Nacht und Tag
Nacht und Tag.
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Nacht und Tag stritten mit einander um den Vorzug; der feurige, glänzende Knabe, Tag, fieng an zu streiten.
Arme, dunkle Mutter, sprach er, was hast du wie meine Sonne, wie meinen Himmel, wie meine Fluren, wie mein geschäftiges, rastloses Leben? Ich erwecke, was du getödtet hast, zum Gefühl eines neuen Daseyns; was du erschlafftest, rege ich auf –
Dankt man dir aber auch immer für deine Aufregung? sprach die bescheidne, verschleierte Nacht. Muß ich nicht erquicken, was du ermattest? und wie kann ichs anders, als meistens durch die Vergessenheit deiner? – Ich hingegen, die Mutter der Götter und Menschen, nehme alles was ich erzeugte, mit seiner Zufriedenheit in meinen Schoos: so bald es den Saum meines Kleides berrührt, vergißt es alle dein Blendwerk und neiget sein Haupt sanft nieder. Und dann erhebe, dann nähre ich die ruhig gewordne Seele mit [187] himmlischem Thau. Dem Auge, das unter deinem Sonnenstral nie gen Himmel zu sehen wagte, enthülle ich,[1] die verhüllete Nacht, ein Heer unzählicher Sonnen, unzählicher Bilder, neue Hoffnungen, neue Sterne.
Eben berührte der schwatzende Tag den Saum ihres Gewandes, und schweigend und matt sank er selbst in ihren umhüllenden Schoos. Sie aber saß in ihrem Sternenmantel, in ihrer Sternenkrone mit ewig ruhigem Antlitz.
- ↑ Vorlage: ich die