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Morgenlied (Albrecht)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Sophia Albrecht
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Titel: Morgenlied
Untertitel: Im May 1785
aus: Thalia – Erster Band,
Heft 2 (1786), S. 69–70
Herausgeber: Friedrich Schiller
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1786
Verlag: Georg Joachim Göschen
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: UB Bielefeld = Commons
Kurzbeschreibung:
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[69]

VI.

Morgenlied.

Im May 1785.





Prächtig steigt die Sonne wieder
     Aus der Morgenröthe Zelt,
Tausend, tausend Jubellieder
     Singt ihr die erwachte Welt,

5
Und der Blumen süßes Düften

Steigt ihr auf in reinen Lüften.

Seht! wie ihr die Heerden hüpfen,
     Hört! wie ihr die Taube girrt;
Rascher scheint der Bach zu schlüpfen

10
     Der durch frische Wiesen irrt,

Und die kleinen Sommer Müken
Tanzen ringelnd ihr Entzüken.

[70]

Traurig siz ich in der Fülle
     Lauter Freude rings umher,

15
Schwermuthsvoller, ernst und stille

     Bleibt mein Busen freudenleer.
Ach! die Purpurstralen weken
Mir des Todes bleiches Schreken.

Weh mir! daß ich durch die Chöre,

20
     Durch das Lied, das Leben singt,

Laut des Todes Röcheln höre
     Das aus jedem Odem dringt,
In den Weyhrauch reiner Lüfte
Mischt sich Duft der Todtengrüfte.

25
Blumen, die dem Aufgang blühen,

     Welken, wenn der Mittag sinkt,
Und von Wangen, die ihm glühen,
     Todes Schweis der Abend trinkt,
Leichen, Gräber ohne Zahlen

30
Wird sein lezter Grus bestralen.


Tauche deine goldnen Flügel,
     Erden Licht! ins Schatten Meer,
Streu um unsre Todenhügel
     Nacht das tiefste Dunkel her,

35
Bis in Edens Sonnenwälzen

Unsrer Gräber Fesseln schmelzen.

Sophia Albrecht.