß der herrlichen Natur, die alle Stände durchdringt, verödet auch die Häuser der vornehmen Welt. Sie verlebt den Tag meistens in ihren Villen, welche die waldigen Anhöhen über der [54] Stadt und am Strande hin bedecken, und den Abend in prächtigen Wagen, die sich in unabsehbaren Reihen in den längs dem Meere hin laufenden Straßen Santa Lucia und Chiaja fortbewegen. Auf dieser Fahrt hat man die einzig schöne Aussicht über die Bay nach dem Vesuv und der Küste von Sorrento. Ihren Genuß erhöhen der rauschende Wogengesang, die erquickende Seeluft, die Heiterkeit des glänzenden, tiefblauen Himmels, die auf jedem Schritt sich bemerklich machende überschwengliche Fülle immer keimender, sprossender, blühender, schwellender, reifender Fruchtbarkeit, die Erinnerungen endlich, welche die die Berge und Thäler schmückenden Denkmäler einer großen Vergangenheit erwecken.
Aber auch nur diese, die herrliche Natur und die originelle Regsamkeit des gegenwärtigen frischen Lebens, sind es, welche Neapel und seine Umgebung so bezaubernd machen. Die Stadt selbst bietet für den Reisenden, namentlich wenn er den Maasstab anlegt, den ihm das in Florenz und Rom Gesehene gab, wenig, was ihn fesseln, noch weniger, was ihm einen reinen Kunstgenuß gewähren könnte. Desto häufiger ist sein ästhetisches Gefühl Beleidigungen ausgesetzt. Fast scheint es, als hätte die üppige Triebkraft der Natur auch dem Kunststyl sich mitgetheilt und denselben zur Ausartung und Uebertreibung angeregt. Dieß gilt namentlich von den größern Bauwerken Neapel’s. Mehre Straßen strotzen von Pallästen. Die von Chiaja und Toledo sind größtentheils von solchen zusammengesetzt; aber alle tragen, von Schnörkeleien und sinnlosen Verzierungen überladen, das Gepräge eines entarteten Geschmacks, das der innern Leerheit und Bedeutungslosigkeit, welche Neapel’s Kunstbestrebungen überhaupt charakterisiren; denn auch hiesige Skulptur und Malerei waren nicht glücklicher. Alles Vorhandene erscheint mehr wie eine in Schwulst und Bombast untergehende fratzenhafte Nachbildung der herrlichen Bestrebungen römischer und norditalischer Kunstschulen, denn das Erzeugniß einer nationalen, selbstständig entwickelten. So die Obelisken, Springbrunnen, Statuen, Pyramiden und alle neueren Kunstwerke, welche die Höfe und Gärten der Palläste und die öffentlichen Plätze verzieren. Einige Antiken, z. B. die berühmte Marmorgruppe des farnesischen Stiers, welche im Garten der Villa Reale aufgestellt ist, machen die Gehaltlosigkeit und Widerlichkeit der neuern Hervorbringungen nur um so auffallender.
Die Hauptstraßen abgerechnet, sind die übrigen enge, dunkel, schmutzig, und ihre Häuser von meistens schlechter Bauart. Die Menge der Kirchen und Kapellen (250) und der Klöster (150) ist groß, doch nur einige zeichnen sich durch Pracht und Größe aus. Die meisten sind in Winkelgassen versteckt, oder verbaut und, nur durch schmale Vorhallen zugänglich, dem Ueberblick entzogen. Der prachtvollste der christlichen Tempel ist der Dom, die Ruhestätte des heiligen Januarius. Seine Erbauung fällt in die Blüthenzeit des gothischen Styls (in’s 13. Jahrhundert), aber spätere Aenderungen haben ihn verunstaltet und seinen ursprünglichen Charakter fast ausgetilgt. Ihm kommt an Größe, auch an prächtiger und geschmackloser Verzierung zunächst die Kirche des reichen Frauenklosters Santa Clara; sehenswerther [55] sind, wegen ihrer Malereien und Skulpturen, St. Filippo Neri und San Apostoli; und wegen der ihr eingebauten Ueberreste eines antiken Tempels des Castor und Pollux, die Kirche St. Paolo Maggiore. – Unter den Pallästen zeichnet sich das königliche Schloß durch Größe und ziemlich edeln Styl aus; es ziert den schönsten Platz Neapel’s. Das Museum ist als Gebäude nicht von Bedeutung; aber weltberühmt machen es die daselbst verwahrten Schätze der alten Kunst, meistens die Frucht der Ausgrabungen in der Nähe. – Unter den Skulpturen, die den untern Raum einnehmen, nennen wir bloß den farnesischen Herkules, die berühmte Venus und die farnesische Flora. Die antike Vasensammlung im zweiten Stock ist jetzt die reichste unter allen ähnlichen. – An höheren Bildungsanstalten zum Theil in prachtvollen Gebäuden, (Universität; Medizinisches Collegium; Seminar; Marine- und Militairschule; Akademien für Kunst, für Ackerbau, für Gewerbe; Anatomisches Theater; Observatorium etc.) fehlt es hier nicht; aber ihre Wirksamkeit für Leben und Wissenschaft ist vergleichsweise sehr gering. Die Grundlage für das Gedeihen solcher Anstalten ist guter Volksunterricht; – aber hier, wo Unwissenheit dem religiösen und weltlichen Despotismus noch ein Schild ist, kann von jenem keine Rede seyn. Doch nicht für Kunst, nicht für Gelehrsamkeit, nicht für Aufklärung und Volksbildung soll Neapel ein Wohnsitz seyn; – Lust und Lebensgenuß ist’s, was man hier suchen muß, und was hier Jeder im reichsten Maaße zu erlangen strebt. Für das müßige Volk – und daraus besteht die große Mehrzahl – fehlt es nie an Kurzweil; Polizinellen, Musik, Improvisatori etc., gibt’s hier auf allen Straßen und Plätzen; öffentliche Aufzüge und Belustigungen an jedem Festtage. 60 wohlthätige Anstalten und über hundert Almosen und Speise spendende Klöster lassen es dem Müßiggange nie an den Mitteln zur bequemsten Fristung des Lebens fehlen, während bei der Wohlfeilheit der Lebensmittel überhaupt gegen den geringsten Erwerb sich Ueberfluß beut. Für die Entfernung des Ennui der wohlhabenden und gebildeten Stände sorgt die Gewohnheit des täglichen Kirchgehens und Promenadefahrens, die Häufigkeit der Conzerte, (Neapel war immer die Pflanzschule ausgezeichneter Componisten), und 4 Theater, das Nuovo, de Fiorentini, San Carlino und das 1816 neu aufgebaute San Carlo, eines der größten und prachtvollsten der Welt. – Manufakturen und Fabriken gibt es wenig. Sie können an einem Orte, wo Arbeitsscheu Charakterzug ist, nur unbedeutend seyn und müssen sich auf die unentbehrlichsten beschränken. Und selbst diese sind fast ohne Ausnahme in den Händen von Fremden und deren Arbeiter sind Ausländer! Mit den meisten Handwerkern ist’s eben so; die tüchtigsten sind Einwanderer, die hier ihr Glück suchen und oft auch machen. – Das nämliche Verhältniß gilt vom Handel. Engländer sind die größten und thätigsten Kaufleute, und der Verkehr Neapel’s, das vermöge seiner Lage das Emporium aller Waaren, welche die Staaten des Mittelländischen Meeres mit einander tauschen, seyn könnte, beschränkt sich auf den Verbrauch des Platzes und der Ausfuhr von Produkten der Umgegend, besonders Oel, Mandeln und Südfrüchten. – Unter den Handelsanstalten sind die Börse und die Bank die bemerkenswerthesten; letztere jedoch mehr der Regierung, als dem Volke dienend. – Der Charakter des Volks hat die [56] Grundzüge der italienischen; nur treten sie hier schärfer als bei den nördlichen Stammgenossen hervor. Größte Leidenschaftlichkeit beherrscht den Neapolitaner, aber eben so groß ist seine Gutmüthigkeit; er ist treuherzig, frohsinnig, mäßig; selten hört man von blutigen Aeußerungen seines jachen Wesens, noch seltener von Ermordungen. Der Hang zur Unsittlichkeit und zum Genusse ist allgemein; ihn entschuldigt die Natur des Südens.
Neapel’s Umgebung ist ein immer blühender Wundergarten, geschmückt mit Allem, was die Natur Großartiges und Herrliches zeigt und mit unzähligen Ueberresten griechischer und römischer Kunst. Geht man aus der Stadt nach Abend hin, so tritt der Bergrücken des Posilipp entgegen, bedeckt mit Orangenhainen und Weingärten, freundlichen Landhäusern und den prächtigen Trümmern römischer Grabmäler und Villen. Ein Arm desselben streckt sich dem Meere zu; diesen durchschneidet ein 600 Schritt langer und 18 Fuß breiter, hober, gewölbter Gang, (die Grotte des Posilipp), ein Römerwerk und des Römer-Namens würdig. Die uralte Sage des Volks rechnet die Ausgrabung dieses Tunnels dem Virgil an; der, – das Volk hält ihn für einen Zauberer – mit des Teufels Hülfe ihn in einer Nacht zu Stande gebracht. Diese Grotte führt in ein kleines, rundes Thal, dessen Boden der See Agnano ganz bedeckt. Er ist ringsum von hohen, bewaldeten Bergen umschlossen, auf deren höchstem das prächtige Kloster Camaldoli prangt. Von der Terrasse desselben hat man eine der reichsten und entzückendsten Aussichten der Welt, weit über die Campania Felix, über die Inseln und das Meer hin. Seitswärts, am Ausgange der Höhle, in einem Weinberge, zeigt man das Grabmal Virgil’s. An den felsigen Ufern des Sees, der ein versunkener Krater zu seyn scheint, befinden sich eine Menge Höhlen, aus denen heißer Schwefeldampf emporsteigt. Sie werden von dem gemeinen Mann als Bäder benutzt. Auch mehre warme Quellen (GLI PISCARELLI), welche in der Nähe sprudeln, zeugen von unterirdischem Feuer. Unter jenen Höhlen wird die Hundegrotte (GROTTA DEL CANE) von allen Reisenden besucht. Eine Schicht kohlensaurer Luft bedeckt fortwährend ihren Boden, in welche der Führer gemeinlich einen Hund hält, um die erstickende Wirkung des Gaßes zu zeigen. Daher der Name. – Von da leitet ein tiefer Hohlweg zwischen Gestrüpp und Felsen zur Solfatara (die CAMPI PHLEGRAEI der Alten), ein merkwürdiges, fast cirkelrundes, über 1000 Fuß im Durchmesser großes Thal, wahrscheinlich durch den Einsturz eines Feuerbergs entstanden, dessen Eingeweide noch nicht verglüht ist. Der mit einer weißlichen Erde überzogene Felsenboden erzittert und wankt bei jedem Tritte und aus seinen unzähligen Ritzen und Spalten dringen heiße Schwefeldämpfe, die im Finstern leuchten. Verdichtet hängen sie sich an hervorstehendes Gestein als schillernde, bunte Crystalle, das Grausige der stillen, von keinem Vogel, oder Thiere betretenen Gegend erhöhend. – Pozzuoli – in zweistündiger Entfernung von der Hauptstadt – ist das nächste Ziel des westlichen Ausflugs. Eine alte Römerstraße (VIA CAMPANA) führt dahin, wo lachende Fluren und Gärten und der Anblick des weiten Busens von Neapel die finstern Eindrücke jener unheimlichen Gegenstände bald verscheuchen. Auf dem Wege wird die Aufmerksamkeit [57] durch mannichfache Ueberbleibsel römischer Bauwerke angeregt – unter denen sich die eines Amphitheaters, einer Piscina (des sogenannten Labyrinths), mehrer Thermen und die malerischen Trümmer vieler Grabmäler auszeichnen – Alles Wahrzeichen der Größe und Pracht der alten Römerstadt. Die jetzige – von weit geringerer Ausdehnung – liegt auf einer Landzunge. Durch Erdbeben mehrmals verheert hat sie kaum noch 14,500 Einwohner, die sich meistens von der Fischerei ernähren. Ihr merkwürdigstes Gebäude ist der Dom, einst ein dem August geweihter Tempel, von dessen Stufen Paulus dem Volke das Christenthum predigte. Von einer colossalen Reiterstatue des Tiberius, in der Mitte des Marktes, steht nur noch das mit Skulpturen bedeckte Piedestal. Anziehender als beide Monumente sind aber die imposanten Trümmer eines Marmor-Tempels des Jupiter Serapis, dessen herrliche Säulen hoch über ein Chaos von Ruinen hinweg schauen. Die sogenannte Brücke des Caligula ist ein ungeheurer, unter der Herrschaft dieses Kaisers errichteter Molo (Steindamm), der den Hafen von Puteoli gegen die Macht von Wind und Wellen schützte; er liegt in Trümmern. – In der Nähe Puzzuoli’s besuchen wir noch den MONTE BARBARO (einst der MONS GAURUS), berühmt wegen seiner Reben, mit den Villen römischer Großen überdeckt, Cicero’s Lieblingsaufenthalt, seit dem großen Erdbeben (1538) öde und unfruchtbar. – Nahe bei ihm erhebt sich der MONTE NUOVO, bei jenem schrecklichen Ereigniß an der Stelle entstanden, wo die Erde den volkreichen Flecken Tripergole verschlungen. Der Lukriner See, an seinem Fuße, einst berühmt wegen seiner Austern, ist, durch Erdbeben verschüttet, nur noch ein Teich. Von ihm gelangt man, durch die Höhle der Cumanischen Sibylle, an den LAGO AVERNO, ein rundes Wasserbecken von unermeßlicher Tiefe mit sehr hohen und steilen, dicht bewaldeten Ufern, deren schwarze Schatten ihm ein finsteres, schauerliches Ansehen geben. Die Poesie der Alten benutzte dieses Grauen. Virgil läßt seinen Aeneas hier die Pforte zu dem Schattenreiche und in des Waldes Dunkel, an seinem Ufer, den goldenen Zweig finden, welchen ihm die Sibylle angedeutet hatte und auf dessen Vorzeigung ihn Charon über den Styx fuhr. Verfolgt man den Weg längs dem Meerbusen noch eine Stunde weiter, so gelangt man, den auf beiden Seiten zerstreuten Trümmern von Grabmälern, Tempeln, Theater und Thermen vorbei, an die Stelle, wo das bei den Römern so hoch gepriesene Baja stand. Noch zeugen von seiner Pracht die Ruinen der berühmten Bäder und Substruktionen von einer Größe, wie man sie nur in der Weltstadt selbst so wiederfindet. An das Ufer des kleinen See’s, den ein schmaler Damm vom Meere trennt, versetzten die Alten die elysäischen Felder. In der Nähe sind das Grabmal des Scipio Africanus und die Ruinen von Cumae sehenswerth. Den Rückweg nimmt man gemeinlich zu Wasser nach einem Besuche der lieblichen Eilande Procida und Ischia. –
Auf der Ostseite Neapel’s führt eine prachtvolle Straße am Meere hin nach Herkulaneum und Pompeji und nach dem Vesuv. Den Wundern jener nach Jahrtausenden ihrem Lava- und Aschengrabe erstandenen [58] Römerstädte ist eine besondere Beschreibung in unserm Werke vorbehalten. – Begleite uns jetzt der Leser auf den Vesuv. – Zuerst gelangen wir nach Portici. Dieser Flecken prangt mit einem großen, aber geschmacklos gebauten königlichen Schlosse, weltberühmt durch das Museum herkulanischer Alterthümer (allein über 2000 Wandgemälde), die hier aufgestellt sind. – In Portici miethen wir Maulthiere und einen Führer. Vor uns liegt der Vesuv. In Pyramidalform und zweigipflich erhebt er sich aus der Ebene.
Wir fangen an auf einem ziemlich breiten Pfade hinan zu steigen zwischen Pflanzungen von Reben, die an schlanken Pappeln sich hinwinden und da, wo ihre Ranken von Baum zu Baum sich umarmen, Laubgewölbe und Bogengänge bilden. Hier, und zwar nur hier allein, wächst der Lacrimae Christi. Rechts und links, aus dem Dunkel der Reben, schauen die aus rohgefügten Lavablöcken gebauten Hütten der Winzer malerisch hervor. Bald aber wird der Anbau dürftiger, das Grau verwitterter Lava zieht sich als düstere Lokalfarbe durch die Landschaft und die Wein- und Obstgärten, zusammenhängend am untern Berggürtel, sind durch öde Strecken getrennt und werden, je höher hinauf, je kleiner. Endlich erscheinen sie nur noch sammt einzelnen Gruppen sonnenschirmiger Tannen, wie Oasen in der Wüste. Der verbrannte Boden wird grasleer; große, herabgerollte Steine machen den Pfad unwegsamer; niedriges Taxus- und Myrthengesträuch, zwischen dem hie und da eine einsame Aloe hervorsieht, tritt an die Stelle der Bäume. – So gelangen wir auf des Berges erste Terrasse.
Hier dehnt sich eine weite Ebene vor uns aus. Die beiden Gipfel des Vesuvs, durch ein tiefes Thal getrennt, links der Somma, der ausgebrannte Krater, rechts die jetzige Mündung des Feuerbergs mit kahlen und steilen Seitenwänden, recken sich aus der Mitte der Fläche in die Bläue des Himmels. Beide Gipfel sind oft in blasse Dunstwolken gehüllt und unkenntlich. Stellen sich aber die Kegel rein dem Auge dar, dann bezeichnet eine lichte Rauchsäule über dem einen den thätigen der Vulkane. – Verwitterte Feuerströme mancher Jahrtausende bedecken die Ebene, die wir durchwandern. Sie ist eine grauenvolle Wüste, wo die Laven, wie Schlacken umhergestreut, auf dem schwarzen Boden, gleich weißlichem Schaume, oder vertrocknetem Mooße, sich zeigen.
Um Rande der Terrasse machen wir Halt, um die Aussicht rückwärts zu genießen. Wir erblicken tief unter unsern Füßen Portici, weiter hin Caprea, Ischia, den Posilippo, das Meer mit den weißen Segeln der Fischerkähne besäet, die lachende Küste des Busens von Neapel, die Königsstadt selbst, von Orangenhainen beschattet: – es ist das Paradies, von der Hölle aus gesehen. –
Der Führer mahnt und wir wandern weiter. Links zieht sich ein breiter Lavadamm nach dem steilen Abhange. Einige Baumwipfel überragen ihn. Es sind die Ulmen der Einsiedelei San Salvadore. Die Lavamauer, in die man diese ruhige Hütte christlicher Gastfreundschaft einbauete, ist der furchtbare Strom, der Herkulanum verschüttete und Hunderttausende begrub.
[59] Ein schmaler Seitenpfad führt uns hin, wo ein freundlicher Empfang und Erquickung uns erwarten. In’s Fremdenbuch schreiben wir unsern Namen, wie die unzähligen Reisenden, die vor uns das Nämliche thaten. Nachdem wir ausgeruht, geleitet uns ein Einsiedler zurück bis dahin, wo der Pfad nach seiner Hütte vom Wege ablenkte und erwiedert unsern Dank und unser Lebewohl mit seinem Segen.
Gestärkt setzen wir unsere Wanderung fort, dem rauchenden Gipfel zu. Welche Oede! Der Mensch ausgenommen und die ihm als Sklaven dienenden Thiere, betritt kein lebendes Geschöpf diesen Boden.
Der Fuß des Kegels ist erreicht. Wir steigen von unsern Maulthieren. Unser Führer gibt uns einen langen Stock, und wir fangen an, den ungeheuern Aschenhaufen hinan zu klimmen, der, zum Berge aufgethürmt, den Krater umschließt. –
Es ist eine mühsame Arbeit. Nicht sowohl ob der Steilheit der Wände, sondern wegen der Unsicherheit des Trittes, der auf den rollenden Schlacken und in der beweglichen Asche nirgends haftet. Nach viertelstündigem Klettern erreichen wir den 3700 Fuß hohen Gipfel und stehen auf dem Rande des furchtbaren Feuerschlundes, welcher sich, trichterförmig, 500 Fuß tief, hinabsenkt. Wenn, wie es öfters der Fall ist, nicht Rauch- und Nebelwolken den Vesuv von dem bezaubernden Gelände an seinem Fuße trennen, genießt man von dieser Höhe den Anblick einer der schönsten Landschaften der Erde. Aber das Grauen, welches der Ort, an dem wir uns befinden, einflößt, wird nicht gemildert durch jenen Anblick.
Doch, gespornt von der Lust am Schauerlichen und von der Wißbegierde Stachel, fassen wir den Entschluß, in den Schlund hinab zu steigen. Es ist beschwerlich genug, aber keineswegs gefährlich; denn selbst in dem Fall, daß man von einem Ausbruche überrascht würde, (ein Fall, der unter Hunderttausenden vielleicht einmal eintritt) könnte man sich, würde man nicht mit dem Auswurf herausgeschleudert, immer noch retten. Die Lava fließt nämlich sehr langsam – und es ist nichts leichter, als ihrem Strome auszuweichen. Darum ist auch der Besuch der Kratertiefe etwas Alltägliches geworden.
Wir gehen am Rande des Abgrundes hin, um den Pfad zu suchen, der am mindesten steil hinabführt. Der Führer bezeichnet ihn. Wir steigen hinab. – –
Wir sind in der Tiefe des Schlundes. – Wie könnte ich dieses Chaos schildern! Man denke sich ein Becken von ½ Stunde in Umfange und 500 Fuß hohen Wänden, in Form einer umgestürzten Pyramide. Die Feuerströme der jüngsten Ausbrüche haben die Seiten tief gefurcht und auf großen Strecken in die seltsamsten Gestalten zerrissen. Manche solcher Stellen gleichen Ruinen, andere Thier-Ungeheuern, andere wieder Felsen mit Grotten und Höhlen. Unförmliche schwarze Steintrümmer, an denen Lavaklumpen hängen, oder die die Gluth zum Theil verglaßt hat, bedecken den Boden des Abgrundes.
[60] Dieser, eine dicke, harte Lavakruste, ist die zerbrechliche Decke über eine Riesenschmelze tief in der Erde Bauch. Regellos zerrissen dringt aus den schwarzberäucherten Spalten ein gelber, erstickender Dampf hervor. – Mehre große Oeffnungen, deren Lage bei jedem Ausbruch wechselt, sind die eigentlichen Schornsteine. Aus ihnen steigen fortwährend Rauchsäulen auf, die bei Nacht leuchten. Dann und wann flackert dunkelrothe Lohe auf – einige hundert Fuß hoch; aber selten erreicht sie den Rand des Kraters. Schon einige Zoll unter der Oberfläche ist der Boden glühend heiß, und die Hitze hindert, den gefährlichen Spalten und Oeffnungen allzunahe zu kommen.
Tiefes Schweigen herrscht, nur in längern und kürzern Pausen durch unheimliche Stimmen aus der Tiefe – bald ein Brausen, bald ein Gemurmel, bald ein Stöhnen, bald wie ferne Kanonenschläge oder verhallende Donner – unterbrochen. Deutlich hört man das Klopfen der Pulse in den Schläfen, das Pochen des Herzens. Aber man denke sich diesen Ort, wo jetzt Grabstille ist, dann, wenn der Berg in Wehen des Ausbruchs liegt, Felsen aus seiner Tiefe gen Himmel schleudert, und die Flammenströme seiner Eingeweide über den Rand des Kraters hinab langsam, aber vernichtend, den blühenden Geländen an seinem Fuße zuwälzt! – Unwillkührlich ergreift ein unwiderstehliches Grauen auch den Muthigsten bei diesem Gedanken und von der Angst beflügelt vollendet er schnell den beschwerlichen Rückweg. – Erst in der stillen Hütte des Einsiedlers legen wir Wanderstab und Reisemantel nieder, und während sich der erschöpfte Körper erquickt und ausruht, lauschen wir mit doppeltem Genusse den Erzählungen von den Schauerthaten des Berges, womit die freundlichen, frommen Wirthe ihre Gäste zu unterhalten gewohnt sind. –